von Barbara Krahé

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26. Februar 2021

Durch eine Sendung in der Reihe Lebenszeit des Deutschlandfunks, sind wir auf Barbara Krahé aufmerksam geworden. Unter dem Titel Persönliche Bilanz. War das Jahr 2020 ein verlorenes Jahr? wurden die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen im Bildungsbereich diskutiert. 
Die Sichtweise auf das Corona-Jahr mit der Expertise Barbara Krahés als Sozialpsychologin erscheint uns wichtig für einen Themenschwerpunkt, der sich mit der Ausgestaltung und den Folgen digitaler Lehre für Lehrende und Studierende auseinandersetzt.
Wir danken Frau Krahé dafür, dass sie sich die Zeit genommen hat unsere Fragen zu beantworten.
Das Interview wurde schriftlich geführt, die Fragen stellte Annette Schuhmann.

 

A.S.: Frau Krahé, seit knapp einem Jahr ist unser Alltag  durch pandemiebedingte Maßnahmen stark eingeschränkt. Wir befinden uns mittlerweile im zweiten digitalen Semester. Wie geht es den Studierenden in Ihrem Fachbereich, wie haben diese die „Vollbremsung“ aus dem Alltag heraus Ihrer Meinung nach verkraftet?
 

B.K.:  Soweit ich es als Dozentin beurteilen kann, schlagen sich die Studierenden insgesamt recht gut, wenn man bedenkt, mit welchen Herausforderungen und Unsicherheiten sie zu tun haben. Diese betreffen einerseits den Umgang mit den Leistungsanforderungen: wie teile ich meinen Arbeitstag ein, wie gut kann ich mich zuhause konzentrieren, wie bereite ich mich auf Klausuren vor, soll ich überhaupt an Präsenzklausuren teilnehmen. Außerdem bringt die aktuelle Situation auch viele soziale Einschränkungen mit: gemeinsame Freizeitaktivitäten mit Freund*innen müssen entfallen, neue Kontakte zu knüpfen ist sehr schwer, optimistische Erwartungen, wie sich das Unileben anfühlen würde, werden enttäuscht, und auch die Kontakte mit den Kommiliton*innen sind live oft nicht möglich. Insgesamt also eine in mehrfacher Hinsicht bedrückende Situation, die sich auf die aktuelle psychische Befindlichkeit und die Lebenszufriedenheit niederschlägt. Vor allem für die Studienanfänger*innen, die vielleicht neu an ihren Studienort gezogen sind und noch keine sozialen Netzwerke mit ihren Kommiliton*innen aufbauen konnten, fühlt es sich sehr einsam an.
 

A.S.: Von Menschen meiner Generation, der Elterngeneration der Studierenden um die es hier gehen soll, hören wir nicht selten Statements wie „...die Einschränkungen bieten die Möglichkeit Bilanz zu ziehen, sein Leben zu sortieren u.ä.“. Was genau sollen Studierende im Erstsemester damit anfangen? Wer zieht mit Anfang zwanzig Bilanz?
 

B.K.: Ich denke, dieser Versuch, der Krise etwas Positives abzugewinnen, passt auf den Lebensabschnitt der Studierenden nicht und eignet sich wenig als Trost. Sie sind ja gerade dabei, die Weichen für ihr Erwachsenenleben zu stellen und hatten sich erhofft, ein hohes Maß an Wahlfreiheit und Gestaltungsmöglichkeit zu haben. In der aktuellen Situation haben alle Menschen mit Verzicht und Einschränkungen zu leben, die je nach Lebensabschnitt unterschiedlich ausfallen. Die Zeit, die wir jetzt unter schweren Bedingungen durchleben, können wir nicht nachholen, das empfinden auch die jungen Erwachsenen sehr stark.
 

A.S.: Die Idee der Selbstreflexion ist ja, wie Sie kürzlich in einer Sendung des Deutschlandfunks erklärten, von außen aufgezwungen: Wie reagieren die Studierenden auf die Maßnahmen? Wie kreativ gehen sie mit den Kontaktbeschränkungen um, erhöht sich derzeit die Quote der Abbrecher*innen?
 

B.K.: Nach meinem Eindruck gehen die Studierenden sehr vernünftig und verantwortungsbewusst mit der Situation um. Das kann ich aus ihrem Verhalten bei den Klausurterminen ablesen, die bis jetzt noch im Präsenzformat stattgefunden haben, und auch aus den besorgten Anfragen, die mich zu diesem Format erreichen. Die Veranstaltungen finden nur online beziehungsweise in Form aufgezeichneter Vorlesungen statt, und ich sehe an der regen Nutzung des Forums auf unserer digitalen Lernplattform, dass sie die Inhalte intensiv nutzen und sich untereinander Hilfestellung bei der Beantwortung fachlicher Fragen geben. Ob es schon Anzeichen dafür gibt, dass sich die Zahl derjenigen erhöht, die ihr Studium abbrechen, kann ich nicht einschätzen. Ich wünsche mir aber, dass auch die durchhalten, denen es gerade besonders schwerfällt, indem sie die praktischen und psychologischen Unterstützungsangebote nutzen.
 

A.S.: Wie gestaltet sich aus Ihrer Kenntnis, derzeit die soziale Situation der Studierenden? Und welche psychischen Folgen hat die Distanz, die gerade für Studienanfänger*innen völlig entgegen den Erwartungen verläuft, die im allgemeinen mit dem Studienbeginn verbunden werden?
 

B.K.: Durch die stark eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten ist die soziale Situation der Studierenden zur Zeit sehr belastend. Auch wenn sie versiert sind in der Nutzung digitaler Kommunikationsformen, fehlt der direkte Kontakt, der es vor allem für die Studienanfänger*innen überhaupt erst möglich macht, Kommiliton*innen mit gleichen Einstellungen und Interessen zu treffen und herauszufinden, wer einem sympathisch ist. Auch die Unsicherheit darüber, wie und was man lernen muss, um im Studium erfolgreich zu sein, kann man derzeit nicht einfach einmal bei einem Kaffee in der Mensa besprechen und feststellen, dass es den anderen genauso geht. Schon vor der Pandemie hat die Forschung gezeigt, dass Studienanfänger*innen zu den am meisten von Einsamkeit betroffenen Gruppen zählen, weil bei ihnen die Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Kontakten besonders groß ist. Deshalb leiden sie unter der momentanen Situation besonders, und dass es auch ihren Mitstudierenden so geht, macht es nicht wesentlich erträglicher. Hinzu kommt, dass mehr und mehr deutlich wird, dass ein baldiges Ende nicht in Sicht ist und offen bleibt, wann eine Rückkehr zum normalen Sozialleben möglich sein wird.
 

A.S.: Bietet die Universität, in Ihrem Fall die Universität Potsdam, genügend Hilfestellung mittels digitaler Infrastruktur für Studierende und Lehrende? Und gibt es Angebote für psychologische Beratungen?
 

B.K.:  Ja, ich glaube, dass alle Universitäten ihr Bestes geben, um den Studierenden in dieser schwierigen Lage so gut wie möglich zu helfen. Die Universität Potsdam bietet ein gutes Unterstützungsnetzwerk an. Die Regeln werden klar und zeitnah kommuniziert, im Hinblick auf die Belastungen der Studierenden werden flexible Lösungen angeboten. So können Studierende etwa von Präsenzprüfungen kurzfristig ohne Attest zurücktreten, ihre Abschlussarbeiten digital einreichen und ihre Regelstudienzeit verlängern. Viele Fächer bieten spezielle Kurse für Studienanfänger*innen zum Thema „Selbstreflexion und Planung“ an.  Unterstützungsangebote der psychologischen Beratungsstelle gibt es derzeit telefonisch. Auch für die Lehrenden wird Unterstützung technischer und inhaltlicher Art für die Umsetzung von Lehre und Prüfungen im Online-Format sowie eine flexible Handhabung von Home-Office-Regelungen angeboten.
 

A.S.: Wie sieht Ihre persönliche Bilanz als Hochschullehrerin nach mittlerweile fast zwei Semestern digitaler Lehre aus und was würden Sie Studierenden mit auf den Weg geben wollen?
 

B.K.: Meine persönliche Bilanz ist gemischt. Auf der praktischen Ebene hat die digitale Lehre in den beiden letzten Semestern recht gut funktioniert. Den Studierenden konnte ich auch per Zoom die interessanten Inhalte meines Fachs vermitteln, und der Austausch in Form von Diskussionen und Fragen hat besser funktioniert als erwartet. Gleichzeitig fehlt aber natürlich der direkte Kontakt, die Möglichkeit, live aus den Gesichtern und Reaktionen der Teilnehmer*innen abzulesen, ob das Gesagte verständlich ist, und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Das vermisse ich, vor allem deshalb, weil dieses mein letztes Semester im aktiven Dienst an der Universität Potsdam ist. Dass mehr als vierzig Jahre universitärer Lehre in einem solch sozial reduzierten „blutleeren“ Format zu Ende gehen, hätte ich natürlich nicht gedacht und finde es sehr schade.