von Jöran Klatt

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5. Mai 2023

Granaten fliegen, Schüsse, eine Gruppe Soldat*innen stürmt ein Haus. Zu der Sequenz ertönt eine den Fans wohlbekannte Melodie. Im Sommer 2018 veröffentlichte der Computerspiele-Publisher Electronic Arts (EA) diese ersten Videosequenzen aus dem von Fans sehnlichst erwarteten Battlefield V, dem sechzehnten Teil der erfolgreichen Computerspiele-Reihe. Doch EA, eine der großen Firmen im Spielebusiness, hatte wohl nicht damit gerechnet, dass dieser Trailer einen Proteststurm ganz eigener Art entfachen würde.

Denn für einen Teil der Fans wurde der Trailer zur Enttäuschung, da er zeigte, dass es in Battlefield V erstmals eine weibliche spielbare Hauptfigur geben würde. Unter dem Hashtag #Notmybattlefield versammelten sich diese Fans und protestierten: Sie meinten, dieses Spiel sei „nicht ihres“ und empörten sich über den vermeintlichen Anachronismus. Denn war die Battlefield-Reihe nicht stets dem historischen Realismus verpflichtet und war eine weibliche Kämpferin mit diesem historischen Szenario nicht völlig unvereinbar?

 

Geschlechterrepräsentation in digitalen Spielen

Diese Reaktion zeigt beispielhaft, wie es innerhalb der Gaming-Szene immer wieder zu geschlechtspolitischen Konflikten kommt. #Notmybattlefield machte da weiter, wo die prominenteste #GamerGate-Kontroverse bereits vier Jahre zuvor die Computerspieleszene zu den Thema Gender und Diversity aufgewühlt, sensibilisiert und polarisiert hatte.[1] Bei #GamerGate, wie auch bei #Notmybattlefield, gerieten Computerspielefans aneinander. Die eine Seite davon hat den Eindruck, dass die Spieleszene durch progressive, feministische Themen- und Bewusstseinssetzung regelrecht „unterwandert“ würde. Auf der anderen Seite gibt es aber auch diejenigen, die sich für mehr Diversität in der Spielekultur einsetzen.

#Notmybattlefield war eine weitere Episode in einer allgemeineren Auseinandersetzung um geschlechtspolitische Normen in der Szene. Am Anfang stand in diesem Fall ein Computerspielehersteller, der zunächst auf die gestiegene Bedeutung der Frauen als Spielerinnen einging. Frauen sind, zumindest aus Sicht der Spieleindustrie, ein viel zu lange ignorierter Teil der Kundschaft. Da der Gaming-Markt als Massenmarkt nicht auf die Repräsentanz von Frauen in Spielen verzichten kann, setzen die Hersteller*innen seit einigen Jahren verstärkt darauf. Frauen tauchen nicht mehr nur als Nebenfiguren, schmückendes Beiwerk oder „damsel in distress“[2] auf – auch wenn viele Spiele das männliche Publikum nach wie vor mit diesen Motiven locken.

 

Realität vs. Diversität

Das geschichtskulturelle Ringen um Darstellungen in Computerspielen wie Battlefield V zeigt aber auch, dass historische Realität ein umkämpftes Gut ist. In Diskussionen innerhalb der Gamingszene findet sich verstärkt ein Argumentationsmuster, progressiven und feministischen Zielsetzungen mit der vermeintlichen Realität zu begegnen. Realismus wird in solchen Fällen als Beleg hegemonialer Normen angeführt. Schon in der #GamerGate-Kontroverse war dieses Muster zu beobachten. Dabei wird der Anspruch, dass historisch-narrative Computerspiele zu einer möglichst realistischen Darstellung verpflichtet seien, gegen das Ziel ausgespielt, dass bei der Darstellung und Spielbarkeit der Figuren auf mehr Diversität geachtet werden sollte. Spielbarkeit meint hier, dass eine Spielfigur nicht allein passiver Inhaltsteil, sondern auch eine steuerbare Figur ist, in deren Rolle die realen Spieler*innen schlüpfen können. In einem historischen Szenario kann eine realistische Darstellung aus Sicht einiger Spielefans also keine weiblichen spielbaren Charaktere bedeuten, weil Frauen in vielen Geschichtsszenarien vermeintlich keine Handlungsmacht gehabt hätten. Computerspiele werden so zum Konfliktfeld zeitgenössischer Geschlechterpolitik, auf dem die Kontrahent*innen sich mit geschichtskulturellen Argumenten bekämpfen.

 

Computerspiele als Kunst?

Der Deutungskampf um realistische Darstellungen im Computerspiel berührt auch die wiederkehrende Diskussion, ob die Spiele als Medien künstlerischen Anspruch verfolgen oder nicht. So hatte in Folge der Entrüstung über Battlefield V der Publisher Electronic Arts die zentrale Rolle einer weiblichen Spielfigur u.a. damit begründet, dass das Genre eines geschichtserzählenden Spiels nicht zum Realismus verpflichte. Dabei wird das Argument bemüht, dass der Status eines Kunstwerks bedeute, dass frei von historischer Faktentreue erzählt werden kann.

Einige Spieler*innen lehnen dieses Argument aber ab. Sie erwarten von den Spielen, dass sie einerseits Unterhaltungsmedien, andererseits aber auch historisch-darstellende Simulationen sind. Faktizität hat für diesen Teil der Spieler*innen einen hohen Stellenwert. Obwohl sich das Medium Computerspiele besonders dafür anbietet, lustvoll zwischen der Grenze von Faktizität und Fiktionalität zu mäandern – wofür z. B. die Historienspiele der Assassins-Creed-Reihe ein Beleg sind – ist es auffällig, wie intensiv ausgerechnet in der Kultur der Spieler*innen um Geschichte gerungen wird.

Hinzu kommt, dass Computerspieler*innen viel mehr als bei anderen Medien in Verbindung mit den dargestellten Inhalten gebracht oder sogar in Verantwortung dafür genommen werden. Bei anderen Medien, wie beispielsweise Kinofilmen oder Büchern, wird dem Publikum in der Regel mehr Distanz zugetraut als Spieler*innen. Dies äußerte sich etwa in zahlreichen kulturpessimistisch angehauchten Debatten (wie der Killerspielkontroverse), in denen Spieler*innen oft unterstellt wurde, sie seien weniger kunstaffin als andere Publika. Bei den Spieler*innen wird somit die Rezeption einer Darstellung viel stärker auch als Rechtfertigung des Inhalts verstanden.

 

Repräsentation und Agency

Dem Argument, dass die Repräsentation von Frauen in Computerspielen vermeintlich nicht durch die Realität gedeckt sei, kann eine historische Perspektive entgegengehalten werden. In #Notmybattlefield entgegneten den empörten Fans wiederum andere mit dem Argument, dass im Zweiten Weltkrieg Frauen durchaus eine aktive Rolle einnahmen und auch an Kämpfen teilgenommen haben.[3] Auch andere Computerspiele greifen dies auf: Call of Duty Vanguard nutzt etwa für die Figur der Scharfschützin Polina Petrova die reale historische Vorlage der Weltkriegs-Frontkämpferin Ljudmila Michailowna Pawlitschenko, wenngleich ihr Leben sehr frei interpretiert wird.[4]

Der mangelnden Repräsentation von Frauen und Diversität in solchen Geschichtsdarstellungen liegt ferner auch eine retrospektive Ausklammerung zugrunde. Mikro- und alltagsgeschichtliche Zugänge sowie die Geschlechterforschung versuchen auch in der Geschichtswissenschaft die Lücken der Sichtbarkeit aufzuarbeiten. Auch in Computerspielen mit historischem Handlungsrahmen stellt sich auf eine analoge Weise die Frage nach der sogenannten Agency, also der Handlungsfähigkeit der Spielfiguren – und danach, welche Rolle sie spielen können. Denn für Computerspiele sind vor allem Szenarien beliebt, in denen Spieler*innen mit großer Machtfülle agieren können. Und es ist schwer zu leugnen, dass die Geschichte (und nach wie vor auch die Gegenwart) mehr Beispiele für den Ausschluss von Frauen aus Machtbereichen liefert als für das Gegenteil.

Vermutlich weichen auch daher nicht wenige Computerspiele, die ein geschichtskulturelles Szenario verwenden, aber der Diversitätsfrage entsprechen wollen, auf ein Fantasy-Szenario aus. Dieses kreiert zwar nicht selten mittelalterliche Welten, kann diese aber gesellschaftlich freier zeichnen. Beispiele sind Dragon Age oder die Elder Scrolls-Reihe, in denen weibliche spielbare Charaktere bisher keinerlei Diskussionen nach sich gezogen haben.

Die hier skizzierte Auseinandersetzung zeigt, dass Geschichtsdarstellungen in Computerspielen (auch jenseits der Diskussionen um ihren didaktischen Mehrwert) ein Gegenstand der geschichtskulturellen Ausverhandlung sind. Ein historiographischer Anspruch, zu zeigen, „wie es eigentlich gewesen“[5] ist, ergibt sich dabei nicht von selbst mit besserer fotorealistischer Grafik und mehr detaillierten Inhalten, sondern wird von sehr gegenwärtigen Interessen beeinflusst. Geschichte ist ein elementarer Gegenstand einer lebendigen Gesellschaft, die darum ringt und sich fragen muss, was sie daraus und damit machen will - auch wenn es um Computerspiele geht.

 


[1] In der #GamerGate-Kontroverse gerieten bereits vier Jahre vor der Veröffentlichung von Battlefield V Spieler*innen u.a. um die Frage des Einflusses feministischer bzw. anti-genderistischer Argumentation in der Computerspielekultur aneinander. Siehe hierzu: Klatt, Jöran: Wie #GamerGate Trump zum Wahlsieg verhalf, in: Jacobin (17.09.2020), online: 11.04.2023.

[2] Rollentyp der „Jungfrau in Nöten“, die vom (männlichen) Helden vor dem Ungeheuer gerettet werden muss.

[3] King, Tracy: Yes, Battlefield V gamers, there were female soldiers in World War II, in: The New Statesman (25.05.2018), online: 11.04.2023.

[4] Herrmann, Jonas: Call of Duty Vanguard: Die historische Inspiration für Scharfschützin Polina, in: GamPro (20.10.2021), online: 11.04.2023.

[5] Ranke, Leopold: Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1535, Leipzig/Berlin 1824, S. 6.