von Sandra Starke

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25. Mai 2020

Woher eigentlich wissen Menschen, was sie fotografieren sollen, welche Bilder sie auswählen und wie Fotos in Alben eingeklebt und als individuelle Lebenserzählung gestaltet werden?

Die soziale Praxis des Sammelns von Bildern in Fotoalben folgt sowohl familiären als auch persönlichen Vorbildern und Vorlieben. Trotzdem weist ein großer Teil der mir bekannten Alben eine relativ hohe Ähnlichkeit in Struktur, Gestaltung und Inhalt auf. Es gibt also traditionelle Konventionen, die der Gestaltung eines Albums häufig zugrunde gelegt werden. Aber es gibt auch individuelle Eigenheiten innerhalb eines Albums, den Versuch, das Album zu einer geschlossenen Erzählung, häufig mit einem konkreten Anfang und einem Ende, zusammenzufügen. Diese „Handschrift“ des/der Albenautors*in bleibt auch über historische Zäsuren hinweg wie 1945 erstaunlich gleichförmig: nicht selten sitzen die gleichen Personen nur minimal verändert an der heimischen Kaffeetafel. Häufig sind die Motivationen und der Zeitpunkt ein Fotoalbum rückblickend zu erstellen der bilanzierende Abschluss einer Lebenszeit oder der Beginn einer neuen Phase, deren Bedeutung für das eigene Leben als hoch eingeschätzt wird, etwa die Militärzeit, die Hochzeit oder die eigene Familiengründung.

Im Geist der fotografischen Amateurbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehen einige private Fotograf*innen über die Produktion privater Erinnerung und persönliche Bilanzierung der sinngebenden Lebensleistung hinaus und machen das Fotografieren selbst zu ihrem leidenschaftlich ausgeübten Hobby. Diese engagierten Fotoamateur*innen setzen sich gezielt von vermeintlich unambitionierten Knipser*innen ab. Ihre Fotos haben einen halböffentlichen Charakter und erreichen ein größeres Publikum als die Familie und engste Freund*innen. Die fotografierenden Amateur*innen bemühen sich um Austausch untereinander und um Anerkennung von ästhetischer Gestaltung und technischer Beherrschung der Kamera und des fotografischen Prozesses. Einige organisieren sich in fotografischen Vereinen und Zirkeln und lesen spezielle Zeitschriften, Fach- und Ratgeberliteratur und streben nach der Optimierung ihrer Bilder.

 

Mein Fotoalbum (1943) wird zu Unser Fotoalbum (1953)

Aus der Fülle von Fotoratgebern für Amateur*innen sticht das Buch von Walter Dreizner hervor, dass sich mit der Zusammenstellung von Fotoalben beschäftigt.[1] Obwohl es eine Vielzahl von Ratgebern gibt, wie man technisch „richtig“ mit bestimmten Kameras und in besonderen Situationen wie in der Nacht fotografiert, zählt das Familienalbum nicht zu den häufig besprochenen Themen, weil es als Präsentationsmedium eher für Knipser*innen als für passionierte Amateur*innen interessant sein mag. Dennoch erschien in der Reihe Fotorat, Heft 5, 1953 Unser Fotoalbum – Lebendig und Interessant im VEB Wilhelm Knapp Verlag, Halle (Saale). Das vierundvierzig Seiten starke Hosentaschenheftchen hielt eine bemerkenswerte Überraschung für mich bereit. Es handelte sich um eine Zweitauflage, schon 1943 war im selben Verlag (noch nicht im volkseigenen Betrieb (VEB)) ein fast identisches Heft unter dem Titel Mein Fotoalbum – Aufbau, Gestaltung, Technik erschienen. Ich entschloss mich, die Hefte systematisch zu vergleichen. Zunächst der Titel: den SED-Slogan der zeitgleich stattfindenden Zwangskollektivierung der Landwirtschaft Vom Ich zum Wir setzte der Verlag mit der Titeländerung nahezu programmatisch um: Mein Fotoalbum wurde zu Unser Fotoalbum. Der Anspruch auf Gemeinschaft und kollektives Handeln erstreckte sich hier auf die Gestaltung der individuellen Lebenserzählung im Fotoalbum. Das Wir als Kollektiv sollte ein neuartiges Leitmotiv sein, das eng mit der Selbstdefinition der DDR als junge sozialistische Gesellschaft verwoben war. Doch beim genauen Vergleich dieser beiden Fotoalben-Ratgeber ist die Kontinuität und Beständigkeit über 1945 hinaus in Text und Bild frappierend.

Die Typographie des Heftes blieb unverändert, wie auch das Inhaltsverzeichnis. Nur die letzte Rubrik Alben stellen sich vor, der 1943-Ausgabe fehlt 1953. In dieser Rubrik werden verschiedene Alben-Fabrikate ausführlicher vorgestellt, die in solcher Vielfalt in der Nachkriegszeit nicht erhältlich sind. Beispielsweise PRERO-Alben, werden 1943 wie folgt beschrieben: „…besonders die Alben mit Schnurheftung, sowie die Wehrmacht- und Arbeitsdienstalben sind in vielen Mustern zu haben. Die letzteren werden mit verschiedenen Titeln, Abzeichen und Symbolen geliefert.“

 

 

Oben: Walter Deizner: Mein Fotoalbum – Aufbau, Gestaltung, Technik, Halle (Saale) 1943. Foto: Sandra Starke.
Unten: Walter Deizner: Unser Fotoalbum – Lebendig und Interessant, Halle (Saale) 1953. Foto: Sandra Starke.

Reisen als Motiv

Das Vorwort des Albenratgebers von Walter Dreizner unter der Überschrift Wer fotografiert, hat mehr vom Leben ist in beiden Ausgaben wortgenau gleich. Die meisten Bilder, vom Autor selbst aufgenommen, werden an der gleichen Stelle des Heftes wieder verwendet, einige möglicherweise aus Satzgründen weggelassen oder an anderer Stelle präsentiert. In der Rubrik des Reisealbums fällt bei unverändertem Text ein abweichendes Bild ins Auge. Statt Postkarten und Andenken aus Kitzbühl in Tirol werden als mögliche Reiseziele Rügen, Sellin, Zinnowitz und Heringsdorf auf dem Bild präsentiert. Zugunsten der Albenseite Unser Heim entfällt 1953 ersatzlos Mit KdF durch Deutschlands Gaue. Auch später werden die Urlaubsziele Krummhübel in Schlesien und Italien auf beispielgebenden Albenseiten durch Erinnerungen an Reisen in die Lutherstadt Eisleben und das Ostseebad Zinnowitz ersetzt. Der Tourismus wird gewissermaßen auf erreichbare Nahziele reduziert, die Fernreise als politisch heikel ignoriert und so in Folge abstrahiert.

 

Eine neue Aufgabe: Amateure dokumentieren Zerstörung und Neuaufbau

Die Rubrik Vom Planbuch zum Album beschäftigt sich stärker als das bisherige Heft mit der Arbeitsweise des Fotoamateurs, der ein selbstgewähltes Thema fotografisch „planvoll“ mit Hilfe von vorbereitenden Notizen wie eine Fotoreportage umsetzt. Es wird angeregt, die Familie im Zusammenhang mit ihrem Heimatort und dessen Entwicklung zu thematisieren. Der Text in beiden Ausgaben ist bis zu diesem Punkt identisch. Als es an den konkreten Aufbau der Motive des Planbuches geht, gehen die Texte auseinander. Noch völlig unbeeindruckt von den künftigen Kriegszerstörungen wird in der Ausgabe 1943 folgende Struktur vorgeschlagen: “1. Aufnahmen im abbruchreifen Stadtviertel (Straßenzüge, bemerkenswerte Häuser, Niederlassungen, einzelne Tore und Aufgänge, historische Überbleibsel) 2. Aufnahmen vom Abbruch des Viertels 3. Aufnahmen von den Bauarbeiten 4. Aufnahmen des neuen Viertels.“

Zehn Jahre später wird in der Ausgabe 1953 „eine dankbare und vor allem zeitnahe Aufgabe“ gestellt, „den Wiederaufbau unserer Städte, in diesem Fall der Heimatstadt, mit der Kamera festzuhalten“. Die Struktur wird wie folgt angelegt. „1. Aufnahmen von den maßgeblichen Häusern, Straßen, Plätzen, Parkanlagen usw. vor 1945 2. Aufnahmen aus den ersten Nachkriegsjahren (zerstörte Häuser usw.) 3. Aufnahmen vom Abbruch der Ruinen 4. Aufnahmen während der Aufbauarbeiten 5. Aufnahmen von den neuerbauten Häusern, Plätzen usw.“ Wo keine Aufnahmen aus den Bereichen 1. und 2. vorhanden sind, wird empfohlen auf Reproduktionen auszuweichen.

In beiden Versionen dieser fotodokumentarischen Aufgabe für Amateur*innen ist die positive Wende, der erfolgte Aufbau nach der Zerstörung, zentrales funktionales Element. Durch die Zerstörung hindurch zur Leistung des Neuaufbaus wird die Zukunft des Landes imaginiert.

Die Dokumentation der baulichen Veränderungen des Stadtbildes ist eine zentrale fotografische Anwendung, die schon im 19. Jahrhundert erkannt und umgesetzt wurde. So ist von den Berliner Behörden bekannt, dass sie ab 1886 einen Jahresetat von 1500,- Mark bewilligten, der für den Ankauf von Fotoaufnahmen bestimmt war, die „vom Abriß oder anderen Veränderungen gefährdeten Gebäuden und Straßen“ zeigten.[2] Diese Aufnahmen wurden im Märkischen Museum aufbewahrt und stellen eine sehr frühe museale Sammlung von zeitgenössischer Fotografie dar, der bis dato eine untergeordnete Bedeutung zugeschrieben worden war.

Die Kriegszerstörungen in Deutschland nach 1945 gelten jedoch nicht unbedingt als fotografisches Repertoire der einheimischen Bevölkerung. Eher selten sind sie in privaten Fotoalben zu finden, häufig mit dem Narrativ der Deutschen als Opfer des Krieges oder mit dem Bezug auf Zerstörungen von eigenem Lebensraum der Familie verbunden. Trümmerfotografien entstanden als Aufträge an ansässige Amateurfotograf*innen, die ihrer Chronistenpflicht für lokale Presse und Archive nachgingen. Dass die Trümmer deutscher Städte nicht zum festen Bestandteil der Familienalben um 1945 wurden, war auch der sozialen Praxis geschuldet, nur heitere Momente und familiäre und persönliche Höhepunkte abzubilden, die geeignet schienen ein positives Identifikationsangebot an den/die künftigen Betrachter*in zu machen. Mindestens in Deutschland finden im 20. Jahrhundert kaum Motive von Krankheit, Tod, Zerstörung oder Sinnsuche ihren Platz in der visuellen Familienerzählung. Im Gegenteil, trotz oder wegen dieser realen Erfahrungen, werden sie fotografisch nicht festgehalten. Die Familie besteht in den Alben auf ihrer unbedingten visuell konstruierten Normalität. Selbst die speziellen Alben nur für Kriegserinnerungen gehen zögerlich auf diese Themen ein und stellen die Teilhabe des Einzelnen und der eigenen militärischen Abteilung selten in Frage.

Auf den letzten Seiten des Ratgebers ist noch Platz für die Werbung der jeweiligen Fotoindustrie für Alben, Fotokameras, Entwicklerdosen und Klebstoffe sowie die Verzeichnung weiterer Fotoratgeber. Wie sich auch im Heft selber schon das stark eingeschränkte Sortiment der Nachkriegszeit bemerkbar macht, ist das beworbene Angebot 1953 deutlich bescheidener als in der Erstausgabe 1943. Doch muss auch für 1943 bezweifelt werden, dass dieses fotografische Zubehör noch in den Geschäften erhältlich war.

 

Walter Deizner: Mein Fotoalbum – Aufbau, Gestaltung, Technik, Halle (Saale) 1943. Foto: Sandra Starke.

 

Unschuldige Fotografie?

Der Text wirkt insgesamt bemüht, jegliche aktuellen politischen Entwicklungen oder staatlichen Einflüsse und die Rolle der Fotografie auch als Propagandamedium völlig auszuklammern. Der privaten Fotografie wurde als Medium noch nicht seine heutige Bedeutung zugemessen, die Bilder galten als pure Dokumente der Wirklichkeit, die zeigten „wie es wirklich war“. Dabei war der Bereich der Amateurfotografie vor und nach 1945 keineswegs unpolitisch, es gab sowohl indirekte staatliche Förderung zum Beispiel die Subvention der Agfa-Box Kameras für 4 Reichsmark im Verkauf als auch ideologische Indoktrination wie die fototheoretische Schrift Foto und Volk von Willy Stiewe, die 1935 erschien und die Amateurfotografie zur neuen Volkskunst und zur rassischen Verpflichtung im Sinne eines visuellen Ahnennachweises erklärte: „Fotografieren ist in diesem Sinne keine Spielerei, sondern Rasse- und Familienpflicht.“[3]

Selbst der Autor und Fotograf Walter Dreizner führte kein unpolitisches Leben, auch wenn es sich im Rückblick als latent widerständisch darstellen läßt. Als Fernmeldetechniker der deutschen Wehrmacht war er 1942 bis 1944 in Paris stationiert und fotografierte dort den Alltag in der besetzten Stadt. In Agfacolor und mit Respekt vor dem materiellen und architektonischen Erbe der Kulturnation Frankreich überwiegen touristische Motive und kleine Alltagsszenen. Die Sehenswürdigkeiten der Stadt Paris bildeten zentrale fotografische Motive ab 1940, die in den meisten Alben der Westfront zu finden sind.[4] Diese touristischen Fotografien von der Westfront, insbesondere der Alltag in den besetzten Städten und der Blick auf die Bevölkerung unterscheiden sich deutlich von dem „ethnologischen“ Blick deutscher Soldaten an der Ostfront, der viel stärker von rassistischen Überlegenheitsgefühlen geprägt ist. Die Wehrmacht gab sogar eigene kleine Reiseführer heraus, wie 1941 Paris – deutsch gesehen. Dort werden die Soldaten auf das fremde Land eingestimmt: Informationen aus deutscher Perspektive über Geschichte, Bauwerke und Menschen und Hinweise zum Umgang mit der Bevölkerung gegeben, einschließlich der Konzentrationslager für die jüdische Bevölkerung (nicht französischer Staatsangehörigkeit) und weisen so auf die kulturelle Bedeutung der Besatzung der Stadt für die Deutschen. Da die Farbdias zu dieser Zeit noch ein besonderes Fotomaterial waren und ab 1944 nicht mehr im Handel erhältlich gingen die Soldaten damit sehr sparsam um und wählten ihre Motive äußerst sorgfältig aus. Das farbenfrohe Bild von der Stadt und ihren Bewohner*innen trägt zu einer Wahrnehmung bei, die die Präsenz und Alltagsrealität der deutschen Besatzung und den Terror des NS-Regimes ausblendet. Dreizners Motive wirken auf den ersten Blick unpolitisch aber die Perspektive war nicht neutral, sie war als Blick der NS-Besatzer von einem ungleichen Machtverhältnis geprägt. Wie hätten die Einwohner*innen von Paris unbefangen agieren können, bei einem fotografierenden Wehrmachtssoldaten?

Nach seiner Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft war er ab den 1950er Jahren, neben seinen Tätigkeiten als Fotograf, Bildjournalist und Autor von Fotoratgebern und für Fachzeitschriften mit der Organisation von Amateurfotografengruppen in der ganzen DDR beschäftigt. In der frühen DDR befasste er sich als Autor häufig mit technischen und chemischen Aspekten der Amateurfotografie und beschäftigte sich erst seit 1968 durch seine Wahl in die Zentrale Kommission für Fotografie des Kulturbundes stärker mit politischen und ideologisch relevanten Themen. Generell scheint die politische Einbindung der Amateurfotografie in der Frühzeit der DDR vor der ersten Bitterfelder Konferenz 1959 zurückhaltend bis gar nicht verfolgt worden zu sein. In dieser Situation des staatlichen Desinteresses waren auch Neuauflagen wie Mein Fotoalbum von 1943, minimal bereinigt, möglich. In den 1970er Jahren war Walter Dreizner mit der Betreuung und Lenkung von Betriebsfotogruppen für den Kulturbund beschäftigt, die durch den FDGB verantwortlich organisiert wurden. Anfang der 1970er Jahre gab es auf dem Gebiet der DDR um die 500 Betriebsfotogruppen, die eine erhöhte politische Wirksamkeit der Fotografie in den Betrieben anstreben sollten.

Walter Deizner: Unser Fotoalbum – Lebendig und Interessant, Halle (Saale) 1953. Foto: Sandra Starke.

Verlag mit langer Tradition

Der Wilhelm Knapp Verlag in Halle, der älteste deutsche Fotofachverlag, gegründet 1838, war 1957 in VEB Fotokinoverlag umbenannt worden. Karl Knapp hatte 1951 die DDR verlassen und gründete in Düsseldorf einen neuen Fotoverlag unter seinem eigenen Namen. Zum Verlagsprogramm des Wilhelm Knapp Verlages gehörten die ständigen Neuauflagen von etablierten Klassikern, die sich schon seit etwa 1930 an Fotoamateure und knipsendes Publikum wandten. Die fotografische Moderne des Neuen Sehens und der Neuen Sachlichkeit findet keine Heimat in diesem Verlag, eher ist er dem malerischen, kunstfotografischen Erbe und der Minimierung von scheinbar dilettantischen „Fotofehlern“ verpflichtet. Die Serie Foto-Rat im handlichen Format zu der auch Walter Dreizners Fotoalben-Heft gehört, ist dabei eine der populärsten Publikationen und verkauft sich aufgrund des günstigen Preises von 75 Pfennig in den 30er Jahren millionenfach. Die Neuauflagen der fotografischen Ratgeber nach dem Zweiten Weltkrieg waren vermutlich dem Mangel an kompetenten neuen und unbelasteten Autoren*innen geschuldet: nur mit geringen Änderungen erschienen bekannte Fotobücher neu wie Die Leica in Beruf und Wissenschaft von Heinrich Stöckler (1941, 1948) oder Erich Stengers Siegeszug der Photographie (1929, 1938, 1950).[5] Stöcklers Buch wurde um zwei Kapitel (Die Leica in rassekundlicher Methodik, Die Leica im Dienst der Runenforschung) gekürzt und ebenso entfernte der Verlag die Fotografien des NS-Führerkultes. Derartige Veränderungen lassen sich auch für Stengers Siegeszug der Photographie beobachten, das 1938 um ein Geleitwort von Heinrich Hoffmann, dem „Fotografen des Führers“ wesentlich erweitert wurde, bis hin zu den entsprechenden Kürzungen in der Neuauflage 1950. Diese konnte nun im Text mit Zitaten der jüdischen Fotografin und Fotohistorikerin Gisèle Freund und des Bauhaus Lehrers jüdischer Herkunft László Moholy-Nagy glänzen. Dieser pragmatische Umgang mit den wenig veränderten neuaufgelegten Fotoratgebern in der Nachkriegszeit weist einmal mehr auf die Wahrnehmung und Selbstbeschreibung der Fotografie als dokumentarisches Medium. Im Zusammenhang mit dem Bitterfelder Weg und spätestens mit dem Erscheinen von Berthold Beilers Parteilichkeit im Foto 1959 im nunmehr staatlichen Fotokinoverlag Halle setzte eine breite Diskussion über die gesellschaftliche Aufgabe auch der Amateurfotografie als Medium und Vermittlerin des „sozialistischen Realismus“ ein, die für die nächsten Jahre bestimmendes Dogma nicht nur für die Fotografie, sondern auch für die bildende Kunst wird. Beiler sieht sich hier auch den progressiven Traditionen der Arbeiterfotografie der 1920er und frühen 1930er Jahre verpflichtet, was nicht weiter überrascht, wenn man sich den Antifaschismus als zentrale politische Legitimation der DDR vergegenwärtigt. Damit endete die Phase der Wiederveröffentlichungen der Ratgeberliteratur im Wilhelm Knapp Verlag ebenso wie die Nachkriegszeit in der DDR. Das Genre der Fotoratgeber für Amateur*innen blieb aber weiterhin beständig in den Themen und seiner Selbstwahrnehmung als unpolitisches und durch die Zeitgeschichte ungebrochenes Medium.

 


[1] Mein Dank gilt an dieser Stelle Anke Heelemann, Weimar für das Büchlein als Geschenk.

[2] Vgl. Stadtblicke. Aus der Fotografischen Sammlung des Stadtmuseums Berlin, Ausst.-Kat., Berlin 2001, S. 12.

[3] Willy Stiewe, Foto und Volk, Halle 1935, S. 55.

[4] Vgl. Petra Bopp, Fremde im Visier, Fotoalben aus dem Zweiten Weltkrieg, Bielefeld 2009, S. 27- 35 (Paris) und S. 52-67 (Frankreich).

[5] Vgl. Ludger Derenthal, Bilder der Trümmer- und Aufbaujahre, Fotografien im sich teilenden Deutschland, Marburg 1999, S. 105f.