von Sina Fabian

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1. November 2014

Die größte Überraschung für den Zuschauer kommt am Ende der originär britischen Komödie. Im Abspann erfährt er, dass die Handlung zum großen Teil auf einer wahren Begebenheit beruht. Aber nicht nur die Handlung, sondern auch die Charaktere entsprechen realen Vorbildern. Dabei klingt der Plot wie die Konstruktion einer auf Kalauer angelegten Clash-of-Cultures-Komödie. Eine Gruppe Londoner Homosexueller sammelt während des Bergarbeiterstreiks 1984/85 Spenden für eine abgelegene Bergarbeitergemeinde in Südwales. Sie fahren persönlich ins Dulais Valley, um das Geld zu überbringen. Dort werden sie zunächst ablehnend und skeptisch empfangen, schnell entstehen jedoch Freundschaften, die auf gegenseitigem Verständnis und Hilfe beruhen.
 

Die Gemeinsamkeit von streikenden Bergarbeitern und Homosexuellen

Der Film berührt mehrere gesellschaftlich höchst relevante Themen, die Großbritannien in den 1980er Jahren prägten. Der Film steht in der britischen Tradition, den für das Land auch heute noch stark traumatisierenden Bergarbeiterstreik und dessen Folgen in einfühlsamen, emotionalen Komödien aufzuarbeiten. Dieses Thema ist auch in Brassed Off, The Full Monty und Billy Elliot zu sehen. In Pride steht jedoch nicht die Bergarbeiter Community im Vordergrund, sondern eine Gruppe homosexueller Londoner. Dem jungen Aktivisten Mark Ashton (Ben Schnetzer) fallen die Gemeinsamkeiten zwischen den Homosexuellen und den streikenden Bergarbeitern auf. Beide werden von denselben Akteuren diskriminiert: Margaret Thatcher, der Polizei sowie der Boulevardpresse. Deshalb ruft er das Aktionsbündnis „Lesbians and Gays Support the Miners“ (LGSM) ins Leben. Viele Freiwillige findet er jedoch nicht, da ein Großteil der Schwulen und Lesben ihrerseits Diskriminierung durch die in einem traditionellen Männlichkeitsideal verhafteten, patriarchalisch organisierten Bergarbeiter Communities erfahren haben. Eine Empfängergemeinde für die Spenden zu finden, gestaltet sich ebenfalls als schwierig, da Anrufe abgewürgt werden, sobald sich herausstellt, dass die Unterstützer Homosexuelle sind.

„Lesbians and Gays Support the Miners“ (LGSM), Filmstill aus Pride (2014).

 

Vorurteile und Klischees

In diesen Szenen klingen Konflikte an, die sich durch die ganz verschiedenen Lebenswelten ergeben und weiter ausgeführt hätten werden sollen. Nachdem jedoch ein empfangsbereites Dorf in Wales gefunden ist, geht alles recht schnell und reibungslos. Nach anfänglicher Skepsis legen die meisten Bergarbeiter die Vorurteile ab, insbesondere die Ehefrauen sind von den zuvorkommenden und tänzerisch überaus begabten Londoner Aktivisten begeistert. Hier offenbart sich dann auch eine Schwäche des Films. Allzu oft rutscht er ins Klischeehafte ab. Die größte Sorge etwa der so toleranten Bergarbeitergemeinschaft ist es, dass die aus London kommenden Lesben Vegetarierinnen sein könnten, sie entpuppen sich dann jedoch als Veganerinnen. Skeptische junge Bergarbeiter nähern sich den schwulen Gästen an und bitten sie um Tanzstunden, um mehr Erfolg bei den „Ladies“ zu haben. Die Hauptgegnerin der Allianz zwischen den Bergarbeitern und Homosexuellen wird als verbitterte Frau dargestellt, die sich mit ihren Söhnen in ihr stets abgedunkeltes Haus zurückzieht, wenn die Londoner Aktivisten vor Ort sind, und die den Berichten der homophoben Sun, die ihrerseits in hohem Maße gegen die Bergarbeiter polemisiert, Glauben schenkt. Die Sun ist es auch, die unter der Überschrift „Pits and Perverts“ die Story national bekannt macht. Bei dem darauffolgenden Benefizkonzert und einem Gegenbesuch der walisischen Verbündeten greift Regisseur Matthew Warchus wieder bis zum Ellenbogen in die Klischeekiste und zaubert eine Tour der unbedarften Landbevölkerung durch Londoner Schwulenclubs sowie verstecktes Sex-Spielzeug unter dem Bett hervor.
 

Nostalgie und Emotionen

Wie in jeder guten Komödie darf auch ein Tiefpunkt nicht fehlen: die Gruppe der Londoner Aktivisten zerfällt vorläufig, bis sie sich im Sommer 1985, mehrere Monate nach Beendigung des Streiks, zum Gay Pride wieder zusammenfindet. Emotionale und nostalgische Momente müssen dabei ebenfalls, insbesondere bei einem Film über den Bergarbeiterstreik, vorkommen. Ein vorläufiger Höhepunkt ist erreicht, als die walisischen Frauen mit glockenhellen Stimmen im harten Winter das Streiklied „Bread and Roses“ anstimmen. Ein weiteres emotionales Highlight erwartet den Zuschauer zum Finale des Films, als ganze Busse von Bergarbeitern mit ihren Gewerkschaftsbannern zur Gay Pride Parade hinzustoßen und ihnen die Ehre zukommt, die Parade anzuführen. Damit scheint sich der Film genau in die Handlungslogiken eines Feel-Good-Movies einzureihen.
 

Wahre Begebenheiten

Als während des Abspanns klar wird, dass nicht nur die Schlussszene, sondern auch die Handlung insgesamt auf wahren Begebenheiten basiert, wird das Publikum überrascht. Tatsächlich nahmen Bergarbeiter aus Südwales und Schwule und Lesben gemeinsam am Gay Pride 1985 teil und führten die Parade an. Nicht nur das, auf dem Labour Parteitag 1985 wurde der Antrag gestellt, dass die Partei sich verpflichten sollte, die Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT) zu fördern. Dies war bereits in den Jahren zuvor beantragt und regelmäßig abgelehnt worden. 1985 jedoch wurde der Antrag durch die einstimmige Unterstützung der National Union of Mine Workers (NUM) angenommen. Erst der Abspann lässt deshalb aufhorchen, konnte man vorher noch glauben, man werde durch seichte Unterhaltung berieselt, rütteln die Informationen am Ende des Films auf und lassen den Zuschauer den Film retrospektiv noch einmal ganz anders betrachten.

 

LGSM Mitglieder, Filmstill aus Pride - Real Life Inspiration (2014).

Fehlende Historiografie

Trotz seiner auf Unterhaltung ausgelegten Handlung verhandelt der Film virulente Konflikte, die die britische Gesellschaft in den 1980er Jahren prägten. Es stellt sich die Frage, warum eine Geschichte, die geradezu prädestiniert für einen Spielfilm ist, erst 30 Jahre später für das Kino adaptiert wurde. Nicht nur wurde sie nicht verfilmt, sie war bisher auch nicht Teil der Historiografie, weder der Schwulenbewegung noch des Bergarbeiterstreiks. Der Drehbuchschreiber Stephen Beresford hat in einem Interview betont, dass die Geschichte eine Art Legende in der Schwulen Community darstellte, aber niemand so recht gewusst habe, ob sie der Wahrheit entspreche.[1] Die Quellenlage zur Rekonstruktion der Ereignisse ist relativ gut – eine Vielzahl der damaligen Protagonisten ist noch am Leben. Außerdem gibt es ausführliches Quellenmaterial, das die Arbeit von LGSM dokumentiert und im People’s History Museum in Manchester archiviert und leicht zugänglich ist.[2] Weiterhin existiert eine sehr sehenswerte Dokumentation von LGSM aus dem Jahr 1985, die die Arbeit der Gruppe sowie das Zusammenwirken mit der walisischen Bergarbeitergemeinde zeigt.[3]
 

Gelungene Adaption

Beim Anschauen der Dokumentation wird deutlich, wie detailgetreu die Darstellung der Akteure in Pride gelungen ist. Dies ist in erster Linie der hervorragenden Rollenbesetzung unter anderem mit Bill Nighy, Dominic West, Imelda Staunton, Andrew Scott sowie dem bereits genannten Ben Schnetzer zu verdanken. Die Dokumentation zeigt zudem, wie nah die Verfilmung, abgesehen von den geschilderten Übertreibungen, an die tatsächlichen Ereignisse heranreicht, zumindest so, wie sie LGSM überliefert hat. Wobei neuste Forschungsergebnisse diese Sichtweise in weiten Teilen stützen.[4] Dem Film kommt der große Verdienst zu, sich einer eindrucksvollen Geschichte, die bis dato nahezu unbekannt war, angenommen und für ein breites Publikum zugänglich gemacht zu haben. Auch verweist der Film auf einen in der bisherigen Forschung lange unberücksichtigten Faktor, das Zusammenwirken und die gegenseitige Unterstützung verschiedener, unterschiedliche und teilweise konträre Ziele verfolgender Thatcher-kritischer Gruppierungen.
 

Konfliktreiche Themen als Unterhaltungsfilm

Es gehört Mut dazu, die Erlebnisse einer Gruppe Homosexueller Mitte der 1980er Jahre in Großbritannien zum Thema eines Unterhaltungsfilms zu machen. Die sich auftürmenden Konflikte umgeht der Film in weiten Teilen, indem er negative Aspekte ausblendet und nur unterschwellig und am Rande thematisiert. Das ist bedauernswert, denn gerade in den etwas ernsteren Momenten offenbart der Film seine Stärken. Dass sensible Themen durchaus Gegenstand eines erbauenden Films sein können, haben etwa Billy Elliot und Brassed Off bewiesen. Die Möglichkeit etwas Ähnliches für die Homosexuellenbewegung der 1980er Jahre zu leisten, bleibt in Pride leider weitgehend ungenutzt. Die Diskriminierung von Lesben und Schwulen wird nur sporadisch sichtbar. Ab und an werden Beleidigungen durch Passanten gezeigt, dann wird einer der Aktivisten völlig unvermittelt krankenhausreif geschlagen. Die institutionalisierte Diskriminierung bleibt jedoch zumeist im Dunkeln. Die 1980er Jahre stellten eine Zeit dar, in der Medien Homosexuelle offen als Perverse bezeichnen konnten und das Schutzalter für Homosexuelle 21 Jahre betrug, während es für Heterosexuelle bei 16 Jahren lag (eine Gleichstellung erfolgte erst im Jahr 2001!). Dies wird im Film nur angedeutet und kaum problematisiert. Anstatt einer Liberalisierung in den 1980er Jahren kam es zu einer Verschärfung der Diskriminierung, etwa 1988 durch Section 28 des Local Government Act, der Lokalbehörden verbot:„(to) promote homosexuality or publish material with the intention of promoting homosexuality“.[5] Die Verschärfung der Diskriminierung lässt sich vor allem durch die Stigmatisierung Homosexueller durch AIDS und die damit einhergehende Panik in der Bevölkerung erklären. Damit ist eine weitere Schwachstelle des Films angesprochen. AIDS und die Gefahren und Diskriminierungen, die die Krankheit in erster Linie für Schwule mit sich brachte, werden ebenfalls nur am Rande thematisiert. Dabei wäre es gerade durch die Biografien der Akteure ein Leichtes gewesen, dieses Thema stärker in den Vordergrund zu rücken. Einer der Aktivisten gehörte zu den ersten Personen in Großbritannien, bei denen das HI-Virus diagnostiziert wurde. Er hat vor kurzem seinen 65. Geburtstag gefeiert.[6] Ein weiterer Protagonist dagegen starb 1987 sehr jung an AIDS. Auch die noch heute lebenden Gruppenmitglieder haben in Interviews betont, dass sie zunächst mit Wehmut den Film sahen, da er sie an viele an AIDS gestorbene Freunde erinnert habe.[7]
 

Nichtsdestotrotz ist Pride ein sehr sehenswerter Film, der dazu beigetragen hat diese bemerkenswerte Geschichte und ihre Protagonisten in den Fokus der Medienöffentlichkeit zu rücken.[8] Der Film regt zur Recherche der Hintergründe an und wird mit Sicherheit neue Forschungen auf diesem Gebiet anstoßen.
 

Pride, Regie: Matthew Warchus, Großbritannien 2014, 120 Minuten, FSK 6, Filmstart in Deutschland: 30.10.2014.

 

[1] Stephen Beresford zitiert in: When Miners and Gay Activists United: the Real Story of the Film Pride, in: The Guardian 31.8.2014.
[2] Emily Fisher, Lesbians and Gays Support the Miners Material at the People’s History Museum.
[3] Die Dokumentation „All Out! Dancing in Dulais“.
[4] Siehe dazu jüngst: Diarmaid Kelliher, Solidarity and Sexuality: Lesbians and Gays Support the Miners 1984-5, in: History Workshop Journal 77 (1/2014), S. 240-262.
[5] Siehe für den Gesetzestext, insbesondere Section 28.
[6] Siehe dazu: When Miners and Gay Activists United: the Real Story of the Film Pride, in: The Guardian 31.8.2014.
[7] Ebd.
[8] Siehe für einen Bericht der BBC One Show mit damaligen Akteuren.