von Dominik Rigoll

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13. Oktober 2017

Die Dokumentation „Im inneren Kreis“ über Polizeispitzel in der linken Szene erinnert daran, dass die Geschichte solcher Einsatzmethoden noch nicht geschrieben ist.

Vor knapp drei Jahren wurde bekannt, dass zwischen 2001 und 2006 eine verdeckte Ermittlerin (VE) im Auftrag des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalämter von Hamburg und Schleswig-Holstein unter dem Namen Iris Schneider im linksradikalen und queeren Umfeld der Hamburger „Roten Flora“ aktiv war. Bald wurde klar, dass die Polizeibeamtin unter ihrer Legende nicht nur journalistisch gearbeitet, sondern auch mehrere Liebesbeziehungen geführt hatte, bevor sie sich unter dem Vorwand eines USA-Aufenthalts nach fünf intensiven Jahren aus der Szene zurückzog. Wenig später kam heraus, dass auf „Iris Schneider“ mindestens zwei weitere Ermittlerinnen gefolgt waren. Auch in Heidelberg flog ein Polizist auf, der im linken Studierendenmilieu gespitzelt und unter dem Tarnnamen „Simon Brenner“ Freundschaften geschlossen hatte. Sowohl in Hamburg als auch in Heidelberg klagten die Betroffenen, speziell in der Hansestadt klagte auch das Radio „Freies Sender Kombinat“ (FSK), worauf die Rechtswidrigkeit der Einsätze durch Gerichte anerkannt wurde: Dem VE-Einsatz sind in den Polizeigesetzen der Länder enge Grenzen gesetzt. Eigentlich soll er der Gefahrenabwehr dienen, was offensichtlich jedoch weder in Hamburg noch in Heidelberg der Fall war. Faktisch wurden die Polizeispitzel eingesetzt, um eine als extremistisch geltende Szene zu beobachten, wobei personenbezogene Daten auch an den Verfassungsschutz flossen.[1]

Die linke Szene lebt ja von der Beteiligung – offene Zirkel, Gesprächsrunden. Das erleichtert den Einsatz von verdeckten Ermittlern in diesen Bereichen ungemein.
Jan Reinecke, Bund der Kriminalbeamten Hamburg (7:29)

„Im inneren Kreis“ – so lautet der Name einer Dokumentation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Aktivitäten von „Iris Schneider“ und „Simon Brenner“ aufzuarbeiten. Dabei bezieht sie ziemlich offen Partei für die betroffenen Linken, lässt aber auch immer wieder den zu Beginn des Jahrtausends amtierenden Generalbundesanwalt Kay Nehm zu Wort kommen sowie Jan Reinecke vom Bund der Kriminalbeamten. Nehm scheint die Angelegenheit sichtlich unangenehm zu sein. Besonders die Liebesbeziehungen seien, findet er, „keine gute Sache“. Den Einsatz rechtfertigt er ungewohnt zaghaft und stets bedröppelt dreinschauend. Reinecke wiederum hebt gleich zu Beginn mit Nachdruck hervor, dass verdeckte ErmittlerInnen eigentlich der Abwehr einer konkreten Gefahr dienen sollen und etwas für den Bereich der Organisierten Kriminalität seien. Der Kontrast zwischen dieser frühen Normsetzung und dem, was die von der Überwachung Betroffenen über die Grenzüberschreitungen der Spitzel zu berichten haben, ist immens.

Man muss kein Sympathisant der „Roten Flora“ sein, um in dem polizeilichen Vorgehen dort eine Beschädigung der Menschenwürde gemäß Artikel 1 des Grundgesetzes zu sehen. Auch der FDP-Politiker Gerhart Baum, der von 1978 bis 1982 als Bundesminister des Innern amtierte, kommt mehrfach mahnend zu Wort. Unter anderem führt er aus, dass polizeiliches Handeln in der Demokratie nicht nur der Herstellung von Sicherheit diene, sondern auch dem Schutz der Freiheit. Auch wenn dies nicht immer einfach sei.

Wenn ich mich anständig benehme, dann muss mich der Staat gefälligst in Ruhe lassen.
Gerhart Baum, Bundesminister des Innern a.D. (1:16:32)

Nun steht der Name Gerhart Baum in der Tat für eine vorsichtige Liberalisierung des staatlichen Umgangs mit der radikalen Linken in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren, nachdem die zunächst eher konfrontative Haltung nach 1968 den Konflikt nicht hatte entschärfen können. Polizeispitzel und V-Leute – also Personen, die von den Inlandsgeheimdiensten direkt in bestimmten politischen Milieus „angesprochen“ werden – gab es aber natürlich auch vor, während und nach Baums eigener Amtszeit.

Einer der spektakulärsten Fälle ist sicherlich Peter Urbach. „S-Bahn-Peter“ war V-Mann und Agent Provocateur des West-Berliner Verfassungsschutzes, als er 1968 die Molotow-Cocktails mitbrachte, mit denen APO-AktivistInnen nach dem Attentat eines Neonazis auf Rudi Dutschke Gebäude und Fahrzeuge des Springer-Verlags in Brand steckten; 1969 besorgte Urbach sogar die Bombe für das versuchte Attentat auf das jüdische Gemeindehaus in Charlottenburg durch die Tupamaros West-Berlin.[2] 1971 führte die Rote Armee Fraktion (RAF) im „Konzept Stadtguerilla“ den Gang in die Illegalität auch darauf zurück, dass der Staatsschutz die Berliner Szene vollkommen unterwandert habe: Die „Kontrolle“ der „politischen Polizei“ über die Stadtteil- und Betriebsgruppen – über „ihre Treffen, ihre Termine, ihre Diskussionsinhalte“ – reiche „schon jetzt so weit“, dass „man dort nicht sein kann, wenn man auch noch unkontrolliert sein will“. Verfolgungswahn? Kann gut sein, aber wir wissen es nicht.

Wobei es damals wie heute gewisse Unterschiede zwischen der Überwachung rechter und linker Gruppen gibt. Im Vorstand der Sozialistischen Reichspartei (SRP) führte das Bundesamt für Verfassungsschutz mindestens einen rechtsradikalen V-Mann; nach dem Verbot der Partei 1952 ließ es den ehemaligen Vorsitzenden Fritz Dorls ebenfalls für sich spitzeln, während er per Strafbefehl gesucht wurde.[3] Man denkt unweigerlich an Tino Brandt, dem der Thüringer Verfassungsschutz für seine Berichte sehr viel Geld zahlte, obwohl (?) es sich um eine Schlüsselfigur in der regionalen Naziszene handelte und er das Geld zum Ausbau der Nazistrukturen verwandte.[4]

Die Zahl linker V-Leute in Spitzenpositionen dürfte damals wie heute geringer ausfallen (so jedenfalls mein Eindruck, wenn ich mich täusche, freue ich mich über eine Email: rigoll@zzf-potsdam.de). In der Westdeutschen Frauenfriedensbewegung (WFFB) etwa, einer Gruppe um die Geschichtspädagogin Klare Marie Faßbinder, waren in den 1950er und 1960er Jahren mindestens ein Dutzend V-Leute aktiv. Es scheint sich jedoch um eigens eingeschleuste Personen gehandelt zu haben, nicht um langjährige AktivistInnen.[5]

Verdeckte Polizeispitzel wiederum wird man möglicherweise vor allem in Gruppen auf der linken Seite des politischen Spektrums finden. Als der Hamburger Innensenat in der Bürgerschaft gefragt wurde, ob es verdeckte ErmittlerInnen wie „Iris Schneider“ auch in der rechtsradikalen Szene gäbe, lautete die Antwort, die Polizei agiere hier sehr zurückhaltend: „VE im Bereich Rechts können Sie nicht ohne Saufen und Straftaten. Beides sehen wir bei unseren Polizisten nicht gerne. Das geht gar nicht. [...] Das können Sie überhaupt nicht sauber händeln und deswegen lässt das LKA das ganz.“ Während also die linke Szene in Hamburg durch Polizeispitzel beobachtet wird, lässt das LKA im Fall von Rechtsradikalen den V-Leuten des Verfassungsschutzes den Vortritt.

Ich habe auch das Gefühl, dass die beim LKA uns sowieso nicht so schrecklich ernst nehmen und das Gefühl haben, da wird eh nicht viel passieren: „Da schreiben [die ungewaschenen Zecken] halt ein wütendes Flugblatt, aber weder wird die Beamtin gekidnappt und in der Elbe einbetoniert, noch wird ihr das Ohr abgeschnitten.“
Andreas Blechschmidt, Rote Flora (17:32)

Wie viele V-Leute und Polizeispitzel es in den Parteien und politischen Vereinigungen der Bundesrepublik gab, ist noch unbekannt. Allerdings wissen wir, dass allein zwischen 1951 und 1968 rund 125.000 Ermittlungsverfahren gegen Personen eingeleitet wurden, die unter dem Verdacht standen, die auf die eine oder andere Weise die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) oder die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) zu unterstützen. Rechtskräftig verurteilt wurden von diesen 125.000 BundesbürgerInnen jedoch nur rund 6.000 bis 7.000 Personen. Anders als in der DDR, wo allein 1960 mindestens 17.700 Personen aus politischen Gründen einsaßen, waren lange Gefängnisstrafen im Westen relativ selten. [6]  Umso umfassender war die staatliche Überwachung tatsächlich oder vermeintlich verfassungswidriger Aktivitäten.

Genau wie im Hamburg und im Heidelberg der Gegenwart bestand dabei allerdings das Problem der Abgrenzung: Wie wird sichergestellt, dass staatliche Maßnahmen der Überwachung nur die Richtigen treffen? Wie wird vermieden, dass die Freiheitsrechte der Beteiligten unverhältnismäßig beschädigt werden? Eine Auswertung von knapp 600 politischen Strafverfahren wegen vermeintliche UnterstützerInnen des Kommunismus in den 1950er Jahren ergab, dass nur 37 Prozent der Beschuldigten Mitglieder der KPD oder einer ihrer Vorfeldorganisationen waren.[7] Bei den 125.000 Ermittlungsverfahren dürfte der Anteil der Nicht-Kommunisten noch um einiges höher gelegen haben: Wer waren die Betroffenen? Warum gerieten sie ins Visier des Staatsschutzes? Wie wurden sie behandelt? Wie problematisch der Umgang der Bonner Demokratie mit ihren (vermeintlichen) Feinden auf der politischen Linken in rechtsstaatlicher Hinsicht häufig war, haben JournalistInnen und JuristInnen mehrfach beschrieben.[8] Die quellengesättigte Historisierung dieses gesamten Komplexes steht jedoch erst am Anfang.[9]

 

 

Website zum Film: http://www.iminnerenkreis-doku.de
Regie: Hannes Obens/Claudia Morar, Deutschland 2017, 86 Min.

 

[1] Vgl. die umfassende Dokumentensammlung der (parteilichen) Kampagne für die Grundrechte, online 27.09.2017. Bundeskriminalamt und LKA Baden-Württemberg teilten auf Anfrage mit, dass sie zu Sachverhalten, die mit verdeckten Ermittlerinnen und Ermittlern zusammenhängen, generell keine Auskunft geben. Das LKA Hamburg ließ die Anfrage unbeantwortet.
[2] Vgl. Wolfgang Kraushaar, Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, Hamburg 2005, S. 175.
[3] Vgl. Constantin Goschler/Michael Wala, „Keine neue Gestapo.“ Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS-Vergangenheit, Reinbek bei Hamburg 2015, S. 98-101.
[4] Vgl. Andreas Förster, Staatliche Aufbauhilfe. Wie der Thüringer Verfassungsschutz daran mitwirkte, dass der Freistaat zu einer Neonazi-Hochburg wurde, in: ders. (Hrsg.), Geheimsache NSU. Zehn Morde, von Aufklärung keine Spur, Tübingen 2014, S. 83-106.
[5] Vgl. Dominik Rigoll, Agentinnen des Ostens oder Wegbereiterinnen der Westernisierung? Die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung (WFFB) im Visier von V-Leuten, in: Thomas Großbölting/Sabine Kittel (Hrsg.), Welche „Wirklichkeit“ und wessen „Wahrheit“? Die Hinterlassenschaften der Geheim- und Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, im Erscheinen.
[6] Alexander von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland 1949-1968, Frankfurt/Main 1978, S. 278-280; zur DDR vgl. Falco Werkentin, Recht und Justiz im SED-Staat, Bonn 2000, S. 51.
[7] Vgl. Josef Foschepoth, Rolle und Bedeutung der KPD im deutsch-deutschen Systemkonflikt, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 56, 2008, S. 889-909, hier S. 907.
[8] Vgl. etwa Brünneck, Politische Justiz; Lutz Lehmann, Legal & opportun. Politische Justiz in der Bundesrepublik, Berlin (West) 1966; Diether Posser, Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen, Düsseldorf 1991.
[9] Vgl. etwa Markus Mohr/ Klaus Viehmann (Hrsg.), Spitzel. Eine kleine Sozialgeschichte, Berlin 2004; Josef Foschepoth, Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg, Göttingen 2017.