von Nicole Kramer

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1. Mai 2014

Mittlerweile ist hinlänglich bekannt, dass die Nationalsozialisten den Muttertag nicht erfanden, wohl aber seine Bedeutung stärkten. Er wird ein Jahr nach der Machtübernahme zum Feiertag erhoben. Seit Mai 1939 bot er zudem den Rahmen für die Verleihung eines neu geschaffenen Ordens: des Ehrenkreuzes für deutsche Mütter. Ob dieses in Gold, Silber oder Bronze verliehen wurde, entschied die Anzahl der – mindestens vier – Kinder. NS-Organisationen, kommunale Behörden, aber auch Privatleute waren vorschlagsberechtigt, wobei es sogar Fälle gab, in denen sich Frauen selbst nominierten. Bei der Begutachtung spielten vor allem Ärzte und Fürsorgerinnen eine wichtige Rolle. Ähnlich wie bei den Ehestandsdarlehen wurden Vorgeschlagene einer eugenischen, rassischen und weltanschaulichen Überprüfung unterzogen. Hinzu kam eine Bewertung ihrer Leistungen als Hausfrau und Mutter, was am Zustand ihres Haushaltes und der Erziehung ihrer Kinder abgelesen wurde. Vergabepraktiken unterschieden sich zwar lokal, es gab jedoch einen klaren Klassenbias. Dies hatte mit den Gutachtern zu tun, meist Ärzte und Fürsorgerinnen, die sich an bürgerlichen Familienidealen orientierten und deren Maßstäbe Arbeiter, die über knappe materielle Ressourcen verfügte, nicht erfüllen konnten.[1] Etwa fünf Prozent der Vorgeschlagenen erhielten eine negative Bewertung, wobei die verwehrte Auszeichnung nicht zu den schlimmsten Folgen eines solchen Urteils zählte.

Bis September 1941 hatten 4,7 Millionen Frauen das Mutterkreuz erhalten. Diese Zahl stieg in den folgenden Jahren nur noch moderat, denn bei einer Geburtenrate von durchschnittlich zwei Kindern pro Frau gab es nur noch wenige kinderreiche Familien. Ein Großteil der ausgezeichneten Mütter war bereits im (weit) fortgeschrittenen Alter. Der erhoffte Effekt einer Steigerung der Gebärfreudigkeit konnte mit den Mutterkreuzen kaum erreicht werden, wohl aber diente es dazu, die Zugehörigkeit zur „Volksgemeinschaft“ zu markieren.
Geburtenfördernde Maßnahmen wie die Verleihung des Mutterkreuzes, Muttertag oder Ehestandsdarlehen beschreiben die NS-Bevölkerungspolitik nur zum Teil. Vielmehr hat die Forschung festgehalten, dass antinatalistische Instrumente wie die Sterilisation den Kern der Geburtenpolitik im Dritten Reich ausmachen.[2] Wenn es um die Frage nach der Rolle von Frauen im Nationalsozialismus geht, hat sich die Formel von der forcierten Beschränkung auf Kinder und Küche als zu kurz gegriffen erwiesen. Schon vor der Debatte um Täterinnen, Zuschauerinnen und Opfer war die Mobilisierung von Frauen für Partei, Wehrmacht und Staat in den Blick der Historiker gerückt. Fest steht, dass sich das Frauenbild im Dritten Reich nicht nur auf das Ideal der Mutter reduzierte, sondern von Anfang an vielschichtiger war. Dies lässt sich sowohl für die NS-Führung sagen, vor allem aber für die Millionen von „Volksgenossinnen“, die als Wehrmachtshelferinnen, im Gefolge der SS, im Luftschutz oder im Rahmen der Germanisierungspolitik in den eroberten Gebieten tätig waren und sich selbst eher als Kameradin, Führerin oder gar Kämpferin sahen.

Die geschlechtergeschichtliche Forschung hat aber auch gezeigt, wie sehr sich die Erwartungen an Mütter veränderten. Mütterkurse des Deutschen Frauenwerks, Bräuteschulen der SS oder die Ausbildung zur Meisterhausfrau dienten der weltanschaulichen Unterrichtung von „Volksgenossinnen“ und trieben dabei zugleich eine Professionalisierung der Familienarbeit voran. Hausfrauen bildeten einen bevorzugten Rekrutierungspool für NS-Frauenschaft und NS-Volkswohlfahrt, nicht nur wegen ihrer vermeintlichen Zeitressourcen, sondern vor allem wegen ihrer Fähigkeiten, die für die Verpflegung bei propagandistischen Großveranstaltungen ebenso gefragt waren wie bei der Versorgung von Ausgebombten. Wie sehr von Frauen erwartet wurde, sich außerhalb der eigenen Familie zu engagieren, schlug sich nicht zuletzt in der Kritik an evakuierten Frauen nieder, die sich nicht in den ländlichen Aufnahmegebieten einsetzten und dadurch die Pläne des Regimes durchkreuzten, den dortigen Arbeitskräftemangel abzumildern.
Es überrascht wenig, dass dieser umfassenden Mobilisierung von Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs ihren Höhepunkt fand, nach 1945 die „Trümmerfrau“ als wichtigste weibliche Erinnerungsikone folgte. Lange Zeit erlaubte sie es den „Volksgenossinnen“, an ihre Leistungsfähigkeit in der Kriegs- und Nachkriegszeit zu erinnern, ohne den politischen Kontext des Dritten Reiches thematisieren zu müssen, was wohl ein Teil ihrer Popularität ausmachte. Der Verweis auf die besonderen Verdienste dieser Frauengeneration findet sich nicht nur in der Gedenkkultur, sondern beeinflusste in der Bundesrepublik sozialpolitische Entscheidungen zugunsten von Frauen. So erfolgte im Jahr 1957 die Herabsetzung des Rentenalters für Frauen mit Verweis auf deren Doppelbelastung, wobei in der parlamentarischen Diskussion das Argument der besonderen Herausforderungen im Krieg und die Vorstellung von Haus- und Familienarbeit als „Überlebensarbeit“ eine wichtige Rolle spielten.[3] Und 1986 rief das Vorhaben, die vor 1921 geborenen Bürgerinnen von der gerade erst beschlossenen Anrechnung der Erziehungszeiten vorerst auszunehmen, kritische Stimme hervor, die eine Benachteiligung der „Trümmerfrauen“ anprangerten.

Die Einführung der Verleihung des Mutterkreuzes lässt sich somit nicht nur dahingehend befragen, welche Rolle Frauen im Dritten Reich zugedacht war. Vielmehr lässt sich daran ablesen, welchen Wert der Familienarbeit innerhalb einer Gesellschaft zukam. Verblieb das Mutterkreuz auf einer symbolischen Ebene, gingen die frauenspezifischen Regelungen der Rentenreformen von 1957 und 1986 erheblich weiter: Sie modifizierten die Grundprinzipen eines Sozialsystems, das seit Bismarcks Tagen auf Erwerbsarbeit ausgerichtet war.
Bisher ist kaum untersucht worden, inwieweit sich die Periode des Dritten Reiches auf die geschlechterspezifische Konstruktion des Wohlfahrtsstaats auswirkte. Eine solche Perspektive könnte jedoch die mittlerweile etwas angestaubten Forschungsdebatten über den Mutterkult im Nationalsozialismus neu beleben.

 

 

 

[1] Michelle Mouton, From Nurturing the Nation to Purifying the Volk: weimar and nazi family policy, 1918–1945, Cambridge 2007, S. 128.
[2] Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik, Opladen 1986, S. 461-463.
3] Ulrike Haerendel, Geschlechterpolitik und Alterssicherung. Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung von den Anfängen bis zur Reform 1957, in: Deutsche Rentenversicherung (2007), S. 99-124, S. 119.