Jedes Jahr am 15. Juli findet in Polen zwischen den kleinen Orten Grunwald und Stębark (dt. Tannenberg; lit. Žalgiris) ein Staatsakt statt. Die Festlichkeiten werden in Erinnerung an jene Schlacht im Jahre 1410 zelebriert, in der Truppen der polnisch-litauischen Union das Heer des Deutschen Ordens besiegt haben. Über die Jahrzehnte haben der Ort und die Feierlichkeiten an Bedeutung gewonnen, seit einigen Jahren enden sie mit einem großen Reenactment, einer Show, in der die Schlacht „nachgespielt“ wird. Gefeiert wird der Sieg am historischen Ort, der anlässlich des 550. Jubiläums im Jahre 1960 für diesen Zweck umfassend aus- und umgebaut wurde. Auf der entsprechenden Gedenkstättenanlage mit Museum finden sich auch zahlreiche, zu unterschiedlichen Zeiten (wieder-)errichtete Denkmäler.

 

Hintergrund des Dossiers

Zum Anlass des Jubiläums reiste eine Gruppe von Studierenden und Wissenschaftler*innen des „Teaching Staff Resource Center“ der Universität Hamburg im Juli 2017 nach Grunwald. Eine weitere Gruppe machte sich etwas früher auf den Weg nach Gettysburg in den USA, einem zentralen Kriegsschauplatz des US-Amerikanischen Bürgerkrieges, um dort eine ähnlich groß angelegte Erinnerungsstätte zu besuchen und erkunden. Ergebnis dieser Analysen ist unter anderem eine Handreichung zur Erschließung von Denkmälern, die in Zusammenarbeit von vier Mitgliedern beider Teilgruppen verfasst wurde: Marlon Bäumer, Hannah Rentschler, Benjamin Roers und Mara Weise. Im Anschluss an die Fertigstellung der Handreichung entstand zudem die Idee für dieses Dossier, dass sich theoretisch und sehr konkret mit Denkmälern an Erinnerungsorten befasst – so etwa mit Grunwald.  

 

Beispiel: Das zentrale Denkmal in Grunwald

Marlon Bäumer, Denkmal-Arrangement in Grunwald, 14.07.2017, CC BY-SA 4.0

Das zentrale Denkmal in Grunwald ist eine, im Jahr 1960 eingeweihte, etwa zehn Meter hohe Granitsäule. Auf einer Anhebung mit Treppen ruhen acht aufeinander gestapelte Quader, die als zwei leicht verschobene Blöcke angeordnet sind. Dadurch blicken die in den Stein gearbeiteten Gesichter zweier Männer, die meist als Ritter gedeutet werden, in Richtung Nord- und Südwesten. An den Seiten der Blöcke ranken florale Muster mit Inschriften empor. Am unteren Stein ist ein Kreuz aus zwei Schwertern mit der Inschrift des Datums „15. VII. 1960“ zu sehen, auf dem oberen Stein zwei Schwerter nebeneinander vor einem Schild, eines der Schwerter trägt die Datumsinschrift „15.VII. 1410“. Letzteres verweist auf das historische Datum des Sieges in der Schlacht, das zweite Datum auf das 550-jährige Jubiläum.

Die Gestaltung des Denkmals und der Ausbau des Ortes nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1960 lassen eine Lesung als „Warnmal“ mit anti-deutscher und auch anti-westlicher Ausprägung zu, schließt man den historischen Kontext des Kalten Krieges in die Deutung mit ein.

 

Inszenierung des Grunwald-Denkmals

Marlon Bäumer, Staatsakt am Denkmal in Grunwald, 15.07.2017, CC BY-SA 4.0

Im Rahmen der oben erwähnten Exkursion, organisiert von der Universität Hamburg konnten die Feierlichkeiten am Denkmal von einer Forschungsgruppe live erlebt werden. Besonders auffällig waren dabei am 14. Juli eine Tanzaktion von Pfadfindergruppen um das Denkmal herum und am 15. Juli der Staatsakt selbst, bei dem am Denkmal von Politiker*innen, Militärs, Diplomat*innen und Ehrengäst*innen Kränze niedergelegt wurden. In beiden Fällen stand das Denkmal im Mittelpunkt des Rituals und wurde in den jeweiligen Inszenierungen aktiv „bespielt“.

Zeitweilig fanden sich direkt neben der Säule eine beinahe gleichgroße, aufblasbare Werbe-Bierdose einer polnischen Brauerei und ein Verkaufsstand für Miniatur-Gedenksteine. Das Denkmal wird gegenwärtig (auch) für touristische und damit ökonomische Zwecke in Szene gesetzt. Abgesehen von Gedenken und Einbindung in Feierlichkeiten werden Denkmäler wie dieses im Alltag aber auch anderweitig genutzt: etwa als Sitzgelegenheit, Spielplatz oder Hintergrundmotiv für Erinnerungsfotos.

 

Das Dossier im Überblick

Geschichte begegnet uns in bestimmten Medien, wie zum Beispiel Sprache, Texte, Bilder, Videospiele – oder auch: Denkmäler. Diese Medialität von Geschichte versuchen wir mit dem Begriff „Geschichts-Sorte“ zu fassen. Als Geschichts-Sorte sind Denkmäler stets in verschiedene Deutungskontexte eingebunden, wie in diesem Dossier theoretisch und mit Verweis auf verschiedene Beispiele aufgezeigt wird. Einige Beiträge nehmen Denkmäler definitorisch in den Blick, andere fokussieren die Prozesse von Produktion und Rezeption, die für die Geschichts-Sorte Denkmal zentral sind, wie am Beispiel des Grunwald-Denkmals und dessen Inszenierung oben gezeigt werden konnte. Aspekte wie die Produktion und Rezeption werden dabei analytisch voneinander getrennt, um sie präziser erklären zu können. Bei der Begegnung und Auseinandersetzung mit konkreten Denkmälern wirken diese Aspekte jedoch vielfach ineinander. Daher finden sich in den Texten oft Querverweise zu anderen Beiträgen.