Nach der Schule habe ich zunächst eine Lehre absolviert, mich jedoch schon während dieser Zeit sehr auf mein Studium gefreut. Ich wollte Geschichte studieren, möglichst nicht in meiner Heimatstadt, aber auch nicht zu weit weg. Die Wahl fiel auf Bochum – die sogenannte Selbstmörderuni. Sie war damals dafür bekannt, dass sich aus den oberen Stockwerken der in den 1970er Jahren gebauten Hochhäuser mehrere Menschen in die Tiefe gestürzt hatten. Das schreckte mich jedoch nicht ab, und die moderne kompakte Architektur der Campus-Universität gefiel mir sogar gut, da sie so klar gegliedert war und ich mich schnell orientieren konnte. Der Einstieg stand somit unter guten Voraussetzungen: Die Uni fand ich toll, die Stadt auch, und auf das Studium hatte ich mich lange gefreut.
Was ich nicht bedacht hatte: Die meisten Studierenden der Ruhr-Universität Bochum kamen aus der Region, wohnten weiter zu Hause und blieben ihren alten Freundeskreisen verhaftet. Neue Kontakte suchte kaum jemand. Selbst das konnte meine Euphorie am Anfang jedoch nicht bremsen, so hatte ich wenigstens mehr Zeit für das Studium. Die war auch notwendig, da ich mich wohl für 10 Seminare eingeschrieben hatte – vollkommen verkennend, wie viel Arbeit das bedeutete. Nicht alle Seminare habe ich daher bis zum Ende besucht, aber an eines werde ich mich immer erinnern.
Als Einstieg in das Geschichtsstudium ist in Bochum bis heute ein sogenanntes Integriertes Proseminar (IPS) über zwei Semester vorgesehen. Anhand von Beispielen aus verschiedenen Epochen werden die Grundlagen geschichtswissenschaftlichen Arbeitens vermittelt. Ich kann mich noch gut an den Dozenten für Alte Geschichte erinnern: Heinrich Theodor Grütter. Wer ihn nicht kennt, kann vielleicht nicht verstehen, was ich damit meine, wenn ich schreibe, dass er uns einfach mitriss. Theo (wie wir ihn nennen durften) begeisterte mich für die Verfassungsgeschichte des Römischen Reichs – und das will etwas heißen. Schließlich wusste ich schon vor dem Studium, dass ich mich vor allem mit der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts beschäftigen wollte. Die Seminarsitzungen fanden sowohl in der Uni als auch bei Theo Grütter zu Hause statt. Wir lasen, diskutierten, quatschten – so hatte ich mir das Studentinnenleben gewünscht.
Gut in Erinnerung ist mir auch, dass ich im ersten Semester keinen Computer für das Studium zu benötigen meinte. Für meine erste Hausarbeit kaufte ich mir eine elektrische Schreibmaschine. Als ich die Arbeit mit der Aufforderung zurückbekam, diese auf Seite x und y zu überarbeiten und dann erneut einzureichen, wurde mir allerdings klar, dass das ja bedeutete, alles noch einmal abzutippen. Die Vorzüge eines Computers wurden schlagartig deutlich, und wenige Semester später legte ich mir sogar eine E-Mail-Adresse zu, obwohl ich auch da lange skeptisch war… Als angehende Historikerin konnte ich zukünftige Entwicklungen nicht gut einschätzen – wichtiger erschien mir damals schon, sie später zu erklären.
Irmgard Zündorf, Oktober 2018