von Paula Bunke, Eileen Pohl

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20. Dezember 2017

Das polnische Instytut Pamięci Narodowej, Institut für Nationales Gedenken, gegründet im Jahr 1998, ist eine Institution, deren Aufgabenspektrum sich von der juristischen Aufarbeitung nationalsozialistischer und kommunistischer Verbrechen über historische Forschung bis zu Geschichtsvermittlung erstreckt. Mit Sicherheit ist es die am besten finanzierte Institution im Bereich der Geschichtsvermittlung  oder – wie KritikerInnen sagen – der patriotisch-affirmativen Erziehung.
Im Jahr 2011 hat das Institut ein Brettspiel konzipiert und gemeinsam mit dem Spielautor Karol Madaj das Spiel Kolejka herausgegeben. Zuerst gab es das Spiel nur in polnischer Sprache, allerdings war es bald so erfolgreich, dass es auch in andere Sprachen übersetzt wurde. Schon im Jahr 2012 gab es das Spiel Kolejka – In dieser Schlange warten Sie lange! auf dem deutschen Markt zu kaufen. Da das Institut zuvor noch nie ein Brettspiel zur didaktischen Bildung veröffentlicht hatte, waren die MitarbeiterInnen mit dem Erfolg so überfordert, dass sie die Rechte an dem Spiel an eine private Firma verkauften, damit das Spiel besser vermarktet und in größeren Mengen produziert werden konnte.

Ziel des Spiels, das die Zeit vor 1989 thematisiert, ist es, eine Reihe von Gegenständen des alltäglichen Lebens, wie z. B. Kleidung und Lebensmittel, zu besorgen. Die SpielerInnen müssen sich hierzu auf dem Spielbrett in Schlangen vor einer Reihe von Läden anstellen. Unabhängig von der Zahl der MitspielerInnen gibt es allerdings nie genügend Waren. Es ist daher viel Glück vonnöten, um alle auf dem Einkaufszettel stehenden Waren einkaufen zu können – sowie eine gute Strategie und viel Dreistigkeit der SpielerInnen, um sich in der Schlang ganz nach vorne zu drängeln. Darüber hinaus gibt es die Option, Waren auf dem Schwarzmarkt zu erwerben, wo sie allerdings teurer sind als in den staatlichen Läden.

Kolejka reflektiert somit spielerisch den Alltag im Kommunismus. Leere Regale in den Läden und stundenlanges Anstehen für Kleidung oder Lebensmittel gehörten damals zur Lebenswelt der Menschen, schließlich kam es bei 80 % aller Waren zu einem Versorgungsengpass, was dann wiederum zur Einführung der Lebensmittelkarten führte. Manchmal kam es auch vor, dass die Lieferungen mit den benötigten Waren nicht ankamen oder zu wenig geliefert wurde. Wie im Spiel konnten sich auch die ZeitgenossInnen nie wirklich sicher sein, welche Produkte wohin geliefert werden würden. Vor vielen Geschäften entwickelten sich zwei verschiedene Schlangen: eine für privilegierte BürgerInnen und die andere für „normale“ BürgerInnen. So hatten z. B. Frauen mit Kindern Vorrang und Funktionäre waren erst gar nicht von den Engpässen betroffen.[1] Andere wiederum nutzten die langen Warteschlangen, um Geld zu verdienen. Sie arbeiteten als professionelle AnsteherInnen und wurden nur dafür bezahlt, um sich für andere anzustellen.[2]

Schuld an der schlechten Wirtschaftslage waren einerseits inhärente Mängel der Planwirtschaft. So konnten die Bedürfnisse der Bevölkerung in den zentral gesteuerten Volkswirtschaften mit ihren mehrjährigen Produktionsplänen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Darüber hinaus erwies sich die Industrialisierungspolitik in vielen kommunistischen Staaten als wirtschaftlich nachteilig. Viele staatssozialistische Länder verschuldeten sich bei dem Versuch mittels der Etablierung eines Konsumsozialismus den Lebensstandard zu erhöhen und damit jenen Standards in den westlichen Gesellschaften anzugleichen. So entwickelte sich in vielen Staaten des „Ostblocks“, darunter auch in Polen, eine strukturelle Wirtschaftskrise, die die gesamten 1980er Jahre überdauerte und maßgeblich für den Zusammenbruch der kommunistischen Regime verantwortlich war.[3]

Ziel der Entwickler von Kolejka war eine zwar überspitzte, aber doch realitätsnahe sowie unterhaltsame Darstellung der historischen Hintergründe und Folgen der sozialistischen Mangelwirtschaft. Darüber hinaus liefert die Spielanleitung zahlreiche Hintergrundinformationen zur Geschichte Polens und sogar zur wirtschaftlichen Situation in der DDR. Auf satirische Art und Weise wird auf die Vergangenheit Polens aufmerksam gemacht. Genau das war auch das Ziel von Karol Madaj und dem Institut für Nationales Gedenken. Mit dem Spiel wollten sie, wie Madaj in einem Interview betont, an Polens Geschichte erinnern, sie aufarbeiten und auch sicherstellen, dass sie nie vergessen wird.[4] Dabei stellt das Institut die Opferrolle Polens heraus, indem der polnische Sozialismus als ein von der Sowjetunion oktroyiertes System dargestellt wird. Diese Einschätzung steht zwar im Spiel nicht im Vordergrund, allerdings wird in der Anleitung immer wieder explizit darauf hingewiesen. So wird im Vorwort der Spielanleitung betont, wohin die aufgezwungene Regierungsform geführt hat, „[denn] in der gesamten 45-jährigen Geschichte der Volksrepublik Polen gab es nicht einen einzigen Moment, an dem ihre Einwohner (oder besser gesagt ihre Einwohnerinnen – schließlich waren sie es hauptsächlich, die sich um die täglichen Einkäufe sorgen mussten) problemlos all das kaufen konnten, was sie zum Leben brauchten“.[5] Außerdem wurde das polnische Volk „für ein halbes Jahrhundert grundlegender Menschenrechte beraubt. Die Polen hatten jedoch keineswegs vor, sich dem aufgezwungenen System zu unterwerfen.“[6] Für genau diese Darstellung der polnischen Geschichte wird das Institut für Nationales Gedenken von vielen Seiten kritisch betrachtet und löst damit immer wieder Diskussionen aus. Das Spiel ist somit auch Bestandteil der gegenwärtigen Auseinandersetzung um die polnische Geschichtspolitik und Erinnerungskultur.

 

[1] Vgl. M. Krzoska: Ein Land unterwegs. Kulturgeschichte Polens seit 1945. Paderborn 2015, S. 156f.
[2] Vgl. Institut für Nationales Gedenken: Kolejka – In dieser Schlange warten Sie lange. Spielanleitung, S. 33.
[3] Vgl. Institut für Nationales Gedenken: Spielanleitung, S. 25-37.
[4] Vgl. A. Sygiel: Kolejka – Polnisches Monopoly in Zeiten des Kommunismus, in: CaféBabel, 10.02.2011 [02.08.2017].
[5] Vgl. Institut für Nationales Gedenken: Spielanleitung, S. 25.
[6] Institut für Nationales Gedenken: Spielanleitung, S. 2.