von Annette Vowinckel

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1. Oktober 2014

Am 13. Oktober 1977 wurde die Lufthansa-Maschine Landshut auf dem Flug von Palma de Mallorca nach Frankfurt von vier Palästinensern entführt. Die Maschine erreichte nach Zwischenstopps in Rom, Larnaka (Zypern), Dubai und Aden (Südjemen) am 17. Oktober die somalische Hauptstadt Mogadischu, wo ein Kommando der GSG 9 am 18. Oktober die Geiseln aus der Maschine befreite und dabei drei der vier Entführer erschoss. Souheila Andrawes, die einzige Frau unter den Entführern, überlebte schwer verletzt und saß zunächst eine zweijährige Haftstrafe in Somalia ab. 1996 wurde sie in Deutschland zu einer weiteren Haftstrafe von 12 Jahren verurteilt, die sie zum Teil in Norwegen verbüßte, dort aber 1999 auf Grund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen von der Haft verschont wurde. Alle befreiten Geiseln überlebten mit nur geringfügigen körperlichen Verletzungen, haben aber in zahlreichen Berichten auf die Traumatisierung durch die physische und psychische Gewalt an Bord der Landshut hingewiesen.[1]

Sicherheitspolitisch war „Mogadischu“ insofern von kaum zu unterschätzender Bedeutung, da der sozialdemokratische Bundeskanzler Helmut Schmidt erstmals eine militärische Lösung ohne jeden Kompromiss durchsetzen konnte. Der Berliner Senat hatte noch 1975 während der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz einen Geiselaustausch favorisiert. Von nun an galt, dass man mit Terroristen keinen Kuhhandel macht, sondern mit militärischer Härte durchgreift. Diese Strategieänderung entspricht im Prinzip den internationalen Reaktionen auf die seit Ende der 1960er Jahre sich häufenden Flugzeugentführungen, die eine massive Verschärfung der Sicherheitsmaßnahmen auslösten. Und für die RAF waren die Ereignisse, die heute unter der Signatur „Deutscher Herbst“ geläufig sind, insofern ein Wendepunkt, als die Führungsriege über Nacht verschwand und die bereits aktive „Zweite Generation“ sich ideologisch und strategisch neu aufstellen musste.

In der Geschichte der alten Bundesrepublik markieren die Befreiung der Landshut und der in der Nacht vom 18. auf den 19. Oktober folgende Selbstmord der Stammheimer RAF-Gefangenen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe das Ende der ersten Dekade des Linksterrorismus, der seither in all seinen Facetten akribisch erforscht worden ist. Ein Blick auf die Forschungslandschaft zeigt, dass Auseinandersetzungen mit der Geschichte des Linksterrorismus eine besondere Art der Standortgebundenheit aufweisen. Dabei gibt es verschiedene Ansätze, die hier nicht personalisiert, sondern eher idealtypisch beschrieben werden sollen: Zum einen zog die Geschichte der RAF solche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, die selbst dem bundesdeutschen Staat kritisch gegenüberstanden und die als (oft nachgeborene) Sympathisanten der Studentenbewegung oder auch militanter linker Gruppierungen nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit sich selbst praktizierten. Dem gegenüber stehen solche Historiker, die aus einer eher konservativen Sicht die zentrale Bedeutung der inneren Sicherheit betonten, die Terroristen weniger als Überzeugungstäter denn als gemeine Kriminelle klassifizierten und den Stimmen der Opfer mehr Raum gaben. Besonders interessant wird die Auseinandersetzung mit der Geschichte des bundesdeutschen Linksterrorismus da, wo diese Standortgebundenheit selbst mit thematisiert wird; allen voran hat der Frankfurter Historiker Gerd Koenen gezeigt, dass es durchaus möglich ist, den Blick auf die eigene Geschichte bei der Geschichtsaufarbeitung einzubeziehen.

Dessen ungeachtet ist „Mogadischu“ aber auch von den audiovisuellen Massenmedien aufgegriffen und einer Populärkultur einverleibt worden, deren Produkte zum Verständnis des Linksterrorismus und der von ihm provozierten (Über-)Reaktionen wenig beitragen. Dies gilt vor allem für das Genre des Dokudramas, das nach Heinrich Breloers Todesspiel, Uli Edels Baader Meinhof Komplex und Roland Suso Richters für die ARD produziertem Fernsehspiel Mogadischu sicher noch weitere Produkte hervorbringen wird.[2] Diese Filme mögen durchaus unterhaltsam und gut gemacht sein – zum Verständnis der politischen Gemengelage um 1977 tragen sie wenig bei. So wird „Mogadischu“ zu einem merkwürdigen Versatzstück bundesdeutscher Geschichte, das einerseits eine sicherheitspolitische Wende markiert und Helmut Schmidt als einen Mann profiliert, der den Begriff der Staatsraison zu neuem Leben erweckte. Andererseits ist „Mogadischu“ auch heute noch in manchen Kreisen eine Chiffre für das Abrutschen des Staates in eine Randzone des Legalen, die mit Verweis auf Kontaktsperre und Notstandsgesetze rhetorisch abgesteckt wird. Der notwendige nächste Schritt wäre eine Historisierung nicht der RAF-Geschichte, sondern der RAF-Geschichtsschreibung. Eine der zentralen Fragen einer solchen Metageschichte sollte sein, ob die gesamte Geschichte der RAF vielleicht von westdeutschen Historikern, die selbst Zeitzeugen sind, systematisch überbewertet worden ist.

 

[1] Zuletzt erschien als DVD der Dokumentarfilm „Im fliegenden Sarg“ – Die Landshut Entführung aus Sicht der Geiseln von Ebbo Demant und Ingo Helm, 3sat Edition 2012.
[2] Todesspiel Teil 1: Volksgefängnis, Teil 2: Entführt die Landshut!, Regie: Heinrich Breloer 1997, (DVD Icestorm Entertainment 2003); Der Baader Meinhof Komplex, Regie: Uli Edel, 2008 (DVD Paramount 2009); Mogadischu, Regie: Roland Suso Richter, ARD 2008 (DVD Warner Home Video.