von Konstantin Neumann

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12. Juli 2018

Einleitung

Die DDR war ein Campingland. In den 1980er Jahren lag die Zahl der Übernachtungsgäste auf den ca. 530 staatlichen Zeltplätzen bei jährlich über zwei Millionen, 1989 sogar bei mehr als 2,5 Millionen, was durchschnittlich etwa 12,5 Prozent der Gesamtbevölkerung der DDR entsprach.[1] In erster Linie bot das Camping eine Alternative zum sogenannten „Haupterholungsträger der Werktätigen“, dem Feriendienst des FDGB.[2] So beliebt dessen Ferienplätze an der Ostsee waren, so berüchtigt waren die Zustände in den Ferienheimen, die Bürger_innen oft in Eingaben kritisierten.[3] Ein Urlaub auf dem Zeltplatz versprach dagegen Erholung ohne feste Essenszeiten und ohne barsche Behandlung durch das Personal. Diese Freiheit beim Camping könnte mit den Begriffen Ungebundenheit, Ungezwungenheit und Selbstgestaltung des Urlaubsrhythmus umschrieben werden.[4] Aber war es auch eine politische Freiheit, eine „Nische im Sozialismus“ gar, die den „Individualisten unter den Sommerurlaubern“ einen Freiraum verschaffte, „der sie wenigstens in den wertvollsten Wochen des Jahres dem Zwang des Kollektivs entrinnen“[5] ließ?

Ordnung und Sicherheit auf dem Zeltplatz

Eine erste Regulierung auf den Zeltplätzen erreichte der Staat durch die Campinggenehmigung. In der Regel musste schon im Vorjahr bei der zentralen Vermittlungsstelle des Bezirks ein Antrag für solch eine Campingerlaubnis eingereicht werden.[6] Vor Ort wurde der „Campingfreund[7] polizeilich gemeldet, zudem erhielt er gegebenenfalls eine Kontrollmarke, die er mit der Campinggenehmigung bei Kontrollen vorzeigen musste.[8] Die Camper_innen hüteten die Campinggenehmigung wie einen Schatz, da es bei Verlust keinen Ersatz gab und sie mitunter täglich kontrolliert wurden. Neben der Campinggenehmigung wurde tagtäglich die Einhaltung der Campingordnung kontrolliert, welche die kleinbürgerlichen Werte von Ordnung, Ruhe und Sauberkeit sowie den Brandschutz regelten. Unterstützung erfuhr das Zeltplatzpersonal hier in erster Linie von einem ehrenamtlichen Campingbeirat, bestehend aus (Dauer-)Gästen und lokalen Vertretern des Handels und gesellschaftlicher Organisationen, die zudem helfen sollten, dass „sich eine interessante kulturelle und sportliche Atmosphäre entwickelt.“[9] Welche staatlichen Kontrollorgane sich darüber hinaus auf den Zeltplätzen tummelten, verdeutlicht ein Bericht der Volkspolizei Grimmen über den Zeltplatz in Stahlbrode, die den „wirksamen Einsatz des zuständigen ABV, […] des Streifeneinzeldienstes, […] der Feuerwehr und der Verkehrspolizei, der Freiwilligen Helfer der DVP und der gesellschaftlichen Kräfte sowie der eingesetzten Ordnungsgruppen“[10] lobte. Der optische Gegensatz zwischen den uniformierten Kontrolleuren auf der einen und den halbnackten Urlauber_innen auf der anderen Seite gehörte wohl zum Alltagsbild auf den Zeltplätzen der DDR.

Intercamping und das Ministerium für Staatssicherheit (MfS)

Die bis zu 32 Intercampingplätze mit gehobener Ausstattung, auf denen jährlich bis zu 100.000 ausländische Touristen, aber auch 300.000 DDR-Bürger_innen ihren Urlaub verbrachten, nahmen eine besondere Rolle im DDR-Campingwesen ein.[11] Zum einen waren sie als Devisenbringer relevant für die Volkswirtschaft, zum anderen gerieten die Intercampingplätze vor den Augen der internationalen Gäste zu einem Schaufenster der DDR. Hier konnte sich der Staat inszenieren und die heile Welt des Sozialismus präsentieren. Die Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit war auf diesen Plätzen für den Staat folglich von besonders großem Interesse.

Die Intercampingplätze stellten für das MfS aufgrund der vielfältigen Kontaktmöglichkeiten westlicher Besucher_innen mit DDR-Bürger_innen ein Sicherheitsrisiko dar. So bestand eine Aufgabe der Abteilung VI „Grenzkontrollen, Reise- und Touristenverkehr“ in der „politisch-operativen Sicherung“ solcher touristischer Einrichtungen.[12] Erich Mielke stellte 1975 in einer Dienstanweisung fest, dass unter dem Deckmantel des Tourismus die „Organisierung der subversiven Tätigkeit gegen die DDR“[13] durch den Feind erfolge. Die Arbeit des MfS auf den Zeltplätzen bestand im Wesentlichen in der Aufklärung, Überwachung und Kontrolle von politisch bedeutsamen Personen(gruppen) – sowohl auf Seiten der Gäste als auch beim Zeltplatzpersonal. Neben der Verhinderung von politischen Verbrechen wie Spionage und Republikflucht/Fluchthilfe umfasste der Auftrag der Staatssicherheit ebenso die Verhinderung von Straftaten der allgemeinen Kriminalität wie Diebstahl oder Sachbeschädigung.[14] Aufgrund dieses sehr allgemeinen und umfassenden Auftrages konnten bei der „Objektsicherung“ durch die inoffiziellen Mitarbeiter_innen die unterschiedlichsten Dinge in den Blick des MfS geraten.

Ein Alltagsphänomen, das dem MfS gehörig auf die Nerven ging, waren jugendliche Gruppen, die den Campingplatz zur Kneipe umfunktionierten. Eine MfS-Sicherungskonzeption konstatiert hierzu: „Während der Saison ist auf dem Intercampingplatz Seehof eine hohe Konzentration von jugendlichen Gruppen zu verzeichnen. […] Durch diese Gruppierungen […] werden folgende Vorkommnisse verursacht: rowdyhaftes Verhalten, unberechtigter Aufenthalt […] während der Nachtzeit, geringfügige Diebstähle […], Durchführung von Lagerfeuern bei angewiesener Waldbrandstufe u. a. mehr.“[15] Ein besonders extremes Beispiel ereignete sich zu Pfingsten 1989, als sich 600 Jugendliche auf dem Zeltplatz Ecktannen (Waren/Müritz) einfanden. Daraufhin gaben sich die in der Adoleszenz Befindlichen ein Wochenende lang dem Alkoholkonsum hin. Ein offenkundig schockierter IM berichtete: „Was sich moralisch in den drei Tagen abgespielt hat, entsprach nicht mehr unseren sozialistischen Moralauffassungen. […] Nach ersten Schätzungen beläuft sich der materielle Schaden auf 10.000 Mark, ohne den moralischen Schaden einschätzen zu können.“[16] Doch auch bei wesentlich harmloseren Vorfällen wurde das MfS aktiv, wenn das Ansehen der Intercampingplätze Schaden zu nehmen drohte.

Fazit

Die Campingordnung sowie die Kontrollen auf ihre Durchsetzung ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass der Staat keine Exklaven oder Nischen duldete, sondern stattdessen bestrebt war, seine Bürger auch im Urlaub zu kontrollieren. Die großen überfüllten Campingplätze an der Ostsee mit bis zu 7.000 Gästen mögen auf den ersten Blick ein chaotisches Bild abgegeben haben, doch war jede Person polizeilich gemeldet und der Staat wusste im Prinzip jederzeit, wer sich wo aufhält. So ist auch das rigorose Vorgehen gegen „Schwarzcamper“ zu verstehen, die weniger einen wirtschaftlichen Verlust als vielmehr eine Unterhöhlung der staatlichen Autorität darstellten.

Die täglichen Kontrollen bedeuteten ein beständiges Eindringen in die Privatsphäre und verhinderten so exklusive Freiräume. Dabei wurde die Campingordnung nicht nur durch die staatlichen Exekutivorgane durchgesetzt, sondernn auch mit der Institution des Campingrates sowie wachsamen Mitcampern ebenso durch Selbstkontrolle und -disziplinierung gewährleistet. Die einzelnen Kontrollelemente (wie die Kontrollen auf Einhalten des Brandschutzes) mögen für sich allein nachvollziehbar, sinnvoll und bei weitem nicht diktatorisch sein. Doch in der Gesamtheit bewirkten die vielen Einzelmaßnahmen, dass die Camper_innen während ihres Urlaubs täglich wegen der unterschiedlichsten Belange kontrolliert werden konnten und sich vor Menschen in Uniform verantworten mussten.

 

[1] Statistisches Amt der DDR (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1990, 35. Jg., Berlin 1990, S. 365.
[2] Zur Geschichte des Feriendienstes siehe Christopher Görlich: Urlaub vom Staat. Tourismus in der DDR, Köln/Weimar/Wien 2012.
[3] Ina Merkel (Hrsg.): „Wir sind doch nicht die Mecker-Ecke der Nation“. Briefe an das DDR-Fernsehen, Köln 1998, S. 177 f.
[4] Heike Wolter: „Ich harre aus im Land und geh, ihm fremd“. Die Geschichte des Tourismus in der DDR, Frankfurt am Main/New York 2009, S. 277-279.
[5] Judith Kruse: Nische im Sozialismus. In: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.): Endlich Urlaub! Die Deutschen reisen, Köln 1996, S. 106-111, hier 106.
[6] Ein solcher Antrag ist abgebildet in: Sönke Friedreich: Urlaub und Reisen während der DDR-Zeit. Zwischen staatlicher Begrenzung und individueller Selbstverwirklichung, Dresden 2011, S. 56.
[7] Dies war die offizielle Anrede der Campingplatzvermittlung für den Antragsteller.
[8] § 23 Meldeordnung vom 10.06.1981 (GBl. I Nr. 23, S. 282);Gustav-Adolf Lübchen/Hubert Thiel: Urlaub, Reisen, Camping. 2. überarb. Aufl. (=Recht in unserer Zeit 37), Berlin 1987, S. 121.
[9] Ebd., S. 124.
[10] Volkspolizei-Kreisamt Grimmen: Einschätzung zum Stand der Gewährleistung eines störungsfreien Ablaufes der Urlaubersaison im Kreis Grimmen im Jahre 1988, Grimmen, 19.09.1988. In: BStU, MfS, BV Rostock, KD Grimmen, Nr. 215, Bl. 91-93.
[11] Statistisches Amt der DDR (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1990, 35. Jg., Berlin 1990, S. 365.
[12] Monika Tantzscher: Hauptabteilung VI: Grenzkontrollen, Reise- und Touristenverkehr (=MfS-Handbuch. Anatomie der Staatssicherheit. Geschichte. Struktur. Methoden), Berlin 2005, S. 7.
[13] Dienstanweisung Nr. 3/75 über die politisch-operative Sicherung der Einreisen von Personen aus nichtsozialistischen Staaten und Westberlin und ihres Aufenthaltes in der DDR, Berlin, 06.08.1975. In: BStU, MfS, BdL, Dok 3756, Bl. 6.
[14] Anforderungsbild an einen IMS zur Sicherung des Verantwortungsbereiches ICP Seehof, Schwerin, 26.08.1981. In: BStU, MfS, BV Schwerin, AIM 1106/85 „Heinrich“ I/1, Bl. 4 f.
[15] Konzeption zur Sicherung und Bearbeitung des Internationalen Campingplatzes Seehof, Schwerin, 12.06.1980. In: BStU, MfS, BV Schwerin, Abt. VI, 1712, Bl. 11-23, hier Bl. 16 f.
[16] „H. Pfeiffer“: Information, Neubrandenburg, 31.05.1989. In: BStU, MfS, BV Neubrandenburg, Abt. XX, Nr. 807, Bl. 9-10.