von Jürgen Danyel

  |  

7. Dezember 2021

Laudatio für Rüdiger Hohls aus Anlass der Vergabe des Sonderpreises ​​​​​am 11. November 2021.

 

Es ist ein gutes Zeichen für den Erfolg des Zeitgeschichte digital-Preises, dass wir ihn inzwischen schon in mehreren Kategorien vergeben. Besonders freut mich, dass wir heute dank der gewohnt großzügigen Unterstützung des Fördervereins des ZZF einen Sonderpreis für (ich benutze gleich mal das große Wort) eine Lebensleistung überreichen können. Mit dem Preis zollen wir mit Rüdiger Hohls einer Person Respekt, deren Anteil daran, dass die Geschichtswissenschaft trotz mancher anfänglichen Vorbehalte im digitalen Zeitalter angekommen ist, nicht überschätzt werden kann. Dies betrifft die Art und Weise wie die Zunft miteinander kommuniziert, wie sie publiziert, ihr Tun wechselseitig kritisch reflektiert und wie sie sich fachlich Informationen beschafft und diese organisiert.

Lieber Rüdiger, Du befindest Dich jetzt in einer Lebensphase, wo sich die Würdigungen, Danksagungen und Komplimente für das Erreichte häufen. Das erlebt man sicher mit ambivalenten Gefühlen. Umso mehr bleibt zu betonen, dass Du weiterhin verfügbar mit Deinen Erfahrungen bleibst, worauf auch wir hier in Potsdam sehr hoffen. Gleichzeitig ging mir durch den Kopf, dass es doch irgendwie schön wäre, wenn man sich dieses überbordende Maß an Wertschätzung und Aufmerksamkeit wie einen Kredit oder Vorschuss für jene zurückliegenden Phasen hätten leihen könnte, wo man unter Schwierigkeiten Projekte auf den Weg zu bringen suchte, um Stellen und finanzielle Ressourcen kämpfen musste oder mit Überzeugungsarbeit fürs Digitale beschäftigt war. Wir beide wissen wovon ich rede. Das ist leider nicht vorgesehen, deshalb soll auch heute ausreichend Gelegenheit sein, Dir Komplimente zu machen. Natürlich gebührt Dir Respekt dafür, dass Du H-Soz-Kult und Clio-online konzeptionell und organisatorisch auf den Weg gebracht hast. Das will und kann ich hier heute nicht im Detail rekapitulieren. Ich muss es auch nicht, weil zumindest in unserem Kreis klar ist, was diese Kürzel bedeuten.

Fast noch preiswürdiger und auch von der Umsetzung schwieriger als die „Erfindungen“ selbst finde ich, dass es unter Deiner Ägide gelungen ist, diese Projekte auf Dauer zu stellen. Sie haben sich als Arbeitsumgebungen und Reflexionsräume in den Alltag von Historiker*innen eingenistet. Sie sind gekommen, um zu bleiben. Dies umso mehr, als mir schnell wieder jene Zeiten gegenwärtig sind, wo das keinesfalls immer ausgemacht und selbstverständlich war. Das ist eine Leistung, die sich auch in unendlichen Stapeln von Sitzungsprotokollen, Konzeptpapieren und Projektanträgen, in Gigabytes von Mails und in dafür aufgebrauchter Lebenszeit messen lässt. Preiswürdig finde ich auch noch einen weiteren Umstand. Du hast dies alles nicht allein gemacht. Angefangen bei den Doktorand*innen, die sich damals gefragt haben, ob man das H-Net nicht auch für die Geschichtswissenschaft im deutsche Kontext nutzen könnte, über die wechselnden Projektmitarbeiter*innen im Clio-Verbund, die große Zahl der ehrenamtlichen HSK-Redakteur*innen, die studentischen Hilfskräfte in der IT im Institut für Geschichtswissenschaften, die Studierenden, die Du unterrichtet hast, die Kolleg*innen, die überzeugt werden konnten, die Kooperationspartner*innen, die gewonnen wurden, die Kolleg*innen, die die digitalen Plattformen programmiert haben, bis hin zu Thomas Meyer und Claudia Prinz, die den Betrieb heute organisieren – all dies zusammen genommen sind das Hunderte von Kolleg*innen, die für die digitale Geschichtswissenschaft sensibilisiert und gewonnen wurden.

Foto: Claudia Prinz, Rüdiger Hohls und Thomas Meyer in den Räumen der HUB (2020).

 

In diesem Sinne sind H-Soz-Kult und Clio-online zu einem Durchlauferhitzer der Digitalisierung und zu einer wichtigen Instanz für die Sozialisation im Fach geworden. Das hat maßgeblich zur der genannten dauerhaften Verankerung im wissenschaftlichen Alltag beigetragen. Darüber ließe sich noch vieles sagen. Ich möchte aber noch kurz über etwas anderes sprechen, nämlich über jene produktive Symbiose die H-Soz-Kult und Clio-online nun schon seit vielen Jahren mit den Online-Projekten hier in Potsdam verbinden, deren Signet der heute zu vergebende Preis trägt. Für zeitgeschichte|online, Docupedia-Zeitgeschichte, die Zeithistorischen Forschungen und all jenes was inzwischen noch dazu gekommen ist, warst Du ein verlässlicher und inspirierender, ein fordernder und gleichermaßen wertschätzender Partner und bist dies immer noch. Dass sich das ZZF als digitaler Schrittmacher in der Zeitgeschichte profilieren konnte, hat auch viel mit den Ermöglichungsräumen zu tun, die die von Dir an der Humboldt-Universität etablierten Netzwerke und Infrastrukturen boten. In mancher Hinsicht sind wir in Potsdam manchmal andere Wege gegangen und haben auf anderen Feldern experimentiert. Dafür boten Clio-online und H-Soz-Kult einen Resonanz- und Reputationsraum, von dem wir enorm profitiert haben. Gerne haben wir mit unserem Tun dazu beigetragen, dass er lebendig und nachhaltig bleibt. Und ich gebe zu, dass wir es mit dem sicheren Hafen eines gut ausgestatteten Leibniz-Instituts in vielem einfacher haben als Ihr an der Humboldt-Universität.

Im Vorfeld es heutigen Abends habe ich überlegt, wann wir beide uns das erste Mal begegnet sind. Das muss 2001 gewesen sein. Gefunden habe ich eine sehr förmliche Mail vom Februar an den „Sehr geehrten Dr. Rüdiger Hohls", in der ich berichtete, dass wir im ZZF gerade eine Online-Datenbank namens „Ostkreuz“ (man beachte den programmatischen Namen) aufgesetzt haben, in der zeithistorische relevante Internetangebote verzeichnet wurden. Du hast mich daraufhin zu einer Besprechung eingeladen, in der es um das Projekt eines Netzwerks „Subject Gateway Geschichte“ ging. Dutzende Sitzungen später – um es kurz zu machen – kam es dann zu dem DFG-Verbundprojekt eines „modularen historischen Informationssystems für die Geschichtswissenschaften“ sprich Clio-online. Wir in Potsdam waren ein „Modul“. Zusammengebracht hat uns Konrad Jarausch und auf dem Historikertag in Halle 2002 sprachen wir über das Projekt einer Potsdamer Zeitschrift für Zeitgeschichte, die online und bei Vandenhoeck & Ruprecht erscheinen sollte. Das ist inzwischen eine zwanzigjährige gemeinsame Geschichte. Meine Güte! Geprägt hast Du mich und sicher auch meine Kolleg*innen bei Zeitgeschichte digital mit Wertmaßstäben, die Du selbst in Deiner Arbeit und wissenschaftlichen Laufbahn vorgelebt hast:

„Elektronische Fachinformation und -kommunikation“ wie sie lange Zeit genannt wurden, sind kein Selbstzweck, sondern müssen in enger Verbindung mit dem Fach, der Forschung und Ihre Bedürfnissen gestaltet werden. Für die Reputation der digitalen Forschungsinfrastrukturen (wie wir es heute nennen) ist es deshalb wichtig, dass die Macher*innen auch mit einem Bein in den Debatten und Forschungsproblemen des Faches verwurzelt sind. Digitale Angebote brauchen eigene Ressourcen, haben eine eigene Logik und Dynamik (die sich von Bibliotheken und Archiven und den klassischen Hilfswissenschaften unterscheiden), die anerkannt werden muss. Sie wirken in das Fach zurück und sind deshalb kein bloßer „Service“. Letzteres ein zähes und langlebiges Abwehrkonstrukt. Tolle Ideen sind gut, es braucht aber auch Strukturen und Netzwerke und die damit verbundene lästige Kärrnerarbeit. Ich weiß wie skeptisch wir waren, als Du mit der Idee kamst, Clio-online in einen Verein mit Mitgliedsbeiträgen und Gremien umzubauen. Aber Du hast es mit uns geschafft. Die Tücken des deutschen Vereinswesens haben uns allen zugesetzt. Ich war zugegebenermaßen ein grottenschlechter Schriftführer, weshalb ich erst gar nicht wieder dafür vorgesehen wurde. Ich hoffe Du verzeihst mir.

Und nicht zuletzt: Mit unseren digitalen Angeboten verbindet sich eine wissenschaftliche Kultur des fairen Umgangs, der sachlichen Kritik und der fachlichen Grundierung von Informationen. Deren Erhalt ist nicht selbstverständlich und muss gegen Zumutungen von verschiedenen Seiten geschützt werden. Dafür stehst Du vorbildhaft. Für all dies bin ich Dir persönlich und sind Dir meine Kolleg*innen hier am Haus sehr dankbar. Deshalb ist es mir eine besondere Freude Dir jetzt und hier den Sonderpreis Zeitgeschichte digital überreichen zu können. Auch deshalb, weil aus dem „sehr geehrten Dr. Rüdiger Hohls“ von 2001 inzwischen ein guter Freund geworden ist.

Für die Zeit, in der ich Dir in wenigen Jahren in den Ruhestand folge, haben wir zum Spaß vereinbart, dass wir uns gelegentlich auf einer Parkbank treffen, gelassen schauen, was aus all dem geworden, das wir gemeinsam angestoßen haben, und uns all die Anekdoten noch einmal erzählen, für die heute hier keine Zeit mehr ist.