Religion ist weiblich. Dies lässt sich kultur- und glaubensunabhängig weltweit bei praktisch allen Religionen beobachten. So machen Frauen nicht nur in nahezu jeder religiösen Gemeinschaft die Mehrheit der Gläubigen aus, sondern spielen mit ihrem ehrenamtlichen Engagement auch eine fundamentale und existenzielle Rolle für den Zusammenhalt der Gemeinden und Glaubensgemeinschaften.
Dies galt bislang auch ausdrücklich für jene Religionen, in denen Frauen qua Theologie und Lehre oder auch einfach nur aus Tradition und Gewohnheit der gleichberechtigte Zugang zu bestimmten geistlichen Ämtern sowie Funktionen in der Hierarchie verweigert wurde. Doch zumindest in der katholischen Kirche in Deutschland fand die stillschweigende Unterordnung der Frauen mit der Bewegung „Maria 2.0“ 2019 ein lautstarkes Ende. Mit ihren Aktionen, bis hin zum Aufruf zum „Kirchenstreik“, stehen die Frauen jedoch durchaus nicht in fundamentaler Opposition zur Deutschen Bischofskonferenz. Stattdessen könnten sie mit ihren Forderungen entscheidend dazu beitragen, die Positionen der liberaleren Bischöfe und Gläubigen in einem aktuell laufenden Reformprozess zur Mehrheit zu verhelfen und damit die größte innerkirchliche Erneuerung seit den 1970er Jahren anzustoßen.
Den Ausgangspunkt für „Maria 2.0“ bildete Anfang des Jahres ein Lesekreis von sieben katholischen Frauen in der Gemeinde Heilig Kreuz in Münster, bei dem die Frustration über die Enthüllungen zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche und deren Vertuschung zu dem Entschluss führten, die Kirche transparenter, moderner und vor allem weiblicher zu gestalten. Die konkreten Forderungen in einem an den Papst gerichteten offenen Brief waren:
- Zugang von Frauen zu allen Kirchenämtern und Weihen
- Keine kirchlichen Ämter für Missbrauchstäter, -dulder oder -vertuscher
- Überstellung von Missbrauchsverdächtigen an weltliche Ermittlungsbehörden und Gerichte
- Aufhebung des Pflichtzölibats
- Anpassung der Sexualmoral an die Lebenswirklichkeit der Menschen.[1]
Unterstützung erhielten sie von prominenten Katholikinnen wie der bayerischen CSU-Landtagspräsidentin Ilse Aigner sowie von katholischen Laienorganisationen wie der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (KFD) und dem Katholischen Deutschen Frauenbund (KDFB). Eine parallele Online-Petition erhielt innerhalb von vier Monaten über 32.000 Unterschriften.[2] Allerdings waren solche Forderungen durchaus nicht ganz neu. Schon 2011 hatten angesichts der Enthüllungen um Missbrauchsfälle im katholischen Canisius-Kolleg Berlin 311 katholische Theologinnen und Theologen unter dem Titel „Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch“ neben anderen Punkten auch die Aufhebung des Zölibats, die Aufklärung der Missbrauchsfälle sowie die Zulassung von Frauen zu allen kirchlichen Ämtern angemahnt.[3] Den Forderungen hatten sich schon damals zahlreiche Katholikinnen und Katholiken sowie katholische Organisationen angeschlossen, darunter neben dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) auch die bereits erwähnten konfessionellen Frauenorganisationen KFD und KDFB.
„Kirchenstreik“ und „Kirchenupdate“
Hatten die Theologinnen und Theologen 2011 ihre Forderungen noch mit der akademischen Autorität ihrer professoralen Lehrämter untermauert, folgt die Frauenbewegung „Maria 2.0“ sichtlich der seit Ende 2017 durch die „MeToo“-Bewegung angestoßenen Proteste gegen sexuelle Belästigung, Missbrauch und Ungleichbehandlung von Frauen, die nach der Filmindustrie zahlreiche weitere Branchen wie Politik, Unternehmen, Kultur und Wissenschaft erfasste. Schon länger war bei vielen Frauen die Frustration über die untergeordnete Rolle in der katholischen Kirche angewachsen. Mit offenem Wohlwollen war dagegen etwa die Protestantin Margot Käßmann beobachtet worden, die in der Vergangenheit auch manche Katholikinnen hinter vorgehaltener Hand als „unsere Bischöfin“ bezeichnet hatte und deren Wirken mit der Hoffnung auf eine ähnliche Öffnung der katholischen Kirche verbunden wurde.
Die Enttäuschung über die mangelnde Erfüllung dieser Erwartungen durch die männliche Kirchenhierarchie verstärkte sich noch durch die Offenlegung des moralischen Versagens dieser Hierarchie im Umgang mit den Missbrauchsfällen. Somit können die Katholikinnen von „Maria 2.0“ ihr Engagement für eine stärkere Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche sowie für die Möglichkeit zur Übernahme von Amts- und Führungspositionen selbstbewusst mit der Notwendigkeit des Aufbrechens jener traditionellen männerbündischen Strukturen begründen, in denen über viele Jahrzehnte hinweg Missbrauch stattfand und systematisch vertuscht wurde. Freilich, der so notwendige aufklärerisch-kritische Blick auf die Männer der Kirche, die als Täter, Dulder oder Vertuscher verantwortlich für schweres Leid und tiefen Vertrauensverlust waren, muss sich bemühen neue blinde Flecken zu vermeiden. Denn schon beklagen Frauen und Männer, die in der Vergangenheit in kirchlichen Anstalten und Heimen Opfer von Nonnen geworden sind, ihre eigenen Missbrauchs- und Gewalterfahrungen würden ausgeblendet und marginalisiert.
Was die Forderungen der Katholikinnen von „Maria 2.0“ jedoch am stärksten vom professoralen Engagement von „Kirche 2011“ unterscheidet und auch für die größte mediale Aufmerksamkeit sorgte, war der Aufruf zu einem „Kirchenstreik“, der dem feministischen Vorbild des „Frauenstreiks“ folgt. In einer Aktionswoche vom 11. bis zum 18. Mai 2019 sollte der Protest durch Niederlegung der ehrenamtlichen Tätigkeiten sowie die Weigerung Kirchen und reguläre Gottesdienste zu besuchen in die katholischen Gemeinden getragen werden. Es wurde dazu aufgerufen stattdessen durch Mahnwachen und Aktionen den eigenen Protest sichtbar zu machen und alternative Formen der Glaubensfeier mit gemeinsamen Gebeten, Tanz und Gesang auszuprobieren. Vor allem in Groß- und Universitätsstädten kamen jeweils mehrere hundert Frauen und auch Männer zusammen, insbesondere bei der zentralen Veranstaltung auf dem Münsteraner Domplatz mit etwa 700 bis 800 Teilnehmenden.
Zwar beteiligten sich deutschlandweit auch Gläubige in kleineren Gemeinden an der Aktion, doch zeigte der je nach Perspektive erhoffte bzw. befürchtete „Kirchenstreik“ in der breiten Fläche der ländlichen Gemeinden nur eine begrenzte Wirkung. Davon dass die Bewegung ohnehin überwiegend von einem eher urbanen Milieu getragen wird, zeugt schon der programmatische Titel „Maria 2.0“ mit seinem metaphorischen Aufruf zu einem Update der Kirche. Angesichts der von der Digitalisierung vorangetriebenen rasanten Modernisierung in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen ist es nur naheliegend, auch beim Aufruf zu einer Modernisierung der Kirche eine entsprechende Metapher zu verwenden. Allerdings betrachten bekanntlich nicht wenige Menschen die mit dem sprichwörtlich gewordenen digitalen „Neuland“ verbundenen rasanten Umwälzungen nicht nur positiv, sondern auch mit Zweifeln und Abwehr. Ganz ähnliche Reaktionen lösten auch die kirchlichen Reformforderungen unter nicht allzu modernisierungsfreudigen Gläubigen aus.
So gründete sich unter dem Motto „Maria braucht kein Update“ um eine bayerische Lehrerin die Initiative „Maria 1.0“[4], die ebenso wie etwa auch das traditionalistisch-konservative Forum Deutscher Katholiken dazu aufrief, an den gewohnten Regelungen festzuhalten. Allerdings fiel der traditionalistische Widerstand an der Basis noch weit marginaler aus als die Beteiligung am „Kirchenstreik“. Bei der weitgehend indifferenten Mehrheit der Katholikinnen und Katholiken dürfte wohl weder das Bedürfnis nach einer modernistischen Revolte, noch eine fundamentale Gegnerschaft gegen verheiratete Priester und ordinierte Frauen allzu ausgeprägt sein. Weit wichtiger als die tatsächliche Mobilisierung unter den gut 23 Millionen Gläubigen in den nicht ganz 25 Tausend katholischen Kirchen der Bundesrepublik war die mediale Begleitung und Vermittlung der Proteste. Die weitgehend wohlwollende Berichterstattung über die Initiatorinnen und ihre Ziele sowie die Bilder von den deutschlandweiten Mahnwachen und Feiern in dutzenden Orten und Kirchengemeinden schufen einen großen Teil jener Öffentlichkeit, die geeignet ist Druck auf die kirchliche Hierarchie auszuüben und damit Veränderungen anzustoßen.
Reaktion der Kirchenmänner
Dass die Reaktionen der deutschen Bischöfe auf die Ankündigung des „Kirchenstreiks“ wenig euphorisch ausfielen, verwundert nicht. Allerdings war die Position durchaus nicht einheitlich. Kritisch verkündete der (kurz vor dem Ruhestand stehende) Augsburger Bischof Konrad Zdarsa, die Forderungen entsprächen nicht dem katholischen Glauben und erklärte recht drastisch, es stünde jeder und jedem frei, „das Schiff der römisch-katholischen Kirche zu verlassen, wie es Papst Franziskus erst kürzlich gegenüber einer Ordensfrau formuliert hat.“[5] Damit bezog er sich auf einen Ausspruch des Papstes gegenüber einer deutschen Franziskanerin Anfang Mai 2019, dessen vermeintliche Schärfe jedoch vom Vatikan nachträglich deutlich relativiert worden war.[6] Auch bemühte sich die Mehrheit der deutschen Bischöfe sichtlich darum den Konflikt mit den Katholikinnen von „Maria 2.0“ nicht anzuheizen und stattdessen unverbindliche Dialogbereitschaft zu signalisieren. Der als liberal geltende Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, seit 2010 Vorsitzender der Unterkommission Frauen in Kirche und Gesellschaft innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz, sah zwar die Streikaufrufe kritisch, unterstützte jedoch ausdrücklich die Initiative der protestierenden Katholikinnen und erklärte seine Solidarität.
Bei genauerem Blick erweist sich auch, dass die Forderungen von „Maria 2.0“ durchaus keinen Generalangriff auf die gesamte Kirchenhierarchie darstellen. Stattdessen bestärkt der durch die Frauenbewegung entstandene öffentliche Druck indirekt die Position der liberalen Bischöfe innerhalb eines aktuell anstehenden Reformprozesses. Denn schon vor der Initiierung von „Maria 2.0“ hatte die Deutsche Bischofskonferenz im März 2019 – ohne die Zustimmung des Augsburger Bischofs Zdarsa – unter dem Namen „Synodaler Weg“ einen Diskussions- und Handlungsprozess beschlossen, der unter Einbeziehung der katholischen Laienorganisationen zu Reformen in verschiedenen umstrittenen Kirchenbereichen führen soll, darunter auch bei der kirchlichen Sexualmoral und der Rolle der Frauen.[7] Dieser Prozess steht deutlich in der Tradition der einflussreichen „Würzburger Synode“, bei der von 1971 bis 1975 Bischöfe, Geistliche und Laien gemeinsam über die praktische Verwirklichung der Reformbeschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils in der Bundesrepublik diskutierten und maßgebliche Entscheidungen trafen. Neben Fragen zur moderneren Gottesdienstgestaltung, dem Religionsunterricht, der stärkeren Beteiligung der Gläubigen und vielem mehr wurde dabei auch erstmals beschlossen, Frauen den Zugang zu leitenden Positionen in der Kirche zu ermöglichen. Als unverbindliches Votum wurde auch schon die Bitte an den Papst gerichtet, Frauen die Übernahme des Diakonamtes zu ermöglichen – eine Antwort des Vatikan erfolgte seinerzeit darauf jedoch nicht.
Die Öffnung des Diakonats für Frauen dürfte allerdings bei den nunmehr anstehenden Reformdebatten eine zentrale Rolle spielen. Bislang standen sich bei dieser umstrittenen Frage liberalere und konservativere Kirchenvertreter gegenüber. Durch den öffentlichen Druck der Frauen von „Maria 2.0“ mit ihrer wohl (noch) weitgehend illusorischen Forderung nach der Weihe von Katholikinnen zu Priesterinnen, erscheint die Zustimmung zu weiblichen Diakoninnen jedoch zunehmend als möglicher Kompromissvorschlag. Innerhalb der deutschen Kirchenhierarchie dürfte jedenfalls weitgehender Konsens darüber bestehen, dass vom Reformprozess ein signifikantes Entgegenkommen gegenüber den Forderungen der Katholikinnen erwartet wird.
Freilich, das letzte Wort liegt beim Vatikan, wo Papst Franziskus bereits 2016 eine Kommission damit beauftragte die grundsätzliche Möglichkeit der Weihe von Frauen zu Diakonissinnen theologisch zu prüfen. Die 12-köpfige Expertengruppe konnte sich jedoch nicht auf ein gemeinsames Ergebnis einigen, weshalb auch eine entsprechende päpstliche Entscheidung ausblieb. Mögliche deutliche Beschlüsse durch die Deutsche Bischofskonferenz in dieser Frage dürften allerdings sicherlich zur Notwendigkeit einer eindeutigen und zeitnahen Entscheidung beitragen. Die im Zuge des „Synodalen Weges“ in näherer Zukunft innerhalb der deutschen katholischen Kirche stattfindenden Diskussionen und Verabschiedungen entscheiden jedenfalls zweifellos über die Zukunftsfähigkeit der Kirche in der Bundesrepublik – die Stimmen, das Engagement, der Widerspruch und auch der Protest der deutschen Katholikinnen werden daran einen entscheidenden Anteil haben.
[1] Vgl. Offener Brief an Papst Franziskus aus Anlass des Sondergipfels in Rom vom 21.-24. Februar 2019 zum Thema der sexualisierten Gewalt in der Kirche, o. D. [2019], [aufgerufen am 20.12.2019].
[2] Vgl. Kötter, Elisabeth: An: Papst Franziskus und die Synode der Bischöfe. Offener Brief aus Anlass des Sondergipfels zum Thema der sexualisierten Gewalt in der Kirche o. D. [2019], in: WeAct! Die Petitionsplattform von Campact, [aufgerufen am 20.12.2019].
[3] Vgl. Memorandum von Theologieprofessoren und -professorinnen zur Krise der katholischen Kirche, 04.02.2011, [aufgerufen am 20.12.2019].
[4] Vgl. Stöhr, Johanna: Maria 1.0: Maria braucht kein Update, o. D. (2019), [aufgerufen am 20.12.2019].
[5] Zit. n. KNA-Meldung: Augsburger Bischof Zdarsa hat kein Verständnis für Maria 2.0, 22.05.2019, in: Katholische Nachrichten-Agentur (KNA), [aufgerufen am 20.12.2019].
[6] Vgl. Hagenkord, P. Bernd: „Dann geh doch…“: Was der Papst NICHT gesagt hat, 11.05.2019, in: Vatican News, [aufgerufen am 20.12.2019].
[7] Vgl. Der Synodale Weg, o. D. (2019), in: Deutsche Bischofskonferenz (DBK), [aufgerufen am 20.12.2019].