von Teo T.C. Schlögl

  |  

13. März 2023

Sprache formt die Wirklichkeit, in der wir leben. Diese Annahme bedeutet im Umkehrschluss, dass wir durch eine bewusste Nutzung von Sprache diese Wirklichkeit mitgestalten können. Dies ist ein grundlegender Gedanken vieler sozialer Bewegungen, so auch von trans* Bewegungen weltweit. Gerade für Personengruppen, die sehr lange abwertenden, stigmatisierenden und verletzenden Fremdbezeichnungen ausgesetzt waren oder es noch immer sind, spielt die selbstbestimmte Bezeichnung von Identitäten eine große Rolle. Gleichzeitig sind Selbstbezeichnungen komplex, vielfältig und ständig im Wandel, sodass der Versuch einer Beschreibung und Einordnung von Begrifflichkeiten immer eine lokal und zeitlich begrenzte Momentaufnahme bleiben muss. Dies gilt auch für den folgenden Versuch eines kurzen Überblicks über Begriffe, die seit dem letzten Jahrhundert für trans* Personen im deutschsprachigen Raum wichtig waren oder sind.

Transvestitismus

Der Sexualforscher Magnus Hirschfeld und das von ihm gegründete Institut für Sexualwissenschaft in Berlin prägten im frühen 20. Jahrhundert den Begriff der_des Transvestit_in. Transvestit_innen waren für Hirschfeld Personen, die die Kleidung des ‚anderen‘ Geschlechts trugen.[1] Bevor er vor den Nationalsozialisten fliehen musste, etablierte Hirschfeld die sogenannten Transvestitenscheine [sic], welche betroffenen Personen eine gewisse Immunität gegen polizeiliche Willkür verschaffen sollten. In den Gutachten für diese Scheine wird erstmals mit narrativen Elementen operiert, die noch heute integrale Bestandteile der medizinisch-psychiatrischen Konstruktion von ‚Transsexualität‘ sind, zum Beispiel die Beständigkeit der Empfindung, dem ‚anderen‘ Geschlecht zuzugehören, die Idee des ‚falschen‘ Körpers und der Wunsch nach Veränderung desselben.

Transsexualität

Transsexualität wurde zwar am Anfang des 20. Jahrhunderts vereinzelt verwendet, aber als psychiatrisch-medizinisches Konzept erst Mitte des 20. Jahrhunderts durch den Endokrinologen Harry Benjamin in seinem Buch The Transsexual Phenomenon in den USA popularisiert. Benjamin war in den 1920er Jahren auch dem Institut Magnus Hirschfelds verbunden. Der Begriff der Transsexualität gelangte über den sexualwissenschaftlichen Diskurs wieder nach Deutschland. In der ICD[2], dem von der Weltgesundheitsorganisation herausgegebenen Diagnosemanual, erschien Transsexualität zum ersten Mal 1975 und wurde 1990 zu ‚Transsexualismus‘.[3] Auch in das deutsche Recht fand der Begriff Eingang, etwa über das sogenannte Transsexuellengesetz, das seit 1980 die Änderung von Vornamen und den Geschlechtseintrag von trans* Personen reguliert. Während der Begriff in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von vielen trans* Personen als Selbstbezeichnung genutzt wurden, lehnen viele Menschen ihn heute aufgrund seiner pathologisierenden Geschichte ab.

Transgender

Transgender etablierte sich im deutschsprachigen Raum in den 1990er Jahren und stellte mit seinem Fokus auf das soziale Geschlecht (gender) für viele Personen eine positivere Selbstbezeichnung dar als Transsexualität. Der Begriff wird Virginia Prince zugeschrieben, die ihn in den 1970er Jahren in den USA genutzt haben soll, um eine Abgrenzung von Transvestitismus und Transsexualismus zu schaffen.[4] Das Konzept gender, auf dem Prince‘s Wortschöpfung beruht, wurde durch den US-amerikanischen Sexualwissenschaftler John Money geprägt. Money steht heute stark in der Kritik, weil er durch menschrechtswidrige Zwangsoperationen an intergeschlechtlichen[5] Personen großes Leid verursacht hat.[6] Auch dem Psychiater Robert Stoller, der Moneys Konzept weiterentwickelte und die erste Klinik für trans* Personen in Los Angeles gründete, werden massive Menschenrechtsverletzungen gegenüber trans* Personen vorgeworfen. Transgender wurde auch von Autor_innen of Color als weißes und westliches Konzept kritisiert, das die Erfahrungen von BIPoC[7] unsichtbar macht.[8] Trotz dieser Kritik wird der Begriff weiterhin von Personen im deutschsprachigen Raum genutzt, wird jedoch seit einigen Jahren durch Trans* als Oberbegriff und Selbstbezeichnung immer mehr abgelöst.

Trans* und nicht-binär

Trans* (substantivisch) und trans* (adjektivisch) sind derzeit gängige Selbstbezeichnungen von Personen, die sich nicht oder nicht nur mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei Geburt zugeordnet wurde. Der Asterisk (*) steht dabei in Anlehnung an Programmiersprachen für eine offene Endung, welche die Bildung möglichst vieler Komposita zulässt und dadurch unterschiedliche Selbstbezeichnungen vereinen soll (z.B. transgeschlechtlich, transident, transgender, etc.). Auch in der Forschung zum Thema wird immer öfter der Begriff Trans* verwendet. Trans* Personen können sich sowohl einem binären Geschlecht (Mann oder Frau) zuordnen, als auch Geschlechter haben, welche die zweigeschlechtliche Norm überschreiten, sich ihr verweigern oder sich außerhalb von ihr befinden. Viele Personen haben in den letzten Jahren außerdem begonnen, den Begriff der Nicht-Binarität für sich zu verwenden, übernommen aus dem Amerikanischen (nonbinary = nicht-binär, non-binär), der eine deutliche Abgrenzung zu binären Geschlechtsidentitäten ausdrückt und eine Kritik am gängigen Geschlechtermodell enthält, das nur zwei Geschlechter kennt.

Trans* - Under Construction

Die Gleichzeitigkeit von stigmatisierender Fremdbezeichnung durch medizinisch-psychiatrische Diskurse und ermächtigender Selbstbezeichnung wird in den Begriffen Transvestitismus, Transsexualität und Transgender deutlich und spiegelt die komplizierten und ambivalenten Beziehungen von trans* Personen zu Wissenschaften wider, die seit über hundert Jahren versuchen, trans* Personen zu erforschen und ihre Existenz zu regulieren. Der heute viel verwendete Begriff Trans* versucht nicht nur, möglichst viele Selbstbezeichnungen mit einzuschließen, sondern stellt auch den Versuch dar, sich von den gewaltvollen Geschichten früherer Begriffe zu distanzieren. Gleichzeitig gibt es auch an diesem Begriff Kritik – z.B., dass er als Oberbegriff versucht, möglichst viele Erfahrungen zu vereinen, die eigentlich wenig miteinander zu tun haben, und dadurch Mehrfachdiskriminierungen und nicht-binäre Identitäten unsichtbar macht.

Über den Begriff Transgender in den USA schreibt die trans* Historikerin Susan Stryker 2017: "Transgender is a word that has come into widespread use only in the past couple of decades, and its meanings are still under construction."[9]Das trifft heute auch auf den Begriff Trans* im deutschsprachigen Raum zu. Hinzufügen möchte ich, dass dieser Prozess wohl niemals abgeschlossen sein wird. Begriffe zu Trans*, wie andere Selbstbezeichnungen auch, werden immer under construction bleiben, weil sie die lebendigen, widersprüchlichen, schmerz- und freudvollen Entwicklungsprozesse von sozialen Bewegungen und Individuen abbilden.

 

[1] lat. vestire = ankleiden, lat. trans = über, über…hinaus, jenseits von
[2] International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems.
[3] Im 2019 erschienenen ICD-11 wurde ‚Transsexualismus‘ durch ‚Geschlechtsinkongruenz‘ ersetzt und vom Kapitel ‚Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen‘ in das neu geschaffene Kapitel ‚Conditions related to sexual health‘ verschoben. In Deutschland wird derzeit noch der ICD-10 verwendet.
[4] Perrson Perry Baumgartinger, Trans Studies. Historische, begriffliche und aktivistische Aspekte (Wien: Zaglossus, 2017).
[5] Intergeschlechtliche Menschen haben angeborene genetische, und/oder anatomische, und/oder hormonelle Geschlechtsmerkmale, die nicht den Geschlechternormen von Mann und Frau entsprechen.
[6] Baumgartinger, Trans Studies.
[7] Black, Indigenous, People of Color.
[8] z.B. b binaohan, Decolonizing Trans/Gender 101 (Toronto, Canada: biyuti publishing, 2014).
[9] Susan Stryker, Transgender History: The Roots of Today’s Revolution, Second edition (Berkeley: Seal Press, 2017).