von Annette Schuhmann

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16. Dezember 2022

Laudatio aus Anlass der Vergabe des Zeitgeschichte-Digital-Preises an Sophie Genske am 24. November 2022.
 

Am heutigen Abend erhält Sophie Genske den Zeitgeschichte Digital-Preis im Bereich Wissenschaftskommunikation für das, von ihr herausgegebene, Dossier „Restitution und Postkolonialismus. Zeitgeschichtliche Perspektiven auf die Debatten der Gegenwart“  vom Februar 2021.

Ich bin froh und stolz die Laudatio für Sophie halten zu dürfen.

Zu Beginn des preisgekrönten Dossiers finden wir ein Interview, dass die Professorin für die Geschichte Westeuropas Gabriele Metzler, mit der französischen Kunsthistorikerin Benedicte Savoir führte.

Zur Erinnerung:
Nach seiner Wahl im Mai 2017 beauftragte Emmanuel Macron Bénédicte Savoy und den senegalesischen Ökonomen Felwine Sarr damit, einen Bericht zu verfassen, der darlegen sollte, wie ein Restitutionsverfahren von Kunstgegenständen, initiiert und durchgeführt von der französischen Regierung, gelingen kann.
Die Betonung liegt hier auf dem wie des Zurückgebens, dass es die Restitution von gestohlenen Kunstgegenständen und Gebeinen geben wird, hatte Macron bereits entschieden.

Ich möchte Ihnen dieses gut 16minütiger Gespräch der beiden renommierten Wissenschaftlerinnen ans Herz legen. Nicht nur, weil es sich wohltuend von den oft schematisch geführten Interviews im Wissenschaftsbereich durch eine enorme Lebendigkeit und Leidenschaft in Bezug auf das Thema unterscheidet.

Vielmehr geht das Gespräch, wenn man genau hinhört weit über das Thema Restitution hinaus und streift, nahezu nebenbei, viele Elemente des derzeitigen Wissenschaftsbetriebs und der zeithistorischen Forschungsarbeit.

Aber noch einmal zurück zum Auftrag Macrons an Savoy und Sarr.
Gefordert war ein Bericht über die Art der Durchführung, der von Macron versprochene Restitution. Das Besondere daran war (was sich später als problematisch erweisen sollte) die Tatsache, dass die Restitutionsdebatte damit von oben initiiert wurde.

Das besondere, im Vergleich mit deutschen Verhältnissen war aber auch, dass der Bericht von Sarr und Savoy nicht im ministerialen Dickicht hängen blieb, sondern tatsächlich zügig veröffentlicht wurde. Auf Deutsch erschien er bereits im Jahr 2018 unter dem schönen Titel: „Zurückgeben. Über die Restitution afrikanischer Kulturgüter“.

Savoir und Sarr wiesen darin nach, dass es einen nahezu identischen Bericht mit ähnlicher Fragestellung bereits im Jahr 1980 gegeben hat. Denn seit den Befreiungsbewegungen der ehemals kolonisierten Staaten in den 1960er Jahren forderten viele afrikanische Länder geraubtes Kulturgut zurück.

Eine Restitutionsdebatte fand in europäischen Ländern also bereits in den 1970er Jahren statt. Und interessanterweise wurden die damaligen Debatten oft ähnlich und mit denselben rhetorischen Strukturen und Volten blockiert wie wir sie in den Restitutionsdebatten in Deutschland seit 2013/14 beobachten können.

Das heißt, die Restitutionsdebatte war schon ein halbes Jahrhundert vor den Streitigkeiten um das Millionengrab Humboldtforum in vollem Gange.

Ähnlich wie die Experten des Humboldtforums seit 2016ff. wurde die Debatte von den europäischen Museumsdirektoren in den 1970er/80er Jahren nahezu vollständig blockiert. Das hieß, dass die Provenienzforschung in den Museen praktisch zum Erliegen kam, denn was nicht auf einer Liste steht, kann auch nicht zurückgegeben werden.
Deutsche Museumsdirektoren argumentierten mit dem Bild von der Büchse der Pandora, was meinte, wenn wir erst einmal anfangen zurückzugeben haben wir bald leere Museen, weil alle postkolonialen Länder ihr Eigentum zurückverlangen werden. Zudem gäbe es in den afrikanischen Ländern keine geeigneten Museen zum Erhalt und zur Aufbewahrung ihrer eigenen Kulturschätze. Man verlegte sich also darauf Zeit zu schinden. Wir unterstützen die Afrikaner darin Museen zu bauen und dann sehen wir weiter…, so der zeitgenössische Tenor am Ende des 20. Jahrhunderts.
Ganz ähnliche Argumente finden wir auch in der Debatte der 2000er Jahre.

Das postkoloniale Erbe und die Fragen der deutschen Restitutionspolitik bieten einen spannenden Stoff und werfen viele Fragen auf, für die gegenwärtige Zeitgeschichtsforschung in Deutschland, deren Vertreter*innen, soweit es etwa Andreas Eckert einschätzt, bisher vor allem durch vornehme Zurückhaltung auffielen.
Der Historiker Jürgen Zimmerer bezeichnete postkolonialen Debatten mehrfach gar als die »zentralen« oder »größten« Identitätsdebatten Europas in der Gegenwart.

Aber lesen Sie und hören Sie nach, in diesem ungemein spannenden Dossier Sophie Genskes für das sie heute Abend geehrt wird. 

Diese Ehrung, über die ich mich mindestens genauso freue, wie sich Sophie freuen wird macht mich stolz und zeigt mir, dass der Weg den zeitgeschichte|online seit ein paar Jahren beschreitet richtig ist. Um noch einmal Bendicte Savoy zu Wort kommen zu lassen. Immer wieder wird sie, hinsichtlich der Versäumnisse bei der Konzeption und der Arbeit des Humboldtforums danach gefragt, ob sie das ganze Projekt für gescheitert hält, oder ob, ihrer Meinung nach, noch etwas Gutes daraus werden könne. Und sie antwortet in jedem Interview mit demselben Hinweis:
Es wird die nächste Generation sein, die die Debatten fruchtbar macht, die nicht mehr zynisch von shared heritage sprechen wird und eigentlich meint, das sich zwar alle als Mitbesitzer*innen fühlen dürfen, aber die Objekte in Deutschland bleiben, eine Generation die keinen Dank mehr von den ausgeraubten Ländern erwartet, weil sie sich für die Retter und Bewahrer halten, wie es Museen oder die Experten des Humboldtforums noch immer tun. Zu hoffen ist auch, dass diese Generation nach uns den Spagat beenden kann, den wir heute beobachten: Reue demonstrieren und gleichzeitig protzen.

Sie hofft auf eine Generation, die die Reproduktion der alten kolonialen Aufteilung der Welt beenden wird.

Zum Schluss noch ein paar persönliche Bemerkungen. Das fällt mir schwer, da ich nach so vielen Jahren in der Wissenschaft, das Sprechen ohne Fußnoten kaum noch beherrsche.
Sophie Genske hat mit der Arbeit am Dossier sämtliche Arbeitsschritte des wissenschaftlichen Edierens, dass uns allen durch die Veröffentlichung von Sammelbänden bekannt ist durchdekliniert. Der Unterschied ist nur, dass sie studentische Hilfskraft war und damals am Beginn ihres Masterstudiengangs „Global History“ an der FU Berlin.

Der Begriff der „studentischen Hilfskraft“, wiewohl arbeitsrechtlich korrekt, gilt in der internen Redaktionsarbeit nicht. Alle Hilfskräfte, alle Praktikant*innen sind für die Zeit ihrer Arbeit (und im Falle Sophie Genskes auch danach) Redakteur*innen.

Sophie Genske hat im Jahr 2021 auf dem Höhepunkt der Pandemie, mit einem Arbeitsaufwand, der die vorgesehenen und bezahlten Stunden ständig überschritt einen klugen, spannenden und wissenschaftlich relevanten Sammelband produziert.

Darüber hinaus aber hat sie in Ihrer Zeit in der Redaktion das Gesicht von zeitgeschichte|online verändert, indem sie auf zeithistorisch relevante Themen der Stunde verwies: auf die Black Lives Matter-Bewegung, den Umgang mit dem kolonialen Erbe in Europa, die weltweite Verteilung von Impfstoffen, die Gleichstellungspolitik in der Wissenschaft, den paygap zwischen den Geschlechtern, die Einwanderungspolitik und die harsche Sicherung der EU-Außengrenze und auf Klimakrise u.v.m.

Sophie Genske gehört zu jener Generation von der Benedicte Savoy sprach, in die auch ich meine ganze Hoffnung auf eine bessere Welt lege. Sophie hat schon einmal damit angefangen, zeitgeschichte|online besser zu machen.