von Felix Kandler, Marius Plach

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20. Dezember 2017

Das ursprünglich 1991, im Jahr des Zusammenbruchs der Sowjetunion, entstandene PC-Spiel Crisis in the Kremlin, das dem Genre der Politsimulationen zuzurechnen ist, erreichte mit einer 2017 neu erschienenen Edition eine weitere Generation von ComputerspielerInnen.[1] Die Spiele wurden allerdings jeweils von unterschiedlichen Entwicklerstudios herausgegeben. Die im Jahr 1991 erschienene Version ist eine Produktion des seinerzeit großen US-amerikanischen Studios Spectrum HoloByte, wohingegen die im März 2017 veröffentlichte Edition vom russischen Indie-Entwicklerstudio Kremlingames stammt.

Ausgangsszenario beider Spiele ist das Jahr 1985. Die SpielerInnen können die Kontrolle über einen von mehreren möglichen Staatschefs übernehmen. Hierbei können jeweils unterschiedliche Charaktere gewählt werden: In der alten Version steht der Reformer Michail Gorbatschow, der Nationalist Boris Jelzin oder der Hardliner Jegor Ligatschow zur Auswahl. In der neuen Version ist Gorbatschow noch immer spielbar, neu sind hingegen Grigori Romanow, Viktor Grishin und Andrei Gromyko.[2] Die Protagonisten repräsentieren verschiedene politische Spektren, wie etwa die Fraktion der Reformisten oder der Altstalinisten, die wiederum Auswirkungen auf die Spielparameter zu Beginn des Spieles besitzen und die verschiedenen Spielszenarien andeuten. Aufgabe der SpielerInnen ist es, die Existenz der Sowjetunion durch die Zeit der „Perestroika“ und darüber hinaus zu sichern. Dabei ist es möglich, kontrafaktisch eine Alternative zum Reformprogramm Gorbatschows zu entwerfen. Hierfür werden Statistiken und Tabellen ausgewertet, um Jahrespläne aufzustellen und Gelder an Wirtschaft, Regierungsapparate und die Gesellschaft zu verteilen.

 

Abbildung 1: Strategische Ansicht der 1991 erschienenen Version von Crisis in the Kremlin, © Kremlingames.

 

Abbildung 2: Strategische Ansicht der 2017 erschienenen Version von Crisis in the Kremlin, © Kremlingames.



Spielziel ist, in beiden Versionen im jeweiligen Amt zu überdauern, dabei wird der Spieler mit jenen Problemen konfrontiert wie sie in der Sowjetunion Mitte der 1980er Jahre auch real existierten: Die Wirtschaft stagniert, militärische Verwicklungen im Ausland wie der Afghanistankrieg und der kostspielige Rüstungswettlauf mit den USA stellen das Politbüro vor große Herausforderungen. Der 1985 an die Spitze der KPdSU vorgerückte Gorbatschow begegnete diesen Schwierigkeiten mit umfangreichen Reformen, welche als „Perestroika“ und „Glasnost“ bezeichnet werden. „Perestroika kann“ als „Umgestaltung“, „Umstrukturierung“ und „Umbau“ übersetzt werden. Ziel dieser Reformen war u.a. die schrittweise Liberalisierung der Wirtschaft, die sich von ihrer starken Konzentration auf den militärischen Bereich lösen sollte und die Schaffung von Anreizen für eine höhere Produktivität in der staatssozialistischen Industrie. Auch die Wiederaufnahme von Verhandlungen im Rahmen der Entspannungspolitik mit den USA und die damit verbundene Abkehr von der Breschnew-Doktrin gehörte zu den Reformzielen Gorbatschows. Sein Wahlspruch „Glasnost“, der mit „Transparenz“ oder „Öffentlichkeit“ gleichzusetzen ist, beabsichtigte ein Ende der Zensur, die Schaffung freier Medien und eine allgemeinen Demokratisierung.[3]

Beide Spiele unterscheiden sich jedoch signifikant hinsichtlich ihrer jeweiligen Ausgangssituation und ihres Spielverlaufs. Schon die Startcharaktere variieren, so ist etwa Boris Jelzin in der älteren Version als Fraktionsführer der Nationalisten wählbar, während er in der neueren Edition lediglich als politischer Gegenspieler im Politbüro fungiert. Daran erkennt man einen Perspektivwechsel seitens der alten US-amerikanischen und der neuen russischen Spielversion, die Jelzin offenkundig nicht mehr dieselbe politische Bedeutung zumisst, obwohl er erster Präsident der Russischen Föderation war. Der entscheidende Unterschied vollzieht sich jedoch erst im Spielverlauf. Hier stehen in der älteren Version die Umgestaltung und letztlich der Erhalt der Sowjetunion im Fokus. Die territoriale Ausdehnung der Sowjetunion oder eine Schwächung der USA sind hingegen nicht möglich. Im Gegensatz dazu kann in der neuen russischen Indie-Entwicklung des Spiels eine Zerschlagung der NATO und unter Umständen eine damit verbundene Ausdehnung der Sowjetunion erreicht werden. In der Neuauflage des Spiels sind somit Parallelen zum militärischen Erstarken der Russischen Föderation und ihr Versuch, erneut Einfluss auf ehemalige Sowjetrepubliken zu nehmen, zu erkennen. Interessant ist, dass sich Kremlingames auf ihrer Website auf politische Neutralität berufen[4], wenngleich ihr Spiel den Perspektivwechsel vom Zusammenbruch der Sowjetunion bis zur Großmachtpolitik Russlands unter Putin offenbart und damit realpolitische Anklänge zur russischen Politik aufweist.

Besonders hervorgehoben wurde in der Rezeption der älteren Version durch deutschsprachige Spielemagazine zum einen die Aktualität des Spielekontextes[5] und zum anderen die positiven Konnotationen in den Bezügen auf die Wende und die Person Gorbatschows.[6] Das neuere Spiel hingegen ist vor allem durch die sozialistische Hintergrundmusik nostalgisch angehaucht. Ein Gag mit Beigeschmack im Spiel ist die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, die Schwächung der USA und ihr Austritt aus der NATO.

Der Perspektivwechsel in der Indie-Entwicklung wird am deutlichsten in der Bandbreite der Möglichkeiten des Spielverlaufs, die von einer Demokratisierung über die Auflösung und Nationalisierung der Sowjetischen Republiken bis zur Weltmachtstellung der Sowjetunion reichen. So spiegelt die Neuauflage von Crisis in the Kremlin nicht zuletzt auch die Neuausrichtung der russischen Außenpolitik im 21. Jahrhundert wider.

Wird in der älteren Version der Untergang der Sowjetunion lediglich verwaltet, ergeben sich für die SpielerInnen der neueren Version Gestaltungsmöglichkeiten einer ganz anderen Zukunft.

 

[1] Laut der Spieleplattform Steam besitzen rund 10.000 bis 15.000 SpielerInnen die Neuauflage, vgl. dazu: App Data zu Crisis in the Kremlin, in: Steamspy [16.08.2017].

[2] Romanow: Konservativer mit Aussicht auf den Posten des Generalsekretärs; Grishin:  Hardliner, ebenfalls Konkurrent Gorbatschows; Gromyko: Außenminister der UdSSR von 1957 bis 1985, von 1985 bis 1988 Oberster Sowjet, ebenfalls konservativ.

[3] W. Geierhos: Der große Umbau: Russlands schwieriger Weg zur Demokratie in der Ära Gorbatschow. Köln 2016, S.166ff.

[4]„Kremlingames is a young post-soviet team of developers of political strategies. Our games are not aimed to offend someone and have just entertaining kind. We try to observe different situations properly to understand the events better and to make more realistic role-play models.“ Zu finden online auf der Entwicklerwebsite von Kremlingames [14.07.2017].

[5] „Aktueller kann ein Strategiespiel kaum sein...“ (Powerplay 08.1992, S. 46).

[6] „... das zu meistern, an was Gorbi letztlich gescheitert ist.“ (ASM 09.1992).