von Annette Schuhmann

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22. November 2021

Laudatio für Michael Homberg aus Anlass der Verleihung des Zeitgeschichte digital-Preises am 11. November 2021.  

 

Wonach fragen Historiker*innen, wenn sie über die Liebe forschen. Sie erforschen nicht die Liebe, natürlich nicht.
Viel zu entgrenzt, viel zu unverständlich ist dieses weite Feld. Wir haben dieses schwer zu fassende Gefühl in all seinen Erscheinungsformen viel zu lange den Künstler*innen und Autor*innen überlassen. Der Erfolg, den der Film, die Literatur und nicht zuletzt die GALA mit ihrer „Vermittlungsarbeit“ in dieser Hinsicht haben, entpuppt sich in der Regel als Danaergeschenk, kurbelt er doch und dies nicht zuletzt, vor allem die Gewinnmargen der Pharma-, Kosmetik- und der Modeindustrie an, um nur einige der Profiteure der Liebes-Idee zu nennen. Es ist also recht mutig, wenn Historiker*innen ausgerechnet dieses weite Feld erforschen wollen. Trotzdem oder vielleicht wegen des großen rätselhaften und universalen Narrativs von der Liebe, wollen wir immer mehr davon: mehr Bilder, mehr Geschichten …und mehr von der Liebe. Mit dem Aufkommen der Datingportale, über deren Entwicklung Michael Homberg in seiner brillanten Studie, die heute preisgekrönt wird, schreibt, schien das Problem „Liebe“ mit Hilfe der Wissenschaften behoben.

Michael Homberg hat sich dem Thema aus einem ganz besonderen Blickwinkel genähert.
Sein Beitrag erschien in den Zeithistorischen Forschungen Heft 1, des Jahrgangs 2020 unter dem Titel:
 „Computerliebe. Die Anfänge der elektronischen Partnervermittlung in den USA und in Westeuropa“.
In seinem Text analysiert Homberg die Erfindung und den Markt der Partnerschaftsbörsen. Einen Markt der heute so populär ist, dass es nur noch der Vokabel „Datingportal“ bedarf und jeder und jede weiß, wovon die Rede ist. Und gefühlt jeder und jede hat sich auf einem solchen Portal auch schon einmal umgeschaut. Den Versuch, einander unbekannte Personen und deren Profile zu „matchen“ gab es wohl schon immer, das Ganze jedoch zu „verwissenschaftlichen“ erst seit den 1950er Jahren. Somit lange bevor die digitalen Algorithmen der heute allseits bekannten Dating-Plattformen Erfolge im 11-Minuten-Takt versprachen.
Interessanterweise sind es wohl der Krieg und die Liebe, die zu den frühen Feldern der Computernutzung gehörten. Dabei ähneln die ersten Versuche der frühen Dating-Enthusiasten jenen der sogenannten Garagenfirmen, die 15 Jahre später den PC entwickeln sollten. So erfahren wir, dass es jugendliche Partymacher in Stanford sind, die in den fünfziger Jahren, die Idee des „Matching“ entwickeln, wenn auch zunächst analog.

Homberg beobachtet in seiner Analyse den schleichenden, aus heutiger Sicht recht rasanten Übergang von einer längst säkularisierten, aber immer noch analogen Methode der Eheanbahnung bis hin zur Zusammenführung von Menschen mit ihren vielfältigen Sehnsüchten und Vorlieben. Die Geschichte der computerisierten Partnervermittlung ist allein schon interessant. Spannend und eben auch überraschend ist all das, was Michael Homberg mit seiner ungeheuer quellengesättigten Studie herausgefunden hat. Dazu gehört u.a. der Befund, dass sich die Dating-Agenturen der Frühzeit, also der 1950er und 60er Jahre, zwar zunächst auf die Suche nach dem/der idealen Ehepartner*in kaprizierten, binnen kurzem jedoch die Kund*innen selbst Ziel und Zweck Ihrer Suche definierten und das war nicht immer eine Eheschließung.

Galt der Computer zunächst als „Ehemaschine“, bedeutete die Dating-Euphorie der 1960er Jahre zunehmende Kommerzialisierung, Internationalisierung und eine, wenn auch begrenzte, Liberalisierung. Die Geschichte der Datingindustrie und des dazugehörenden Marktes bildet einen zentralen Teil der Gesellschaftsgeschichte des digitalen Zeitalters. Unter dem genauen Blick des Autors führt die Geschichte jedoch viel weiter. Hombergs Beitrag über die „Rationalisierung der Liebe“ führt uns durch die Gesellschaftsgeschichte des Westens: So werden Exklusion und Rassismus in der frühen Phase der Datingportale ebenso deutlich, wie Planungseuphorie, Technikbegeisterung und ein größeres Selbstbewusstsein von Frauen in den späten sechziger Jahren. Daneben beachtet Homberg auch die die popkulturelle Rezeption der „Computerliebe“ in Literatur, Theater, Film und Fernsehen. Was heute selbstverständlich scheint, wurde in den 1960er und 1970er Jahren unter dem Schlagwort „Liebe aus dem Computer“ relativ breit diskutiert. Wobei der Diskurs in den 1970er Jahren kritischer wurde.

Der Beitrag Michael Hombergs lässt uns also weit mehr als die Entwicklung der Dating-Portale nachvollziehen. Insofern ist die Überschrift des Beitrags bescheiden formuliert. Wir lesen eine exzellent geschriebene Sozial-, Kultur- und Technikgeschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Liebe indes, bleibt trotz dieser Pionierleistung noch immer ein Geheimnis, ein wenig zumindest. Schließlich wissen auch die Dichter*innen nicht wirklich mehr:
Es ist was es ist, sagt die Liebe, so Erich Fried in den 1980er Jahren.

Ich freue mich sehr, den Zeitgeschichte digital-Preis am heutigen Abend an Michael Homberg zu überreichen. Herzlichen Glückwunsch!