Im Jahr 2018 hat sich eine bundesweite Initiative TVStud (Tarifvertrag für studentische Beschäftigte) gegründet, die sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von studentischen Hilfskräften und Tutor*innen einsetzt. Aufgrund der prekären Anstellungsverhältnisse, wie es Kurzzeitverträge mit sich bringen, fordert die Initiative einen Tarifvertrag, den es bisher nur in Berlin für studentische Beschäftigte gibt. In diesem Herbst ruft die Bewegung zu einer weiteren Aktionsreihe auf.
Aus diesem Anlass wurden Ann-Kathrin Hoffmann (AKH) und Sabrina Aileen Arneth (SAA), die beide an der Bewegung beteiligt sind, von Marie Luise Wallroth (zeitgeschichte|online) interviewt.
Das Interview fand in schriftlicher Form im September 2023 statt.
Ann-Kathrin Hoffmann ist Erziehungswissenschaftlerin und hat schon an 6 verschiedenen Hochschulen und Forschungseinrichtungen als studentische Beschäftigte gearbeitet, derzeit an der Fernuniversität Hagen.
Sabrina Aileen Arneth ist Soziologin und beendet derzeit ihr Masterstudium an der Universität Potsdam. Während ihres Studiums arbeitete sie in Ihrem Institut in verschiedenen Tätigkeiten auf neun befristeten Verträgen. Beide sind in der TVStud-Bewegung und der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) aktiv.
Sie haben beide langjährige Erfahrung als studentische Beschäftigte und engagieren sich in der aktuellen TVStud-Bewegung.
Was ist die „TVStud-Bewegung“? Warum und vor welchem Hintergrund ist sie entstanden?
SAA: Die TVStud-Bewegung ist – nach Jahren der Stagnation – schlicht aus einer Not heraus entstanden. Die meisten Studierenden arbeiten neben dem Studium, weil sie Studium und Leben sonst nicht finanzieren könnten. Nicht wenige arbeiten an ihren Hochschulen. Die Bundesländer, also die öffentliche Hand, sind der größte Arbeitgeber für Studierende. Schon vor der Inflation waren viele Studierende aufgrund des niedrigen Lohnes und der mit kurzen Vertragslaufzeiten und Befristung einhergehenden Unsicherheit von diesen Jobs ausgeschlossen, die für einige auch der Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere sein können.
Wir fordern bessere Arbeitsbedingungen für studentische Beschäftigte, dass unsere Rechte als Arbeitnehmer*innen respektiert werden, dass wir ordentlich bezahlt werden und mehr Urlaub bekommen! Durch die Inflation hat sich die Situation noch verschärft. Wir setzen dort an, wo wir es können und organisieren uns für einen Tarifvertrag.
AKH: Inmitten dieses Abwärtstrends war es vor allem der Arbeitskampf an den Berliner Hochschulen, der 2018 nach über 40 Streiktagen im TVStud III mündete und ein Zeichen setzte: Kämpfen lohnt sich! In Hamburg und Bremen gründeten sich erste Initiativen, 2019 forderten die Gewerkschaften nach einem erfolgreichen Organisierungsprozess die Stadt Bremen zu Verhandlungen auf. Doch die wurden unterbunden – von der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), dem Arbeitgeberverband. Damit war klar: Wenn wir nicht einzeln in den Ländern Tarifverträge verhandeln dürfen, müssen wir uns bundesweit organisieren und die Jahrzehnte andauernde, politische Blockade der TdL gegenüber einer Tarifierung durchbrechen. Die Tarifrunde 2021 und die dort errungene „Bestandsaufnahme über die Arbeitsbedingungen” sowie die zwischendrin erreichten Bekenntnisse von immerhin acht Landesregierungen zu einer Tarifierung waren dabei wichtige Meilensteine. Darauf gilt es jetzt, aufzubauen.
Wer ist an der Initiative beteiligt?
SAA: Die TVStud-Bewegung, das sind vor allem tausende Kolleg*innen, die sich bundesweit organisieren und koordinieren, mit Initiativen in jedem Bundesland. Unterstützt werden wir durch die Gewerkschaften ver.di und GEW. Die Anbindung an die Gewerkschaften ist für uns wichtig, da sie den institutionellen Rahmen bilden, in dem wir als Teil einer größeren Gemeinschaft mit dem Arbeitgeberverband verhandeln können. Wir verstehen uns aber auch als eine eigene Bewegung, die gegenüber den Gewerkschaften selbstbewusst auftritt und eigene Impulse hineinträgt. Darüber hinaus werden wir von anderen hochschul- und wissenschaftspolitischen Gruppen und Organisationen unterstützt.
Wie sind aktuell die Bedingungen für studentische Beschäftigte?
AKH: Wie die von dem Institut Arbeit und Wirtschaft in Kooperation mit GEW, ver.di und TVStud herausgegebene Studie “Jung, akademisch, prekär” Anfang 2023 gezeigt hat, sind die Bedingungen prekär – und das mit System.[1]Mit Ausnahme von Berlin sind studentische Beschäftigte von einem Tarifvertrag sowie mittel- oder gar unmittelbar von der betrieblichen Mitbestimmung durch Personalräte ausgeschlossen. In Verbindung mit den Kurzzeitverträgen von weniger als sechs Monaten und der Kettenbefristung in Form ständiger Wiederanstellung auf den gleichen Stellen erhöht dies die ohnehin bestehende Machtasymmetrie zu den Vorgesetzten, die oft auch die betreuenden Dozent*innen sind, immens. Das führt dazu, dass die Nicht-Einhaltung grundlegender Arbeitnehmer*innenrechte den Regelfall darstellt, rund 40% nehmen ihren Urlaub nicht oder nicht vollständig in Anspruch, viele arbeiten Krankheitstage nach und werden bisweilen sogar dazu angehalten, dies zu tun, immer wieder kommt es zum Arbeiten ohne Vertrag und/oder Bezahlung. Und das überwiegend in Minijob-Verhältnissen mit einer Vergütung auf Mindestlohnniveau. Diese Arbeitsbedingungen muss man sich leisten können. Dass dies vor allem Studierende aus sozio-ökonomisch besser gestellten Elternhäusern können, ist ebenfalls nachgewiesen worden. Berücksichtigt man dann noch die hohe Informalität in der Rekrutierung, muss man festhalten: Die Bedingungen sind prekär und sozial exklusiv.
Ist die Arbeit als studentische Beschäftigte in der gegenwärtigen Lage überhaupt noch attraktiv für Studierende?
SAA: Es kommt darauf an, für wen. Wenn man nicht auf einen besser bezahlten Job angewiesen ist und eine nette Professorin hat, die einen fördert, kann so ein Job sehr bereichernd sein und Spaß machen. Durch die systematische Ausgrenzung von einem großen Anteil von Studierenden und das Unterlaufen von arbeitsrechtlichen Mindeststandards ist er das aber in der Summe nicht. Viele Studierende, die keine finanzielle Sicherheit haben, haben einen zweiten Nebenjob, um sich die Arbeit an der Hochschule zu finanzieren. Das kann es einfach nicht sein. Der Druck, den die Bologna-Reform seit 20 Jahren auf die tertiäre Bildung ausübt, hat ja ebenfalls nicht nachgelassen. Unter diesen Bedingungen ist es nicht verwunderlich, dass die Rate von psychischen Erkrankungen und Erschöpfung unter Studierenden immer weiter zunimmt.
Seit wann und mit welcher Motivation engagieren Sie sich persönlich sich für die Kampagne?
AKH: Im Jahr 2018 habe ich mich bei meiner ersten Stelle als Hilfskraft an einem Berliner Lehrstuhl mit Hilfe des Personalrats und des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes erfolgreich gegen meinen damaligen Chef gewehrt, der Mitarbeiter*innen fertiggemacht und Unmengen unbezahlter Arbeit eingefordert hatte; zeitgleich begannen die Streiks für den TVStud III, der gewonnen wurde. Als 2020 die bundesweite Vernetzung startete, war klar: die Erfahrung, dass man sich nicht alles gefallen lassen muss und die Dinge veränderbar sind, die wollte ich weitertragen!
SAA: Im dritten Bachelorsemester begann ich an der Universität Potsdam zu arbeiten. Ich hatte insgesamt neun Verträge in vier Jahren im gleichen Fachbereich. Zunächst beobachtete ich meine frustrierten, perspektivlosen Kolleg*innen im Mittelbau. Die vermeintliche Entscheidung zwischen Zynismus, dem #AusstiegWissenschaft oder rücksichtsloser Ellenbogenmentalität machte mich wütend, da ich mich selbst eine wissenschaftliche Karriere zu interessieren begann. Das war für mich der Einstieg in die Gewerkschaftsarbeit. Meine eigenen Arbeitsbedingungen und deren Auswirkung auf mein Leben verstand ich erst später in der TVStud-Bewegung.
Berlin ist das einzige Land, in dem es schon länger einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte gibt. Wie konnte das erreicht werden und hat Berlin dadurch eine Vorbildfunktion für die Kampagne?
AKH: Der erste TVStud trat 1980 in Kraft, 1985 wurde er durch einen großen Tutor*innenstreik verteidigt und erneuert. Vorausgegangen war jeweils die sukzessive und erhebliche Verschlechterung der Beschäftigungsverhältnisse sowie die Androhung eines massiven Stellenabbaus. Gleichzeitig plante der damalige Berliner Wissenschaftssenator eine Hochschulreform, die u.a. auf Kosten der Studierenden gegangen wäre. Mit kreativen (Streik-)Aktionen gelang es in dieser brisanten hochschul- und tarifpolitischen Gemengelage, sowohl die Hochschulleitungen als auch die Berliner Politik in die Enge zu treiben – und zu gewinnen. Nur in Berlin gibt es Mindestvertragslaufzeiten von zwei Jahren, studentische Personalräte und einen Tarifvertrag. Die positiven Effekte auf die soziale Lage und die Einhaltung von Arbeitnehmer*innenrechte konnten deutlich nachgewiesen werden. Wenngleich auch dort nicht alles rosig aussieht und vor allem die Löhne in keinem Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten stehen: Berlin zeigt seit mehr als 40 Jahren, dass Arbeitskampf und ein Tarifvertrag auch für studentische Beschäftigte möglich sind – und wirken.
Wie kann eine größere Öffentlichkeit für die Arbeits- und Lohnbedingungen der studentischen Beschäftigten erreicht werden?
AKH: Indem zunächst alle Studierenden und Hochschulbeschäftigten erkennen: Wir führen den gleichen Kampf, nämlich für eine Ausfinanzierung der Hochschulen, von der die Arbeits- und Studienbedingungen maßgeblich abhängen. Damit haben wir auch den gleichen Gegner: Das sind die Landesregierungen, die derzeit ihre Doppelfunktion als Arbeit- und Gesetzgeber schamlos ausnutzen und die Hochschulen zu Lasten derer, die darin lernen, lehren und forschen sollen, kaputtsparen. Mit Blick auf unsere Kommiliton*innen ließe sich noch ergänzen: Gelingt es uns, die größte Tariflücke im öffentlichen Dienst zu schließen und über 300.000 Beschäftigungsverhältnisse attraktiver zu machen, wirkt sich dies auf den gesamten studentischen Arbeitsmarkt aus, und alle würden profitieren.
Inwieweit beziehen Sie andere Gruppen, etwa den Mittelbau oder gar die Professor*innenschaft, in Ihre Initiative mit ein?
SAA: Wir planen diesen Herbst unter dem Motto All together now! einen Hochschulaktionstag, der explizit die verschiedenen Statusgruppen zusammenbringen soll, dem sich also auch solidarische Studierende und Professor*innen anschließen können und sollen.[2] Wir knüpfen damit an die Aktionswoche Wissenschaft mit einem konkreten Arbeitskampf an. Wir suchen das Gemeinsame und bilden solidarische Netzwerke.
Was sind die nächsten Schritte der TVStud-Initiative und wie kann sich an dem Streik beteiligt werden?
SAA: Wir formulieren derzeit unsere Tarifforderungen, basierend auf einer Befragung unserer Kolleg*innen. Im Herbst werden wir bundesweit und lokal streiken und zu Aktionen aufrufen! Wer noch kein Gewerkschaftsmitglied ist, sollte jetzt beitreten. Studentische Beschäftigte sollten den Kontakt zu den lokalen Initiativen suchen und TVStud-Botschafter*innen werden, damit sie informiert bleiben.[3] Auch Kolleg*innen anderer Statusgruppen und Kommiliton*innen können sich gerne melden, uns unterstützen und gemeinsam den Hochschulaktionstag planen. Und dann sehen wir uns alle auf der Straße!
[1] Hopp, Marvin/ Hoffmann, Ann-Kathrin/ Zielke, Aaron/ Leslie, Lukas/ Seeliger, Martin (2023): Jung, akademisch, prekär. Studentische Beschäftigte an Hochschulen und Forschungseinrichtungen: eine Ausnahme vom dualen System regulierter Arbeitsbeziehungen. Bremen: iaw.
[2] Mehr Informationen auf der Kampagnenwebsite
[3] Dies ist über die bundesweite Website möglich https://tvstud.de/mitmachen/