von Günter Agde

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1. Juli 2004

Die Variante als filmische Lösung

Setzt man Stauffenbergs Person und Leben als historisch-dokumentarisches „Rohmaterial“, so ist seine individuelle Geschichte mit der Exekution des Protagonisten vor dem Sandhaufen im Hof des Bendlerblocks zu Ende erzählt.

Über die letzten Sekunden des Endes gibt es zwei historische Überlieferungen. Einmal: Stauf-fenberg sei erschossen worden, als die Reihe an ihn kam. Die andere: Sein Adjutant Oberleut-nant Werner von Haeften sei vor Stauffenberg in die Schusslinie gesprungen (wie um die töd-lichen Schüsse aufzufangen) und getötet worden, erst danach sei Stauffenberg erschossen worden. 

Der Spielfilm „Stauffenberg“ von Jo Baier (2004) verwendet beide Varianten: Ganz zu An-fang zeigt der Film die Exekution Stauffenbergs. Am Schluss des Films wird dann die Szene exakt wiederholt – nun jedoch mit dem Sprung Haeftens: von der linken unteren Bildecke im halbkreisförmigen Bogen nach rechts, quer durchs Bild und quer durch den Kamerablick. Der Sprung wird zeitlich verlangsamt: Der heftige, rasante physische Ablauf wird extrem verzö-gert (fast in Zeitlupe), ohne jeden Ton; und dieses Tonlose ist hörbar, weil die Szene abrupt und übergangslos ausgeschnitten wurde und vor und nach Haeftens Sprung viele Geräusche, Lärm und Stimmen die Vorgänge im Hof dominieren.

Mit diesen beiden szenischen Versionen des Schlusses modelliert der Film eine (wohl niemals mehr zu bereinigende) Unschärfe der historischen Überlieferung zu einem bemerkenswerten szenischen Vorgang. Die Unsicherheit der historischen Überlieferung wird entschlossen und effektvoll zu einem filmischen Bild verarbeitet.

Dabei bleibt unerheblich, welches wirklich die letzten Worte Stauffenbergs waren: „Es lebe das heilige...“ oder „... unser heiliges Deutschland!“. Der Film verwendet die Version von „unserem heiligen Deutschland“ und damit die stärker pathetische Formulierung auch als Brückenschlag ins Heute.[1]

Diese filmische Gestaltung des Vorgangs bietet einen modernen Ausweg aus dem Dilemma an, das sich immer wieder einstellt, wenn historisch exakte, dokumentarisch gesicherte Vor-gänge in ein anderes Medium transformiert werden. (Die Filmgeschichte hält dafür Beispiele en masse parat.)

Nur wenig später zeigt der Film in einer (frei fabulierten, sprich: mit Dokumenten aus dem Leben Stauffenbergs nicht belegten) Szene, wie sein Freund Henning von Tresckow ihn mit einer jungen (offenbar gefangenen) Russin konfrontiert. Im rasanten Staccato-Monolog, untersetzt mit einem privaten Schwarzweiß-Foto, berichtet sie von schrecklichen Gräueltaten der NS-Besatzer gegenüber ihrer Familie und ihrem Dorf 1942 in Weißrussland. Regisseur Jo Baier lässt die Darstellerin russisch sprechen, ohne ihren Text ins Deutsche zu übersetzen. Das zwingt sie zu verstärkter Gestik und Mimik und hat weitere Emotionalisierung zur Folge. Den beiden Männern bleibt nur, ihre Auskünfte stumm und aufmerksam entgegenzunehmen.

Mit dieser filmischen Adaption des klassischen Botenberichts aus der antiken Tragödie (der Überbringer gilt nichts, die Botschaft alles) wird ein weiterer Erkenntnisschritt Stauffenbergs in seiner Entwicklung zum Hitlergegner hin installiert. Auch wenn diese dramaturgische Erfindung uralt ist und im Baier-Film szenisch dünn bleibt, weil sie im Kern statuarisch angelegt ist, hilft sie doch bei der Visualisierung der inneren Reifung des Protagonisten: Dr sehr lange formatfüllende Blick Stauffenbergs auf die Frau signalisiert deutliche Kenntnisnahme. Tresckows Verhältnis zu der Frau wird nicht mitgeteilt und muss auch nicht mitgeteilt werden – es zählt nur die Funktion der Szene: die Wirkung des Berichteten auf den Helden.

Der Szene folgt ein Monolog Stauffenbergs im Off als Brief an seine Frau Nina (musikalisch unterlegt und damit emotional potenziert), in dem er versucht, das vorher Geschehene und andere Erlebnisse zu formulieren und sich zugleich im Vorgang des Schreibens (Sprechens) innerlich selbst zu verständigen.

Spätestens hier wird deutlich, dass nicht allein eine kausale Abfolge von Szenen den Charak-ter dieses Films ausmacht, sondern die Korrespondenz von Szenen (Botschaften, Sinngebungen) untereinander.

 

Heldenerzählung für Film und Buch

Die Besonderheit dieses Films liegt in seiner dramaturgischen Technik der strikten Heldenerzählung, die als legitime Form szenischer Gestaltung einer historischen Persönlichkeit gelten kann. Folglich begnügt sich der Film mit dem Namen des Helden als Titel.

Alle Szenen und Figuren des Films sind konsequent auf den Protagonisten – und ausschließlich auf ihn – zugemessen (das gilt auch für die Lokalisierung und Datierung, die als Schrift zu Beginn jeder Szene ins Bild eingeblendet werden). Es gibt keine Szene ohne Stauffenberg. Autor/Regisseur Jo Baier hat alles „Beiwerk“, das – außerhalb Stauffenbergs – historisch noch zum Verständnis des 20. Juli gehört, weggeschnitten oder auf solche Szenen transportiert, in denen Stauffenberg agiert. Stauffenberg ist Held, Motor, Bezugsfigur, Anreger, ein Handelnder sui generis. Außerdem: Seine Szenen sind in sich transitiv gebaut – alle szenischen Elemente werden auf Stauffenbergs Aktionismus zentriert und auf seine dramaturgische Funktion als Held. Damit installiert Baier zudem die kathartische Komponente seines Films, nicht zufällig auch sieht er Stauffenberg als Vorbild.[2]

Baier nutzt mit diesem dramaturgischen Zugriff gestalterische Erfahrungen, die die darstellenden Künste, insbesondere Film und Fernsehen, entwickelt haben, um komplexe historische Vorgänge für die modernen Medien aufzubereiten und um sie innerhalb der Genre-Koordinaten fassen zu können.[3]Lässt man sich auf diese Erzählweise Baiers ein, so kann man den Film als Vorschlag einer modernen Heldenerzählung akzeptieren.

Diverse szenische Erfindungen des Films, die sich aus der dramaturgischen Grundsatzentscheidung für einen zentralen Helden ergaben, haben den geharnischten Protest des Historikers Peter Hoffmann hervorgerufen, des wohl profundesten Kenners der Stauffenberg-Bio-graphie (er war auch – eine zeitlang mindestens – wissenschaftlicher Berater des Baier-Projektes). Er beklagt das Fehlen diverser Details der Biographie Stauffenbergs (die er auch öffentlich auflistet) und moniert vor allem „erfundene“ Szenen, gar Schlüsselszenen, für die es in der Biographie Stauffenbergs keine Belege gebe.

Hoffmann verkennt in seiner Kritik die Eigengesetzlichkeiten und Erfordernisse des künstlerischen Genres Spielfilm, das anderen Reglements folgt und folgen muss als eine Text-Biographie.[4]Vor allem übersieht er die besondere Struktur dieses Films.

Die Produzentin des „Stauffenberg“-Films Gabriela Sperl hält ihm namens der Filmemacher gerade die Eigenheiten des Genres Spielfilm entgegen. Und sie benennt das szenaristische und inszenatorische Instrumentarium des Filmteams, wenn sie von „verdichten“ und „erfinden“ schreibt und auf ihre Absicht verweist, „in großer Dichte Emotionen herzustellen“.[5]Baier hatte schon vor der Sendung angekündigt, „Stauffenberg von d[ies]em Heldensockel herunterzuheben und ihn zum Menschen zu machen“ bzw. „aus einem Militär einen Menschen zu machen“ und hatte sein Stauffenberg-Filmbild als Psychogramm charakterisiert.[6]

Beide Positionen nehmen die Spezifik ihres Genres in Anspruch, und dies jeweils zu Recht. Eine Polemik zwischen ihnen ist töricht und der Sache nicht angemessen.

 

Vom Theater-Stauffenberg zum Film-Stauffenberg

Der Konflikt zwischen Künstlern und Sachverständigen (Historikern, Zeitzeugen etc.) bei der Gestaltung von historisch-dokumentarischen Überlieferungen, Vorgängen und Figuren ist sehr alt. (Schon die Klassiker hatten mit Schillers „Wallenstein“ und „Wilhelm Tell“, mit Kleists „Prinz von Homburg“ und anderen Stücken damit zu tun.) Die ästhetischen Eigengesetzlichkeiten des Theaters setzen auf Stilisierung und die dramaturgische Binnenstruktur des Dramas. Die Authentizität des Geschehens wird durch die Gattung geprägt und angepasst. Im Falle der einzigen Theaterversion des Stauffenberg-Stoffes, in David Sternbachs „Stauffenberg heute – Wege aus der Ohnmacht“ (Uraufführung 30. Mai 2004, Regie Klemens J. Brysch)[7], setzen Autor und Regisseur durchgehend auf verfremdende Mittel: rotlederne Augenklappe und ebensolche Handschuhe Stauffenbergs, weiße Uniformjacken für die Attentäter – grau-olivene für deren Gegner, mit Fortgang der Handlung zunehmend oratorisch-musikalische Einlagen eines anonymen Chores (der zudem noch mit Stabmasken agiert). Schon Brecht hatte für seine Theateradaption von Hitler, Göring, Goebbels und Himmler die extreme Stilisierung des Clownspiels eingesetzt.[8]

Die Felderweiterung, die die darstellenden Künste vom Schauspieltheater zum Medium Film vollzogen, hat an der Substanz des Konflikts zwischen Authentizität und medialer Formung nichts geändert.[9]Die Transformation hat eher die Heftigkeit der Debatten gesteigert. Und der Schritt ins Fernsehen bedeutete nur eine Verlagerung der Debatte in eine noch größere Öffentlichkeit, mehr nicht.

Freilich setzten Film und Fernsehen infolge der Eigentümlichkeit ihres Abbildungscharakters – mehr als das Schauspieltheater – auf Authentizität (vor allem bei Dekorationen, Uniformen, Requisiten etc.). Das Kriterium der Nachprüfbarkeit erfuhr durch sie erhebliche außerkünstlerische Relevanz. Hier liegt denn auch der mediale Ansatz, Auszüge aus zeitgenössischen NS-Wochenschauen zur Bestärkung der Glaubwürdigkeit hinzuzuziehen.

Zugleich fordern die enormen gestalterischen Mittel, die die modernen elektronischen Medien fortlaufend neu zur Verfügung stellen, zur Gestaltung historischer Stoffe geradezu heraus. Mediale Mischformen wie szenische Dokumentationen, Dokumentarspiele und computerisierte Animationstechniken[10]markieren eine quasi endlose formale Flexibilisierung, aber keine glaubwürdige Beilegung des Konflikts.

Was der Historiker als langen Erkenntnisweg Stauffenbergs (oder eines anderen historisch überlieferten Protagonisten) minutiös beschreiben und mit Fakten belegen kann, muss der Filmemacher visualisieren, in konkrete, lebendige Figuren und Handlungen übersetzen, also personalisieren und verbal komprimieren.

Dieser Konflikt wird bestehen bleiben, sooft historische Fakten aus der historiographischen Beschreibung in ein anderes Genre übertragen werden. Dabei werden Details – etwa die Mentalitäten der Beteiligten, der historische Stoff und dessen Personal, die Genres, die medi-ale Platzierung (Multiplex- oder Programmkino, Sendeplätze) – stets variieren, mehr nicht, wie auch jüngste Vorschläge zu diesem Thema beweisen, etwa der Film von Margarethe von Trotta „Rosenstraße“ und das Theaterstück „Demokratie“ des Engländers Michael Frayn über Günter Guillaume und Willy Brandt.

 

Das frühe Filmmodell und seine Nachfolger

Die überhaupt erste Spielfilm-Version von Ereignissen um den 20. Juli 1944 bietet der österreichische Streifen „Das andere Leben“ (1948, Buch Alfred Ibach nach der Novelle „Der 20. Juli“ von Alexander Lernet-Holenia, Regie Rudolf Steinböck). Novelle und Film gehen insofern strikt verfremdend vor, als sie eine Geschichte fabulieren, deren Personal sich von den historisch-authentischen Figuren loslöst und im symbolhaften Fabelkonstrukt den Konflikt des Attentatsversuchs zwischen Eid und Einsicht, Menschlichkeit und Barbarei, Ehre und Verbrechen abspiegelt. Eine künstlerische Gestaltung Stauffenbergs oder Reflektionen auf seine Persönlichkeit waren nicht beabsichtigt und sind nicht erkennbar. Möglicherweise haben Rücksichten auf die Alliierten, die Österreich damals noch besetzt hielten, auf Fabelmomente und Produktionsumstände des Films eingewirkt. Lernet-Holenias Novelle fand über Sammelbände seiner Werke einen – freilich wenig beachteten Eingang in die deutsche Öffentlichkeit.

Stoff-Zugriff und Struktur dieses Films boten ein frühes Modell an, die Ereignisse des 20. Juli 1944 und deren Protagonisten zu medialisieren: Die Ereignisse (oder Teile davon) oder einzelne ihrer Handlungsträger werden dramaturgisch mit einer frei erfundenen Fabel verbunden, die per se nichts oder nur wenig mit dem Attentatsversuch selbst zu tun hat. In die Kunstwelt einer kinowirksamen Fabel werden historische (authentische) Accessoires montiert und damit verortet. Die Chance dieses Modells besteht darin, dem historischen Vorgang via Kino eine größere Öffentlichkeit zu verschaffen.

Nachfolgende Filme haben diese Technik weiterentwickelt. Die Verfilmung des Romans „Aufstand der Offiziere“ (1962) von Hans-Hellmuth Kirst ermöglichte es, den Stoff und seine Hintergründe mit eben dieser Technik zu internationalisieren: Die britisch-französische Großproduktion „Die Nacht der Generale“ (1966, Regie Anatol Litvak) multiplizierte den Stoff ins internationale Kino und für ein außer-deutsches Publikum (in Überlänge und mit zahlreichen Stars besetzt). Mit der Schauspieltheater-Version des Kirst-Romans 1966 an der Volks-bühne Berlin (West) setzte Erwin Piscator (als Autor und Regisseur) sein Konzept eines modernen politischen Theaters fort, wie er es vor allem mit seinen Inszenierungen „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth (1963) und „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ von Heinar Kipphardt (1965) realisiert hatte.

Parallel entwickelte sich eine Filmform, die geeignet ist, das Thema und seine flexible Verknüpfung mit dem 20. Juli 1944 effektvoll und zuschauerträchtig weiterzuführen so, wie es der österreichische Film eröffnet hatte. Dafür wurden dramaturgische Mittel des Kriminalfilms adaptiert, wie bei „Des Teufels General“ (1954, Regie: Helmut Käutner, der das gleichnamige Theaterstück von Carl Zuckmayer nach der ersten Fassung 1946, gleich nach Zuckmayers Rückkehr aus dem Exil, für den Film aufbereitete)[11]oder bei „Canaris“ (1954, Regie: Alfred Weidenmann). Beide Filme betonen mediale Komponenten (vor allem die Binnenökonomie des Filmablaufs) und die Dramaturgie des Kriminalspiels und setzen die Ablösung von den tatsächlichen Vorgängen des 20. Juli 1944 fort. In Promotion und Rezeption beider Filme wurde auf Admiral Wilhelm Canaris, den Leiter des Amtes Abwehr im OKW, als historisch-authentische Figur verwiesen und bei Zuckmayers Hauptfigur Harras auf dessen historisches Vorbild, den Luftwaffengeneral Ernst Udet. So wurde in einem gängigen, zuschauer-wirksamen Genre die Verbindung zwischen fabulierter Geschichte und historischer Authentizität sublimiert.

 

Der 20. Juli 1944 als Konkurrenzobjekt

Die offensiv-direkten (bundes)deutschen Spielfilm-Annäherungen an den 20. Juli und an Stauffenberg begannen mit einem Doppel-Filmpaket 10 Jahre nach dem Attentatsversuch. Im Abstand von nur zwei Tagen wurden im Juni 1955 die Kinofilme „Es geschah am 20. Juli“ (Regie Georg Wilhelm Pabst) und „Der 20. Juli“ (Regie Falk Harnack) gestartet. Beide Filme thematisierten den Widerstand gegen das NS-Regime und fokussierten ihre Story um den Attentatsversuch Stauffenbergs.

Pabst blieb streng beim Personal der Militärs um Stauffenberg und rekonstruierte den Tag von Mitternacht zu Mitternacht. Harnack jedoch suchte nach einem erweiterten Widerstands-Verständnis, indem er antifaschistische Aktionen außerhalb der Militärs in die Filmfabel einbezog.

In sein Konzept flossen deutlich eigene Erlebnisse und die Erfahrungen seines Co-Autors Günther Weisenborn ein, der selbst aktiv am antifaschistischen Widerstand beteiligt war.[12]

Sofort nach Bekanntgabe der Projekte wurde um beide Filmen bundesweit öffentlich heftig polemisiert: Die Fachberater beider Projekte – vor allem Angehörige der Protagonisten und Überlebende des 20. Juli – stritten zunächst intern (noch während der Arbeit an den Dreh-büchern, bei Besetzungsfragen und bei der Auswahl von Drehorten)[13]und dann öffentlich (nach Bekanntwerden von Drehreportagen, Werkfotos u.ä.) um Wahrheit und Authentizität und um die filmische Darstellbarkeit jener Vorgänge überhaupt.[14]Es fehlte auch nicht an Versuchen von Beteiligten, noch vor den Uraufführungen Einfluss auf bereits abgedrehte und geschnittene, aber noch nicht endgefertigte Szenen zu nehmen.[15]

Die Querelen wurden zudem von der zeitlichen Nähe zu den historischen Ereignissen und von der noch ungenügend sachlichen, wenig historisierenden Sicht auf die Attentäter eingefärbt, die im öffentlichen Bewusstsein jener Zeit eher als Eidbrecher und Vaterlandsverräter galten denn als Widerstandskämpfer.[16]

Der öffentlichkeitswirksame, erbarmungslose Wettbewerb zwischen den Produktionsfirmen der beiden Filme um Start-Termin und massiven Kinoeinsatz überdeckte schließlich diese Auseinandersetzungen.[17]Die Pabst-Produktionsfirma Ariston setzte 180 Kopien ein, die Harnack-Produktionsfirma CCC (Arthur Brauner) 200 Kopien. Das üble Gezerre zweier konkurrierender Firmen um Zuschauerplatzierung (und Kinoerlöse) schadete dem – der Sache nach ehrenvollen Anliegen, denn beide bundesdeutsche Spielfilm-Adaptionen des 20. Juli bedeuteten im Grunde einen wichtigen Schritt zur öffentlichen Rehabilitierung der Attentäter und zu deren Nobilitierung durch „Erhebung zur Kunst“.[18]

Die seinerzeitigen Rangeleien sind mittlerweile von den Filmen abgefallen und zu filmhistorischen Anekdoten geronnen, wenngleich sie als zeithistorische Indizien etwas über den damaligen Stand der öffentlichen Rezeption des 20. Juli aussagen können. Beide Filme gelten heute als sehr früh produzierte, daher wichtige Vorschläge, den 20. Juli 1944 im Spielfilm zu gestalten. Gleichwohl stellen sie Dokumente ihrer Entstehungszeit dar. Man wird ihnen – und auch den anderen Filmen – wohl am besten gerecht, wenn man sie allen filmischen Vorschlägen zuordnet, die – jenseits des 20. Juli 1944 – den Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf ihre Weise gestaltet haben, und zwar – bei aller notwendigen Differenzierung – in der Spielfilm- und Fernsehproduktion der BRD und der DDR.

 

Vom Wert des Originals: Dokumentarfilmmaterial und Zeitzeugenaussagen

Keiner der genannten Spielfilme kommt ohne originales NS-Dokumentarfilmmaterial aus: Sequenzen aus zeitgenössischen NS-Wochenschauen werden meist zu Anfang des Films ein-gesetzt. (Die Filme verzichten jedoch auf die beiden Sequenzen der „Deutschen Wochen-schau“ Nr. 725 / Nr. 32 / 1944 und Nr. 726 / Nr. 33 / 1944, die einzigen, die den Attentatsversuch aus der Sicht des NS-Regimes thematisierten.) Die sehr kurz geschnittenen Auszüge aus zeitgleichen oder -nahen Wochenschauen demonstrieren Krieg und Zerstörung und damit das historische Umfeld. Die Wochenschau-Ausschnitte, obwohl propagandistische Selbstdarstellungen des NS-Regimes, tragen eine hochgradige Authentizität in die Spielfilme hinein, die die Spielhandlung selbst so nicht erreichen kann, diese jedoch stützen soll. Das Schwarzweiß des Materials und die Körnigkeit der Filmemulsion beglaubigen den Charakter der Authentizität (was bei den kontrastierenden Montagen in den Farbfilmen besonders auffällt.) Auch die O-Töne des NS-Rundfunks, vor allem Hitlers Ansprache am späten Abend des 20. Juli 1944, werden als dokumentarisches Beweismittel verwendet und akzeptiert.

Exkurs:

Von den Prozessen gegen die Attentäter des 20. Juli 1944 vor dem sog. Volksgerichthof unter Vorsitz von Roland Freisler wurden Dokumentarfilmaufnahmen von Kameramännern der Deutschen Wochenschau GmbH, einer reichseigenen Firma, gedreht, die per Dienstauftrag des Reichsfilmintendanten Hans Hinkel dahin abkommandiert worden waren. Diese Sequenzen dokumentieren die Attentäter und ihr mutiges Auftreten in Bild und Ton.[19]Sie waren für die NS-Wochenschauen vorgesehen, sind jedoch nicht darin aufgenommen worden und wurden sekretiert. Die Prozess-Filmmaterialien wurden vielfach in Dokumentarfilmen über den Attentatsversuch oder über einzelne Protagonisten weiterverarbeitet.[20]Erstmals hat der Dokumentarfilm „Geheime Reichssache“ (1979, Regie: Jochen Bauer, Text Karl-Heinz Janssen, Produktion Bengt von zur Mühlen, SW, 103 min.)[21]größere Teile dieses Materials verwendet (und mittels moderner Technik die schlechte Tonqualität der Aufnahmen dauerhaft korrigiert).[22]

Auch die Hinrichtung der zum Tode Verurteilten des ersten Prozesses wurde gedreht, wieder auf Weisung von Hinkel, der in Plötzensee anwesend war. Die Kameraleute weigerten sich dann, weitere Hinrichtungen zu drehen, wie sich ein Kameramann erinnerte.[23]Die Weigerung wurde akzeptiert.

Die Filmmaterialien von den Prozessen wurden im Reichsfilmarchiv aufbewahrt und gelangten zu Kriegsende in den Besitz der Roten Armee, die das gesamte Reichsfilmarchiv nach Moskau abtransportierte. Seit 1951 wurden sukzessive Teil-Bestände in das Staatliche Film-archiv der DDR zurückgeführt, so auch die Aufnahmen von den Prozessen, die anschließend der Weiterverwertung zur Verfügung standen. Die Sequenzen von der Hinrichtung lagerten in einem Safe im Propagandaministerium, wurden dort ebenfalls von der Roten Armee sichergestellt und sind seither verschollen.[24]

Für Dokumentarfilme zum 20. Juli 1944 im Kino und im Fernsehen bildete der personale Zugriff eine weitgehend moderate mediale Chance. Im Porträt des jeweiligen Helden sind die sehr komplexen Vorgänge gut zu fokussieren: ein Film über jeweils einen der Protagonisten des 20. Juli und nur über ihn, z.B. über General Fritz Lindemann („Der Fall Lindemann“, 1993, Regie Irmgard von zur Mühlen), über Graf Hardenberg („Auch er wollte Hitler stürzen“, 1990, Regie Kurt Seehafer, Jürgen Eicke) oder über Adolf Reichwein („Der Mut des Fliegers“, 1998, Regie Wolfgang Bremer, Karl Herrmann). Jeder dieser Filme riskierte dabei, andere Aspekte und Nebenlinien und die Totalität des Vorgangs außer Acht lassen zu müssen.

Zugleich beanspruchten die Filmemacher ihre Helden auch immer für ihre eigenen ideologischen Intentionen – besonders eindrücklich erkennbar an der überhaupt ersten Dokumentation, die das DDR-Fernsehen über den 20. Juli 1944 gestaltete: „Revolution am Telefon“ (1964, Buch und Regie Karl Gass und Karl-Eduard von Schnitzler).[25]Die Spielfilmproduktion der DDR hat den Stoff des 20. Juli 1944 nicht gestaltet[26], während das DDR-Fernsehen mehrere episch vorgeformte Fabeln – mit dem 20. Juli 1944 als stofflich-historischem Hintergrund – für eigenständige Fernsehfilme adaptierte, z.B. „Leutnant Yorck von Wartenburg“, 1981, Regie Peter Vogel, nach der gleichnamigen, bereits 1944 veröffentlichten Erzählung von Stephan Hermlin und andere Novellen des Hermlin-Zyklus „Die erste Reihe“.

Alle diese Filme arbeiteten mit Auskünften von Zeitzeugen, die an Originalschauplätzen gedreht wurden. Sie wurden in die fortlaufende Chronik der Ereignisse montiert und brachten zusätzliche Informationen ein, die durch persönliche Prägung und individuelle Erinnerungen an Wert gewannen. Auch damit wurde die Authentizität der Filme gestärkt.

Franz Peter Wirth (Regie) fasste in seinem Fernseh-Zweiteiler „Operation Walküre“ und „Tote Stunden“ (1971, Buch Helmut Pigge) wie in einer Art szenischer Bilanz die bis dahin erprobten Vorschläge für die mediale Gestaltung des 20. Juli 1944 zusammen (natürlich auch unter Berücksichtigung neuester Forschungsergebnisse) und schuf eine detaillierte und umfängliche Rekonstruktion des 20. Juli, in die erstmalig in Filmen dieses Stoffes die Schau-plätze Paris und Wien einbezogen waren. Wirth hatte außerdem das große Glück (und viel Geld vom Sender), solche kompetenten Zeitzeugen aufzuspüren und sie zu einer (Lebensalters-)Zeit befragen zu können, in der ihre Auskünfte noch authentisch und überzeugend wirk-ten. Zudem waren Wirths Leute außerordentlich dicht am historischen Geschehen (z.B. Albert Speer, Adolf Heusinger oder Carl Szokoll, der den Attentatsversuch in Wien koordiniert hatte u.a.) oder persönlich darin involviert gewesen (z.B. Ewald von Kleist, Otto-Ernst Remer oder Stauffenbergs Kraftfahrer, der an der Erschießung Stauffenbergs teilnehmen musste und in Tränen ausbricht, als er sich am Ort des Geschehens daran erinnert u.a.).[27]Der Historiker Joachim Fest verband als ein sachlich-souveräner Moderator, der im modernen, geschlossen-schwarzen Anzug durch die Handlungsorte flanierte, die Spiel-(Rekonstruktions-)Szenen mit den Zeitzeugen-Auskünften. Er hielt eine stabile Blickachse mit dem Zuschauer, die um eine einverständliche Wahrnehmung warb. Geschickt und spielerisch haben Wirth und Fest das Medium bedient: Der zivile, heutige Reporter Fest geleitet eine historische Figur in die authentische Szenerie und verschwindet dann still, während die historische (rekonstruierte) Szene beginnt.

Schon die Ouvertüre des Films, die erste Szene des 1. Teils, stimmt furios auf den spielerisch-fabulativen Charakter des Folgenden ein: Eine fiktive Kino-Wochenschau berichtet von Ereignissen und zeigt Akteure – wenn das Attentat gelungen wäre. Dafür werden Sequenzen aus Original-NS-Wochenschauen von allen Kriegsschauplätzen und der „Heimatfront“ im Juli 1944 (mit den Original-Geräuschen und -Musik, aber ohne den originalen NS-Kommentar) bruchlos und mit fiktiven Statements nebst O-Tönen der „neuen“ Regierungsmitglieder verknüpft. Ihnen begegnet man dann später im Film als Akteuren der Fabel wieder. Zum Schluss der fiktiven Wochenschau zieht die Kamera zurück, der Schneidetisch (auf dem die Fiktion lief) wird sichtbar, der Moderator Fest kommt ins Bild, blickt in die Kamera (ins Auge des Zuschauers) und klärt die „Fälschung“ auf.

Diese mediale (zudem technisch brillant gestaltete) Kombination von Fiktion und Dokument, die erst und nur durch das Instrument Fernsehen möglich wurde, gestaltet sichtbar stufenweise Verfremdung und Desillusionierung und schlägt nachhaltig eine mediale Verabredung zwi-schen Film und Zuschauern vor. Damit ist ein Wahrnehmungsvertrag installiert, der über beide Filme hinweg tragfähig bleibt.

 

Wege zur Sythese

Im Jahr 2004, zum 60. Jahrestag des 20. Juli 1944, wurde außer dem „Stauffenberg“-Film von Jo Baier in der Bundesrepublik Deutschland noch der Film „Die Stunde der Offiziere“ produziert (Regie Hans-Erich Viet). Es sieht ganz so aus, dass mit beiden Werken die langjährigen Polarisierungen zwischen Spielfilm- und Dokumentarfilm-Versionen nunmehr zu einem modernen medialen Konsens gelangt sind, der für die Gestaltung des 20. Juli 1944 gültig ist.[28]Das vierteilige Dokumentarfilm-Paket des ZDF „Sie wollten Hitler töten“ (ZDF-Redaktion Zeitgeschichte, Konzept und Leitung Guido Knopp, alle Sendungen im März 2004), das von einem erweiterten, über den 20. Juli 1944 hinausgreifenden Widerstands-Konzept getragen wird, hat hier ganz offenbar eine kommunikative Vermittler-Rolle im Sinne medialen Ausgleichs und historischer Differenzierung eingenommen.[29]Sowohl Baiers wie auch Viets Film nehmen – mehr als das den früheren Filmen überhaupt möglich war – die wissenschaftlichen Ergebnisse der Widerstandsforschung (einschließlich neuer Quellenpublikationen) speziell über den 20. Juli für sich in Anspruch. Und der Beraterwechsel ist symptomatisch: von Zeit-zeugen und Teilnehmern und/oder deren Nachkommen zu Wissenschaftlern und Historikern.[30]

Viets selbstbewusster Untertitel „Doku-Drama“ charakterisiert „sein“ (neues?) Fernseh-Genre und meint die Amalgamierung von Dokumenten und Spielformen. Guido Knopp, in dessen ZDF-Sender-Redaktion „Zeitgeschichte“ Viets Film entstand, bezeichnet den Film als „spannende Collage aus authentischen Archivaufnahmen, Aussagen von Zeitzeugen sowie hochkarätig besetzten Spielszenen“.[31]Der Produzent des Films, Ulrich Lenze, nennt das Doku-Drama eine „hybride Form“ und schätzt an ihm, dass in eine Spielhandlung „die Schilderung realer Beteiligter und dokumentarische Bilder des Geschehens immer wieder buchstäblich ‚hineingesägt’“ würden, auch weil es „sehr oft die angemessenere, weil druckvollere, authentischere und atmosphärisch dichtere Form der Erzählung zeitgeschichtlicher Ereignisse ist“.[32]  (Hervorhebung GA.)

Die Hauptbeteiligten – neben Regisseur und Produzent noch Autor Hans-Christoph Blumenberg – bringen fundamentale Erfahrungen moderner Film- und Fernsehproduktion ein und schmelzen sie zusammen. Grade sie haben in jüngster Zeit vor allem an der strikten Verfeinerung und Komprimierung inner-dramaturgischer Mittel gearbeitet: z. B. bei der Konstruktion von Spannung im modernen Kriminalfilm etwa dramaturgische Techniken der „Tatort“-Serie (von denen Viet etliche inszeniert hat) und bei Strukturen szenischer Dokumentationen (Lenze hat die Fernsehfilme „Todesspiel“ 1997 – mit Heinrich Breloer und „Deutschland-spiel“ 2000 – von Autor Blumenberg – produziert, deren Kennzeichen eben der möglichst elegante „Wechsel“ zwischen fiktiven / rekonstruierten und dokumentarischen Sachverhalten und Personen bildete.) Im Einzelnen sind ihre szenischen und optischen Kontrastierungen bei Schnitten/Überleitungen vom pointierten Schluss einer Szene zum Beginn der nächst folgen-den, die kontinuierlich fortlaufende Führung der Dialoge über wechselnde Szenen hinweg und der sehr dezidierte Einsatz von Musik (von der leitmotivischen zur Signal-Funktion) bemerk-bar. Auch Licht (z.B. wird Stülpnagels Kopf stets stark von unten beleuchtet) und die enorme Beweglichkeit der Kameras (rasch wechselnde Standorte!) tragen dazu bei.

Gewiss haben neue technische Lösungen daran ihren Anteil: Eleganz und Flottheit des Schnitts durch den Computer-Schnitt Viet bekennt, dass gerade die Montage „wesentlich zeitraubender und komplexer als bei Spielfilmen“ gewesen sei, und lüftet ein Geheimnis, indem er eine aufschlussreiche Arbeitsfrage benennt: „Welche Zeitzeugen / Archivaufnahmen bringen die Geschichte voran?“[33](Hervorhebung GA). Diese strikte Ausrichtung auf das

Transitive aller Sequenzen diktiert die pointiert-knappen Dialoge aller fabulierten Szenen, die Schauspieler tragen dem durch trocken-lakonische, knappe, beinahe atemlose Diktion Rechnung. Der Film setzt auf höherer Ebene fort, was Franz Peter Wirth vor 30 Jahren vorgeschlagen hatte.

Noch dies: Viet grenzt sich nachdrücklich vom traditionellen Spielfilm ab, weil er befürchtet: „Schnell bewegt man sich hier auf dem Gebiet der Spekulation.“[34](Zugleich kommt er nicht ohne Kollegen-Polemik aus und lehnt Jo Baiers Versionen des Schlusses die Erschießung Stauffenbergs als „künstliche Verlangsamung des Vorgangs“ ab, die „einer Verkitschung gleich“ komme.[35])

Sei es drum: Die Darstellung der Vorgänge des 20. Juli 1944 und Stauffenbergs in den dar-stellenden Künsten haben mit der medialen konzertierten Aktion der Filme das Jahres 2004 ein modernes Kommunikationsangebot via Kunst erreicht, das über eine bloße Medialisierung des Gedenkens hinausgeht und bestenfalls durch individuelle Geschmacksurteile irritiert wer-den kann.

Der Autor dankt Joachim Fest, Maria Jansen, Kirsten Lehmann, Anna Scheer, Johannes Tuchel, Hans-Gunther Voigt und Jürgen Zarusky.

 

 

 

 

[1] Peter Hoffmann hat die verschieden mitgeteilten Versionen dieser Szene und des Stauffenberg-Satzes zusam-mengefasst in: Peter Hoffmann, Claus Graf von Stauffenberg und seine Brüder, Stuttgart 1992, S. 598f., Anm. 318. Eine weitere Version teilt Hans Bentzien mit in: Hans Bentzien, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Der Täter und seine Zeit, Berlin 2004, S. 350. 3

[2] Interview mit Jo Baier in: www.swr.de / Stauffenberg – Der Film

[3] Hier stehen auch internationale Filmerfahrungen bereit, wie z.B. durch die amerikanischen sog. Bio-pictures.

[4] Peter Hoffmann, Seine historische Rolle, Das war nicht der wahre „Stauffenberg“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. März 2004.

[5] Gabriela Sperl, Der wahre Stauffenberg? Eine Erwiderung auf Peter Hoffmann, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. März 2004.

[6] Siehe Anm. 2.

[7] Die Druckfassung des Stückes von 1994 hieß noch „Stauffenberg, Die Tragödie des 20. Juli 1944“, Neufahrn 1994. Eine Presseinformation zur Uraufführung spricht von „musikalischem Drama“. Der Autor bezieht sich für seine Stauffenberg-Sicht ausdrücklich auf C.G. Jung. Vgl. „Es kommt auf jeden Einzelnen an“, Dr. Ulrich Kurzer im Gespräch mit David Sternbach, Programmheft der Uraufführung, S. 4 ff.

[8] Vgl. Vorspiel und Zwischenspiele in den höheren Regionen und Nachspiel, in: Bertolt Brecht, Schweyk im Zweiten Weltkrieg, Stücke, Bd. X, Berlin (Ost) 1958, S. 7ff., 57ff., 92ff und 126ff.

[9] So nimmt bis heute beispielsweise das Haus Wittelsbach bei allen Verfilmungen des Lebens von Ludwig II., König von Bayern, die Funktion von Zeugenschaft, Sachverständiger und Sponsor (z.B. bei Drehgenehmigungen für Originalschauplätze) strikt in Anspruch.

[10]  Der amerikanische Spielfilm „Forrest Gump“ (1994, Regie: Robert Zemeckis) wandte erstmals die Computer-animation zur szenischen Rekonstruktion mit historischen Figuren an: der Hauptdarsteller Tom Hanks wurde in authentische Wochenschau-Sequenzen mit den amerikanischen Präsidenten Kennedy, Nixon und Ford montiert.

[11] Käutner wollte das Stück schon gleich nach Kriegsende 1945 verfilmen. Das Projekt scheiterte jedoch und wurde erst 1954 realisiert. Vgl. Kunst im Film ist Schmuggelware. Helmut Käutner im Gespräch mit Edmund Luft, in: Käutner, hrsg. v. Wolfgang Jacobsen, Hans Helmut Prinzler, Berlin 1992, S. 148ff.  

[12] Vgl. Günther Weisenborn, Der lautlose Aufstand, Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Vol-kes 1933 – 1945, Hamburg 1954.

[13] Infolge eines ähnlichen Streits war kurz vorher das Projekt der beiden Autoren Axel Eggebrecht und Gerhard Grindel, die Geschichte der Münchner Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ zu verfilmen, schon in der Drehbuch-phase gescheitert. Vgl. Die jüngste Vergangenheit. Das Geschwister-Scholl-Projekt in: Claudia Dillmann-Kühn, Artur Brauner und die CCC, Frankfurt a.M 1990, S. 81. Erst rund 30 Jahre später konnte Michael Verhoeven den Stoff realisieren.

[14] Dabei „störte“ ironischerweise offenbar niemanden die starke Schweizerdeutsche Dialekteinfärbung des Stauffenberg-Darstellers Bernhard Wicki in dem Pabst-Film. Auch Harnacks Regiefehler wurde kleingehalten: Augenklappe Stauffenbergs rechts, während historisch exakt Stauffenberg die Augenklappe links trägt (wie auch im Pabst- und im Baier-Film).

[15] Harnack erinnert sich an interne Vorführungen seines Films für Eugen Gerstenmaier und Annedore Leber und für die Stiftung „Hilfswerk 20. Juli“, er übergeht jedoch, dass gerade das „Hilfswerk“ massiv gegen seinen Film nach dessen Uraufführung vorging. Vgl. Falk Harnack, Brief an die politische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit Berlin, 7. November 1977, in: Stiftung Archiv der Akademie der Künste, Nachlass Harnack, Nr. 291.

[16] Interessanterweise bemerkte Jo Baier bei der Vorbereitung seines Films – immerhin 40 Jahre nach Harnacks und Pabsts Filmen! erstaunt in Deutschland immer noch „einen Bedarf an Rehabilitation der Attentäter“. Siehe Anm. 2.

[17] Siehe auch: Hans-Michael Bock, Biographie, in: G.W. Pabst, hrsg. von Wolfgang Jacobsen, Berlin1997, S. 280ff. und Claudia Dillmann-Kühn, Der 20. Juli, in: dies., Artur Brauner und die CCC, Frankfurt/Main 1990, S. 82ff.  

[18] Christiane Toyka-Seid rechnet beide Filme zu Recht zur westdeutschen „Widerstandsrezeption der frühen fünfziger Jahre“, wiewohl ihre Charakterisierung als „Zwillingsfilme“ nicht zu halten ist. Christiane Toyka-Seid, Der Widerstand gegen Hitler und die westdeutsche Gesellschaft: Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte des „anderen“ Deutschland in den frühen Nachkriegsjahren, in: Widerstand gegen den Nationalsozialismus, hrsg. von Peter Steinbach und Johannes Tuchel, Berlin 1994, S. 572ff

[19] Auf etlichen Fotos, die aus dem Gerichtssaal auf das Präsidium zu gemacht wurden, kann man bei genauem Hinsehen in einem Balken des schwarzen Hakenkreuzes an der Stirnseite ein Quadrat ausmachen: das Auf-nahme-Loch für die stationäre Kamera.

[20] Wibke Bruhns wurde durch Sequenzen aus diesem Material, auf denen sie in einem der Angeklagten ihren Vater erkannte, zu ihrer Familienchronik „Meines Vaters Land“ (Berlin 2004) angeregt.

[21] Der Film ist in unterschiedlichen Längenversionen im Verkehr.

[22] Reichspropagandaminister Joseph Goebbels, der an jeder Ausgabe der NS-Wochenschau direkt mitarbeitete, äußert sich nicht dazu. In den einschlägigen Einträgen in seinem Tagebuch wird zwar die Wochenschau-Arbeit mehrfach erwähnt, jedoch ohne Bezug zum 20. Juli 1944 und zu Filmaufnahmen. Vgl. Joseph Goebbels, Tage-bücher, hrsg. v. Elke Fröhlich, Teil II, Bd. 13, München/New Providence/London/Paris, 1995

[23] Kameramann Erich Stoll (nicht Stollin, wie Ueberschär schreibt, in: Gerd R. Ueberschär, Stauffenberg. Der 20. Juli 1944, Frankfurt a.M. 2004, S. 246), Bericht über die Wochenschau-Aufnahmen des Prozesses zum 20. Juli 1944, Institut für Zeitgeschichte München, ZS A 33 / 4. Stoll nimmt in seinen Bericht auch die Aussage seines Kameramann-Kollegen Sasse auf, eines der Kameraleute, die die Hinrichtung drehen mussten. Sasse erwähnt, dass insgesamt neun Kameraleute die Prozesse drehten. Stoll beschreibt auch die Kamerapositionen.

[24] Vgl. Hans-Gunther Voigt, „Verräter vor dem Volksgericht“. Zur Geschichte eines Films in: Die Angeklagten des 20. Juli vor dem Volksgerichtshof, hrsg. von Bengt von zur Mühlen unter Mitarbeit von Andreas von Klewitz, Berlin-Kleinmachnow 2001, S. 398ff.

[25] Die Sendung wurde u.a. so angekündigt: „Ginge es nach den bundesdeutschen Schulbüchern und nach den Bundeswehrschriften, nach der Rundfunk- und Fernsehberieselung vom Bodensee bis an den Belt, ganz zu schweigen von der schwarz-weiß-roten Springer- und Soldatenpresse, dann müsste man glauben [...], dass der 20. Juli, Leute wie Gerstenmaier und dergleichen, erste, einzige und wichtigste Daten und Namen eines deutschen Widerstandes gegen den Faschismus seien. Das geht so, seit man in Bonn (der damaligen Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland, G.A.) gemerkt hat, dass man der kritischen Weltöffentlichkeit gegenüber ein anti-faschistisches Alibi braucht. Die Dokumentation [...] ist insofern eine notwendige historische Richtigstellung [...]“, o.V. (nach Tonlage und Wortwahl ist Schnitzler der Autor). Funk und Fernsehen Nr. 30 / 1964, Programmseite Sonntag, 19. Juli 1964. Ein Leserbrief bekundete später, der Historiker Heinrich Scheel habe vor der Sendung „betont“, „dass jeder Widerstand gegen den Faschismus gewürdigt werden muss“. Leserbrief von Malwine Kuntze, Groß-Ziethen, Funk und Fernsehen Nr. 34 / 1964, S. 2.

[26] In dem Spielfilm „KLK an PTX Die Rote Kapelle“ (1971, Regie Horst E. Brandt) hat die DEFA, die Filmproduktionsgesellschaft der DDR, ihre Sicht auf den authentischen Stoff der antifaschistischen Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ verfilmt.

[27] Reichlich 30 Jahre später kann Guido Knopp für seine vierteilige Fernseh-Dokumentarfilmreihe „Sie wollten Hitler töten“ (ZDF 2004) schon aus biologischen Gründen - nicht mehr so prominent und kompetent aufwar-ten.

[28] Dass sich auch hierbei internes Sender-Gerangel zwischen ARD und ZDF um Sendetermine beimischte und an die Konkurrenzen zwischen Pabst- und Harnack-Film 1955 erinnerte, kann angesichts der Ergebnisse vernachlässigt werden.

[29] Freilich scheinen hier Grenzen der Redlichkeit medialen Umgangs auf insofern, als Knopp z.B. für den ersten Teil „Der einsame Held“ – über den Attentäter Georg Elser – neben Zeitzeugen viele Zitate aus dem Spielfilm „Georg Elser Einer aus Deutschland“, 1989, Buch Stephen Sheppard, Regie und Hauptdarsteller Klaus Maria Brandauer, einsetzt, ohne die erheblichen Unterschiede zwischen Zeitzeugen- und Spielfilm-Sequenzen hin-reichend deutlich zu machen.

[30] An dem Baier-Film wirkte lange Zeit Peter Hoffmann mit. Vgl. Anm. 1, 4 und 5. Für die Filme des ZDF fungierte immerhin Peter Steinbach, u.a. langjähriger Leiter der Forschungsstelle Widerstandsgeschichte an der Freien Universität Berlin und der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin, als Fachberater.

[31] Guido Knopp, Es führten viele Wege zum 20. Juli 1944, in: Presseheft des ZDF zu „Die Stunde der Offiziere“, hrsg. vom ZDF Mainz, Hauptabteilung Kommunikation / Pressestelle, S. 2.

[32] Ulrich Lenze, Wie wir den 20. Juli 1944 heute erzählen können, in: Presseheft, a.a.O., S. 10.

[33] Hans-Erich Viet, Das Exemplarische und das Emotionale, in: Presseheft, a.a.O., S. 12. 15

[34] Ebenda, S. 11.

[35]  Ebenda, S. 12.