von Kristiane Janeke

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1. März 2015

„Minsk naš!“ (Minsk gehört uns) – dieser Schriftzug war Anfang Juli 2014 in Minsk zu sehen. Ob es sich dabei um die durchaus doppeldeutige Begrüßung des russischen Präsidenten Putin handelte, der zur Eröffnung des neuen „Museums der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges“ angereist war, oder doch um ein historisches Zitat von 1944 anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung der Belarussischen Sozialistischen Sowjetrepublik durch die Rote Armee sei dahingestellt.[1] In jedem Fall zeigt die Aktion, wie eng aktuelle Politik und historisches Gedächtnis in Belarus miteinander verknüpft sind. Vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise tritt die Mehrheit der Belarussen für die staatliche Souveränität ihres Landes ein. Zugleich sehen die meisten in Russland nach wie vor einen natürlichen Partner. Dazu passt die kollektive Erinnerung an den gemeinsamen Sieg über Hitler-Deutschland, in der der „Große Vaterländische Krieg“ aber zugleich als Gründungsmythos für das unabhängige Belarus beschworen wird. All das spiegelt das neue Museum wider und ist einmal mehr ein Beleg für die komplexe Struktur der Erinnerung und das nationale Selbstverständnis in Belarus.

Auf der Kuppel des Museums weht die sowjetische Flagge, was gemischte Reaktionen hervorruft. Viele der zahlreichen Besucher - allein am ersten Tag waren es 4.500, in den ersten vier Wochen insgesamt 57.000[2] - werden Schulklassen, Soldaten, Jugendverbände und andere Pflichtbesucher gewesen sein. Und dennoch: Sowohl der Neubau und die Ausstellung als auch der Abriss des alten Museumsgebäudes sorgen für lebhafte Diskussionen[3]. Warum baut Belarus zwölf Jahre nach der nationalen Unabhängigkeit ein neues Kriegsmuseum? Gibt es veränderte Rahmenbedingungen, und was hat sich in der Erinnerungskultur verändert? Was zeichnet die neue Dauerausstellung aus?[4] Und welche Perspektiven ergeben sich daraus?

Diesen Fragen geht der folgende Text nach und nimmt dabei die Aspekte Erinnerung, Gedächtnis und Identität[5] in ihrer Wechselbeziehung mit der Institution Museum in den Blick. Es wird sich zeigen, dass es weder in der Geschichtspolitik und der kollektiven Erinnerung noch im Museum primär um den Großen Vaterländischen Krieg geht. Dieser ist nur ein Vehikel für unterschiedliche Interessen. Präsident Lukašenko ist darauf bedacht, eine national geprägte Politik zu betreiben, muss aber permanent zwischen dem Druck Russlands und einer gewissen Westorientierung lavieren. In der gesellschaftlichen Erinnerung zeigt sich in Ermangelung von Alternativen ein Festhalten an altbekannten Ritualen der Erinnerung und – ebenfalls aus Mangel an einer Auswahl – schlicht ein Interesse an dem neuen Museum als kulturelle Attraktion (I). Vor diesem Hintergrund stellen sich die Fragen, was ein Museum leisten kann und wie es in Belarus verstanden wird (II). Und schließlich ergeben sich daraus Perspektiven sowohl für eine Öffnung der geschichtspolitischen Diskussion und des kollektiven Gedächtnisses als auch für die Gestaltung und Wirkungsmacht der Museumslandschaft in Belarus (III).

 

I RAHMENBEDINGUNGEN

Auf den ersten Blick hat sich an den politischen Rahmenbedingungen, die das neue Museum im Vergleich zu den letzten Überarbeitungen der Dauerausstellung im alten Museum vorfindet, nichts verändert. Im Jahr der Eröffnung des neuen Museums ist Lukašenko seit 20 Jahren an der Macht, der Große Vaterländische Krieg ist nach wie vor der zentrale Bezugspunkt in der Geschichtspolitik des Landes und in der Erinnerung der Mehrheit der Belarussen[6]. Das bereits an einem prominenten Ort in der Stadt platzierte, traditionsreiche Museum erhält ein imposantes neues Gebäude in einem Stadtviertel, das mit dem Obelisk und Schriftzug „Minsk – Heldenstadt“ sowie dem neu angelegten „Park des Sieges“ auf den Krieg Bezug nimmt. Und doch gibt es Hinweise auf eine Entwicklung. Diese wird schon in der Adresse des Museums augenfällig. Es befindet sich an der Kreuzung des Prospekts des Sieges und des Mašerov-Prospekts, der an den Partisanenheld und populären Vorsitzenden des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der BSSR erinnert. Hier kreuzen sich die sowjetische und die nationale Erinnerung, die eine zunehmend wichtige Rolle in der Erinnerungspolitik in Belarus spielt.

Sicher nicht zufällig befindet sich der Neubau am täglichen Weg des Präsidenten zu seinem Dienstsitz in der Innenstadt. Unabhängig von der aktuellen Geschichtspolitik kommt dem Museum eine politische Repräsentationsfunktion zu: Sowohl der Neubau als auch der Abriss des alten Gebäudes, die Umgestaltung des Oktoberplatzes und der Ausbau des Prospekt des Sieges sind Teil umfassender städtebaulicher Maßnahmen im Rahmen der Eishockey-Weltmeisterschaft im Mai 2014, mit der sich Belarus als ein in jeder Hinsicht modernes Land präsentieren wollte. Die neuen Prunkgebäude sollen Lukašenkos persönliche Macht und nationale Unabhängigkeit sichtbar machen. Die Balance zwischen Öffnung, Macht und Eigenständigkeit spiegelt auch das sich wandelnde Verhältnis zu Russland wider, in dem man trotz aller Abhängigkeiten schon vor der Ukraine-Krise Stärke und Unabhängigkeit demonstrieren wollte. So verbinden die Feierlichkeiten, zu denen Putin nach Belarus gereist ist, die Eröffnung des Museums, das an den gemeinsamen Sieg erinnert, mit dem 70. Jahrestag der Befreiung der weißrussischen Hauptstadt von den deutschen Besatzern am 3. Juli, dem Tag, den Lukašenko 1996 zum Nationalfeiertag erklärt hat. Dieser „Tag der Unabhängigkeit der Republik Belarus“ hat indes mit der Geschichte der Souveränität des Landes nichts zu tun.

Die Entwicklung geschieht vor dem Hintergrund der Herausbildung eines „eurasischen Konsenses“ in der Deutung des Krieges in Russland selbst, der generalisierte sowjetische Muster in den Hintergrund treten lässt. Auf der Grundlage eines Minimalkonsenses über einen Kultur- und Gedächtnisraum zwischen Europa und Asien, dessen natürliches Zentrum Russland ist, entwickeln sich „patriotische“ und nationale Muster, die mit einer stärkeren Ritualisierung einhergehen.[7] Derartige Anknüpfungspunkte für das nationale Gedächtnis von Belarus in seinen heutigen Grenzen sind deutlich schwieriger auszumachen als in Russland, zumal diese nach wie vor dem sowjetischen Geschichtsbild entsprechen sollen. Es geht also gerade nicht um Ereignisse und Bewegungen, die in einer Tradition belarussischer Eigenstaatlichkeit und damit Unabhängigkeit von Russland stehen, sondern allenfalls um einen eigenständigen Beitrag zur gemeinsamen sowjetischen Sache. Daraus ergibt sich ein gewisses Paradox sowohl für die Geschichtswissenschaft als auch für die Darstellung im Museum.

Ein Beispiel ist der Umgang mit der Partisanenbewegung. Aus einem vertrauten Paradigma sowjetischer Geschichtsschreibung versucht man, ein Beispiel für den heldenhaften Einsatz der Bevölkerung auf weißrussischem Gebiet zu machen. Eine kritische Analyse des Mythos der monolithischen Einheit von Partisanen und Bevölkerung im gemeinsamen Kampf gegen die Deutschen findet freilich nicht statt. Sie müsste „echte“ nationale (und damit antisowjetische) Bestrebungen für belarussische (und polnische) Interessen ebenso zur Kenntnis nehmen. Ein weiteres Beispiel für diese Darstellung ist die Wiederentdeckung des Ersten Weltkrieges, dessen 100. Jahrestag auch in Belarus 2014 mit vielen Veranstaltungen begangen wurde. Dabei wurden der genuin belarussische Beitrag am Kriegsgeschehen und das Leiden der Bevölkerung auf weißrussischem Gebiet hervorgehoben. Es handelt sich dabei, wie auch bei der Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg, allein um eine Verschiebung, keineswegs jedoch eine strukturelle Öffnung im Bereich der Geschichtspolitik. Dies zeigt sich darin, dass die Erinnerung in beiden Fällen rituell sowjetischen Mustern folgt, in Russland ebenso wie in Belarus. Es geht um Helden sowie die Macht und Größe des eigenen Landes. Individuelle Kriegserfahrungen spielen nur insofern eine Rolle, als sie Teil der Aufopferung waren, um das Land zu verteidigen und zu retten. Aus der transnational-sowjetischen ist eine national-patriotische Propaganda geworden, worin man durchaus einen Paradigmenwechsel sehen kann, ebenso wie in der postsowjetischen Hinwendung zur Erinnerung an einzelne Soldaten, indem ihre Namen auf den neuen Denkmälern genannt und Friedhöfe sowie Einzelgräber instandgesetzt werden. Freilich geht es auch hier weniger um ihr individuelles Schicksal als ihre wiederentdeckte nationale Zugehörigkeit. Dass es bei diesem Wandel der Geschichtspolitik weniger um Inhalte als vielmehr um neue Formen geht, belegt eine Anmerkung Putins, nach der es genau genommen gar keinen Unterschied zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg gebe.[8] Heute sind beide Kriege Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses; wenngleich in sehr unterschiedlichem Maße erfüllen beide dieselbe Funktion. In diesem Sinne behält auch das neue Museum in Minsk seine alte Funktion. Inhaltliche Aspekte in der Ausstellungskonzeption interessieren weniger als der Rahmen für Staatsbesuche und die Vereidigung der Staatsorgane.[9]

Die „Patriotisierung des öffentlichen Diskurses“[10] charakterisiert auch die gesellschaftliche (Gegen-) Erinnerung. Hier werden ebenso nationale Bezugspunkte gesucht, die freilich meist nicht in das offizielle Geschichtsbild passen. Zu nennen sind das Litauische Großfürstentum, die Belarussische Volksrepublik, aus jüngster Zeit die negativen Bezugspunkte des Reaktorunfalls in Tschernobyl sowie der Stalinsche Terror. All dies ist verbunden mit regionaler und lokaler Geschichte, dem Bemühen um die Sicherung individueller Erinnerung sowie einem Bekenntnis zur weißrussischen Sprache. Der Spielraum für eine öffentliche Diskussion dieser Themen ist in Belarus selbst im Vergleich zu Russland gering. Der Große Vaterländische Krieg bleibt das Maß aller Dinge. Dies ist eine politische Frage, aber nicht nur. Der Krieg ist nach wie vor präsent im kommunikativen Gedächtnis, es gibt fast keine Familie, die von den Leiden und Verlusten, die der nationalsozialistische Vernichtungskrieg über die Sowjetunion gebracht hat, verschont geblieben wäre, zumal die belarussischen Gebiete in besonderem Maße betroffen waren. Infolgedessen ist auch die Wertschätzung der Veteranen, wenngleich in ritueller Form, eine ehrliche.

Und doch ist auch hier eine Veränderung zu beobachten: Das Interesse, insbesondere junger Menschen, am Krieg lässt nach. Der Wunsch, mehr über die Geschichte zu erfahren, wächst. Dies zeigt sich auch in den im Internet geführten Debatten um das Museum auf den offiziellen Seiten von Fernsehen, Zeitungen und Internetportalen, in denen Zweifel am sowjetischen Geschichtsbild ebenso geäußert wie strittige Themen etwa die Besetzung/Befreiung Ostpolens 1939 diskutiert werden.[11] Hinzu kommt noch ein anderer Aspekt. Als die Idee des Neubaus vor einigen Jahren bekannt gegeben wurde, waren die meisten Belarussen wenig begeistert.[12] Nun scheint das Interesse groß zu sein, wie die Besucherzahlen, aber auch in diesem Fall die Reaktionen im Internet nahelegen. Die Meinungsäußerungen greifen ein breites Themenspektrum auf, angefangen von der Architektur über die Ausstellungsthemen, die Präsentation, die Befindlichkeit der belarussischen Gesellschaft in Bezug auf den Krieg bis hin zum Abriss des alten Gebäudes, die immensen Kosten des neuen Museums und Motive der Regierung. Ein besonders positives Feedback erhalten die technische Ausstattung und multimedialen Anwendungen im Museum sowie die anderen Angebote zur Vermittlung. Daraus lässt sich ein Interesse jenseits der musealen Inhalte ableiten. Das Museum ist eine Attraktion in der ansonsten eher einförmigen Museumslandschaft. Die Reaktionen aus der Bevölkerung lassen vermuten, dass die Mehrheit der Besucher das neue Museum und seine Ausstellung unter musealen Aspekten für gelungen hält, diese also den eigenen Vorstellungen und Erwartungen an die Funktion und Güte eines Museums entsprechen. Dieser Überlegung soll im Folgenden nachgegangen werden.

 

II DAS MUSEUM

„Wir wollen unbedingt, dass sowohl die Jugend als auch alle anderen Besucher unseres Museums in die Atmosphäre des Großen Vaterländischen Krieges eintauchen können, damit sie mit Leib und Seele empfinden können, was Krieg ist und was unser Volk erlebt hat. Es ist eine Sache, wenn die Menschen einfach Fotografien und einzelne Exponate anschauen, die echte Atmosphäre des Krieges ist eine ganz andere. Es wird interaktiv sein.“[13]

Das sagte Galina Babusenko, damals leitende Wissenschaftlerin des Museums, 2012 über die neue Ausstellung. Aber ist das überhaupt möglich, das nachträgliche echte Erleben des Krieges, noch dazu in einem Museum? Sollte das das Ziel eines Kriegsmuseums sein? Welche anderen Ziele kann es geben? Welche Funktion wird einem (militär-)historischen Museum zugesprochen? Welche Möglichkeiten hat ein Museum, seine Ziele umzusetzen? Welche Ansprüche hat es im Unterschied zu einem Erlebnispark (wie in Belarus die Stalin-Linie[14]) oder der akademischen Geschichtswissenschaft?

Anders als andere Formen der Geschichtsvermittlung basiert ein Museum auf seiner Sammlung und dem Bezug zum originalen Objekt. Daraus ergeben sich spezifische Mittel und Wege der Kommunikation und Vermittlung. Hinzu kommen bei öffentlichen Museen ein (kultur-)politischer Auftrag und damit eine gesellschaftliche Funktion. Wie ein Museum beides erfüllt, ist untrennbar mit seinem Umfeld verbunden. Je freier eine Gesellschaft ist, desto vielfältiger sind die Museumslandschaft und die Einflussmöglichkeiten einzelner Einrichtungen auf diese Gesellschaft, kurz: Gesellschaft und Entwicklung der Museen bedingen sich gegenseitig.

In Belarus ist beides bisher wenig entwickelt. Die Diskussion über die gesellschaftliche Rolle von Museen und ihre Reflexion von Geschichtsbildern steckt in den Anfängen und verläuft weitgehend isoliert von internationalen Diskursen. Einzig das Nationale Kunstmuseum verfügt über eine internationale Vernetzung, politischen Einfluss, eine professionelle Marketingabteilung sowie die erforderlichen finanziellen Mittel, um mit Sonderausstellungen und Veranstaltungen in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Im Gegensatz dazu befindet sich das Nationale Geschichtsmuseum seit Jahren in einem desolaten Zustand[15]: Es gibt keine zusammenhängende Dauerausstellung, das zentrale Gebäude ist in seiner gegenwärtigen Beschaffenheit zu klein und für museale Zwecke ungeeignet, die Sammlung muss unter unzureichenden Bedingungen gelagert werden. Zwar ermöglicht ein privater Sponsor regelmäßig kleine Sonderausstellungen und Veranstaltungen, doch wird das Museum von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Was fehlt, ist ein gesellschaftlicher Konsens über ein nationales Geschichtsbild und damit über das, was in einem nationalen historischen Museum erzählt werden sollte. Infolgedessen kann keine Sammlungspolitik entwickelt, keine Dauerausstellung konzipiert werden. Aus diesen Gründen kommt dem Kriegsmuseum eine so große Bedeutung und Aufmerksamkeit zu. Seine neue Dauerausstellung ersetzt die öffentliche Auseinandersetzung durch ein von oben vorgegebenes Narrativ.

Das Museum des Vaterländischen Krieges muss also ein politisches Ziel und eine Funktion in der Gesellschaft erfüllen: die Ablenkung von der seit langem jenseits politischer Einflussnahme geführten Debatte über die eigene nationale Identität. Der „Große Vaterländische“ bleibt dabei der zentrale Bezugspunkt, muss also weiterhin mit allen Mitteln beschworen und neuen musealen Methoden „lebendig gemacht“ werden. Andere denkbare Ziele des Museums, wie etwa die Anregung einer Debatte darüber, wie der Krieg sich auf die Entwicklung der Region ausgewirkt hat, was er für die heutige belarussische Gesellschaft bedeutet, welche Anknüpfungspunkte er für eine europäische Identität bietet oder wie mit gegenwärtigen Kriegen und Konflikten umgegangen werden kann, kämen einer kritischen Hinterfragung gleich und verbieten sich. Dabei müsste der Krieg als wesentlicher Bestandteil der eigenen Geschichte gar nicht in Frage gestellt werden, wie Beispiele anderer Kriegsmuseen zeigen. Entscheidend dafür ist das gesellschaftliche Umfeld. Museen anderer Siegermächte des Zweiten Weltkrieges in Großbritannien, den USA oder Frankreich zeigen, dass hier Debatten um die nationale Identität auch und gerade über eine kritische Auseinandersetzung mit dem Krieg erfolgen. Weitere Beispiele ließen sich anfügen. Museen erfüllen hier eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Die hier geführten Debatten sind jedoch offen und funktionieren auf der Basis einer freien wissenschaftlichen Forschung. Die Museen nutzen ihre spezifischen Möglichkeiten, d.h. sie entwickeln aus der Sammlung heraus vielfältige Vermittlungsformen für unterschiedliche Zielgruppen, schaffen einen für alle offenen Kommunikationsraum, in dem sich Besucher und Interessierte austauschen sowie über partizipative Projekte auch selber einbringen und vernetzen können. Diese Möglichkeiten stehen dem Museum in Minsk, wie anderen Museen nicht-demokratischer Gesellschaften, nur eingeschränkt zur Verfügung.[16]

Die Architektur etwa lässt wenig Raum für anderes als die politisch intendierte Interpretation. Die Baukonzeption unterstreicht den zentralen Platz des Großen Vaterländischen Krieges in der Geschichtspolitik und ist damit ein Statement gegen jede andere Interpretation des Krieges oder gar andere Bezugspunkte für die nationale Identität. Bei den Besuchern kann sich so nur schwer ein anderer Eindruck entfalten, zumal die Architektur buchstäblich keinen Raum für eine ergebnisoffene Diskussion lässt.

Analog verhält es sich im Innern mit der Ausstellung. Die Chance zum Neuanfang, so es sie denn unter den politischen Umständen überhaupt gab, wurde nicht genutzt. Hinsichtlich der Themenauswahl wurden neue Ansätze gemacht (Nachkriegszeit, Erweiterung einzelner Themen), andere Bereiche dagegen zurückgefahren (Vorgeschichte des Krieges, Partisanen). Wünschenswert wäre die Einbeziehung von mehr Exponaten gewesen, die zumindest in Hintergrundgesprächen oder der individuellen Betrachtung Raum für Interpretationen lassen.

Im Bereich der Gestaltung und Vermittlung wurden die Chancen der Neueinrichtung besser genutzt. Einerseits ist das neue Museum eine Kombination aus dem traditionellen Anspruch einer seriösen Bildungseinrichtung, in der sich die Besucher gut zu benehmen haben, und dem Versuch, ihn dabei zu unterhalten. Im Ergebnis entsteht eine Überfülle von ungefilterten Informationen und eine ebenso unreflektiertes Angebot zur Zerstreuung. Andererseits gibt es dazwischen neue Gestaltungsideen, Anstöße zur Interaktion, Ansätze zur „Öffnung des Raums“ und weiteren Beschäftigung in der Ausstellung. Den kreativen Ideen auf Seiten des Museums steht bisher allerdings noch ein gewisses Misstrauen dem Besucher gegenüber. Ihm wird noch zu wenig zugetraut. Ihn in einer aktiven Rolle zu sehen, ist ungewohnt, eröffnet aber viel Potential für das Museum und die Ausstellung jenseits politischer Vorgaben.
 

III PERSPEKTIVEN

Dieses Potential liegt in der weiteren Erprobung spezifisch musealer Mittel und Wege. Allein die Diskussion des neuen Museums in einem europäischen Kontext eröffnet neue Möglichkeiten des Austauschs mit internationalen Kollegen. Weiterhin könnte die Vermittlung weiter ausgebaut, die Besucherorientierung verstärkt und die Sammlungskonzeption in Richtung einer perspektivischen Neuausrichtung erweitert werden. Diese Ideen könnten umgesetzt werden ohne zunächst die politischen Vorgaben in Frage stellen zu müssen. Wünschenswert ist aber auch eine stärkere Einbeziehung belarussischer Museen im Allgemeinen und dieses Leitmuseums im Besonderen von Seiten der internationalen Museumsgemeinschaft, um auch so einer weiteren Isolierung der Gesellschaft und Museumslandschaft entgegenzuwirken.

 

Mehr zum Thema:

Felix Ackermann: Wem gehört der Große Sieg? Die öffentliche Aushandlung der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in Belarus 



*Zitat des Präsidenten von Turkmenistan, Gurbanguly Berdymuchamedov, bei seinem Besuch in Minsk im Oktober 2014 sowie ein Zitat aus einem Kommentar im Internet. Alle genannten Links wurden zuletzt am 13.2.2015 aufgerufen.
[1] Vgl. dazu den Bericht und die Kommentare auf Belaruspartisan.
[2] Cyganok, Ksenija: В новый музей Великой Отечественной не гонят из-под палки — люди сами идут, noviny.by (10.8.2014)   sowie die weitere Presse auf der Website des Museums.
[3] Vgl. dazu den Artikel auf Onliner. Insbesondere die Tatsache, dass sich noch Reproduktionen von Veteranenfotos im alten Gebäude zum Zeitpunkt des Abrisses befanden, führte zu teilweise empörten Äußerungen im Internet.
[4] Vgl. dazu meine Analyse der Neukonzeption des Museums im Vergleich zu der alten Ausstellung: Kristiane Janeke: Politics of Memory and History in the Museum - The new “Museum of Great Patriotic War” in Minsk/Belarus, in: Wolfgang Muchitsch (Hrsg.): Does War belong in Museums? The Representation of Violence in Exhibitions, Bielefeld 2013, S. 185-202. Dort finden sich auch Hinweise auf Literatur zur Museumsgeschichte und die Neukonzeption.
[5] Vgl. dazu Astrid Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, Stuttgart, Weimar 2005; Christian Gudehus, Ariane Eichenberg, Harald Welzer (Hrsg.): Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2010.
[6] Zur Geschichtspolitik und der Erinnerungskultur in Belarus siehe Publikationen von Astrid Sahm, Olga Kurilo, Elena Temper, Christian Ganzer.
[7] Vgl. dazu Andreas Langenohl: Krieg und Geschichte im Russland der Transformation. Neuinstitutionalisierung und öffentliche Reformulierung (Reprint), in: Zeitgeschichte-online, Mai 2005, besonders 422/423.
[8] «Чем Вторая мировая война отличается от Первой, по сути, непонятно. Никакой разницы на самом деле нет
[9] Website des Museums
[10] Langenohl 2005: 422.
[11] Vgl. dazu: „При всем уважении к ветеранам и подвигам этот культ войны ни к чему хорошему нас не приведет. пора уже как то перестать жить этой победой и двигаться дальше.“ oder: «У нас привыкли преподносить войну не такой, как она была, а как хотелось бы, что бы она была. Особенно это касается начала войны
[12] Interfax vom 15.7.2014
[13] Zitiert nach einem Beitrag der Website artcraft.by
[14] Vgl. dazu Критический взгляд на новый музей Великой Отечественной войны в Минске (2014), in: Новая Эўропа (24.08.2014), eine Diskussion zwischen Алексей Ластовский, Алексей Браточкин und Лидия Михеева. A. Bratočkin spricht hier von einem „Ersatz-Erinnerungsort“ und greift damit die Unterscheidung von „место памяти“ und „вместа места памяти“ durch Sergej Ušakin in einer Analyse des postsowjetischen Erinnerungsraums auf.
[15] Der Zustand des Museums wird immer wieder kritisiert, eine Verbindung mit den ideologischen Vorgaben zw. Einschränkungen wird meist jedoch nicht hergestellt. Vgl. die Kommentare.
[16] Ausführlich dazu in der ungekürzten Version des hier vorgestellten Textes.

 


 

(Bild: 1 von 21)
Der Eingang in die Ausstellung führt durch die Festung Brest, ein Mythos, der in der Ausstellung nicht hinterfragt wird. © Kristiane Janeke, Minsk 2014.

Der Eingang in die Ausstellung führt durch die Festung Brest, ein Mythos, der in der Ausstellung nicht hinterfragt wird.
© Kristiane Janeke, Minsk 2014.