von Eszter Kiss

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1. November 2013

Die meisten Menschen kennen die Bilder: Fotografien mit unscharfen Konturen, aus der Perspektive der Kämpfenden. Die Landung der Alliierten in der Normandie. Man erkennt die Rücken der Soldaten und sieht, wie sie auf die Panzersperren und die dahinter liegende Küste zulaufen. Die Fotos vom 6. Juni 1944, aufgenommen vor der Küste der Normandie, brannten sich auf der Festplatte unserer visuellen Erinnerung ein. Und spätestens seit den ersten Filmminuten von Steven Spielbergs Der Soldat James Ryan (1998) sind Stimmung und Bildästhetik von Capas Werk allen, auch jenen, die sich noch nie mit der Geschichte der Kriegsfotografie beschäftigt haben, bekannt.

Aber wer steckt – buchstäblich – hinter diesen Bildern? Was wissen wir über den Fotografen, der mit seinem Apparat in der Hand an jenem 6. Juni im Wasser des Atlantiks lag, um dem Publikum des Life Magazins über die Invasion der Alliierten zu berichten? Was wissen wir über den Mann, der die Vorzüge seines Berufs mit der zugegebenermaßen glamourös klingenden Losung „more drinks, more girls, better pay, and greater freedom“[1] zusammenfasste?

Ein genauer Blick lohnt, denn Robert Capa ist eine Erfindung. Der berühmte amerikanische Fotograf wurde von Endre Friedmann (so Capas Geburtsname) und seiner Partnerin Gerda Taro (eigentlich Gerta Pohorylle) ausgedacht. Sie verbanden mit dieser fiktiven Figur die Hoffnung, mehr Geld für die eigenen Fotografien verlangen zu können. Weil jedoch die Kunden des Paares nicht so recht glaubten, dass es sich – so der Plan – bei „Robert Capa“ um einen erfolgreichen amerikanischen Fotografen handelte, schlüpfte allmählich Friedmann selbst in die Rolle. Als die beiden Fotoreporter 1936 in Spanien eintrafen, um über den Bürgerkrieg zu berichten, war die Verwendung der Marke „Capa“ durch Friedmann bereits beschlossen. Diese konsequente Art, die eigene Identität zu konstruieren, war für den jungen Capa ein entscheidender Moment.  

Robert Capa wurde am 22. Oktober 1913 als Endre Ernő Friedmann in Budapest geboren. Aufgrund der politischen Situation im Ungarn der Zwischenkriegszeit und seiner Kontakte zur linken Opposition musste er 1931 das Land verlassen. Nachdem die politische Polizei den 17-Jährigen wegen der Teilnahme an einer von den Gewerkschaften organisierten Demonstration verhaftet hatte, brach er in Richtung Westen auf. Als nächste Station bot sich Berlin an. Die Stadt war attraktiv, nicht nur, weil sie als moderne Metropole eine aufregende Kulturlandschaft wie auch ein ausdifferenziertes Pressewesen besaß und als erste Anlaufstelle den Neuankömmlingen unzählige Möglichkeiten bot, sondern auch, weil Capa bereits über einige Kontakte verfügte. So arbeitete damals die Reportage- und Porträtfotografin Éva Besnyő, eine Freundin aus Budapester Kindertagen, bereits bei der Bildagentur Dephot. Über die Emigrantenkreise fand Capa Zugang zu weiteren Künstlern und Intellektuellen, die mit ihren radikalen Ideen die Zwischenkriegszeit prägten. György Kepes, László Moholy-Nagy, Simon Guttmann – Capa lernte die prominenten Vertreter der künstlerischen Avantgarde, der Malerei, Fotografie und Gestaltung kennen. Er kam mit ihren Denkweisen und ihrer künstlerischen Tätigkeit in Berührung. Diese Bekanntschaften beeinflussten seine politische Haltung, seine Berufswahl und später auch seine eigene Arbeit. Zur Fotografie zwangen ihn – außer der finanziellen Notlage, in der er in Berlin steckte – auch die sprachlichen Probleme, die ein klassisches journalistisches Arbeiten nicht ermöglicht hätten. So erlangte er schließlich erste fotografische Aufträge durch seine Tätigkeit als Aushilfe in der Agentur Dephot und durfte über Trotzkis Rede in Kopenhagen oder das Publikum der letzten Zille-Ausstellung in Berlin berichten. Capa hatte jedoch kaum Zeit, sich in Berlin einzurichten: Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde es dem jungen Fotografen in Deutschland – nicht zuletzt wegen seiner jüdischen Wurzeln – zu gefährlich. Die nächsten Stationen auf seinem Lebensweg waren Wien, Paris und nach 1938 schließlich New York.

Der sich wiederholende, meist erzwungene Aufbruch hatte auch für Capas Selbstverständnis enorme Folgen. Die Fremdheit, das eigene Fremdsein beschäftigten ihn und wirkten sich auch auf die öffentlichkeitswirksamen Darstellungen seiner selbst als Fotograf aus. Auffällig oft beschrieb er sich in seinen Erzählungen, die zu einem großen Teil autobiografisch sind, aber auch fiktionale Elemente enthalten, als „enemy alien[2] – eine Kategorie, die Capa aus dem Sprachgebrauch der US-amerikanischen Bürokratie übernahm. Mit dieser Zuschreibung, entnommen aus einem Brief des Department of Justice, spielte er häufig in seinem autobiografischen Werk Slightly Out of Focus. Zudem betonte Capa gern seine anhaltenden Schwierigkeiten mit der englischen Sprache. Anstatt diese jedoch als Rechtfertigung zu nehmen oder sich zu bemitleiden, nutzte er Geschichten über misslungene Kommunikation zur Auflockerung seiner Erzählung. So wird in der Beschreibung einer ehemaligen Kollegin nicht nur die notwendige Teamarbeit der oft internationalen Akteure vor der Veröffentlichung von Pressefotos in den 1940er Jahren deutlich, vielmehr blitzt auch die amüsante Selbstdarstellung des Robert Capa kurz auf. Über die ehemalige Life-Kollegin heißt es: „[W]hen she was a secretary, she used to help me in Englishizing my English captions. She found that my English had improved to almost understandable since the last time I had been there.“[3]

Dieser ständige Verlust von Sprache und Heimat, die Erfahrung der Entwurzelung schärfte Capas Blick und ließ das Objektiv seiner Kamera die Menschen in Not sowie ihr Leid fokussieren. Seine eigenen Erfahrungen machten ihn empfänglich für die Sache der Republikaner in Spanien. Capa war überzeugt, auf der richtigen Seite zu stehen und stellte seine Tätigkeit als Fotoreporter sowie sein Arbeitsmittel, die Kamera, in die Dienste der antifaschistischen Kräfte. Die Fotografie war in diesem Konflikt ein Weg, um der eigenen Ohnmacht zu entkommen und eine aktive Teilnahme an der Seite der internationalen Gemeinschaft, der Verteidiger der Spanischen Republik, zu ermöglichen. Von dieser persönlichen Involviertheit zeugen die Aufnahmen, die er seit 1936 für das französische Blatt Ce Soir im Spanischen Bürgerkrieg erstellte. Während seiner Arbeit in den insgesamt fünf Kriegen, die er bis zu seinem Tod 1954 dokumentierte, stand die Darstellung des Zivilisationsbruchs durch den Krieg im Mittelpunkt seiner Werke. Richard Whelan, einer der besten Kenner des Capa‘schen Werks, betont, dass Capa darauf aus war, eine Verbindung zwischen den Opfern und dem Betrachter des Bildes herzustellen. Die Nähe und die Direktheit in seinen Aufnahmen sollten in erster Linie Empathie erzeugen.

Die neue Ästhetik der Kriegsfotografie seit dem Spanischen Bürgerkrieg spielte auch bei der Verwertung der Aufnahmen eine Rolle. Die häufig verwackelten Bilder, die aus der Perspektive der Kämpfer aufgenommen wurden und von der enormen Anspannung in der Situation berichteten, bezeugten, wie nah sich die Fotografen an den Krieg heranwagten. Im Umkehrschluss bedeutete dies jedoch, dass sich die Fotografen, wollten sie wirklich erfolgreich in ihrem Metier sein, sich aufgrund der Erfordernisse der teilnehmenden Berichterstattung stets in Lebensgefahr begaben. Diese Risikobereitschaft gehörte fortan zum Beruf des Pressefotografen dazu, zumal wenn über kriegerische Auseinandersetzungen berichtet wurde. In letzter Konsequenz verweist Capas Tod im Indochinakrieg, in dem er 1954 durch eine Landmine tödlich verletzt wurde, auf die enormen Risiken, die einzelne Fotografen bereit waren einzugehen, um mit ihren Bildern die Erwartungen an die besondere Ästhetik der Kriegsfotografie zu erfüllen.

Capa gehörte zu der großen Generation der Fotografen Mitte des 20. Jahrhunderts, die Hand in Hand mit den Bildagenturen und Illustrierten bewusst an ihrem „Image“ feilten. Capa kultivierte seinen Ruf als Charmeur, der Ingrid Bergman eroberte, als Spieler, der sein Geld gern bei Pferderennen verwettete und als Draufgänger, der in vorderster Front bei der Landung in der Normandie mit dabei war. Alle Teilnehmer der Bildwirtschaft hatten ein berechtigtes Interesse an dieser Legendenbildung: Sie zeigten die Fotografen als aufregende, schillernde Persönlichkeiten, die bereit waren, für den perfekten Schnappschuss ihr Leben zu riskieren. Die Akteure erhofften sich zum einen die Aufwertung der Aufnahmen, mehr Prestige sowie höhere Honorare und zum anderen die Steigerung der Auflagenzahlen durch die prominente Verwendung der Fotoreportage als journalistisches Mittel. Capas Inszenierung als Grenzgänger, Lebemann, Charmeur, Spieler und Antifaschist entsprach der Logik der Marktgesetze der modernen Pressefotografie. Bei ihm lassen sich Werk und Biografie, Fotografie und Fotografenpersönlichkeit, Aufnahme und Image unmöglich trennen. Im Gegenteil, sie unterstützen und befruchten sich noch immer gegenseitig, allerdings heute nicht mehr in journalistischen, sondern in musealen Kontexten. Davon zeugt auch die aktuelle Ausstellung des Ungarischen Nationalmuseums anlässlich Capas 100. Geburtstag: „Robert Capa / Der Spieler“.
 

Die Dokumentation "Robert Capa: In Love and War" von Anne Makepeace (2002/90') finden Sie auf Youtube in voller Länge

[1] Robert Capa: Slightly Out of Focus, S. 137.

[2] Robert Capa: Slightly Out of Focus, S. 3.

[3] Robert Capa: Slightly Out of Focus, S. 28.