von Hanno Hochmuth

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13. August 2018

Am Checkpoint Charlie tobt ein Kampf. Der ehemalige Ausländergrenzübergang zwischen Ost- und West-Berlin, an dem sich einst Panzer gegenüberstanden, ist zum Zankapfel der Stadtentwicklungspolitik geworden. Das Land Berlin hatte die Mauerbrache an der Friedrichstraße in den 1990er Jahren an Investoren verkauft, um die städtebaulichen Wunden der Teilung so schnell wie möglich zu tilgen. Doch ein Teil der Investoren ging insolvent und es passierte Jahre lang nichts. Nun hat die Investorengruppe Trockland die Grundschulden der Baugrundstücke übernommen und plant am Checkpoint Charlie eine umfassende Bebauung. Die Planungen sehen unter anderem ein Museum des Kalten Krieges vor.

Gegen die Bebauungspläne richtet sich seit einigen Wochen massive Kritik.[1] Der ehemalige Berliner Kultursenator Thomas Flierl fordert, die städtebauliche Brache weitgehend freizuhalten, um angemessen an den Kalten Krieg zu erinnern. Deshalb sei auch der Erhalt der historischen Brandwände am Checkpoint Charlie erforderlich. Der Berliner Landeskonservator Jörg Haspel stellte die Gegend rund um den ehemaligen Grenzübergang kurzerhand unter Denkmalschutz, obwohl es hier eigentlich keine historischen Spuren mehr gibt – das alte Grenzkontrollhäuschen und das mehrsprachige Sektorenschild sind bekanntlich Fake und ziehen trotzdem Millionen Touristen in ihren Bann.[2]

 

Touristenmagnet am ehemaligen Grenzübergang Checkpoint Charlie © Hanno Hochmuth

 

Die Kritik an den Neubauplänen hat den Berliner Senat dazu veranlasst, ein mehrstufiges Beteiligungsverfahren zur städtebaulichen Entwicklung am Checkpoint Charlie zu initiieren. Das hat die Debatte jedoch nicht beruhigt, sondern erst recht verschärft. Kritiker warfen dem Senat vor, das Beteiligungsverfahren eilends in der Sommerpause durchzudrücken und sich mit dem privaten Investor längst über die entscheidenden Fragen verständigt zu haben. Dem Investor wird unterstellt, das geplante Museum lediglich als Feigenblatt für privatwirtschaftliche Spekulationsobjekte zu missbrauchen. Die Kontroverse um die Zukunft des Checkpoint Charlie avancierte zum heißen Thema dieses heißen Sommers.[3]

Dabei ist die Debatte in eine Schieflage geraten. Immer häufiger heißt es, die Stadt müsse sich entscheiden: entweder für ein privates Bauvorhaben, das allein der Rendite diene, oder für eine angemessene Erinnerung an die Geschichte des Ortes.[4] Dieser Gegensatz ist jedoch eine unzulässige Zuspitzung, die außer Acht lässt, dass das Museum, das im Inneren der Neubebauung geplant ist, genau dem Zweck dienen soll, an die Geschichte des Kalten Krieges zu erinnern. Hierfür kann ein neues Museum mehr leisten als allein der Erhalt der historischen Brandwände.

Seit 2010 arbeiten Fachhistoriker und Museumsfachleute im Verein Zentrum Kalter Krieg an der Konzeption eines neuen Museums, das den aktuellen Zustand am Checkpoint Charlie verbessern soll.[5] Anstelle des gegenwärtigen Markttreibens soll eine wissenschaftlich fundierte Ausstellung entstehen, die den historischen Ort am Checkpoint Charlie in einen größeren historischen Kontext einbettet und auf die vielfältigen Schauplätze der Systemkonkurrenz in Berlin und in der Welt verweist.[6] Einen ersten Vorgeschmack darauf, was ein solches Museum leisten kann, liefert seit 2012 die Blackbox Kalter Krieg auf der Ostseite des Checkpoint Charlie.[7]

Genau an dieser Stelle soll nach Plänen des Investors ein Hard Rock Hotel errichtet werden, das in der gegenwärtigen Debatte besonders stark in der Kritik steht.[8] Stattdessen fordern die Gegner der privatwirtschaftlichen Erschließung des Checkpoint Charlie, dass der Senat sein Vorkaufsrecht wahrnehmen möge, um etwa Kitas und Schulen in öffentlicher Trägerschaft zu errichten.[9] Das klingt zunächst attraktiv in einer Zeit, in der die Stadt unter der Turbo-Gentrifizierung leidet und in der Tat nicht genügend Kita- und Schulplätze vorhanden sind.

Aber ist ausgerechnet der Checkpoint Charlie der richtige Ort, um diese Defizite zu beheben? Braucht es hier in der historischen City zwischen den Geschäftshäusern tatsächlich in erster Linie Kitas und Schulen? Eher scheint es so, als dass am Checkpoint Charlie eine Stellvertreterdiskussion entbrannt ist. Denn eigentlich geht es um die Frage, wem die Stadt gehört. Die von den Kritikern vorgeschlagene Alternative, den Checkpoint Charlie lieber in öffentlicher Regie zu entwickeln, verkennt jedoch die komplizierte baurechtliche Situation und die immensen Kosten eines eventuellen Rückkaufs durch die öffentliche Hand. Ohne eine public-private partnership wird es am Checkpoint Charlie kaum eine Lösung geben.

Das Museumsprojekt, das seit Jahren entwickelt wird und von der Stiftung Berliner Mauer umgesetzt werden soll, ist in den Strudel der aktuellen Gentrifizierungsdebatte geraten und droht darin unterzugehen. Dabei ist die geplante Bebauung die einzige realistische Chance, um am Checkpoint Charlie endlich ein wissenschaftlich fundiertes Museum des Kalten Krieges einzurichten, das der Bedeutung dieses besonderen historischen Ortes gerecht wird.


[1] Einführend zur Debatte vgl. Süddeutsche Zeitung, 8.8.2018, S. 9.
[2] Vgl. Sybille Frank, Der Mauer um die Wette gedenken, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 61 (2011), H. 31-34, S. 47-54.
[3] Die Debatte wird hauptsächlich im Tagesspiegel ausgetragen. Vgl. hierzu etwa: Tagesspiegel, 4.8.2018. Zur Kritik am Investor vgl. auch: Berliner Zeitung, 9.7.2018.
[4] Vgl. Tagesspiegel, 3.8.2018.
[5] Vgl. Hanno Hochmuth, Contested Legacies. Cold War Memory Sites in Berlin, in: Konrad H. Jarausch/Andreas Etges/Christian Ostermann (Hg.), The Cold War. History, Memory, Representation, Berlin/Boston 2017, S. 283-299, hier insb. S. 295-299.
[6] Vgl. Konrad H. Jarausch, Die Teilung Europas und ihre Überwindung. Überlegungen zu einem Ausstellungskonzept für Berlin, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 5 (2008), H. 2, S. 263-269, online.
[7] Vgl. Jula Danylow, BlackBox Kalter Krieg. Ein Werkstattbesuch am Checkpoint Charlie, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 11 (2014), H. 2, S. 328-336, online .
[8] Vgl. den Gastbeitrag von Theresa Keilhacker und Christoph Sommer im Tagesspiegel, 1.8.2018.
[9] Vgl. Tagesspiegel vom 1.8.2018.