Für seine intensive Darstellung Niki Laudas wurde Daniel Brühl mit der Nominierung für die diesjährigen Golden Globes geehrt. Zwar musste er sich bei der Preisverleihung am 12. Januar – wie schon in seiner Filmrolle – dem Konkurrenten geschlagen geben, doch verrät die filmische Inszenierung der von ihm gespielten Rennfahrerlegende einiges über gegenwärtige Vorstellungen von Männlichkeit und Erfolg. Denn Regisseur Ron Howard hat mit seiner Darstellung des Wettstreits zwischen James Hunt und Niki Lauda nicht nur einen Film über den Motorsport gedreht. Vor dem Hintergrund des detailreich inszenierten Stils der 70er Jahre handelt Rush im Wesentlichen von gegensätzlichen Entwürfen von Männlichkeit, die von den beiden Hauptfiguren vorgelebt werden. Aus der Art, wie der Film in seiner Mischung aus Retro-Chic, freizügigen Sexszenen und komplexer Figurenzeichnung die beiden Männer im gegenseitigen Duell und in ihrer Beziehung zu Frauen zeigt, lassen sich Rückschlüsse über aktuelle Werte und Projektionen gegenwärtiger Vorstellungen auf Vergangenheitsinszenierungen ziehen.
Howard greift dabei auf eine spezifische Ästhetisierung der Vergangenheit zurück, wie sie in den letzten Jahren vor allem von Fernsehserien aus den Vereinigten Staaten geprägt wurde. Daher soll zunächst kurz auf diese eingegangen werden. Viele der US-Serien besitzen eine bis dato im Fernsehen kaum vorstellbare Handlungskomplexität und den Mut zur Abgründigkeit, der nicht davor zurückschreckt, gebrochene Helden zu zeigen. Vor allem lässt sich jedoch vielfach ein Retro-Chic beobachten, bei dem neben Design, Musik und Kleidung vergangener Zeiten vielfach auch damaligen Geschlechteridealen mehr oder weniger ironisch gehuldigt wird. Populärster Prototyp dieses Formats ist etwa der smarte Macho Donald „Don“ Draper (Jon Hamm), Mitarbeiter einer New Yorker Werbekanzlei der in den 1960er Jahren spielenden US-Serie Mad Men (seit 2007). Sein Leben erscheint geradezu als Paradies eines männlich-weißen Hedonismus und strikten Gegenteils heutiger Political Correctness. Hier trinkt und raucht der Mann noch, er ernährt sich ungesund, fährt spritfressende Straßenkreuzer ohne Anschnallpflicht und entsorgt den Müll gedankenlos in der Natur. Zumindest in den ersten Staffeln kümmern sich währenddessen abseits der beruflichen Karriere die Gattin um Haushalt und repräsentative Außenwirkung und die Geliebte um darüber hinausgehende männliche Bedürfnisse. Letzteres wird freilich nur angedeutet, da die Serie von »AMC« produziert wird, bei dem, wie bei den übrigen normalen Kabelsendern der USA (basic cable channels), Nacktheit und obszöne Schimpfworte nicht gestattet sind.
Beides findet sich dafür umso expliziter in den Serien jener amerikanischen Kabelkanäle, die sich über Pay-TV finanzieren (premium cable channels). Vor allem unter den männlichen Fans von Mad Men gab es daher zahlreiche Diskussionen darüber, wie viel besser die Serie wohl bei »HBO«, dem Branchenprimus der Bezahlsender, geworden wäre. Denn abgesehen davon, dass es dann keine Werbeunterbrechungen und eine realistischere Sprache gegeben hätte, wäre vor allem mehr nackte Haut zu sehen gewesen. Dass zumindest die mündliche Beschreibung so mancher im Pay-TV ausgestrahlten Szene eher Assoziationen an Pornographie weckt, bewies ein im letzten September veröffentlichtes Satirevideo unter dem Titel „It's Not Porn. It's HBO.” Wie die Verbindung von ästhetischem Retro-Chic und sexuell freizügigen Szenen aussehen kann, zeigten die Kabelsender ausgiebig in eigenen Produktionen. Häufig mit Mad Men verglichen, erzählt etwa die vom Pay-TV-Kanal »starz« produzierte Reihe Magic City (seit 2012) die Geschichte eines glamourösen Luxushotels in Miami kurz nach der Kubakrise in den 1960er Jahren. Mit einem aufwendig gestalteten und ästhetisierten Retro-Design wird eine Geschichte um Ehrgeiz, Gier und Mafiakontakte erzählt, in der kettenrauchende und Alkohol trinkende Männer sowie leicht bekleidete Frauen zu sehen sind. Eine ähnliche Welt zeigt auch die von »HBO« produzierte Reihe Boardwalk Empire (seit 2010) um einen korrupten Politiker und Gangster im Atlantic City der 1920er Jahre. Vor dem Hintergrund der Prohibitionszeit geht es hier um Schmuggel, Bestechung, Mord, ausschweifenden Alkoholkonsum und freizügige Szenen mit schamlosen Mätressen, einfachen Prostituierten und zeigefreudigen Showgirls.
Im Rennfahrerfilm Rush sind es nun die 70er Jahre, die als vermeintlich männlich-hedonistische Traumwelt erscheinen. Und so wie die amerikanischen Premiumkabelsender sich durch ihr Pay-TV-Geschäftsmodell die Freiheit erlauben können, über die sonst üblichen Regeln des US-Fernsehens hinauszugehen, gelang es dem amerikanische Regisseur Howard ebenfalls unabhängig von den in Hollywood geltenden Restriktionen zu arbeiten. Denn sein Motorsportdrama entstand als eine britisch-deutsche Koproduktion, wodurch ein sehr viel offenerer Umgang mit vulgärer Sprache und sexueller Darstellung möglich war. Der amerikanische Look von Rush beruht daher vor allem auf seiner ästhetischen Nähe zu den erwähnten US-Serien und nicht etwa zu Filmen aus Hollywood. Vor dem Hintergrund von röhrenden Motoren, rauschenden Partys und schönen Frauen kämpfen zwei Männer um die Weltmeisterschaft und den Ruf, wer unter all den todesmutigen Helden der Formel 1 der größte und männlichste sei. Schon in der ersten Filmszene, in der Rennfahrer James Hunt (Chris Hemsworth) auf der Leinwand erscheint, wird er als selbstsicherer Frauenheld präsentiert. Wenig besorgt trifft er im Krankenhaus ein, nachdem sich ein Fahrerkollege mit der Brechstange für Hunts Verhältnis mit dessen Ehefrau revanchiert hat. In der Rolle der aufopferungsvollen Krankenschwester erkennt der US-Serien-geschulte Zuschauer sogleich die Schauspielerin Natalie Dormer, bekannt durch freizügige Fernsehrollen wie in The Tudors (2007-2010) oder Game of Thrones (seit 2011). Es überrascht kaum, dass es nur weniger Dialogzeilen bedarf, bis sich im Film die erste einer ganzen Reihe klassisch-klischeehafter Männerphantasien erfüllt: »Verführung einer Krankenschwester«. Neben weiteren Abenteuern folgen im Verlauf des Films auf der Strichliste des virilen Hunt »das Supermodel«, »die Stewardess auf der Flugzeugtoilette« sowie »ein Dreier im Hotelzimmer«. Inspiriert wurde der Film dabei von jenen Geschichten, die andere Männer in einer Mischung aus Neid und Bewunderung über den Playboy verbreiteten. So berichtete etwa die britische Presse, durch Hunts Bett seien allein in den zwei Wochen vor dem letzten Rennen der Saison 1976 neben unzähligen unbekannten Groupies nicht weniger als 33 Stewardessen der British Airways gegangen.
Dem steht mit Niki Lauda (Daniel Brühl) ein lustfeindlich-asketischer Konkurrent gegenüber, der die Nächte in der Werkstatt verbringt und nur ein Ziel kennt, Weltmeister werden und den Titel verteidigen. Alles spricht für ein allzu vorhersehbares Duell: Genussmensch gegen Technikfreak, offene Lebenslust gegen blinden Ehrgeiz. Vor der Kulisse rasanter Renn- und offener Sexszenen wäre eigentlich eine deutliche Idealisierung des zu jedem Risiko bereiten Playboys und schließlich triumphierenden Weltmeisters Hunt zu erwarten. Umso mehr, da der Brite als erfolgreicher Herausforderer eines vermeintlich teutonisch-perfektionistischen Titelverteidigers Lauda für das angelsächsische Publikum eine deutlich geeignetere Identifikationsfigur dargestellt hätte. Eine solche Konstellation war etwa 2001 in dem Hollywoodfilm Driven zu sehen, wo der finale Sieg eines jungen US-Renntalentes (Kip Pardue) gegen einen unsympathisch-arroganten deutschen Dauerchampion (Til Schweiger) inszeniert wurde. Dementsprechend überrascht es nicht, dass nicht nur das erste Rennen der beiden Konkurrenten, sondern auch das damit untrennbar verbundene Duell ihrer Männlichkeitsentwürfe nicht zu Laudas Gunsten ausfällt. Er verliert den Zweikampf, da er im entscheidenden Moment das Risiko scheut. Von Hunt muss er sich daraufhin den Vorwurf der Feigheit gefallen lassen. Auf die Frage, wer der andere denn überhaupt sei, antwortet ihm der Sieger mit „Hunt“, das reime sich auf „Cunt“, und das wäre ja wohl die richtige Bezeichnung für den Verlierer. Damit wird Lauda nicht nur mit einem der obszönsten und am stärksten tabuisierten Worte der englischen Sprache bezeichnet, sondern ihm wird mit dem Begriff auch explizit jede Männlichkeit abgesprochen. Das Hunt demgegenüber männliche Virilität im Übermaß besitzt, zeigt schon bald die erste Begegnung des Rennfahrers mit seiner späteren Ehefrau, dem Model Susan „Suzy“ Miller (Olivia Wilde). Er erklärt ihr, seine eigene Todesbereitschaft sei die Voraussetzung für den untrennbaren sportlichen und sexuellen Erfolg, dem auch sie offenkundig noch während des Gesprächs verfällt. So folgt dem Flirt schon in der nächsten Szene die prachtvolle Hochzeit der beiden.
Hunt scheint zunächst durch seinen Erfolg im Cockpit und bei den Frauen bestätigt zu werden. Das Bild bekommt jedoch schon bald erste Risse. Denn als ihn seine Ehefrau aufgrund der dauerhaften Vernachlässigungen und Demütigungen verlässt, können Hunts coole Sprüche gegenüber der Presse und ein rasch folgendes Abenteuer mit einer unbekannten Stewardess nicht darüber hinwegtäuschen, wie sehr ihn der Verlust offenkundig trifft. Auch das Leben von Ehrgeizling Lauda wird durch die Begegnung mit seiner künftigen Ehefrau Marlene (Alexandra Maria Lara) und die gemeinsame Ehe verändert. War ihm der Tod bisher nicht viel mehr als ein mathematisch streng kalkulierbares Risiko, hat er nun erstmals einen Menschen gefunden, dessen drohender Verlust ihn zweifeln lässt. Zwar treibt es ihn nach seinem schweren Unfall auf dem Nürburgring rasch wieder zurück auf die Rennstrecke. Doch sein Blick und das Kameraauge suchen von nun an immer wieder auffällig das Gesicht der am Rand der Rennstrecke stehenden Marlene. Durch den Unfall des Konkurrenten gelingt es Hunt genug Punkte zu sammeln, um in der Gesamtwertung fast zu Lauda aufzuschließen. Der letzte Grand Prix des Jahres entscheidet daher über den Gewinn der gesamten Weltmeisterschaft. Lauda führt noch immer mit einem knappen Punktevorsprung, sodass Hunt ihn um jeden Preis besiegen muss, um sein Ziel erreichen. Durch strömenden Regen wird das Rennen zum Spiel mit dem Tod. Die beiden Konkurrenten setzen sich rasch an die Spitze des Feldes, doch überraschend lenkt Lauda seinen Wagen nach kurzer Zeit zurück an die Box. Der Gedanke an seine Frau lässt ihn das Rennen aufgeben, für ihn gibt es wichtigeres als den Sieg. Hunt scheut dagegen das Risiko nicht und ihm gelingt der Gewinn der Weltmeisterschaft. Während er seinen Triumph in den Armen namenloser Hostessen feiert, reist Lauda in Begleitung seiner Frau ab. Trotz der Niederlage versichert er ihr mit der Andeutung eines Lächelns, er bereue nichts. Der Satz richtet sich freilich vor allem an die Zuschauer. Nicht ein Sieger und ein Verlierer sind am Ende des Films zu sehen, sondern zwei Männer, die jeweils auf ihre Art gewonnen haben. Und doch bleibt Lauda nicht nur der Trostpreis eines Siegers der Herzen. Denn die letzte Szene des Films zeigt nochmals eine Begegnung der beiden Konkurrenten.
Hatte Hunt den Gegner bisher wiederholt als „Asshole“ bezeichnet und Lauda gleichermaßen mit österreichischem Zungenschlag mit „Aoschloch“ geantwortet, nennen sie sich nun respektvoll gegenseitig „Champ“. Doch wird auch deutlich, dass sie sich in ihrer Lebensweise noch immer diametral gegenüber stehen. Einerseits Hunt, der kein Risiko kennt und jeden Tag lebt, als wäre es der letzte. Und andererseits Lauda, der darauf nur antworten kann: „Das Leben aufs Spiel setzen, für mich ist das verlieren.“ Der Film endet mit einem Epilog, der eigentlich versöhnlich stimmen und den gegenseitigen Respekt und die Freundschaftsbeziehung der beiden durch eingeblendete Originalaufnahmen betonen und bezeugen soll. Letztlich fällt die Bilanz aber durchaus nicht zu Gunsten Hunts aus. Nicht engagiert und diszipliniert genug sei er gewesen, wird dem Zuschauer da erklärt. Während Lauda den Weltmeistertitel zurückgewonnen und noch Jahre in der Formel 1 verbracht habe, hätte Hunt nicht an seinen einmaligen Erfolg anknüpfen können und sei schon bald aus dem Rennsport ausgeschieden. Zudem habe das exzessive Leben zu einem frühen Tod mit 45 Jahren durch einen Herzinfarkt geführt. In verschiedenen Interviews betonte Regisseur Howard, dass der Film auf wahren Begebenheiten beruhe und auch die überraschenden Wendungen der Filmstory tatsächlich in der Realität passiert seien. Zugleich habe er sich aber auch die Freiheit genommen, Ereignisse zusammenzufassen und zuzuspitzen. So wie den Gegensatz der beiden Fahrer. Der echte Niki Lauda, der mit Hunt eng befreundet war, erklärte nachträglich, er sei seinerzeit durchaus kein Asket gewesen und habe ebenfalls seine Frauengeschichten gehabt. Doch in der Stilisierung des Films wird ein möglichst großer Gegensatz der beiden Männer inszeniert. Das Duell wird so nicht nur zum Kampf um die Weltmeisterschaft, sondern auch zur Gegenüberstellung unterschiedlicher Männlichkeits- und Lebensentwürfe.
Das oberflächliche Duell von gelebter männlicher Lebensfreude gegen allzu lustfeindliche Technikbegeisterung gewinnt durch das Hinzukommen der beiden Ehefrauen an Tiefe. Es zeigt sich, dass die Frauendarstellungen und Sexszenen des Films durchaus nicht zur Glorifizierung einer hedonistischen Lebensweise und eines vermeintlich lustbetonteren Jahrzehnts führen. Zumindest unterschwellig wird stattdessen eine überraschend konservative Botschaft verbreitet. Selbstdisziplin und Askese erscheinen als männliche Tugenden, die erst den langfristigen Erfolg ermöglichen. Der mit emotionaler Einsamkeit verbundenen sexuellen Freizügigkeit Hunts steht eine auf gegenseitiger Verpflichtung beruhende Zweierbeziehung Laudas und seiner Ehefrau Marlene gegenüber. Die Kompromisse, die Lauda dort bringen muss, allem voran die freiwillige Aufgabe im letzten Rennen, erscheinen im ersten Moment als schmerzhafte Opfer, erweisen sich aber als Grundlage einer langfristigen Partnerschaft. Echte Männlichkeit, so erzählt es letztlich der Film, basiere nicht auf Sex, Drogen und einmaligen Erfolgen, sondern auf Selbstdisziplin, Leistung und Treue. Dies entspricht in der aktuellen Generation weit verbreiteten Werten. So offenbaren Umfragen seit Jahren eine aus Sicht ihrer Eltern geradezu spießige Jugend, die alte bürgerliche Ideale wie Ehe und Treue mit neuen kapitalistischen Idealen wie Leistungsbereitschaft und Selbstoptimierung verbindet. Neben der Abgrenzung von der sich einst betont antibürgerlich inszenierenden Elterngeneration spielen dabei auch die immer dynamischer werdende Gegenwart und verunsichernde Zukunftsaussichten eine Rolle, wodurch Stabilität und Verlässlichkeit an Attraktivität gewinnen. Der Erfolg des Retro-Chics von Rush sowie der eingangs erwähnten US-Serien, beruht daher wohl nicht nur auf der Idealisierung einer Zeit ohne die von Feminismus und Political Correctness geprägten „Spielverderberregeln“ der Gegenwart. Trotz vielfacher ironischer Brechungen ist er vielmehr auch Ausdruck einer unterschwelligen Sehnsucht nach der vermeintlichen Stabilität alter Rollenmuster und traditioneller Werte.
Rush (Vereinigtes Königreich/Deutschland 2013), Regie: Ron Howard, Drehbuch: Peter Morgan
Offizielle deutsche Filmwebseite: http://www.rush-film.de/
Siehe dazu außerdem den Beitrag auf filmportal.de
Der Film erscheint in Deutschland am 28. März 2014 auf DVD.