von Nikolai Okunew

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6. Januar 2023

Black Metal aus Norwegen

Heavy Metal ist Extase, ist Rausch, ist performative Härte. Mit Politik haben die meisten Heavy-Metal-Fans und -Bands zumindest als Teil ihrer subkulturellen Identität nichts am Hut. Eine frappante Ausnahme stellt der National Socialist Black Metal (NSBM) dar, ein nicht klar abgrenzbarer, international agierender und offen rechtsextremer Teil der Szene. Hier ist die Szenezugehörigkeit inhärent mit Politik und explizit geschichtsphilosophischen Diskussionen verwoben. In einer Vielzahl an Fanzine-Texten schreiben die Anhänger (größtenteils sind es Männer) nicht nur über Musik, sondern tragen über die Reproduktion rechter Narrative zur Ideologisierung und Stabilisierung der NSBM-Szene bei. Der Untersuchungsgegenstand NSBM ermöglicht einen Blick darauf, wie rechte Geschichtspolitiken in popkulturellen Kontexten Eingang finden, dort tradiert und verbreitet werden. Denn aus dem NSBM bestehen zahlreiche Verbindungen in rechtsterroristische Milieus und die Szene kann auch sonst als Teil der „Neuen Rechten“ verstanden werden. 

Meist wird zwischen zwei Black-Metal-Wellen unterschieden. Eine „first wave“ ab den frühen 1980er Jahren, die von Bands wie Venom, Bathory oder Sodom bestimmt wurde. Die zweite, und im Folgenden zentrale Black-Metal-Welle brandete in den frühen 1990er Jahren in Norwegen auf. In Osloer Vororten formierte sich eine Szene, die sich bewusst dem Revival der ersten Welle verschrieb. Während etwa Venom Satanismus eher spielerisch und zu im Pop nicht unüblichen Schock-Effekten einsetzte, glaubten die jungen Norweger etwas anderes: Venom wurde, wider besseren Wissens, mit quasi-religiöser Bedeutung aufgeladen.[1] Durch diese erfundene Tradition konnte todernster Satanismus bierseligen Humor verdrängen.[2]

Norwegischer Black Metal hatte zunächst ein enges musikalisches Konzept: Bestimmend waren eine rudimentäre Produktionsqualität und Eigenschaften, die nostalgisches Verlangen oder Rauheit (Blast-Beats, Tremolo-Riffs) herstellen sollten. Schon früh findet sich in Texten, Interviews und Album-Covern außerdem eine eklektische Mischung extremer (politischer) Ideologien, wie Satanismus, Stalinismus, Nationalromantik, Nihilismus und Faschismus.[3] Dahinter stand ein ausgeprägter Distinktionswunsch innerhalb der Szene. Dieser hatte den angestrebten Effekt und so blieb der Personenkreis anfänglich stark begrenzt. Später führte die Distinktionsspirale zu einer eskalierenden Gewalt-Dynamik, die Szenegänger selbst legale Hürden missachten ließ: 1992/1993 kam es zu einer Reihe von Gewaltakten, die sich zunächst gegen hölzerne Stabkirchen und dann gegen Menschen richtete. Ein grausiger Höhepunkt war 1993 die Ermordung des Szeneorganisators Euronymous (Mayhem) durch den antisemitischen Musiker Varg Vikernes (Burzum) und die darauffolgende Spaltung der Szene. Ohne die Ereignisse – oder deren Gründe – rekonstruieren zu wollen, soll es im Folgenden darum gehen, wie in der deutschen NSBM-Szene über diese Ereignisse und über Geschichtsverläufe geschrieben wird. Dabei ergeben sich drei zyklische Vorstellungen von Geschichte, die sich teils überlagern und aufeinander verweisen: Eine vom (drohenden) Verlust der Authentizität im Black Metal, die ständig erneuert werden muss, eine zweite mit einer historischen Tiefendimension, die Norwegen als Hort eines vermeintlich besonders ursprünglichen Germanentums sieht und eine dritte esoterisch-kosmologische, nach der Geschichte grundsätzlich zyklisch verläuft.

 

Authentizität durch Transgression

Es gibt wenige Kreise, in denen der Authentizitätsdiskurs so bestimmend ist, wie die Untrue-True-Dichotomie im Heavy Metal. Für den NSBM entfaltet sich diese Diskussion und die damit verbundenen Distinktionseffekte beinahe ausschließlich anhand ideologischer Linien.[4] Als authentisch/true und damit gegenkulturell gilt dort nur, wer kompromisslos „nationalsozialistisch“ ist. Nur so lasse sich die Einheit der Szene der Frühzeit bewahren oder wiederherstellen, deren Geist vor allem die Person Varg Vikernes verkörpere. Selbst der einst ubiquitäre und szenebegründende „Satanismus“ der 1980er und frühen 1990er Jahre wurde vom NSBM nach 1993 zum Vorteil eines völkischen Paganismus entschieden an den Rand gedrängt.[5]

Eine typische und einflussreiche Szene-Erzählung, die szeneinterne Distinktionskämpfe und Essentialismus verrührt, liefert das Buch Lords of Chaos.[6] Das vom Musiker Michael Moynihan und dem Musik-Journalisten Didrik Søderlind 1998 veröffentlichte Werk erschien bis heute in dutzenden Auflagen und wurde auch von Wissenschaftler*innen rezipiert. Die breite Rezeption verwundert, auch weil Moynihan selbst einem völkischem Rechtsextremismus mit intellektuellem Duktus zuzuordnen ist.[7] Das vielschichtige Lords of Chaos hat einen klaren neurechten Spin und stellt gewissermaßen ein Master-Narrativ für die NSBM-Szene bereit.[8] Dieses ist relativ simpel: Black Metal sei als radikale Grenzüberschreitung entworfen worden. Die mediale Aufmerksamkeit habe dann Externe in die Szene gespült, die die Ideologie verwässert und die Musik, vor allem durch den Einsatz von Keyboards, massenkompatibel gemacht hätten. Dies habe aus Gründen der Distinktion zu einer weiteren Radikalisierung von Teilen der Szene hin zu Gewaltakten und der Übernahme faschistischer Ideologien geführt. Faschismus sei eben, anders als vorherige Transgressionen, nicht vermarktbar gewesen. In diesem Prozess habe, so Moynihan, der Mörder Varg Vikernes – so etwas wie der Urvater des NSBM[9] – Verbindungen zu älteren Jung‘schen Archetypen hergestellt. Auf der Suche nach extremer Ursprünglichkeit sei Vikernes zu einem heidnischen Unbewussten vorgestoßen, das unter der Patina der („artfremden“) judeo-christlichen Religion schlummerte.[10] Moynihan erzählt also eine schwülstige und ziemlich wirre Geschichte einer Szene, die über den Wunsch, sich nicht vermarkten zu lassen den Geist ihrer Ahnen wiederfand. Wahrscheinlicher handelte es sich jedoch um das Abdriften eines Teils der Black-Metal-Szene in die extreme Rechte als Ergebnis popkulturell motivierter Obsession mit der Vorstellung von Authentizität. Schnell führte dieser Prozess zur Verfestigung und Radikalisierung von bereits kursierenden rassistischen und faschistischen Ideen. Unterstützend wirken, vor allem im deutschen Kontext, Vorstellungen über eine heidnische „germanische“ Urzeit.

 

„BURZUM war der Versuch, eine imaginäre Vergangenheit zu schaffen“ (Die Regeneration des Heidentums über Umwege)

Norwegen war schon lange ein Sehnsuchtsort: Seit 500 Jahren blicken von Deutschland aus, Denker nostalgisch über die Ostsee und hoffen, dort ein ursprüngliches „Germanentum“ zu entdecken. Über verschiedene diskursive Schritte, wie etwa die (falsche) Gleichsetzung germanisch = deutsch und die Verknüpfung von Tacitus‘ Germania mit der in Island verfassten Edda, zweier Texte also, die in einem zeitlichen Abstand von 1000 Jahren und einem räumlichen von 3000 Kilometern geschrieben wurden, verband man die deutsche und die skandinavische Vergangenheit. Ab 1918 betrachteten die kulturpessimistischen und zunehmend esoterisch denkenden „Germantiker“ diese Vergangenheit als Ausgangspunkt für eine Erneuerungsbewegung.[11] Die teils über 100 Jahre alten pseudowissenschaftlichen Bücher aus dem Dunstkreis der Germanentümler finden sich ab den 1990er Jahren häufig auf Leselisten der NSBM-Szene.[12]

Die deutsche Black-Metal-Szene nahm in ihrer Rezeption des norwegischen Black Metal diese erfundene Tradition – die in Deutschland bereits selbst Tradition hatte – auf. Zentral war stets der Gedanke, dass Norwegen besonders spät christianisiert wurde, dass also das heidnische Gedächtnis dort am lebendigsten sei und die in Norwegen einstmals zelebrierte Religion die Religion aller „Germanen“,[13] vielleicht sogar aller (Indo-)Europäer*innen war.[14] Schnell folgt eine Gleichsetzung von Kultur/Religion mit Blut/Rasse und die Überzeugung, dass das Christentum den Europäer*innen eben „artfremd” sei.[15] Über diese Germantümelei konnten sich deutsche Szene-Gänger den Norwegern nahe und durch weitere „anti-christliche“ Taten authentisch fühlen. So kam es in den 1990er Jahren besonders in den Neuen Bundesländern immer wieder zu Friedhofs- und Kirchenschändungen, die offensichtlich von Berichten über norwegische Black-Metal-Bands inspiriert waren.[16] 

Kapelle in Leipzig-Lindenau, die im Frühjahr 1996 von Black-Metal-Fans beschmiert wurde. Im gleichen Bericht ist von 10 weiteren Vorfällen dieser Art und Schäden in Millionenhöhe die Rede, aus: Jan Peter: Gefährliche Satanisten (WIR: Das MDR-Magazin, 96/10). MDR, 07.05.1996.

 

Zur Begründung einer okkult-germanischen Geschichtsphilosophie reichte das Heranziehen von Edda und Germania offensichtlich nicht aus: Als Ergänzung zogen in die Szene-Diskurse schnell Texte von esoterischen Hitler-Verehrer*innen wie Savitri Devi ein.[17] Dies ermöglicht, die Lücken in der historischen Überlieferung durch Bezüge auf eine vermeintlich einheitliche indogermanische Religion – die heute noch in Resten in Indien zu finden ist – und andere mythologische Versatzstücke zu verbinden. Der indo-arische Mystizismus führt ebenso schnell wie folgenreich zu verschrobenen Vorstellungen über „Herrenmenschen“,[18] Hitler als Wiedergeburt der indischen Gottheit Vishnu und einer grundsätzlich zyklisch verlaufenden Geschichte.[19]

 

Geschichte als ständige Wiederkehr

Die einzelnen Ideologeme sind in der Szene äußerst divers und meist nicht besonders ausformuliert. Im Gegenteil, in NSBM-Fanzines finden sich auch Texte über den Katharer, Rosenkreuzer, rechte Ökologie, außerirdische Götter oder eine planetare anti-semitische Gegenverschwörung zur metaphysischen Grundlage einer rassistischen Pop-Ideologie.[20] Der mythische Kontinent Atlantis ist in mancher Hinsicht paradigmatisch für diese völkische Esoterik. Es ist die Urheimat und Sitz der „arischen Rasse“. Es verbindet die (fehlende) Urgeschichte der „Germanen“ mit der griechischen Antike, stillt die Sehnsucht nach einer stabilen Vorgeschichte zur Gegenwart und erzählt gleichzeitig von der Urkatastrophe, die sich in rassistischen Wahnvorstellungen stets zu wiederholen droht: Dem Verlust der (Ur-)Heimat und die Zerstreuung seiner Bewohner*innen. Gleichzeitig offenbart sich im zweiten Teil dieser Erzählung – der Gründung aller Hochkulturen durch die atlantischen Migranten – die andere Seite einer zyklischen Geschichtsvorstellung, nämlich das Heraustreten vermeintlicher Konstanten aus dem Kreislauf: Die sich stets neu verwirklichenden unterschiedlichen „Menschen-Rassen“.[21]

 

Schluss

Zusammenfassend lassen sich in der NSBM-Szene Parallelen zu dem beobachten, was Timothy Snyder „politics of eternity“ nannte.[22] Das Ende der Alternativlosigkeit – in Osteuropa durch den Zusammenbruch des Sozialismus und im Westen durch das Ende der Globalisierungseuphorie – habe laut Snyder zu schweren Krisen geführt, an deren Ende eine Re-Territorialisierung des Politischen und einer Sehnsucht nach vermeintlich ewigen Größen stand. Wie gezeigt, besteht im NSBM diese enge Verbindung zwischen nostalgischem Denken über Raum und Zeit und völkischen Nationalismus schon in den 1990er Jahren.

Im Gegensatz zur breiten Heavy-Metal-Szene steht die sich tiefsinnig gebende NSBM-Szene, welche die Betonung der Innerweltlichkeit der Black-Metal-Szene durch die Rezeption und Verbreitung esoterischer Texte noch steigerte. Insofern stellen diese mit nicht wenig Aufwand betriebenen pseudo-intellektuellen Schwurbeleien durchaus auch popkulturelle Distinktions-Praktiken dar. Sie sind Teil der Arbeit am Selbst, die durch die Besessenheit mit vermeintlicher Ursprünglichkeit und Radikalität in ideologische Abgründe führt.

 


[1] Florian Walch, „Was niemals war“. Das Selbstbewusstsein des Norwegischen Black Metal als Konstruktion einer Vergangenheit und Konstitution einer Klanglichkeit, in: Sarah Chaker u.a. (Hg.), Analyzing Black Metal - Transdisziplinäre Annäherungen an ein düsteres Phänomen der Musikkultur (= Studien zur Popularmusik), Bielefeld 20171, S. 109, hier S. 112.
[2] Marco Swiniartzki, Szene-Eliten. Selbststilisierung, soziale Praxis und postmoderne Ästhetisierung am Beispiel des norwegischen Black Metals, in: Archiv für Sozialgeschichte 61. 2021, S. 445–469, hier S. 450.
[3] Manuel Trummer, Rechtsextremismus und Black Metal, in: Ministerium des Innern des Landes Brandenburg (Hg.), Kultur des Hasses. Extremisten und Musik 2011, S. 45–56, hier 48f.
[4] Roman Seidl, Ideologie im Black Metal. Eine psychologische Analyse zu Neuheidentum und rechtsextremer Gesinnung, Saarbrücken 2008, S. 114.
[5] Empress Ajataa, [Interview mit Hendrik Möbus], in: Darkness o. Jg. 1997, S. 29–31, hier S. 29–31; Frank, THEMA: Black Metal und Politik. [Leserbrief], in: Legacy 4. 2003, 126f, hier 126f.
[6] Michael Moynihan u. Didrik Søderlind, Lords of chaos. The bloody rise of the Satanic metal underground, Venice, CA 19981.
[7] Stefanie von Schnurbein, "Nordische Kunstreligion". Ein Paradigma zum Verständnis von populären Rezeptionsphänomenen, in: Niels Penke u. Matthias Teichert (Hg.), Zwischen Germanomanie und Antisemitismus. Transformationen altnordischer Mythologie in den Metal-Subkulturen (= Interdisziplinäre Antisemitismusforschung, Band 4), Baden-Baden 20161, S. 39–57, hier 51f Vgl. Nicholas Goodrick-Clarke, Black sun. Aryan cults, esoteric Nazism and the politics of identity, New York NY u.a. 2002, S. 205.
[8] Volkmar Weber, Black Metal. Globale Standpunkte, in: Legacy 3. 2002, 17; 19, hier 17; 19.
[9] Sebastian Hornung, Medial inszenierte Misanthropie und Kulturpessimismus. Eine systematische Betrachtung der Black-Metal-Szene und Optionen medienpädagogischen Handelns, Berlin-Münster-Wien-Zürich-London 2016, 75f.
[10] Kevin Coogan, How Black is Black Metal. Michael Moynihan, Lords of Chaos and the "Countercultural Fascist" Underground, in: Hit List 1. 1999, S. 33–49.
[11] Julia Zernack, Germanische Altertumskunde, Skandinavistik und Religiösität, in: Stefanie von Schnurbein u. Justus H. Ulbricht (Hg.), Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe "arteigener" Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende, Würzburg 2001, S. 227–253, hier S. 227.
[12] O. A, Ariosophy. Te Fifth Root Race, in: Dark Imperium o. Jg. o. J., S. 9–11.
[13] Vgl. Florian Heesch, Nordisch-Germanisch-Deutsch? Zur Mythenrezeption im Heavy Metal, in: Dietrich Helms u. Thomas Phleps (Hg.), Typisch Deutsch. (Eigen- )sichten auf populäre musik in diesem unserem Land (= Beiträge zur Popularmusikforschung) 2014, S. 127–152, hier S. 147.
[14] Varg Vikernes, Sorcery and religion in ancient Scandinavia, London 2011, S. 6.
[15] O. A, Welcome to Pagankrieg #1!, in: Pagankrieg 1. 2004, S. 2. Vgl. Stefanie von Schnurbein, Transformationen völkischer Religiösität seit 1945, in: Stefanie von Schnurbein u. Justus H. Ulbricht (Hg.), Völkische Religion und Krisen der Moderne. Entwürfe "arteigener" Glaubenssysteme seit der Jahrhundertwende, Würzburg 2001, S. 409–429, hier S. 417–429.
[16] Peter, Jan: Teufelsanbeter. Gefahr durch Satanisten. Unter Mitarbeit von Marco Thoss (WIR: Das innenpolitische Magazin, 95/01). MDR, 10.01.1995; Ulrich, Adama; Hermann, Winfried: Kinder der Nacht. Satanskult in Brandenburg. ORB, 22.05.1997.
[17] GORW, [Rezension zu] Das Goldene Band: Esoterischer Hitlerismus - Miguel Serrano, in: Blutvergießen o. Jg. 2005, 28f.
[18] Varg Vikernes, Gespräch mit Varg Vikernes von Burzum, in: Blutvergießen o. Jg. 2005, S. 22–27.
[19] Vgl. Hendrik Möbus, The Black Order, in: 1995, S. 36–37, hier S. 36.
[20] Vgl. Nicholas Goodrick-Clarke, Hitler's priestess. Savitri Devi, the Hindu-Aryan myth, and neo-Nazism, New York 1998, 221f.
[21] Timo Kölling, Stefan Georges letztes Lied, in: Renovatio Imperii 3. 2002, S. 3–9, hier S. 3.
[22] Timothy Snyder, The road to unfreedom. Russia, Europe, America, New York, NY 2018, S. 123–125.