von Christoph Links

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18. März 2019

Als vor gut zehn Jahren meine Studie über „Das Schicksal der DDR-Verlage“ im Prozess der deutschen Vereinigung erschien[1], gab es große mediale Aufregung über die Resultate. Die Zahlen waren tatsächlich erschütternd: Von den ehemals 78 staatlich lizenzierten Verlagen der DDR existierte 2006 in eigenständiger Form nur noch ein Dutzend, was etwa 15% entsprach. Nach Wirtschaftskraft betrachtet, waren die ostdeutschen Verlage inzwischen fast vollständig zu vernachlässigen: Am Gesamtumsatz der deutschen Buchbranche von damals 10,7 Mrd. € waren Firmen aus den neuen Bundesländern (ohne Berlin) 2006 nur noch mit 0,9 % beteiligt.[2]
Das Erschrecken war nicht nur deshalb so groß, weil selbst die meisten Branchenteilnehmer einen gefühlt anderen Eindruck hatten, sondern weil die Verlagsbranche damit noch unter dem Ergebnis anderer Wirtschaftsbereiche Ostdeutschlands lag, denn nach Treuhandangaben sind dort insgesamt rund 20% der Betriebe erhalten geblieben.
Schaut man sich die Situation heute an, hat sich die Lage keineswegs verbessert. Zwar haben einige Verlage ihren Sitz nach Berlin verlagert und sind ein paar neugegründete Kleinstverlage hinzugekommen, doch die Gesamtlage hat sich kaum verbessert. An der Gesamttitelproduktion sind die ostdeutschen Bundesländer (ohne Berlin) nach wie vor nur mit insgesamt 5% beteiligt.[3]

 

Verschiedene Sichten auf die Ursachen des Niedergangs

Die Debatte über die Ursachen dieser Entwicklung hält bis heute an. Die eine Fraktion (aus dem eher konservativen Lager) sieht die Gründe für die anhaltenden wirtschaftlichen Probleme im Osten vorrangig im desolaten Altzustand der ostdeutschen Betriebe aufgrund des sozialistischen Systems. Dies trifft nur zum Teil auf die Buchbranche zu. Zwar verfügten die Verlage über wenig Eigenkapital, war die Bürotechnik veraltet und die Mitarbeiterzahl oft überdurchschnittlich hoch, doch die Kompetenz der Fachlektoren und Übersetzer war international geachtet, und die Arbeitsabläufe ähnelten denen in bundesdeutschen Verlagen. Unterschiede gab es in der Gewichtung: Im Osten waren das Lektorat und die künstlerische Abteilung größer, im Westen dagegen Vertrieb und Werbung.
Die strukturellen Unterschiede hätten ausgeglichen werden können, wenn Zeit für eine Übergangs- und Anpassungsphase vorhanden gewesen wäre und die Treuhandanstalt den erforderlichen Restrukturierungsprozess unterstützend begleitet hätte. Hier setzen in der Debatte um die Ursachen der anhaltenden ostdeutschen Wirtschaftsprobleme dann auch die eher linken Argumentationen an.

 

Die zweifelhafte Rolle der Treuhandanstalt

Ursprünglicher Auftrag der Treuhandanstalt war es, die rund 12.500 volkseigenen Betriebe wettbewerblich zu strukturieren und zu privatisieren.[4] Da eine Wirtschafts- oder Regionalförderung nach den Vorgaben der Kohl-Regierung ausdrücklich nicht zu den Aufgaben der Treuhandanstalt zählte – nach neoliberalem Verständnis sollte bekanntlich alles der Markt regeln –, wurde sie auch nicht dem Bundeswirtschaftsministerium, sondern dem Bundesfinanzministerium unterstellt. Anfänglich versprach man sich aus dem Verkauf der DDR-Betriebe, deren Wert einst auf 1,4 Billionen DDR-Mark (also 700 Mrd. DM) geschätzt worden war,[5]erhebliche Einnahmen für den Bundeshaushalt. Doch am Ende sollte das Resultat anders aussehen: Die Treuhandanstalt schloss 1994 ihre Arbeit mit einem Verlust von 250 Milliarden DM ab.[6] Anfänglich galt noch das Prinzip Sanierung vor Verkauf, doch ab Juni 1991 wurde unter Birgit Breuel auf zügigen Verkauf umgestellt. Sanierung sollte Sache der neuen Eigentümer werden, denen man dafür beim Verkauf erhebliche Zugeständnisse machte.
Der Großteil der DDR-Verlage wurde auf diese Weise ab 1991 für eine symbolische D-Mark veräußert, wofür die Käufer im Gegenzug versprachen, mehr als 1150 Arbeitsplätze zu erhalten und mindestens 100 Millionen DM zu investieren, um so das Fortbestehen der von ihnen übernommenen Verlage zu sichern.[7] Doch die Einhaltung dieser Zusagen ist dann von der Treuhandanstalt und ihrer Nachfolgebehörde BvS nicht mehr geprüft worden, wie meine Befragungen bei den betroffenen Verlagen ergaben. Ende 1994 stellte sie ihre Tätigkeit ein.

Die Anstalt bevorzugte bei den Verkäufen erkennbar westdeutsche Interessenten. In einem Dutzend von Fällen, bei denen Verlage aus Schweden, Dänemark, Frankreich und Großbritannien auf den deutschen Markt kommen wollten und entsprechende Angebote unterbreitet hatten, wurden deutsche Konkurrenten vorgezogen. (Lediglich ein einziger Verlag, der Dresdener Verlag der Kunst, ging an einen kanadischen Verleger.) Damit liegt die Verlagsbranche mit 1,3 % ausländischer Käufer deutlich unterhalb des sonstigen Privatisierungsgeschehens. Insgesamt hat die Treuhandanstalt 14 % der Unternehmen an nichtdeutsche Bieter verkauft.[8]

 

Die langfristigen Konsequenzen für die Verlagsbranche

Bei den Verkäufen an westdeutsche Unternehmen ist auffällig, dass die Zukäufe von ostdeutschen Unternehmen selten dazu genutzt wurden, das Programmprofil des westdeutschen Stammhauses zu erweitern, sondern dass stattdessen zumeist das gekauft wurde, was im eigenen Verlag schon vorhanden war. Insofern war abzusehen, dass nach relativ kurzer Zeit die umsatzträchtigen Rechte und Autoren ins Stammhaus geholt wurden und man auf die Dependance im Osten alsbald verzichten konnte. Kein Wunder, dass die Mitarbeiterzahl in ostdeutschen Verlagen von 1988 bis 2007 von 6159 auf 560 fiel. 90,9% der Menschen hatten ihren Arbeitsplatz verloren.
Diese Erfahrung sitzt bei den mehr als 5000 Betroffenen der Verlagsbranche tief. In größeren Wirtschaftszweigen waren es 50.000 oder auch 500.000 betroffene Mitarbeitende. Wenn heute über Ost-Frust und Abwendung vom politischen System gesprochen wird, dann hat es mit diesen, nicht aufgearbeiteten Nachwendeverwerfungen zu tun. Es kommt darauf an, die Gründe für den wirtschaftlichen Niedergang in den einzelnen Unternehmensbereichen endlich genauer zu analysieren, um einerseits Fehlentwicklungen zu benennen und andererseits Verschwörungstheorien zu begegnen.

 

Der Beitrag geht auf einen Vortrag zurück, der während der Konferenz der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels „Der Buch- und Informationsmarkt in Deutschland 1990 bis 2015“ am 27. und 28. April 2017 in Leipzig gehalten wurde. Abgedruckt in: Archiv für Geschichte des Buchwesens, Band 73, Berlin/Boston 2018, S. 231–235.


[1] Christoph Links: Das Schicksal der DDR-Verlage. Die Privatisierung und ihre Konsequenzen, Berlin: Ch. Links 2009
[2] Buch und Buchhandel in Zahlen, Frankfurt a.M.: MVB 2007, S. 24/25
[3] Buch und Buchhandel in Zahlen, Frankfurt a.M.: MVB 2015, S. 146/147
[4]Johannes Heß: Unternehmensverkäufe der Treuhandanstalt. Verträge im Spannungsfeld zwischen Arbeitsplatzsicherung und Alteigentümerschutz, Berlin: Duncker & Humblot 1997, S. 29
[5]Jörg Roesler: Die Treuhandpolitik. Verkauf und Abwicklung statt Sanierung und Umwandlung mit dem Ergebnis einer weitgehenden Deindustrialisierung des Ostens. In: Bahrmann, Links (Hg.): Am Ziel vorbei. Die deutsche Einheit – Eine Zwischenbilanz, Berlin: Ch. Links 2005, S. 94
[6] Richard Schröder: Irrtümer über die deutsche Einheit, Freiburg: Herder, 2. Aufl. 2014, S. 158
[7] Börsenblatt 92/1991 vom 19.11.1991, S. 4061
[8] Roesler: Treuhandpolitik, a.a.O., S. 102