von Thomas Kasper

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1. Januar 2014

Zwischen Weihnachten und Silvester lud der Chaos Computer Club (CCC) mittlerweile zum 30. Mal zum „Chaos Communication Congress“, einer internationalen Hackerparty und Fachkonferenz. Verhandelt wurden Themen wie Computersicherheit, Verschlüsselungstechniken und der kritisch-schöpferische Umgang mit den neuesten Technologien und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft.
Während das erste Hackertreffen im Jahr 1984 gerade 150 Besucher zählte, kamen im Dezember 2013 („30C3“) knapp 8.000 „Technikfreaks, Bastler, Künstler und Utopisten aus Europa und dem Rest der Welt“ nach Hamburg. Aus Platzgründen ist die Hansestadt seit 2012 Austragungsort des jährlichen Kongresses, womit der CCC nach 14 Jahren in Berlin wieder zu seinen Ursprüngen zurückkehrte.

Schließlich fand in Hamburg im „Orwell-Jahr“ nicht nur der erste Chaos Communication Congress statt, sondern hier formierte sich auch jenes Grüppchen, welches später zur wichtigsten deutschen und vielleicht europäischen Hackervereinigung werden sollte. Die Grundsteinlegung erfolgte jedoch in Berlin: Am 12. September 1981 luden fünf „Komputerfrieks“, unter der Überschrift „TUWAT.TXT“ zu einem Treffen ins Hauptgebäude der „taz“. Vorbild für diese Zusammenkunft war der „Tunix-Kongress“ des alternativen Milieus, der drei Jahre zuvor stattgefunden hatte. An einem ehemaligen Tisch der Kommune 1 wurde über internationale Netzwerke, Kommunikations- und Datenrecht und Encryption oder Copyrightfragen diskutiert – und das, obwohl weite Teile der Gesellschaft den neuen Technologien skeptisch gegenüberstanden.

Zwar blieb dieses erste Treffen zunächst ohne nennenswerte Folgen. Durch die Festlegung inhaltlicher Programmatiken, die später zentral für die Ausrichtung des CCC werden sollten, gilt das TUWAT-Treffen heute jedoch als inoffizieller Gründungstag der Hackervereinigung. Unter der Federführung von Herwart Holland-Moritz, genannt „Wau“, entstand daraufhin im alternativen Hamburger Buchladen „Schwarzmarkt“ eine Art Stammtisch, an dem über neue Computertechnologien und den kritisch-aufgeklärten Umgang damit diskutiert wurde. Zusammen mit Steffen Wernéry veröffentlichte „Wau“ im März 1984 die erste Ausgabe der Datenschleuder, dem „Fachblatt für Datenreisende“[1], welches nach Vorbild des US-amerikanischen TAP Magazin[2] Tipps und Tricks rund um das Hacken verriet: Der Chaos Computer Club (CCC) war geboren.

Im November desselben Jahres trat der CCC erstmals öffentlich in Aktion. Mitglieder des Clubs knackten den von der deutschen Bundespost betriebenen „Bildschirmtext“ – eine Art Internetvorläufer, von dem die Verantwortlichen stets behaupteten, er sei vollkommen sicher – und buchten von den Konten der Hamburger Sparkasse knapp 135.000 DM ab. Am nächsten Morgen erstatteten Moritz-Holland und Wernéry Selbstanzeige und beriefen eine Pressekonferenz ein, um die Sicherheitslücken des Systems öffentlich anzuprangern. Der sogenannte „BTX-Hack“ machte die Hacker dank des Medienhypes nicht nur schlagartig in der Bundesrepublik bekannt, sondern brachte dem Club auch das Image des respektlosen Computerexperten ein und sensibilisierte die Gesellschaft für Themen wie Datenschutz und Datensicherheit. Überhaupt verfolgte der CCC stets gesellschaftspolitische Ziele: In Anlehnung an die von der US-amerikanischen Hackerszene formulierte „Hackerethik“ machte man die Forderung nach „weltweitem freien, ungehinderten und nicht kontrollierbaren Informationsaustausch“[3] zu einem zentralen Anliegen. Die Bundespost war vor diesem Hintergrund das institutionalisierte Böse. Nicht nur die von ihr angebotenen Dienstleistungen wie der „Bildschirmtext“ wiesen zahllose Unzulänglichkeiten auf, auch die Preis- und Tarifpolitik der Bundespost waren den Hackern ein Dorn im Auge. Da beispielsweise die Verwendung und der Verkauf nicht-offizieller Modems von der Post verboten wurde, verbreitete der CCC den Bau- und Schaltplan für ein Selbstbaumodem, das sogenannte „Datenklo“, um der Monopolisierung der Bundespost entgegenzuwirken.

Ohne Modem war es schließlich nicht möglich, in fremde Datennetze einzusteigen, um dort mit Entdeckerdrang und sportlichem Ehrgeiz Sicherheitslücken aufzuspüren und auszunutzen. Durch solche gelang 1986 und 1987 Hackern aus dem Umfeld des Chaos Computer Clubs der Zugang zu Rechneranlagen der Weltraumbehörden ESA und NASA – mit fatalen Folgen. Die Firma Philips erstattete Anzeige und Interpol nahm die Ermittlungen auf: die Clubräume wurden bei einer Razzia auf den Kopf gestellt und Clubsprecher Wernéry in Frankreich in Untersuchungshaft genommen. Zudem wurde wenig später publik, dass einige Mitglieder etwa zeitgleich gezielt in westliche Rechenzentren eingedrungen waren und Daten an den sowjetischen Geheimdienst verkauft hatten, womit der Sündenfall der deutschen Hackerszene komplett war. Zwar stellte sich heraus, dass die kopierten Daten jegliche Brisanz vermissen ließen, aber nicht nur die tendenziös-negative Berichterstattung über die Fehltritte der Computerfreaks, sondern auch die vom Gesetzgeber verabschiedeten Anti-Hacker-Paragraphen sorgten für eine zunehmende Kriminalisierung der Szene. Die Führungsriege, allen voran Wau Holland und Steffen Wernèry, ging im Streit auseinander beziehungsweise zog sich fast vollständig aus der Öffentlichkeit zurück. Von nun an etablierten sich dezentrale, regionale Strukturen innerhalb des CCC und man beabsichtigte, eher im Hintergrund zu agieren und sich auf „schöpferische“ Aktivitäten, wie das Anbieten von Hilfestellung bei technischen Fragen, das Programmieren von Verschlüsselungssoftware oder den Aufbau sozialer Netzwerke zu beschränken.

Die Periode des Schattendaseins in den 1990er Jahren endete spätestens 2006, als der Chaos Computer Club öffentlich demonstrierte, wie man die Wahlcomputer der Firma Nedap manipulieren konnte, oder zwei Jahre Später den Fingerabdruck Wolfgang Schäubles veröffentlichte.
Heute ist der CCC längst eine zentrale Instanz für digitale Bürgerrechte, Datenschutz und Netzneutralität in Deutschland und die größte Hackergruppierung Europas. Dies würdigte schließlich auch das Linzer Medienkunstfestival „Ars Electronica“, welches den Club 2010 mit der Goldenen Nica in der Rubrik „Digital Communities“ auszeichnete – ein Umstand, der Ende der 1980er Jahre noch undenkbar schien.

 

[1] Mit Ausnahme einiger früher Ausgaben vollständig online unter: http://www.offiziere.ch/trust-us/ds/

[2] Zum Archiv des TAP-Magazins: http://artofhacking.com/tap/

[3] Vgl. Datenschleuder 1/1984, S. 1.