von Luisa Jabs

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7. August 2024

Trigger-Warnung: Depression, Selbstverletzung, Suizid, Gewalt an Kindern

 

Die Leinwand ist noch schwarz, da hört das Publikum bereits die Schreie eines Babys. Seine Krippe steht auf einem Feld im Freien. Eine Frau tritt ins Bild, nimmt das schreiende Kind auf den Arm und läuft damit fort. Ihrem Gesicht ist die ganze Härte eines arbeitsreichen Lebens im ländlichen Oberösterreich des Jahres 1750 anzusehen, in dem Des Teufels Bad spielt. Immer tiefer trägt die Frau das schreiende Baby durch den Wald. Sie bleibt am Rande eines Wasserfalls stehen. Der Fluss teilt sich hier in viele Ströme. Inmitten dieses Panoramas wirft sie das Kind in den Abgrund. Die Kameraperspektive wechselt in die Totale und das Publikum muss dabei zusehen, wie das Baby den Abgrund hinunterrutscht.

In der nächsten Szene stellt die Frau sich selbst und sagt dazu ruhig in tiefstem Österreichisch: „I hob was zu g’stehn.“

 

Body-Horror in Oberösterreich

Diese erste kurze Episode setzt den Ton für den restlichen Verlauf von Des Teufels Bad, für den Veronika Franz und Severin Fiala das Drehbuch geschrieben und Regie geführt haben. Das Tante-Neffe-Duo aus Österreich arbeitet schon seit Debütfilm Kern aus dem Jahr 2012 zusammen. Internationale Aufmerksamkeit erhielten sie 2014 mit ihrem Horror-Film Ich seh, ich seh, der im gleichen Jahr auf dem Filmfestival von Venedig Premiere feierte und positive Kritiken einfahren konnte. Ihr diesjähriger Berlinale-Beitrag verlangt dem Publikum einiges ab. So werden in Manier des Body-Horrors Finger abgesägt, Haut durchstochen, Tiere erschlagen und ungeschönt Blut und Erbrochenes gezeigt.

Filmstill aus Des Teufels Bad. Regie Veronika Franz & Severin Fiala, Deutschland, Österreich 2024. © Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm

Die eigentliche Protagonistin Agnes, eine junge Frau mit langem dunklen Haar und dunkelbraunen Augen, treffen wir am Tage ihrer Hochzeit. Sie wirkt aufgeregt und blickt voller Zuversicht auf das neue Kapitel ihres Lebens, denn die tiefreligiöse Frau träumt von einem eigenen Kind. Nachdem sie ihrem Nun-Ehemann Wolf das Ja-Wort gegeben hat, wird ihr in einer symbolischen Zeremonie die hochzeitliche Blumenkrone vom Kopf genommen und gegen eine einfache blaue Schürze und ein Bäuerinnen-Kopftuch eingetauscht. Die bedrückende Stimmung des Films verstärkt ein grau-blauer Filter.

 

Survival of the fittest

Franz und Fiala beginnen mit der Zeichnung einer bäuerlichen Gesellschaft, in der der christliche Glaube eine übergeordnete Rolle spielt und sich der Stärkere durchsetzt – bildlich aufgezeigt am täglichen Keschern von Fischen, die getötet werden, damit die Menschen überleben. Die tägliche Arbeit ist hart und scheint sich kaum auszuzahlen, und so gehen viele am Ende eines Tags der mühsamen Fischerei im Karpfenteich voller Schlamm hungernd nach Hause. Agnes passt mit ihren zarten Zügen rein optisch nicht in dieses Bild, und auch ihre Interessen scheinen fernab der dörflichen Realität zu liegen. Sie betet dafür, Wolf eine gute Ehefrau zu sein, und streift gleichzeitig verträumt durch die Wälder, anstatt Abendessen zu kochen, und sammelt Insekten, die sie heimlich wie kleine Schätze aufbewahrt. Ihre Schwiegermutter Gänglin nimmt sie alles andere als liebevoll unter ihre Fittiche, bleibt stetig enttäuscht von ihren teilweise ungeschickten Versuchen, sich an die Lebensumstände anzupassen oder sich auf ihre Art häuslich einzurichten. Und selbst die über dem Ofen aufgehängten Fischkadaver starren Agnes bedrohlich an. Beim Umherwandern im Wald stößt sie auch auf die geköpfte und zur Abschreckung ausgestellte Leiche der Frau aus der Eingangsszene.

Filmstill aus Des Teufels Bad. Regie Veronika Franz & Severin Fiala, Deutschland, Österreich 2024. © Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm

Das Thema Mutterschaft bildet ein Leitmotiv in Des Teufels Bad. Doch Wolf wehrt Anges Avancen schmucklos ab, sodass sie ihrem Ziel nicht näherzukommen vermag. Der Film gewinnt dadurch an Mehrdimensionalität: Agnes scheint sich nicht von ihrer Rolle als Mutter, sondern den unverrückbaren Regeln der Gesellschaft unterworfen zu fühlen. Ebenso anti-plakativ ist, dass der Ehemann Wolf nicht als Antagonist fungiert, sondern sich bis zum Ende Sorgen um Agnes macht, obwohl die beiden keine innige Liebesbeziehung verbindet. Es wird impliziert, dass er mit seinem emotionslosen Naturell in diese Welt passt und den Alltag meistern kann. Dies gilt weder für Agnes noch für die Frau aus der Eingangsszene, deren Schicksale keine Einzelfälle darstellen, wie ein Hinweis im Abspann deutlich macht. Des Teufels Bad basiert lose auf rund 400 Gerichtsakten aus dem 18. Jahrhundert, die ähnliche Fälle dokumentieren.

 

Ein Leben wie ein Korsett

Nach dem bisweilen langwierigen Exposee zu Agnes‘ Lebensumständen nimmt der Film ein wenig Fahrt auf. Zum Beispiel durch einen nächtlichen Tumult, ausgelöst von einem Selbstmord in der Nachbarschaft. Pflichtbewusst werfen Wolf und die anderen Männer die Leiche unbestattet auf einen Acker, statt sie zu begraben. Agnes versucht derweil immer weniger, sich Wolfs Lebensrhythmus anzupassen. Stattdessen streift sie allein durch den Wald und lässt sich selbst, das Haus und den Hof mitsamt den Tieren verkommen. Bei einem Wutausbruch zeigt sie selbstverletzende Tendenzen, indem sie sich mit einem Stock die Zunge blutig kratzt. Das Publikum fühlt regelrecht Agnes’ Kampf gegen das Leben, das sie einsperrt wie ein Korsett, in das sie nicht passt und aus dem sie sich nicht befreien kann. Sie wehrt sich, verliert jedoch und verfällt schließlich immer weiter in Apathie.

Anja Plaschg als Agnes in Des Teufels Bad. Regie Veronika Franz & Severin Fiala, Deutschland, Österreich 2024. © Ulrich Seidl Filmproduktion / Heimatfilm

Des Teufels Bad – von Wolf im Film auch als zeitgenössische Analogie für Depression verwendet – ist kein Film, der das Publikum mit einem guten Gefühl entlässt. Viel mehr regt er zum Nachdenken über den Ausbruch aus religiösen und gesellschaftlichen Normen an, über den Druck sich anzupassen und die Wichtigkeit von mentaler Gesundheit. Gut ist vor allem die Besetzung aus Anja Plaschg (Agnes) und David Scheid (Wolf), denen man ihre Geschichte abnimmt und die als Figuren glaubwürdige Facetten zu bieten haben. Die stärkste Szene zeigt einen mehrminütigen Monolog, den Plaschg als Agnes kurz vor Ende des Films hält.

Nicht gut gelungen ist hingegen die Dramaturgie von Agnes’ Zerbrechen. Für die Umstände wird so viel Zeit eingeräumt, dass ihr Abstieg in die Depression verhältnismäßig schnell abgehandelt wirkt. Ebenso kann das Ende – auch wenn in diesem Text nicht explizit gespoilert – kaum überraschen, wird es doch bereits von einem Zitat im Vorspann vorhergesagt und darüber hinaus von der Protagonistin in allen Details erklärt. Hinzukommt, dass das langsame Tempo des Films, mit dem mehr Wert auf den Aufbau einer glaubwürdigen Welt als auf Handlungselemente legt, dazu führt, dass jeder Handlungsstrang wie eine gerade Linie auf das Finale von Agnes’ Geschichte hindeutet. Wie der Silberne Bär in der Kategorie „Herausragende Künstlerische Leistung“ für Martin Gschlachts Kameraarbeit schon erahnen lässt, bietet Des Teufels Bad optisch dennoch einiges – von nebelverhangenen Bergpanoramen über Seen bis hin zu Aufnahmen scheinbar endloser Waldlandschaften. Die Bilder zeigen eine Idylle, die keine ist.

Alles in allem besticht Des Teufels Bad durch seine starke Besetzung und die historische Handlungsvorlage, lässt es dabei jedoch an Subtilität vermissen, die dem Film, der das Publikum durchaus in das entbehrungsreiche Landleben 1750 mitnimmt, einen filmisch ansprechenden Spannungsbogen hätte geben können.

 

Des Teufels Bad Drehbuch und Regie: Veronika Franz und Severin Fiala, Vertrieb: Playtime, Produktion: Ulrich Seidl Filmproduktion in Kooperation mit Heimatfilm, Köln, Deutschland/ Österreich 2024, Laufzeit: 121 Min.

Datenblatt der 74. Berlinale zum Film