von Jutta Braun

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23. Mai 2024

Veronika Springmann leitet seit 2021 das Sportmuseum Berlin. Sie ist Historikerin und Sportwissenschaftlerin, ihre Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte des Nationalsozialismus, die Geschichte der Gewalt, Körper- und Sexualitätsgeschichte und queere Geschichtsschreibung.

 

(J.B.: Jutta Braun|V.S.: Veronika Springmann)

 

J.B.: Seit 2021 sind Sie Leiterin des Sportmuseums Berlin. Einerseits boomen Sportmuseen, so der Eindruck, auf der anderen Seite scheinen sie auch besonders traditionsverhaftet zu sein. Was macht aus Ihrer Sicht ein modernes, sachgerechtes Sportmuseum aus? Welche sporthistorischen, methodischen Zugriffe sind für Sie interessant, welche Vermittlungsformen halten Sie für zukunftsträchtig?

V.S.: Wir haben zwei Standorte; einer befindet sich im Berliner Westen, im Olympiapark und einer im Südosten der Stadt, das Wassersportmuseum Grünau.

Boomen Sportmuseen? Ich lese das als Indikator dafür, wie zentral Sport in unserer Gesellschaft ist, und wie viele Menschen sich mit Sport verbinden können. Es ist bedauerlich, dass die Häuser oft in der Erzählung von Heldengeschichten und großen Erfolgen verbleiben, also ein eher schlichtes Narrativ wählen. Sportgeschichte ist so viel facettenreicher. Handlungsleitend ist für mich Donna Haraways: „Nichts ist mit allem verbunden, aber alles mit etwas“. In Bezug auf das Sportmuseum bedeutet das zu zeigen, womit Sport sich gesellschaftlich in Beziehung setzt.

Meiner Meinung nach sind wir es als Museum der Öffentlichkeit schuldig, vielschichtiger und ambivalenter zu vermitteln. Museen sind öffentliche Orte. Die Kuratorin Nora Sternfeld hat das sehr gut auf den Punkt gebracht. Sie sagt, dass Museen als Institution eigentlich allen gehören. Das bedeutet nicht nur, dass Museen allen offenstehen sollten. Vielmehr sollte das Museum die Möglichkeit versprechen, zu fragen, wer ‚alle‘ sind und wer davon ausgeschlossen bleibt.[1]

Das sind absolut wichtige Überlegungen für mich. Denn gerade Sport als so bedeutsames gesellschaftliches Feld hat hier einiges im Angebot. Ich fühle mich der inklusiven Geschichte verpflichtet, und damit der Frage, wie eine demokratische – gegenwartsbezogene – Geschichtsvermittlung aussehen kann. Damit landen wir bei der Auseinandersetzung darüber, wessen Geschichten wir erzählen. Und wir landen unweigerlich bei der Frage, wer, wann und warum beim Turnen oder Sport dabei sein dufte. Beim Sport, in dem ja der Körper zentral gestellt wird, fällt einem nicht nur sofort Dis/Ability ein, sondern auch die Kategorie Geschlecht oder Race. 

Und weiter, was wurde normativ in diese soziale Praxis eingeschrieben, und wie wurden diese Normen unterlaufen.[2]

Die Geschichte des Sports ist reich an Geschichten, die zeigen wie anregend der methodische Ansatz der Intersektionalität ist, also die Verschränkung mehrerer Differenzkategorien. Als Analyseperspektive verknüpft Intersektionalität individuelle Unterdrückungserfahrungen und strukturelle Herrschaftsverhältnisse. Damit trägt der Ansatz dazu bei, die „Komplexität der sozialen Welt, der Menschen und der menschlichen Erfahrung“ zu analysieren.[3] Für die museumspraktische Arbeit ist das insofern von Relevanz, als dass ein Museum sich immer auch fragen muss, wem es gehört, und wessen Geschichten es erzählt.[4]

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen:
Als Museum arbeiten wir mit Objekten. Wir haben eine fantastische Sammlung, die aber im Bereich der inklusiven Geschichte sehr lückenhaft ist. Deswegen haben wir bereits 2022 das Pilotprojekt „Inklusiv Sammeln“ [5] gestartet; wir haben aktiv den Kontakt zu Vereinen und Verbänden gesucht, um Objekte einzuwerben. Das erweitern wir aktuell – unter der Überschrift „Sportgeschichte diversifizieren“ – mit Blick auf queere Sport-Vereine, deren Geschichte bisher weder erforscht, noch im Museen gezeigt wird. Davon abgesehen ist Queerness im Sport nach wie vor ein heikles Thema. Wir haben kürzlich ein Objekt erhalten: eine Handtasche. Der 1986 gegründeten Verein Vorspiel hat sie dem Museum übergeben. Als queerer Verein, der zunächst von und für schwule Männer gegründet wurde, veranstaltete Vorspiel bis zum Beginn der Covid-19-Pandemie 2020 ein jährliches Sportabzeichenfest. Das gab queeren Menschen die Möglichkeit, ein Sportabzeichen zu erlangen. Ergänzt wurde der Wettbewerb durch ‚Spaßkategorien‘, wie bspw. das Handtaschenweitwerfen. Die Handtaschen wurden mit Gewichten beschwert und an den Griffen geschleudert. Eingeschrieben in diese Tasche, aus der nun ein Museumobjekt wurde, ist erstens die gesellschaftliche Zuschreibung des feminisierten Mannes und zweitens die spielerische Aneignung dieser diskriminierenden Zuschreibung.

 

J.B.: Was sind Ihre Pläne für den Standort Olympiapark, was entsteht am Standort Grünau?

V.S.: Am Standort Grünau eröffnen wir im September das neue Museum in der Historischen Regattatribüne sowie die neue Dauerausstellung: Wasser-Sport-Grünau. Wir wollen dort unter anderem eine Gesprächsreihe etablieren, Regattageschnatter, zu der wir Menschen aus Wissenschaft, Vereinen oder Verbänden einladen wollen, um mit uns über Themen der Sportgeschichte zu diskutieren. Wir beginnen am 12. September mit „Wassersport kolonial.“ Der deutsche Kolonialismus ist eng verknüpft mit der Geschichte des Wasserfahrsports. Ein Thema das sehr untererforscht ist, und das wir uns – in Kooperation mit Wissenschaftler:innen – genauer anschauen wollen. Letztes Jahr haben wir einen Hörrundgang entwickelt, der die Geschichte der Historischen Regattastrecke historisch und räumlich kontextualisiert.[6] Das habe ich mir auch für den Olympiapark vorgenommen, für den ohnehin eine Kuratierung ansteht. Dort sind wir gerade dabei die künftige Dauerausstellung, die in der Maifeldtribüne ihren Platz finden wird, zu erarbeiten. Außerdem möchte ich eine weitere Graphic Novel erarbeiten; dieses Mal zur Geschichte des Arbeiter:innensports.

Cover der vom Sportmuseum erarbeiteten Graphic Novel (2024)

J.B.: Haben Sie auch den Eindruck, dass sich der Sport bevorzugt im Vorfeld von Sportereignissen der eigenen Vergangenheit stellt?

V.S.: Ja, das ist eine interessante Beobachtung. Denn zuerst einmal zeigt sie, dass es durchaus eine Erwartung und damit ein Interesse an einer Auseinandersetzung des Sports mit seiner Vergangenheit gibt. Das hat aber auch etwas mit unserer Gegenwart zu tun, und den sich langsam verändernden Strukturen der Sportorganisationen. Der Ruf nach Vielfalt wird lauter. Damit geht meist ein Interesse an der eigenen Vergangenheit einher – und der Wunsch sich damit auseinanderzusetzen, was geschehen ist, um von da aus darüber zu verhandeln, was dies für die Gegenwart bedeutet und wie sich eine Zukunft imaginieren lässt, die mehr ist als bloß die Verlängerung der Gegenwart.“[7]

Zudem kam es im Vorfeld großer Sportevents in den letzten Jahren immer wieder zu Skandalen. Ich möchte nur an Katar 2022 erinnern, auch hier die Frage: wem gehörte diese Weltmeisterschaft, wem gehört der Sport?

 

J.B.: Sie zeigen begleitend zur UEFA EURO 24 die Sonderausstellung „Sport Masse. Macht. Fußball im Nationalsozialismus.“ Ein Thema der Ausstellung widmet sich dem  Fußball im Konzentrationslager. Wie und warum wurde in den Lagern Fußball gespielt?

V.S.: Sport, der ja so gemeinschaftsstiftend und -bildend sein kann, war gerade deswegen so interessant für die Nazis. Für die Nationalsozialisten stand vor allem die Herausbildung einer kriegerischen Männlichkeit im Vordergrund sowie – ich zitiere – „die Heranzüchtung kerngesunder Körper“. In der Ausstellung, die wir gemeinsam mit der what matters gGmbH erarbeitet haben, geht es uns um die Dynamiken von Teilhabe und Ausschluss. Sportvereine haben sehr früh ihre Satzungen verändert, um jüdische Mitglieder auszuschließen. Menschen verloren ihre sportliche Heimat, mussten ins Exil gehen oder wurden umgebracht.

Mit dem Thema „Sport in nationalsozialistischen Konzentrationslagern“ habe ich mich ja einige Zeit beschäftigt. Menschen, vor allem Männer, in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern scheuten keine Zeit und Mühe, um gemeinsam Fußball spielen zu können, um für kurze Zeit dem schmerzlichen Alltag in den Lagern zu entkommen. Das aber trotz der der gewaltförmigen Bedingungen in den Lagern.

 

J.B.: Was sind Ihre nächsten Pläne?

V.S.: Das Museum ist ein Ort des Sammelns und Bewahrens, also die klassischen Aufgaben, aber auch ein Ort gesellschaftlicher Debatten, und dazu gehört eben auch Forschung. Ich möchte gerne mehr zur Geschichte der Deutschen Hochschule für Leibesübungen erfahren, und auch die visuellen Welten, also die Sportfotographie interessiert mich. Und schließlich – nach der Ausstellung ist vor der Ausstellung – denken wir bereits über künftige Sonderausstellungen nach. Wir möchten partizipativ eine Ausstellung zur „Geschichte der Frauen im Leistungssport“ erarbeiten, die wir im besten Fall an mehreren Standorten zeigen möchten. Wir möchten unsere Sammlung erweitern, und wir möchten zu einem Ort werden, an dem Sammlung, Forschung und Vermittlung zusammentreffen, um sich gegenseitig zu inspirieren.

 

 

Das Interview wurde im Mai 2024 schriftlich geführt und bildet den Auftakt zu einem neuen Dossier unter dem Titel: Was macht der Sport? Zum Wandel von Themen und Methoden der Zeitgeschichte des Sports, herausgegeben von Jutta Braun. Das Dossier wird in den Tagen vor Beginn der Olympischen Spiele 2024 herausgegeben.

 


[1] Nora Sternfeld, Das radikaldemokratische Museum, Berlin 2018, 21.
[2] Vgl. dazu auch unseren Blog.
[3] Patricia Hill Collins/Sirma Bilge, Intersectionality, Cambridge 2016.
[4] Nora Sternfeld, Das radikaldemokratische Museum, Berlin 2018, 21.
[5] Vgl. dazu auf den Seiten des Berliner Senats Informationen zum Pilotprojekt“inklusiv sammeln“
[6] Zur Website: „Boote, Bojen und Pokale".
[7] Nora Sternfeld, Das radikaldemokratische Museum, Berlin 2018, 21.