von Annette Vowinckel

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1. März 2011

Am 10. März läuft in den deutschen Kinos Wer wenn nicht wir an, die neueste Produktion von Andres Veiel. Der Film erhielt bei der diesjährigen Berlinale den Preis der Gilde deutscher Filmkunsttheater und den Alfred-Bauer-Preis. Erzählt werden die Biografien von Gudrun Ensslin und Bernward Vesper. Beide lernten sich zu Beginn der 1960er Jahre kennen, während des Studiums in Tübingen. Rückgriffe auf die jeweiligen Kindheiten spielen dabei insofern eine große Rolle, als der Konflikt zwischen den beiden Elternhäusern – einem liberalen schwäbischen Pfarrhaus und dem konservativen, mit nationalsozialistischer Vergangenheit belasteten Gut in Niedersachsen – stets präsent ist. Ensslin und Vesper arbeiten sich an ihrer jeweiligen Geschichte ab, geraten darüber miteinander in heftige Konflikte und versuchen, daraus neue Perspektiven zu entwickeln: Ensslin verfällt am Ende der Dekade einer terroristischen Propaganda der Tat, Vesper der eigenen Melancholie über den Verlust der Freundin an den erst spät im Film auftauchenden Andreas Baader. Der Film stellt die Frühgeschichte des bundesdeutschen Linksterrorismus dar, doch stellt er seine Protagonisten nicht in deren Schatten. Das dramatische Ende bildet deshalb auch nicht Ensslins Schritt in den Untergrund, sondern Vespers Selbstmord im Mai 1971.

In Anlehnung an Gerd Koenens Buch Vesper Ensslin Baader. Urszenen des deutschen Terrorismus (Köln 2003) zeichnet Veiel ein Bild der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, das weit facettenreicher ist, als eine bloße Geschichte der RAF es sein könnte. Es geht um zwei Biografien, die paradigmatisch den Umgang einer Generation mit der Vergangenheit der Eltern, den Versuch der Übernahme politischer Verantwortung und das Experimentieren am eigenen Lebenslauf zu verbinden versuchen – und beide auf je eigene Weise tragisch scheitern. Dass das Ende bereits bekannt ist und der Spielfilm durch dokumentarische Einschübe ergänzt wird, lässt den Film nur formal in die Nähe des beliebten Genres „Dokudrama“ rücken. Anders als Der Untergang, Mogadischu oder Dresden schlägt Wer wenn nicht wir kein Kapital aus den großen Katastrophen, sondern bricht ein wichtiges Kapitel deutscher Zeitgeschichte auf die biografische Ebene herunter und überrascht dabei vor allem im Detail.

Siehe dazu außerdem den Beitrag auf filmportal.de