von Marianne Schmidbaur

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19. Januar 2019

 

„Meine Herren und Damen!“ (Gelächter) … Die erste Rede einer weiblichen Abgeordneten in der Nationalversammlung am 19. Februar 1919 brauchte nicht viel, um beim überwiegend männlichen Auditorium Heiterkeit zu erzeugen. Doch die SPD-Politikerin Marie Juchacz blieb unbeeindruckt. Sie setzte ihre Ansprache fort und betonte: „Ich möchte hier feststellen, und glaube damit im Einverständnis vieler zu sprechen, dass wir deutschen Frauen dieser Regierung nicht etwa in dem althergebrachten Sinne Dank schuldig sind. Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“[1]

Am 12. November 1918 hatte der Rat der Volksbeauftragten auch Frauen in Deutschland Stimm- und Wahlrecht zugebilligt. Mit der Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung vom 30. November 1918 wurde die allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahl für Männer und Frauen ab dem vollendeten 20. Lebensjahr Gesetz. Knapp zwei Monate später, am 19. Januar 1919, fand die Wahl statt. Rund 83% der Wahlberechtigten beteiligten sich an der Wahl, Frauen und Männer nahezu gleich stark. Am zahlreichsten waren Frauen in der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) vertreten. Insgesamt schafften 37 Frauen aus fünf Parteien den Sprung ins Parlament (=8,7%).

 

Das Frauenwahlrecht – ein „Geschenk der Revolution“?

Wie war es dazu gekommen? Ist das Frauenwahlrecht in Deutschland ein „Geschenk der Revolution“ gewesen, so die vielfach geteilte Einschätzung der Spartakistin Clara Zetkin?[2] 
Feministische Analysen weisen die Geschenkthese zurück und erinnern an die Kämpfe historischer Frauenbewegungen.[3]
Zu Vorkämpferinnen der Bewegung gehörte Louise Otto Peters, die Mitbegründerin des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF), der sich vor allem für Bildungs- und Berufschancen von Frauen einsetzte. „Dem Reich der Freiheit werb‘ ich Bürgerinnen“ war das Motto ihrer „Frauen-Zeitung“, die 1850 in Sachsen verboten wurde.

Im gesamten deutschen Reich wurden als Reaktion auf die Revolution von 1848 repressive Vereinsgesetze in Kraft gesetzt, die „Frauenspersonen, Schülern und Lehrlingen“ die Mitgliedschaft in Vereinen und die Teilnahme an politischen Versammlungen untersagte. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es zu einer Lockerung, bis endlich am 15. Mai 1908 das Reichsvereinsgesetz in Kraft trat, das festlegte, dass das Recht der Vereinigung und das Versammlungsrecht allen Reichsangehörigen zusteht, auch den Frauen.   

 

Kämpfe der organisierten Frauenbewegung

Um die Jahrhundertwende nahmen die großen Frauenorganisationen die Stimmrechtsforderung in ihre Programme auf. 1902 wurde in Hamburg, wo das Vereinsgesetz die politische Organisierung von Frauen zuließ, der Deutsche Verein für Frauenstimmrecht gegründet. Im Jahr 1904 nahmen der Allgemeine Deutsche Frauenverein und 1907 Der Bund deutscher Frauenvereine (BDF) das Frauenstimmrecht in ihr Programm auf. Bis 1913 entstanden drei Stimmrechtsverbände, ein konservativer, ein gemäßigter und ein demokratischer, die das gesamte Spektrum der politischen Positionen des bürgerlichen Schichten abdeckten.

Vorreiterin der etablierten Parteien in Sachen Frauenwahlrecht war die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die die Forderung 1891 in ihr Erfurter Programm aufnahm. Andere lehnten das Frauenwahlrecht entweder strikt ab oder knüpften politische Beteiligungsrechte an bestimmte Bedingungen, z.B. eine höhere Altersgrenze für Frauen.  

Zentral für die Kämpfe historischer Frauenbewegungen war die Herstellung von Öffentlichkeiten. 1912 verzeichnete das „Jahrbuch der deutschen Frauenbewegung“ 50 Zeitschriftentitel. Fast jeder Verein gab seine eigene Zeitschrift heraus.[4] In Artikeln, Publikationen und Vorträgen wurden aktuelle Nachrichten verbreitet, grundlegende Informationen zusammen getragen und Argumente zur Vertretung von Rechten und Positionen angeboten. Nachdruck und wesentliche Stärkung erfuhren Bewegungen in Deutschland durch transnationale Netzwerke. Über die große Internationale Konferenz des International Council of Women, die auf Einladung des BDF im Juni 1904 in Berlin stattfand, wurde in der deutschen Presse ausführlich berichtet.

An der Stimmrechtsfrage teilten sich unterschiedliche Positionen und Strategien zwischen „gemäßigten“ und „radikalen“, zwischen konservativen und demokratischen bürgerlichen Strömungen. Das Treffen des Weltbundes für Frauenstimmrecht auf Einladung des Deutschen Vereins für Frauenstimmrecht fand der Weltbund für Frauenstimmrecht ohne Vertreterinnen des BDF statt. Einig in der Forderung nach einem allgemeinen, freien, gleichen, direktem und geheimen Wahlrecht waren dagegen sozialdemokratische Frauen- und Arbeiterinnenvereine. Auf der zweiten internationalen sozialistischen Frauenkonferenz 1910 in Kopenhagen brachte Clara Zetkin den Vorschlag ein, einen Kampftag zur Agitation für das Frauenstimmrecht einzurichten. Der Internationale Frauentag wurde am 19. März 1911 erstmals gefeiert. Allein in Berlin beteiligten sich rund 45.000 Frauen.

 

Ziel erreicht? - K/ein Anlass für Jubelreden

Während der Weimarer Republik sank der Anteil weiblicher Abgeordneter im deutschen Reichstag von 8,0% im Jahr 1920 auf 5,7% im Jahr 1924, 6,7% in 1928 und schließlich auf 3,8% im 8. Reichstag 1933. Da Frauen in der NSDAP weder Mitglied der Parteiführung noch Mitglied eines Ausschusses werden konnten, war mit der "Machtergreifung" der Nationalsozialist*innen im November 1933 das passive Wahlrecht für Frauen bis 1949 de facto abgeschafft. 

Emanzipatorische Frauenbewegungen des Kaiserreichs und der Weimarer Republik hatten ihre Ziele nicht erreicht. Der Frauenanteil unter den Parlamentarier*innen war bis 1933 sehr gering. Frauen wurden auf schlechte Listenplätze verwiesen und hatten gegen Sexismus und patriarchale Strukturen zu kämpfen. Es gab keine kontinuierlichen Fortschritte, eher Rückschläge und Einschränkungen bereits erstrittener Rechte. Daraus ist zu schließen, dass solange materielle Grundlagen nicht geschaffen sind, formale Frauenwahlrechte politische Partizipation nicht gleichberechtigt sichern können. Eine ‚andere‘ Gerechtigkeit muss Citizenship, das heißt politische, zivile und soziale Rechte zusammendenken.[5]   

Jubiläen sind Anlässe, um an wichtige Wegmarken zu erinnern. Egal, wann sie gefeiert werden, entscheidend ist, daran zu erinnern, dass Frauen*rechte, nachdem ‚Menschenrechte‘ proklamiert worden waren, erst noch erkämpft werden mussten und dass dieser Kampf bis heute andauert. Mit 30,9% ist der Frauenanteil im 19. Deutschen Bundestag auf einem historischen Tiefpunkt. Ein breites Bündnis macht sich für verbindliche gesetzliche Regelungen, etwa ein Paritätsgesetz stark, um der anhaltenden Unterrepräsentanz von Frauen wirksam zu begegnen. Das wird nicht reichen.

 

 

Zusammen mit Prof. Ulla Wischermann hat Marianne Schmidbaur das Cornelia Goethe Colloquium zu „Feministische Erinnerungskulturen. 100 Jahre Frauenstimmrecht – 50 Jahre Autonome Frauenbewegung“ für das Wintersemester 2018/19 konzipiert. 


[1] Zit. nach: Erste Rede einer Frau im Reichstag am 19. Februar 1919, [zuletzt abgerufen am 18.01.2019].
[2] Zetkin, Clara. 1918. Die Revolution und die Frauen, in: Rote Fahne, 22.11.1918, abgedruckt in: Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. 2, Berlin: Dietz, S. 55.
[3] Bock, Gisela. 2018. 100 Jahre Frauenwahlrecht. Deutschland in transnationaler Perspektive. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 66: 395–412; Richter, Hedwig, und Kerstin Wolff, Hrsg. 2018. Frauenwahlrecht: Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa. 1. Auflage. Hamburg: Hamburger Edition.; Schaser, Angelika. 2009. Zur Einführung des Frauenwahlrechts vor 90 Jahren am 12. November 1918. Feministische Studien 97–110.
[4] Wischermann, Ulla. Frauenbewegungen und Öffentlichkeiten. Netzwerke, Gegenöffentlichkeiten und Protestinszentierungen einer sozialen Bewegung um 1900. Königstein: Ulrike Helmer, 2003, S. 194 ff.
[5] Gerhard, Ute, und Campus Verlag. 2018. Für eine andere Gerechtigkeit: Dimensionen feministischer Rechtskritik. 1. Auflage. Frankfurt New York: Campus Verlag.