von Helen Thein-Peitsch

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10. August 2018

Die erste Einstellung des neuen Dokumentarfilms von Annekatrin Hendel zeigt New York bei Nacht. Gibt es einen größeren Kontrast zu den tradierten Bildern der DDR?

Zu Besuch in New York ist Marion Brasch auf Einladung vom „Deutschen Haus“ der New York University. Sie stellt ihren Roman „Ab jetzt ist Ruhe“[1] vor, der aus der Perspektive des Nesthäkchens die Geschichte ihrer Familie erzählt. Als der Roman 2012 erschien, rückte ins Bewusstsein, wie sehr die Braschs die Konflikte der DDR innerfamiliär austrugen und letztlich daran zerbrachen.

Für den Film ist die Lesung Auftakt einer Familienaufstellung, die, visualisiert in einem Ölgemälde von Leif Heanzo, den roten Faden des gut 100minütigen Films bildet.[2] Auf dem Bild steht der Vater Horst Brasch, Kommunist und nach der Rückkehr aus dem britischen Exil kurze Zeit Kulturminister der DDR, in konfrontativer Geste seinem anklagenden Sohn Thomas gegenüber. Geboren im Exil, rieb sich der älteste der Brasch-Söhne an den Idealen seines Vaters und den dogmatischen Ansichten, wie diese umzusetzen seien. Der Vater steckte ihn zur Disziplinierung in die Kadettenanstalt. Als Horst Brasch erfährt, dass Thomas Flugblätter gegen den Einmarsch des Warschauer Paktes in die CSSR verteilt hat, zeigt er seinen Sohn an, der deshalb ins Gefängnis kommt. Der Vater stürzt von der Karriereleiter und wird in die zweite Reihe der Nomenklatura gestellt, was ihn jedoch nicht davon abhält, an der Treue zur Partei festzuhalten. Das erzeugte nicht den ersten Riss im Familiengefüge, aber einen, der nie mehr heilen sollte.

Aus dem aufsässigen Sohn wurde ein Dichter, Erzähler, Übersetzer und Filmemacher, der in der DDR nicht gedruckt wurde, obwohl er das unbedingt wollte. Er erbat sich gar eine Audienz bei Erich Honecker, der aber nach Lektüre einiger Erzählungen das Manuskript mit dem Vermerk „verboten“ an den Jungautor zurückgab. Wenig später wurde Thomas Brasch mit seiner Freundin Katharina Thalbach aus dem Land gewiesen. Thomas Brasch aber blieb DDRler und weigerte sich im Westen, den Dissidenten zu spielen. Er drehte einige wunderbare Filme, wurde zwei Mal nach Cannes eingeladen und ist doch als Regisseur heute fast vergessen.[3] Seine ihn überlebenden Frauen und Freunde staunen immer noch über so viel Widerstandskraft und Eigensinn.

Wie sehr das Widerstehen und die Rolle des Enfant Terrible Kraft kosten, zeigen die wenigen Fotos und Home-Video-Sequenzen. Da spielt einer den Macho und Lebemann in einer überdimensional großen Wohnung, die wie eine leere Lagerhalle wirkt, nicht wie ein Zuhause. Im Jahr 2001 stirbt Thomas Brasch, im selben Jahr wie der jüngste Bruder Peter. Auch er ein Schriftsteller, Hörspielautor und wie seine Brüder Alkoholiker. Wie Klaus, der mittlere Bruder, der Schauspieler, der 1980 als erster von den Geschwistern starb. Zehn Jahre zuvor war bereits die Mutter Gerda gestorben, eine wenig glückliche Frau, wie der Film nahelegt.

Auf dem Gemälde von Leif Heanzo ist der Streit zwischen dem Vater und Thomas das zentrale Motiv. Alle anderen Familienmitglieder sehen den Betrachter an. Als seien sie der permanenten Vorwürfe, die sich die beiden Männer an den Kopf werfen, müde, aber auch, als seien sie an diesem Streit nicht beteiligt. Und obwohl der Film jedem Familienmitglied ein eigenes Kapitel widmet, ist doch auch hier Thomas die zentrale Lichtgestalt, um die sich alles dreht.

Von den Konflikten, Zuneigungen und Abhängigkeiten in der Familie war auch schon im Roman von Marion Brasch zu lesen. Ein Dokumentarfilm aber ist ein anderes, ein eigenes Genre. Annekatrin Hendel nutzt die Kamera, um – neben dem großen Familienporträt – Miniporträts auch der Freunde und Weggefährt*innen der Braschsöhne zu zeichnen.[4] Florian Havemann, sieben Jahre jünger als Thomas Brasch und doch schon seit seinem vierzehnten Lebensjahr mit ihm befreundet, präsentiert sich in seinem Atelier mit Zigarre und leicht ironischem Tonfall. Bettina Wegener, Liedermacherin und Mutter von Benjamin Schlesinger, dem Sohn von Thomas Brasch, erzählt hingegen kichernd und ketterauchend von ihren Erinnerungen an den Geliebten. Christoph Hein, in helles Leinen gekleidet, das sich kaum abhebt von dem hellen und aufgeräumten Mobiliar eines lichtdurchfluteten Raums, konstatiert trocken: „Mit der Arroganz der 17jährigen hielten wir uns beide für die wichtigsten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts.“ Katharina Thalbach wiederum lässt sich in einer gemütlichen Altbauwohnung filmen, wobei hinter ihr eine Kalaschnikow an der Wand lehnt.

Annekatrin Hendel lässt ihre Protagonisten sich erinnern und verzichtet ganz auf eine eigene, erklärende Off-Stimme. Die überlässt sie Marion Brasch, die uneitel und immer noch fragend ihre Familiengeschichte erzählt. Zwischendurch ist sie mit einem Volksbühnen-T-Shirt gekleidet in den Straßen von New York zu sehen. Weit weg von dem Land, um das sich ihr Vater und ihre Brüder so gestritten haben, und doch ganz dicht an den Wunden dran, die – siehe den Eklat um die Volksbühne – bis heute existieren.

Florian Havemann bringt es auf den Punkt: „Es war uns nicht genug Sozialismus.“ Das gilt wohl sowohl für die Söhne wie für den Vater – nur verstanden beide Seiten etwas anderes darunter.

FAMILIE BRASCH ein Dokumentarfilm von Annekatrin Hendel
Kinostart: 16. August 2018
Filmverleih: Edition Salzgeber


[1] Marion Brasch: Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie, Frankfurt/M.: S. Fischer, 2012.
[2] Leif Heanzo ist ein Concept Artist aus Berlin, der vor allem im filmischen Bereich arbeitet.
[3] Thomas Braschs Debütfilm Engel aus Eisen (1981) sowie sein letzter Kinofilm Der Passagier – Welcome to Germany (1988) liefen bei den Filmfestspielen in Cannes.
[4] Auf Zeitgeschichte-online erschien bereits Anita Krätzners Filmkritik zu Anderson

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