von Johanna Heinecke

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15. Oktober 2018

Viele Zugfahrten und Zelten in der Uni – meine zwei ersten Semester

In meinem ersten Wintersemester 2007/2008 studierte ich nicht Geschichte. Meine Begeisterung für dieses Fach fand ich erst auf Umwegen.

Was ich bereits in der Schulzeit wusste: Ich wollte Literaturwissenschaft (oder so etwas in der Art) studieren. Und ich wollte raus aus der kleinen mecklenburgischen Stadt, am besten nach Berlin, mit direkter Zugverbindung. So bewarb ich mich zunächst an der Freien Universität. Doch für die FU war meine Abiturnote nicht gut genug und auch an der Humboldt-Universität scheiterte ich im ersten Anlauf. Glücklicherweise hatte ich mich auch in Potsdam beworben, wohlwissend, dass ich in diese „kleine“ Stadt auch aus Friedrichshain pendeln könnte. Wie für viele angehende Studierende in dieser Zeit, in der die Unis in und um Berlin förmlich explodierten vor BewerberInnen, wurde die Universität Potsdam also zum letzten Anker. Ich begann mein Studium der Germanistik und – da ich in meinem eigentlich präferierten Zweitfach Politikwissenschaft nicht genommen wurde – der Jüdischen Studien.

Das Idyll des Campus „Am Neuen Palais“ entdeckte ich erst einige Jahre später, als ich der Liebe wegen von Berlin nach Potsdam zog und das Baugerüst, das mein gesamtes Studium die ehrfürchtig wirkende Kolonnade zwischen den beiden Häusern der Philosophischen Fakultät ummauerte, endlich verschwand. 

Wenn ich an dieses erste Semester zurückdenke, dann fallen mir lange Wartezeiten am Bahnhof Sanssouci wegen etlicher Zugverspätungen ein. Mein erstes Semester war aber auch davon geprägt, mich zurecht zu finden: Als junge Erwachsene in der Großstadt Berlin, in der man viel feiern und wenig studieren konnte. Potsdam, das ich im Wintersemester vor allem in der Dämmerung wahrnahm, da der tägliche Weg weiter war als gedacht und es spät hell und früh dunkel wurde. Als Studentin, die noch nicht wusste, wie Hausarbeiten zu schreiben sind oder die richtige Literaturrecherche funktioniert.

Mein wohl eindrücklichstes Seminar im ersten Semester war ein Kurs zum Werk des Schriftstellers Hans Fallada. Gefesselt von seinen Figuren und der Zeit, in der jene lebten, erkannte ich zugleich, dass andere Schwerpunkte im Studium weniger zu mir passten. So bestand ein nicht unbeträchtlicher Teil der Jüdischen Studien aus dem Erlernen des Hebräischen, wofür ich schnell den nötigen Enthusiasmus verlor. Anknüpfend an die Literatur des 20. Jahrhunderts, die ich langsam erforschte, erschien es mir daher sinnvoll, jenes Zweitfach zu wechseln und Geschichte zu studieren, was ich dann auch tat.

So begann mein (zweites) erstes Semester in der Geschichtswissenschaft ein Jahr nach meiner Erstimmatrikulation im Herbst 2008. Das wichtigste Thema auf dem Campus zu dieser Zeit war jedoch fachübergreifend: Die damals bereits fast abgeschlossene Einführung des Bachelor- und Mastersystems und die Folgen des Bologna-Prozesses mobilisierten die Studierenden in Potsdam und führten schließlich zur Besetzung des Audimax. Auf dem Kopfsteinpflaster und den Stufen der altehrwürdigen Fakultäts-Gebäude prangten Graffitis vom Action-Schauspieler Chuck Norris – frei nach dem Motto: „Nur Chuck Norris schafft die Uni in der Regelstudienzeit.“

Ich gehörte nicht zu den BesetzerInnen des Audimax, obgleich ich mich mit ihren Zielen (besseren Studienbedingungen, keine Verschulung des Uni-Systems usw.) durchaus identifizierte. Leider hatte ich in diesem ersten Geschichts-Semester eine Vorlesung im besagten Audimax zur Geschichte des Mittelalters bei Heinz-Dieter Heimann. Obgleich der Dozent nicht nur beliebt war, war die Vorlesung viel zu gut besucht und der Audimax bot eben genug Platz. Nachdem die Besetzung nicht enden wollte und der Professor immer erboster wurde, musste eine Ausweichräumlichkeit gefunden werden. Es erschien äußerst naheliegend, dafür – mitten im Winter – ein großes Zelt auf dem Sportplatz des Campus aufzubauen. Ausgestattet mit einem unsagbar lauten und nicht funktionierenden Heizgebläse, das Herr Heimann wöchentlich übertönen musste und letztlich dazu führte, dass nicht nur etliche Studierende, sondern auch der Professor im kalten Inneren erkrankten und die Vorlesung kaum noch stattfand. Meine Begeisterung für das Mittelalter erlosch in diesem Winter ein wenig. Aber das Studium, sowohl der Germanistik als auch der Geschichtswissenschaft, das hatte mich dann doch entfacht!

Johanna Heinecke, Oktober 2018