von Christine Hikel

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1. Februar 2009

Auf diese Frage lassen sich die Diskussionen reduzieren, die seit dem Sommer 2007 in allen Feuilletons Wellen schlugen, als bekannt wurde, dass Hollywood das Attentat vom 20. Juli 1944 neu verfilmen würde.[1] Regisseur Bryan Singer war bislang vor allem durch seine Actionfilme bekannt. Und Tom Cruise, der für die Rolle des Stauffenberg vorgesehen war, hatte schon längere Zeit weniger durch sein schauspielerisches Können als vielmehr durch seine Zugehörigkeit zu Scientology für Schlagzeilen gesorgt. Das war eine Konstellation, die in den meisten deutschen Feuilletons – sieht man von der FAZ ab[2] – für Unbehagen sorgte. Mit Stauffenberg und den anderen Verschwörern vom 20. Juli 1944 stand einer der bedeutendsten bundesrepublikanischen Erinnerungsbestände gleichsam vor der Enteignung durch Personen, die man für völlig ungeeignet hielt, sich des Themas adäquat anzunehmen. Die Zuspitzung der Debatte auf Personalfragen – insbesondere was Tom Cruise anging – verschleierte dabei, dass es im Kern darum ging, wer die Geschichte des Widerstands wie erzählen darf. Dieser Konflikt ist nicht neu, sondern war auch schon in den 1950er Jahren ein Streitfall, als erstmals eine Verfilmung der Ereignisse des 20. Juli 1944 geplant war. Damals waren es vor allem die Angehörigen der beteiligten Verschwörer, die durch die Filmpläne ihr Recht auf Erinnerung missachtet sahen. Heute ist es nicht nur die Familie in Gestalt des Stauffenberg-Sohns Berthold[3] , sondern eine ganze Nation, die ihr Gedächtnis und ihre Geschichte gegen möglicherweise wirkmächtigere konkurrierende Deutungen verteidigt. Symptomatisch war hier die Debatte um die Nutzung von „Erinnerungsorten“ als Drehorte.[4] Die Authentizität des Films wurde mit der Authentizität des Ortes gleichgesetzt. Mit der Zulassung der Filmcrew zum „Originalschauplatz“ im Bendlerblock, der gleichzeitig die heute wichtigste Gedenkstätte für den 20. Juli ist, war das Eingeständnis verbunden, dass sich Geschichte nicht monopolisieren lässt.

Als der Stauffenberg-Film dann Ende Januar 2009 unter dem Titel „Operation Walküre“ in die deutschen Kinos kam, war die Frage „Wem gehört Geschichte?“ schon abgelöst durch „Wer erzählt die ‚richtigere’ Geschichte?“. Nun schlug die Stunde der Historiker. Bereits vor dem deutschen Kinostart der Hollywood-Produktion strahlte das ZDF eine zweiteilige Doku-Reihe über Stauffenberg und den 20. Juli 1944 aus, in der Guido Knopp dem Fernsehpublikum die „wahre“ Geschichte erklärte.[5] Der „Bild“-Zeitung zählte Knopp dann kurze Zeit später jene fünf „Fehler“ auf, die er in Bryan Singers Film gefunden hatte.[6] Ähnlich tat dies auch Peter Steinbach, der wissenschaftliche Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin.[7] Nur Peter Hoffmann, der als „informeller Berater“ am Film mitgewirkt hatte, sah Bryan Singers Werk wirklich als gelungen an.[8]

Bei den zahlreichen kritischen Stellungnahmen ging es jedoch nicht immer nur um das bloße Aufzählen von „Fehlern“, also von jenen Aspekten des Films, die den aktuellen Forschungsstand nicht detailgenau spiegeln oder künstlerischer Freiheit und dramaturgischer Zuspitzung geschuldet waren. Hinzu kamen Bedenken, welches Bild vom Widerstand und insbesondere von der Person Stauffenbergs vermittelt würde.[9] Auch der Zuschnitt anderer Personen des Widerstands – insbesondere Goerdelers als eine Art Antagonist Stauffenbergs im Verschwörerkreis – wurde bemängelt. Im Mittelpunkt stand dabei vor allem die im Film nicht erwähnte Vorgeschichte Stauffenbergs als George-Jünger und Sympathisant des Nationalsozialismus. Die biografische Entwicklung des Grafen und seine Motivation für den Widerstand bleiben im Film nur angedeutet. Ebenso werden die durchaus kritisch zu bewertenden Deutschlandpläne der Verschwörer nicht thematisiert.

„Operation Walküre“ ist chronologisch aufgebaut. Der Film beginnt mit der Einführung Stauffenbergs in die Handlung als oppositionell gesinnter Offizier alter Schule. Seine Verwundung, bei der er ein Auge, die rechte Hand und zwei Finger der linken verliert, macht ihn frontuntauglich. Er wird Chef des Stabes beim Befehlshaber des Ersatzheeres und Chef der Heeresrüstung. Stauffenberg wird als Mann der Tat gezeigt, der die vom Kreis um Beck und Goerdeler Diskussionen über Form und Ziel des Widerstands beendet, indem er als einzigen Ausweg den Tod Hitlers und den Putsch auf Grundlage der „Walküre“-Pläne vertritt. Treibende Kraft des Widerstands ist hier also das Militär. Die hochrangigen Offiziere sind die einzigen, die Zugang zu Hitler haben und genug Entschlossenheit, Hitler zu töten, so argumentiert jedenfalls der Film. Wie als Bestätigung dafür wird gleich zu Anfang das gescheiterte Attentat Tresckows auf Hitler im März 1943 gezeigt. Über weite Strecken bis zur Explosion der Bombe am 22. Juli 1944 funktioniert der Film wie ein Agententhriller mit geheimen Treffen, Erpressung und Spionage. Interessant ist dabei vor allem die Szene, als Stauffenberg Hitler auf dem Berghof trifft, um ihn zur Unterschrift unter den von ihm modifizierten „Walküre“-Befehl zu bewegen. Dieses Element wurde von Historikern vielfach kritisiert, weil es nicht den Fakten entspreche. Für den Film ist es allerdings eine der wichtigsten Szenen. Hier ist etwas von Stauffenbergs vielleicht immer noch nicht ganz abgelegter Bewunderung für den „Führer“ zu spüren. In der Logik des Films wird mit Hitlers Unterschrift unter den Befehl das Attentat erst möglich: Er unterschreibt sein eigenes Todesurteil.

Sein Potenzial entfaltet „Operation Walküre“ jedoch erst, nachdem das Attentat erfolgt ist. An ganz unterschiedlichen Figuren wird gezeigt, dass sie sich nun, als die bewährten Regeln von Befehl und Gehorsam, von richtig und falsch brüchig werden, entscheiden müssen, auf welcher Seite sie stehen und welchen Informationen sie Glauben schenken. Für die beteiligten Offiziere wird dieser Konflikt ganz exemplarisch an Olbricht und Quirnheim vorgeführt. Während der eine zögert, ist der andere voller Entschlossenheit. Doch auch an ganz anderen Orten sind Entscheidungen gefragt: In den Nachrichtenzentralen laufen die Meldungen über einen angeblichen Putschversuch der SS gegen das NS-Regime und Hitlers Tod ein und müssen ebenso verwaltet werden wie die gleichzeitigen Dementi, und in den Kasernen sind Offiziere auf einmal einer Flut von konkurrierenden Befehlen ausgesetzt. Opportunisten, NS-Gegner und überzeugte Nationalsozialisten ringen darum, mit ihrer Entscheidung auf der richtigen Seite zu stehen. Verdichtet ist dies in einer Szene, als Remer kurz hintereinander die widersprüchlichen Anordnungen erhält, er solle entweder Goebbels oder Stauffenberg verhaften. Remer entscheidet sich für Goebbels, den Repräsentanten des NS-Regimes. Ein Telefonat mit Hitler überzeugt dann jedoch Remer, dass die Nachricht von dessen Tod falsch war. „Walküre“ richtet sich in der Folge gegen die Verschwörer. Für diese deutet sich ihre Niederlage schon an, als die Loyalität gegenüber Stauffenberg zu bröckeln beginnt und sie zunehmend von Informationen und Kommunikationswegen abgeschnitten werden. Die Rundfunkansprache Hitlers zerstört jede Hoffnung auf Erfolg des Widerstands. Die Verschwörer enden vor dem Erschießungskommando im Bendlerblock oder am Galgen von Plötzensee.

„Operation Walküre“ ist ein Spielfilm, kein historischer Lehrfilm. Danach sollte man ihn auch beurteilen. Und nach einigen Längen in der ersten Hälfte ist Bryan Singer ein spannender und differenzierter Film gelungen, der auf historischen Tatsachen basiert, nicht sie nachzustellen versucht. Weglassungen, Änderungen und Zuspitzungen, die der Dramaturgie dienen, sind dabei künstlerischer Freiheit zuzurechnen. Dass das Bild des Widerstands, seine Beteiligten, Motivationen und Ziele nicht differenziert genug dargestellt sind, mag insofern eine berechtigte Kritik darstellen, da sicherlich an manchen Stellen dafür noch Bedarf bestanden hätte. Allerdings zu fordern, dass der Film historische Forschung detailgetreu abbilden soll, überfordert das Medium. Historische Bildungsarbeit zu betreiben oder Forschung konzentriert darzustellen ist nicht seine Aufgabe. Und mit diesem Anspruch sind seine Macher auch nicht angetreten.

 

Operation Walküre – Das Stauffenberg Attentat USA 2008, 121 Minuten, Verleih: Fox, Regie: Bryan Singer, Drehbuch: Christopher McQuarrie, Nathan Alexander

Siehe dazu außerdem den Beitrag auf filmportal.de
 

[1] Zur Diskussion vgl. etwa die Themenseite bei FAZ.net, wo zahlreiche Artikel zum Thema zusammengestellt sind.

[2] Enthusiastisch etwa der Artikel von Frank Schirrmacher: Wir in ihren Augen, in: FAZ.net, 23.9.2007.

[3] „Er soll die Finger von meinem Vater lassen“, in: Süddeutsche Zeitung, 22.6.2007, Dagegen wesentlich moderater die Stauffenberg-Tochter Konstanze, deren Sohn Philipp von Schulthess als Schauspieler im Film mitwirkt: Frank Junghänel, Das Bild des Großvaters, in: Berliner Zeitung, 8.8.2007.

[4] Andreas Kilb, Gerüchte um geheime Drehorte, in: FAZ.net, 13.7.2007, Sonja Zekri: Diese unkontrollierbaren Bilder, in: SZ, 6.7.2007.

[5] Vgl. dazu auch die Kritik in der Süddeutschen Zeitung von Marc Felix Serrao, Herr Oberst geht ins Licht, 13.1.2009.

[7] Peter Steinbach, Historiker Steinbach: Die unsägliche Fehler im Film „Operation Walküre“, in Hamburger Abendblatt, 22.1.2009.

[8] Jordan Mejias, Wir wollen der Welt vom 20. Juli erzählen, in: FAZ.net, 23. Januar 2009.

[9] Stefan Schmitz, Ein deutscher Held in falschem Glanz, in: Stern 02/2009. Richard J. Evans, Sein wahres Gesicht, in: Süddeutsche Zeitung Magazin, Nr. 4, 23. Januar 2009, S. 8-10. Philipp Gassert, Geschichte für Anfänger, in: Spiegel online, 20.1.2009.