von Peter Ulrich Weiß

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16. Dezember 2022

Laudatio für Juliane Röleke aus Anlass der Verleihung des Zeitgeschichte digital-Preises am 24. November 2022.

 

Herzlichen Glückwunsch an Juliane Röleke zum Preis in der Kategorie „Wissenschaftskommunikation“ für ihren Beitrag „Superstars im Kriegsgebiet? Über die ambivalenten Fotografien von The Clash in Belfast 1977“, erschienen auf zeitgeschichte|online vom 1. April 2021.

Es ist noch keine zwei Wochen her, dass Clash-Gitarrist Keith Levene im Alter von 65 Jahren gestorben ist. Eine traurige Nachricht für alle Musikfans, denn Levene war nicht nur Gründungsmitglied von The Clash, sondern auch von Public Image Ltd., einer ausgefallenen Post-Punk-Band, die mich durch die 1980er Jahre begleitet hat. Dass die Auszeichnung Deines Beitrags mit den ehrenden Nachrufen auf Levene zeitlich zusammenfällt, scheint passend und zusammengehörig, ist jedoch reiner Zufall. Doch wie es so schön heißt: Der Zufall sorgt im Drehbuch der Wahrscheinlichkeiten für die Knalleffekte.

Das trifft ebenfalls auf die berühmten Fotografien von The Clash vom 20. Oktober 1977 in Belfast zu. Auch sie sind das Ergebnis eines Zufalls. Denn eigentlich sollte an diesem Tag das Auftaktkonzert der „Get Out Of Control“-Tournee stattfinden. Doch das musste in letzter Minute unter fadenscheinigen Gründen abgesagt werden. Die Behörden fürchteten Randale und die vereinende Kraft des Punk unter den Splittergruppen der Belfaster Jugendlichen. Um die freigewordene Zeit zu füllen, machte der mitgereiste Fotograf Adrian Boot mit der Band eine Foto-Rundgang durch die von gewaltsamen Unruhen und Zusammenstößen gezeichnete Stadt – und schuf eine Serie, die zu den bekanntesten jener Zeit gehört. Eine zerstörerisch-militante Bürgerkriegsatmosphäre in Verbindung mit jugendlichem Rebellentum: Das kreierte eine morbide Szenerie, die die Ideale und Attitudes des Punk auf einzigartig verdichtete Weise abzubilden schien.   

Dein Text verknüpft souverän und unaufgeregt Bildanalyse, Foto-Entstehungsbedingungen und politisches Umfeld, ohne die darin enthaltenen Überlegungen gleich mit popkulturellen Knalleffekten zu überfrachten. Die Fotografien zeigen ein Sich-Umschauen und Sich-Informieren der Bandmitglieder. Sie vermitteln aber auch eine gewisse Ratlosigkeit mit den Verhältnissen vor Ort, voller Mauern, Zäune und hochgerüsteter Sicherheitsleute. Es sind zweifellos Inszenierungen, aber auch keine durchchoreografierten. Die Gesichter der Band sind nicht durchweg betroffen oder grimmig abgelichtet. Man sieht sie auch jungenhaft cool und rotzig in die Kamera lächeln. „Leben ist Chaos. Das sollte man genießen.“ – diesen quasi zeitlosen Spruch von Sex Pistols-Sänger Jonny Rotten scheint manche Mimik auszusagen. Es sind eben ganz anders geartete Bilder als die von U2-Sänger Bono bei dessen Ukraine-Besuch im Mai 2022. Und Dein Verweis auf Männlichkeitsdarstellungen ist sowieso mehr als angebracht. Die damalige Atmosphäre und Gemengelage kommt in den gewählten Formulierungen gut rüber. Man spürt, dass Du Dich bestens auskennst. Was wiederum kein Zufall ist: Denn Du beschäftigst Dich seit Längerem in Deiner Dissertation mit Raum, Gewalt und Geschlecht in Nordirland und der Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1985.

Mit dem Deinem Beitrag nimmst Du uns aber nicht nur mit in die Hochzeit des Nordirland-Konflikts, sondern auch in ein Schlüsseljahr der Punkrockgeschichte, nämlich ins Jahr 1977. Damals bildete The Clash zusammen mit den Sex Pistols und Ramones die „heilige Dreifaltigkeit des 77er-Punk-Rock“. Das Jahr gilt als ikonisches Blütejahr des britischen Punkrock, der nun erst recht zu einem Medienphänomen wurde. Zugleich verweisen die Bandgeschichte und das Jahr ’77 auch auf die Widersprüche und Abgründe der Kommerzialisierung von Subkultur, mit denen die Gruppe und letztlich die Kultur insgesamt zu kämpfen hatte und hat. In jenem Jahr erhielt The Clash einen für das damalige Genre unfassbar hoch dotierten Major-Vertrag in sechsstelliger Höhe. Der verpflichtete sie zu enorm vielen Alben und Konzerttouren und sah die volle Vermarktung vor – mit allen Konsequenzen. Nicht von ungefähr erklärte Sänger Joe Strummer später selbstironisch: Ich bin stolz auf alle unsere Alben. Auch auf die beschissenen. Trotz ihres herausragenden Albums „London Calling“ wurde die Band daher bei Konzerten in Hamburg und München 1980 von verärgerten Punks ausgebuht, die der Band vorwarfen, einen Pakt mit dem Kapitalismus geschlossen zu haben.

Nun, die unablässig fortschreitende Ökonomisierung und Kommerzialisierung nahezu aller Lebensbereiche gehört, wie wir wissen, zu den historischen Prozessen und Schlüsselerfahrungen unserer Zeit. Insofern bietet die Lektüre Deines Beitrages viele latente, große oder kleine Verknüpfungspunkte zu zentralen zeitgeschichtlichen Fragestellungen – oder auch nur zu Anekdoten, ohne die die Geschichtsschreibung aber weniger lebendig wäre. So oder so: Vom Ansatz her verknüpft Dein Artikel die inzwischen fest etablierten Forschungsstränge am ZZF, die sich mit Visual History sowie mit Pop- und Musikgeschichte beschäftigen. Dabei bleibt immer wieder nur zu wiederholen, dass die Auseinandersetzung mit Jugendkulturen und mit Punk, Metal, Ostrock oder auch „Kälte-Pop“ im Speziellen keine Orchideen- oder Freak-Themen sind, sondern Untersuchungsgegenstände mit einem großen Resonanzboden und Vermittlungspotenzial nach außen. Immerhin hören – so eine empirische Erhebung aus dem Jahr 2018 – ein Fünftel aller Radiohörer in Deutschland bevorzugt Metal, Indie und Punk Music und interessieren sich auch sonst für deren Geschichte. Ich hoffe, dass Dein Artikel viele von ihnen erreicht!

Liebe Juliane Röleke, nimm den Preis als Auszeichnung für Deinen Beitrag entgegen, aber auch als Anerkennung für Dein wiederholtes Mitwirken an zeitgeschichte|online sowie als Bestätigung für Dein reges Engagement als Public Historian. Schließen möchte ich mit einer besonderen Einladung: Solltest Du diesen Winter zufällig nach Garmisch-Patenkirchen reisen, um zu wandern oder Ski zu fahren, mache ruhig einen Ausflug ins nahegelegene Füssen und besuche dort das Clash-Museum von Schauspieler Mario Irrek, der mehr 25 000 Exponate zusammengetragen hat. Irrek spielte seine erste Rolle vor der Kamera 1983 im Videoclip der Toten Hosen zu ihrem Lied „Eisgekühlter Bommerlunder“. Ich bin sicher, dass er heute zusammen mit dem bekennenden Clash-Fan Campino mit Dir anstoßen würde.

In diesem Sinne: Gratulation und Prost!