von Annette Schuhmann

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1. Oktober 2010

Am 14. 9. 2010 hat das ZDF die Frontal21-Dokumentation „Beutezug Ost“ von Herbert Klar und Ulrich Stoll ausgestrahlt. Der Beitrag zeichnet ein ausgesprochen kritisches Bild der Privatisierung der ostdeutschen Wirtschaft. „Verramscht, zerschlagen, abgewickelt“ – unter diesem Motto entwerfen die Autoren das Szenario eines gnadenlosen Ausverkaufs der DDR, unter dessen Folgen deutsche Steuerzahler bis heute leiden würden. Zeitgeschichte-online sprach über die Sendung mit dem Wirtschaftshistoriker Prof. Dr. André Steiner (ZZF Potsdam).

Wie neu sind die in dem Beitrag erhobenen Vorwürfe?

Berichte über Unregelmäßigkeiten, kriminelle Machenschaften u.ä. bei der Privatisierung der DDR-Wirtschaft durch die Treuhandanstalt hat es immer wieder gegeben. Auch die in der Dokumentation angesprochenen Fälle wurden alle in den Medien in irgendeiner Form schon einmal thematisiert. Dass diese Vorwürfe von journalistischer Seite in geballter Form vorgetragen werden, ist ebenfalls nicht neu, man denke an das 1997 erschienene Buch von Michael Jürgs, „Die Treuhändler. Wie Helden und Halunken die DDR verkauften“.

Muss die Geschichte der Treuhand neu geschrieben werden?

Bei der historischen Erforschung der Tätigkeit der Treuhand, vor allem ihrer Ergebnisse und Folgen, stehen wir ohnehin erst am Anfang. Es liegen bisher nur einzelne Arbeiten vor, die sich dem Vorgehen der Behörde historisch-kritisch nähern. An erster Stelle ist hier das Buch "Verwaltete Illusionen. Die Privatisierung der DDR-Wirtschaft durch die Treuhandanstalt und ihre Nachfolger 1990-2000" (Frankfurt am Main 2005) von Wolfgang Seibel zu nennen. Ihm geht es um eine politische Institutionengeschichte der Treuhandanstalt und ihrer Nachfolgeinstitutionen, wobei ökonomische Zusammenhänge und Hintergründe eher nebenbei zur Sprache kommen. (Rezension unter: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-1-193>)

Gilt nach wie vor die selbst von Kritikern der Privatisierung anerkannte Position, dass es zu dieser Form der Privatisierung keine Alternative gegeben hat und Auswüchse bei dem Tempo der Entwicklung unvermeidlich waren?

Natürlich gab es, wie immer in der Geschichte, Alternativen. Die Frage ist nur, wären sie im Interesse einer funktionierenden Wirtschaft in Ostdeutschland und eines selbsttragenden wirtschaftlichen Aufschwungs sinnvoll und bezahlbar gewesen. Meines Erachtens war die gewählte grundsätzliche Form der Privatisierung vermutlich die günstigste. Alle anderen Varianten hätten wahrscheinlich neuer Dauer-Subvention bedurft und wären mithin irgendwann nicht finanzierbar gewesen. Was aber möglicherweise hätte anders gedacht werden können, wäre die Gestaltung des wirtschaftlichen Umfelds und der Zeithorizont der Privatisierung gewesen. Zum einen hätte eine bereits früher einsetzende Wirtschaftsförderung für den Osten möglicherweise die Existenz des einen oder anderen Unternehmens gerettet. Zum anderen war das hohe Privatisierungstempo, das von der Treuhand unter der Ägide von Birgit Breuel (und der aufsichtshabenden Behörde, dem Bundesfinanzministerium) vorgelegt wurde, von einer marktradikalen Einstellung bestimmt. Im Vordergrund stand das Interesse, die bei der Politik gelandete Verantwortung für die wirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland so schnell wie möglich an private Unternehmen abgeben zu können. Auch hier hätte eine zeitliche Streckung - ohne dies zu einer Daueraufgabe zu machen - manches Problem entschärft und vor allem den Druck auf die Preise durch das gleichzeitig erfolgende Angebot einer gesamten Volkswirtschaft verringert.

Bedarf es einer vergleichenden Untersuchung der Transformationsprozesse in den ehemaligen Ostblockländern, um einen differenzierteres Urteil über die Privatisierung der DDR-Wirtschaft und die Tätigkeit der Treuhand zu fällen?

Natürlich kann auch hier der Vergleich aufzeigen, was typisch und was speziell war. Gleichwohl muss man sich ebenfalls bei diesem Vergleich bewusst sein, dass sich die Situation in den anderen ostmitteleuropäischen Transformationsländern grundsätzlich von der in Ostdeutschland unterschied, da diese nicht auf einen "großen Bruder" im Westen setzen konnten.

Wie ist die Quellenlage auf diesem Gebiet?

Prinzipiell unterliegen die Unterlagen der Treuhandanstalt den üblichen Archiv-Schutzfristen, wobei aber noch zu klären wäre, ob diese Institution als eine staatliche gilt, die den Auflagen des Bundesarchivgesetzes unterliegt. Insofern sind wir über die Lage bei den schriftlichen Hinterlassenschaften im Moment nicht besonders gut informiert. Es ist aber zu vermuten, dass die Quellenlage eher dürftig ist. Zeitzeugenbefragung und journalistische Recherchen schaffen hier nur bedingt Abhilfe, da sie sich nicht für eine Gesamtbewertung verallgemeinern lassen.