Ich begann mein Studium 1989 an der Freien Universität Berlin. Da war vieles spannend, vor allem aber auch irritierend: das merkwürdige Raumsystem in der „Rostlaube“, das ich wohl erst irgendwann im Laufe des Hauptstudiums halbwegs durchschaut habe; die undefinierten Freiheiten – dass es eine Anwesenheitspflicht gab, wurde mir erst schmerzhaft klar, als ein Professor die Anerkennung der Klausur verweigerte, weil ich das Seminar nicht regelmäßig besucht hatte; der zuweilen kryptische Umgangston zwischen Studierenden und mit den Dozenten. Viele dieser Einstiegsprobleme kann ich heute so oder ähnlich auch bei meinen Studierenden erkennen. Was ich heute aber nicht mehr sehe, ist die große Offenheit, mit der ich damals studieren konnte. Diese Ahnung, die Welt sei voller Wissen, das ich mir aneignen darf, kann und muss – ein schönes Gefühl, aber auch ein beängstigendes. Ich kann mich an viele Kommilitonen erinnern, die erklärten, sie würden später sowieso Taxi fahren und studierten nur „für sich“. Ganz so optimistisch-pessimistisch ging ich nicht an die Sache heran. Ich kam aus einem Umfeld, in dem ein Studium alles andere als selbstverständlich war und die Frage „Geschichte? Was willst Du denn damit später machen?“ mir stets und ständig begegnete.
Dennoch leistete ich mir den Luxus, Vorlesungen aus verschiedenen Bereichen zu besuchen und auch mein Studienfach mehrfach zu wechseln und verschiedene Kombinationen auszuprobieren. Es gab so viel zu entdecken, dass mir das Studium anfangs wie eine Ostereiersuche für Erwachsene erschien. Dabei war es sicher die fehlende Struktur im Studium, die sich diesbezüglich dann doch als Vorteil herausstellte. Ein Semester Altamerikanistik (spannend, aber schwer mit meinem Interesse für Osteuropa zu vereinbaren), ein paar Vorlesungen in der Linguistik (nichts für mich, zumindest nicht bei dem Dozenten) und dann, mit großer Begeisterung: Geschichte, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und Rechtswissenschaft im Nebenfach. Das Gefühl des Ausprobierens blieb aber auch während der Promotion („mal schauen, ob ich das schaffe“) und sogar während der Habilitation (obwohl es sicher nicht die beste Idee ist, eine solche Lebensentscheidung unter dem Motto „mal gucken, was passiert“ zu treffen). Dass ich irgendwann selbst an der Uni lehren könnte, wäre mir während des ersten Semesters im Traum nicht eingefallen. Da war ich vor allem damit beschäftigt, den richtigen Raum zu finden.
Martina Winkler, Oktober 2018