von Katharina Lübke

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1. Juni 2011

Wie in Europa mit Armut umgegangen wird, das zeigt seit kurzem die gemeinsame Sonderausstellung des Stadtmuseums Simeonstift, des Rheinischen Landesmuseums Trier und des Sonderforschungsbereichs „Fremdheit und Armut“ (SFB 600) der Universität Trier. Dabei widmet sich das Rheinische Landesmuseum dem Armutsbegriff in der Antike. Die Hauptausstellung im Stadtmuseum Simeonstift zeigt Armut als Motiv in der Kunst und als gesellschaftliches Phänomen vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart.

Armut gehört seit der Antike zu jeder Gesellschaft. Sie war immer Diskurs und Realität und wurde von den Menschen in je unterschiedlicher Weise wahrgenommen. Ein Thema zu dem sie sich positionierten und mit dem sie tagtäglich umgingen. So beständig die Existenz von Armut in europäischen Gesellschaften seit jeher war, so verschieden ist ihre Wahrnehmung. Die Sicht auf die Armen und der Umgang mit ihnen änderten sich fortwährend. Die Ausstellung zeichnet mit rund 250 Exponaten eine 2500-jährige Geschichte von Kontinuität und Wandel der Armut in Europa nach – eine Geschichte, die nicht zuletzt das Selbstverständnis europäischer Identität bestimmt hat.Ziel der Ausstellungsmacher ist es nicht zuletzt, den Besucher für die aktuellen Auseinandersetzungen zu sensibilisieren.

Wie Armut bekämpft werden kann ist eine der dringendsten Fragen unserer Tage, die auch künftig an Relevanz nicht verlieren wird. Dies lässt sich besonders an Entwicklungen wie der Veränderung der Parteienlandschaft in Deutschland, der Finanz- und Wirtschaftskrise und nicht zuletzt am „Verkaufsschlager“ von Thilo Sarrazin verfolgen, der die These vertritt: „Deutschland schafft sich ab, aufgrund seiner Unterstützung der Fremden, der Armen, und vor allem: der fremden Armen.“[1] Armut ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Ob als Bild absoluter Armut, bestimmt von Hunger, Obdachlosigkeit und Not, oder als relative Armut, verbunden mit der Ausgrenzung der Betroffenen vom gesellschaftlichen Leben, von Kultur und Bildung. Derzeitige politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen beschäftigen sich mit der Frage, wie viel ein Mensch braucht, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Als Subtext und häufig beabsichtigt drängt sich die Frage auf, wen wir überhaupt als der Unterstützung und der Solidarität „würdig“ befinden, wer als arm und wahrhaft bedürftig – quasi „unverschuldet“ arm – gilt. „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“, verkündete Paulus in der Bibel.[2] Die Ausgrenzung von Menschen, die Frage nach ihrer Würde gehört zur gesellschaftlichen Diskussion bis heute und ist aktueller denn je.  

Der epochenübergreifenden Spannung zwischen der Verachtung der Armen und ihrer Anerkennung, zwischen Zugehörigkeit und Ausschluss, zwischen Anspruch und Realität des europäischen Selbstbildes begegnet die Ausstellung anhand von fünf perspektivischen Ebenen.Durch diese Ebenen (Dokumentation, Appell, Ideal, Stigma und Reform) erfährt der Besucher von den Wendepunkten, beginnend mit der Verachtung der Armen in der Antike, über die Anerkennung ihrer Würde mit der Verbreitung des Christentums und seines Barmherzigkeitsgebots in der Spätantike, bis hin zu einem sozialpolitischen Wandel im Verlaufe des 16. Jahrhunderts und den Säkularisierungsprozessen im 20. Jahrhundert. Die fünf Ebenen stellen verschiedene kontroverse Sichtweisen auf das Phänomen der Armut dar und stehen exemplarisch für gesellschaftliche Debatten zum Thema. Im Bereich Appell rufen Skulpturen und Plakate zur Hilfe für die Armen auf. Im Bereich Ideal geht es um Motive für die Solidarität mit den Armen und um Armut als Ideal und als spiritueller Reichtum. Das Gegenteil zeigt die Stigma-Perspektive, die den Ausschluss von Armen aus dem Kreis der Unterstützungswürdigen aufzeigt. Die reformerische Perspektive nähert sich Versuchen, Armut durch Revolution und Reform zu bekämpfen. So zeigt die Sammlung die Vielschichtigkeit gesellschaftlicher Wahrnehmung, angesiedelt zwischen Ausblenden, Verdrängen, Verachten einerseits und Fürsorge, Solidarität und Verpflichtung andererseits.

Die Ausstellung vermittelt diese Sichtweisen anhand ausgewählter Werke der Bildenden Kunst. Dabei findet sich jedes Exponat in einer der fünf Perspektiven wieder und spiegelt diese in ihrem historischen Kontext. Zu sehen sind in der Hauptausstellung im Stadtmuseum Simeonstift Trier mittelalterliche Malereien über Gemälde des Barock und Druckgrafiken bis hin zu Objekten der Gegenwartskunst, historische Dokumente, Fotos und Plakate. Skulpturen der Antike stellt das Rheinische Landesmuseum Trier in der ergänzenden Ausstellung "Armut in der Antike" aus.

Das Begleitprogramm zur Ausstellung "Armut – Perspektiven in Kunst und Gesellschaft" umfasst mehr als 80 Einzelveranstaltungen.

Der Katalog zur Ausstellung enthält wissenschaftliche Aufsätze und einen klassischen Katalogteil, der die Exponate vorstellt. Die wissenschaftlichen Beiträge vermitteln aktuelle Ergebnisse des Sonderforschungsbereichs 600 „Fremdheit und Armut“, an dem sich seit April 2002 unterschiedliche Fachbereiche beteiligen. Die Beiträge stammen von über 50 Projektmitarbeitern aus den Fächern Geschichte, Germanistik, Kunstgeschichte, Medienwissenschaft, Politikwissenschaft, Rechtsgeschichte, Soziologie und Katholische Theologie. Unter anderem beteiligten sich Prof. Dr. Herbert Uerlings, einer der Herausgeber des Bandes und Sprecher des Gesamtprojekts, und Prof. Dr. Andreas Gestrich (Direktor des DHI London) mit Aufsätzen an dem umfassenden Band.

 

„Armut – Perspektiven in Kunst und Gesellschaft“. Stadtmuseum Simeonstift, Trier Kuratorin: Dr. Nina Trauth

Gesamtleiter und Sprecher der Forschergruppe SFB 600 „Fremdheit und Armut. Wandel von Inklusions- und Exklusionsformen von der Antike bis zur Gegenwart“: Prof. Dr. Herbert Uerlings

Ausstellung vom 10. April bis 31. Juli 2011

(Die Ausstellung wird in reduzierter Form vom 11. September bis zum 06. November 2011 im Museum der Brotkultur in Ulm gezeigt.)

Ort: Stadtmuseum Simeonstift und Rheinisches Landesmuseum.