von Thomas Köhler

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23. Juni 2022

Am 15. März 2019 erschoss der Rechtsterrorist Brenton Tarrant in der All-Noor-Moschee im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen. In einem kurz zuvor veröffentlichten „Manifest“ nannte Tarrant die Rechtsterroristen Anders Breivik und Timothy McVeigh als seine politischen Vorbilder, gleichzeitig bezog sich Tarrant vor allem auf die US-amerikanische rechtsradikale „Alt-Right“-Bewegung und ihre Internetkultur – darunter auch das sogenannte „Remove Kebab“-Meme. Mit diesem rechtsradikalen, rassistischen Meme[1] provozieren seit Jahren Spieler:innen von Strategiespielen und leben dabei ihre geschichtsrevisionistischen Fantasien aus. Dies zeigt eine genaue Untersuchung von Online-Foren als digitale Quelle.

Die Geschichte des „Remove Kebab“-Memes geht auf ein Musikvideo zurück, das Mitte der 1990er-Jahre im Kontext des Bosnienkrieges entstand. Song und Video richten sich gegen die kroatische sowie bosnisch-muslimische Bevölkerung des ehemaligen Jugoslawiens. Sie beziehen sich positiv auf den später u. a. aufgrund des Genozids an bosnischen Muslimen in Srebrenica verurteilten ehemaligen Präsidenten der Republik Srpska, Radovan Karadžić. Das Musikvideo verbreitete sich auf verschiedenen Online-Foren und wurde spätestens ab 2010 als “Serbia Strong” oder “Remove Kebab” betitelt und instrumentalisiert.

 

Online-Foren als vorpolitischer Raum für radikale Rechte

Online-Plattformen dienen Vertreter:innen der Alt-Right gerne und häufig zur Verbreitung ihrer Ideologien. Genutzt werden vor allem Plattformen wie „4chan“ oder „reddit“, auf denen eigene Inhalte geteilt werden können. Rund um die Alt Right-Bewegung hat sich in den letzten Jahren eine eigene Internet-Subkultur, mit eigenen „subreddits“, eigenem Slang und eigenen Memes entwickelt. Oft erschließt sich beim Konsum der Memes ihr politischer Inhalt nicht auf den ersten Blick. Vielmehr werden diskriminierende Inhalte unterschwellig in Form von Witzen transportiert – die Foren dienen als vorpolitischer Raum, der die Nutzer:innen für rechte Inhalte empfänglich machen soll.

Manche dieser Memes halten auch Einzug in andere Subkulturen, beispielsweise die der Gamer:innen. So gelang das „Remove Kebab“-Meme aus dem „Alt-Right“-Kontext in die Community der Strategiespiele des schwedischen Entwicklers „Paradox Interactive“. Diese trifft sich mit 200.000 User:innen vor allem auf dem reddit-Forum „r/paradoxplaza“.

 

„Remove Kebab“ im Strategiespiel „Europa Universalis“

Wann genau „Remove Kebab“ seinen Weg in die Paradox-Community fand, ist unklar. Spätestens mit dem Erscheinen des Paradox-Spiels „Europa Universalis IV“ im Jahr 2013 war „Remove Kebab“ eine gängige Phrase innerhalb der Community. „Europa Universalis IV“ ist ein Strategiespiel, in dem Spieler:innen die Kontrolle über einen beliebigen Staat der Frühen Neuzeit übernehmen, um diesen durch Kriege, Diplomatie und Heiratspolitik im Laufe der Jahrzehnte immer mächtiger werden zu lassen. Im Kontext des Spiels bezieht sich „Remove Kebab“ allerdings selten auf den Konflikt zwischen Bosnien und Serbien: Mit „Kebab“ wird das Osmanische Reich identifiziert. „Remove Kebab“ steht hier entweder für die historisch belegte Abwehr des Vorstoßes des Osmanischen Reiches nach Mitteleuropa oder für das endgültige Besiegen und Zerschlagen des Sultanats. Das Gelingen dieses Vorhabens wird mit entsprechenden Screenshots anschließend im Forum geteilt.

 

Ein Spieler hat im Spiel „Europa Universalis IV“ als Serbien die Osmanen besiegt und dies mit Bezugnahme auf das "Remove Kebab"-Meme gepostet. Screenshot aus Reddit. Bild: Thomas Köhler.

 

Warum bieten gerade Paradox-Spiele Andockpotential für Rechte?

Die Strategiespiele des schwedischen Entwicklers und Publishers „Paradox Interactive“ erfreuen sich großer Beliebtheit. „Europa Universalis IV“ bringt täglich etwa 15.000 Spieler:innen an den Bildschirm. Ein vorgegebenes Spielziel hat das Spiel nicht. Vielmehr bietet es eine große Sandbox, in der Spieler:innen alternative Geschichtsverläufe ausprobieren können.

Ausgewählte historische Ereignisse finden in den Spielen durchaus statt, wenn auch oft nicht entsprechend der tatsächlichen historischen Abläufe. Durch die freien Wahlmöglichkeiten erhalten Spieler:innen die Möglichkeit, “Geschichte selbst zu schreiben”. So ist es beispielsweise möglich auch mit der kleinen Reichsstadt Ulm die Kontrolle über Europa zu erlangen.

Doch die um die Paradox-Spiele entstandene Fan- und Meme-Kultur besteht nicht nur aus Strategie- und Geschichtsenthusiast:innen, sondern bietet Andockpotential für radikale Rechte. Das „Remove Kebab“-Meme ist hier nur ein, wenn auch besonders weit verbreitetes Beispiel. Das Spiel bietet die Möglichkeit als weißer europäischer Staat Kriege beziehungsweise Kreuzzüge gegen muslimische Staaten zu führen und afrikanische Kolonien wirtschaftlich auszubeuten. Das erleichtert radikalen Rechten, rassistische Ideologieversatzstücke in Form von Memes zu verbreiten – mit nicht zu unterschätzendem Erfolg. Denn (rechte) Memes dienen der Gamer:innen-Szene rund um „Europa Universalis“ dazu, ein Gruppengefühl zu schaffen. Dabei müssen die Rezipient:innen und Ersteller:innen dieser Memes nicht per se ein rechtsradikales Weltbild vertreten, um über „politisch unkorrekte” Memes lachen zu können. Es reicht oft schon die Zugehörigkeit zur Community, die Kritiker:innen an solchen Memes als „SJW“, also politische korrekte „Social Justice Warrior“, von vornherein aus dem Diskurs versucht auszuschließen.[2]

Kritik, auch an den vermeintlich unpolitischen Nutzer:innen des „Remove Kebab-Memes“, wird häufig abgetan, da der Witz „ja nur ironisch gemeint war“.[3] Andere Gamer:innen verbreiten offen rechtsradikale Thesen, begründen dies allerdings mit der Absicht „Normies zu triggern“[4], also nicht-rechtsradikale Personen zu schockieren und wütend zu machen. Zusammenhänge zwischen dem Verbreiten rechtsradikaler Inhalte und tatsächlicher Gewalt, wie im Fall Brenton Tarrant, aber auch beim Attentäter von Halle, werden gemeinhin geleugnet, wie auch der folgende Screenshot aus einer Diskussion zum Umgang mit „Remove Kebab“ nach dem Anschlag in Neuseeland zeigt:

Reddit-Diskussion nach dem Christchurch-Attentat. Screenshot aus Reddit. Bild: Thomas Köhler

 

Geschichtsrevisionismus – und jetzt?

Die Online-Foren, in denen sich die Fans von „Europa Universalis“ tummeln, gehen ganz unterschiedlich mit der Problematik rechter Vereinnahmung um. Während beispielsweise das Forum des Entwicklers „Paradox Interactive“ die Nutzung von “Remove Kebab” strikt untersagt und mit dem Ausschluss bestraft, wird die Meinungsfreiheit für Rechtsradikale in vielen Ecken des Forums „reddit“ als höchstes Gut bewertet. Es bleibt abzuwarten, wie Publisher, Spieler:innen und die Community weiter reagieren. Positiv anzumerken ist, dass innerhalb des „Paradox-Forums auf „reddit“ offen rechtsradikale Meinungen in vielen Fällen „Downvotes“, also Ablehnung erfahren. „Reddit“ selbst sperrt mittlerweile subreddits, die „hateful speech“[5] verbreiten, allerdings sind die genauen Richtlinien, die zur Sperrung führen, unklar. Wünschenswert wären hier ein eindeutiges Positionieren gegen radikal Rechte Inhalte und ein konsequentes Bannen der Akteur:innen.

 

 


 

[1] Der Begriff „meme“ tauchte zuerst in Richard Dawkins Buch „Das egoistische Gen“ (1976) auf und steht dort für kulturelle Informationen, die sich zwischen Menschen durch Nachahmung verbreiten. Hier noch evolutionstheoretisch gebraucht, werden unter „Meme“ heutzutage kreative Inhalte (oft Bilder, Videos oder Texte) verstanden, die im Internet verbreitet werden. In der Regel sind diese humorvoll, können aber auch satirisch oder gesellschaftskritisch sein. Vgl. Nils Dagsson Moskopp; Christian Heller: Internet-Meme. Kurz & geek, Köln 2013.
[2] Vgl: Jacob Euteneuer; Josiah Meints: It Was Just a Joke. Demagoguery, Humor and Video Game Streaming. In: gamevironments 13 (21.12.2020), S. 359.
[3] Vgl: Veronika Kracher: Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults, Mainz 2020. S. 62.
[4] Vgl: Ebd. S. 60.
[5] Jillian C. York: Reddit banned a pro-Trump subreddit. Here's what that means for hate speech. NBC News. 03.07.2020. URL (Zuletzt aufgerufen am 30.11.2021).