Eine lächelnde, junge Traktoristin, das Lenkrad fest im Griff, den Blick entschlossen nach vorne gerichtet, begegnet uns als Postermotiv seit Ende März häufig in Berlin. Es ist weniger die Landarbeit selbst als ihre Inszenierung, die unsere Aufmerksamkeit auf sich zieht: Die extreme Untersicht der Aufnahme lässt die Figur heroisch wirken, der enge Bildausschnitt verstärkt diese Wirkung. Neben der dramatischen Komposition sind es die Farbkontraste der Fotografie, die uns als Betrachter in den Bann ziehen. Die Diagonale aus roter Lenkerstange, rot-weiß gestreiftem Arbeitshemd und rot gepunktetem Kopftuch setzt sich vor dem gleißend blauen Himmel ab und verleiht der Fotografie eine besondere Ästhetik. Dieses Motiv bewirbt die Ausstellung zur Auftragsfotografie in der DDR, die unter dem Titel „Farbe für die Republik – Auftragsfotografie vom Leben in der DDR“ bis Ende August im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums zu sehen ist.
Die Ausstellung sollte bereits im Dezember 2013 gezeigt werden. Wobei die Verschiebung des Eröffnungstermins zu der eher ungewöhnlichen Situation führte, dass die Publikation des Katalogs einige Zeit vor der Vernissage Einblicke in die Werkschau gewährte. Der dreihundert Seiten starke Bildband, der im Oktober 2013 erschien, zeigt Aufnahmen der beiden Fotoreporter Martin Schmidt (geb. 1925) und Kurt Schwarzer (1927-2012), deren Nachlass vom Deutschen Historischen Museum in den 1990er Jahren erworben wurde.
Das Besondere an den Nachlässen der Fotografen ist die Tatsache, dass es sich hierbei ausschließlich um Presse- und Gerbrauchsfotografie handelt, die das heute fast vergessene Spektrum der offiziellen staatssozialistischen Bilderwelt umfasst. Ebendiese Wiederentdeckung war Motiv für die Kuratorin Carola Jüllig, die mit dem, aus heutiger Sicht, so fremdartig wirkenden Sujet überraschen wollte.
Unser Bild der DDR sei grau, so Jüllig. Das läge zunächst daran, dass sich Historiker und Kunsthistoriker bisher überwiegend mit Schwarz-Weiß-Fotografien beschäftigt haben, die die Konflikte des sozialistischen Alltags darstellen. Darüber hinaus würden wir dazu neigen, die letzten Jahre der DDR mit ihrem wirtschaftlichen Zerfall und der weit verbreiteten Desillusionierung auf die gesamte Zeit des ostdeutschen Staates auszudehnen. Entgegen dieser Sehgewohnheiten bilden die Fotografien der beiden Fotoreporter aus den 1960er und frühen 1970er Jahren den Schwerpunkt der Werkschau. Die offizielle Bilderwelt wurde, ähnlich wie die Zukunftsversprechen der politischen Elite, seit den 1960er Jahren farbig, was die Kuratorin auf die Formel brachte „Farbe für die Republik.“
Für Carola Jüllig waren vor allem die Bildthemen reizvoll. So agieren die Bilder zwar in propagandistisch aufgeladenen Kontexten, zeigen jedoch keine explizit politischen Motive wie etwa eine Demonstration zum 1. Mai, sondern Themen, Gegenstände und Handlungen des Alltags im Gewand der Staatsideologie.
Man könne die Fotos auch einfach nur schön finden, so Jüllig, denn es seien beeindruckende Fotos in deren Bilderwelt man eintauchen könne. Ausgehend von den Intentionen der Ausstellungsmacherin stellt sich hier die Frage, was den interessierten Besucher konkret hinter der glatten Kalksteinfassade des Sonderausstellungsgebäudes erwartet?
Tatsächlich hält die Werkschau zunächst eine Überraschung bereit, sind doch die ersten beiden Fotos der Ausstellung Schwarz-Weiß-Fotografien.
Einem eher konventionellen Aufbau folgend werden zu Beginn Porträt-Aufnahmen von Martin Schmidt und Kurt Schwarzer während ihrer wichtigsten Beschäftigung gezeigt: dem Fotografieren. Nach dieser kurzen Einführung öffnet sich der Ausstellungsraum, in dem in konzentrischer Anordnung eine Annäherung an das Thema Auftragsfotografie versucht wird. Der äußere Kreis zeigt vergrößerte Abzüge der Farbfotografien von Schmidt und Schwarzer, die in sieben Werkgruppen thematisch angeordnet sind: Szenen im Betrieb, vom Leben auf dem Lande, Frauenbilder, Jung und Alt, Konsum und Werbung sowie Aufnahmen von Lenin-Statuen und neuer, sozialistischer Stadtarchitektur, die das Spektrum der Auftragsfotografie visualisieren und mit Hörstationen ergänzt wurden. Historikerinnen und Historiker, Journalistinnen und Journalisten sowie Zeitzeuginnen und Zeitzeugen kommentieren in kritischen Bildbetrachtungen den inszenierten Alltag. Davon ausgehend rekonstruiert ein innerer Kreis den historischen Kontext der Farbfotografien. Die Bilder begegnen dem Betrachter nun als Titelseite der Frauenzeitschrift „Für Dich“, als Bebilderung von Kochrezepten, als Werbung für die Interhotelkette, als Reportage für das Gewerkschaftsheft „FGDB-Rundschau“ oder als Illustrierung der Broschüre der Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft „Gedenkstätten zur Ehrung und Würdigung W. I. Lenins in der DDR“.
Nach Entstehungszusammenhang und Auftraggeber hält das räumliche Zentrum der Ausstellung eine Annäherung an den Berufsstand der Pressefotografie in der DDR bereit. Dass diese Profession grundsätzlich dem politischen Primat untergeordnet war und das staatssozialistische System stützen sollte, wird auf besondere Weise visualisiert. Zitate ideologischer Leitlinien sind in weißer Schrift auf roten Tafeln abgebildet, die an der Decke der Ausstellungshalle angebracht sind und über den Köpfen der Besucher baumeln. Umgeben von sozialistischen Werbefotos und ästhetisierenden Bildreportagen über den Fortschritt der Industrie und den Fleiß der Arbeiter, die ideologischen Leitlinien über den Häuptern schwebend, ergibt sich rasch die Frage, was wir hier eigentlich über die Auftragsfotografie der DDR erfahren?
So stellt sich zunächst das Gefühl ein, dass die Schau mehr Fragen aufwirft als Antworten bereit hält. Gewiss, erstmals – so heißt es im begleitenden Ausstellungsmagazin – steht die offizielle journalistische Bildproduktion im Zentrum einer Ausstellung, so dass sich die Werkschau als Annäherung an diese Thematik begreift. Diese Offenheit lässt den Besucher jedoch ein wenig ratlos zurück. Zwar verschafft die Ausstellung Einblicke in das Sujet der Pressefotografie. Doch liefert sie kein Narrativ, keine These, keine Geschichte der Pressefotografie der DDR. Weder werden die Farbfotos, die überwiegend aus den 1960ern und 1970er Jahren stammen, vergleichend in die frühere oder späte Bilderwelt der DDR eingeordnet, noch in übergreifende Kontexte eingebettet.
Würden sich nicht auch im Bereich der Pressefotografie die Entwicklungsphasen der DDR, aus Herrschaftsdurchsetzung, Konsolidierung, Erosion und Zerfall, widerspiegeln oder würde sich hier ein anderer Verlauf abbilden? Zwar werden die Werkgruppen einer kritischen Bildbetrachtung unterzogen und ihr Entstehungszusammenhang rekonstruiert und historisiert. Übergreifende Fragen nach Entwicklung und Rolle etwa der westdeutschen Pressefotografie für die DDR werden dagegen nicht aufgeworfen. Ließe sich an diesem Gegenstand eine asymmetrisch verflochtene Beziehungsgeschichte (Kleßmann) beider deutscher Staaten zeigen? Allein die Tatsache das die inszenierte offizielle Bilderwelt seit den 1960er Jahren auch in der DDR farbig wurde – einige Jahre später als die Werbefotografie in Westdeutschland – erscheint wenig überraschend.
Viel interessanter wäre es dagegen, mehr über das Spannungsverhältnis zwischen Zeigbarkeitsregeln und Verhaltensstrategien zu erfahren, ohne dabei in die übliche dichotomische Trennung aus staatstragender Fotografie und Zensur in Diktaturen und kritischer Fotografie in Demokratien zu geraten.[1] Dabei müsste das Feld der Propaganda nicht als unveränderlicher Betonklotz verstanden, sondern historisiert werden. Wie wandelte sich die Vorstellung des „homo politicus“ und welche sich verändernden Zeigbarkeitsregeln ergaben sich daraus? Daran könnte die Ebene der Praxis anknüpfen, die sich nicht allein den konkreten Handlungsspielräumen der Fotografen widmen müsste, sondern insbesondere dem, was nicht auf den Bildern zu sehen ist. Gerade soziale Konflikte bilden das Kernthema der Pressefotografie weltweit, die in der Auftragsfotografie der DDR jedoch nicht ausgedrückt werden durften. Kontrastierend könnten daher Aufnahmen kritischer Fotografen, wie Harald Hauswald oder Helga Paris, hinzugezogen werden, die jene offiziell tabuisierten und wenig vorzeigbaren Seiten des Sozialismus, festhielten. Gerade die blinden Flecken der Auftragsfotografie waren integraler Bestandteil dieses Genres.
Auch eine Verortung der Berufsgruppe der Fotojournalisten wäre erkenntnisreich. Ihnen kam als Freiberufler eine besondere soziale Position in der Arbeitsgesellschaft der DDR zu.[2] Anders als jene Fotografen, die sich als kritische Künstler verstanden, erfüllten sie als Fotojournalisten staatliche Aufträge. Welche Erfahrungshorizonte und Konstellationen sie dazu motivierten, zeigt beispielhaft die Biographie Martin Schmidts. Er war im Gegensatz zu seinem Kollegen Kurt Schwarzer Parteimitglied und wollte mit seiner Tätigkeit am Aufbau der DDR mitwirken. Was jüngere Generationen dieses Berufsstandes mit ihrer Tätigkeit verbanden und worin sie sich von der so genannten Aufbaugeneration unterschieden, ist eine weitere offene Frage.
Zwar lässt diese Werkschau den Besucher mit so mancher Frage zurück. Doch weckt sie die Neugier auf das Feld der Bildpolitik des Sozialismus, das auch in der historischen Forschung bisher wenig Aufmerksamkeit gefunden hat.[3] Dass diese Ausstellung als erste Annäherung an die Thematik eine systematische Analyse und Dekonstruktion nicht leisten kann, ist den Machern durchaus bewusst. So wird sie von einem Begleitprogramm flankiert, das mit Podiumsdiskussionen und wissenschaftlichen Vorträgen das Spannungsfeld der DDR-Pressefotografie beleuchtet.
FARBE FÜR DIE REPUBLIK
AUFTRAGSFOTOGRAFIE VOM LEBEN IN DER DDR
21. März bis 31. August 2014 im Deutschen Historischen Museum Berlin
Publikationen zu Ausstellung:Martin Schmidt; Kurt Schwarzer: Farbe für die Republik, Fotoreportagen aus dem Alltagsleben der DDR, Deutsches Historisches Museum (Hrsg.), Köln 2013.
Farbe für die Republik; Auftragsfotografien vom Leben in der DDR, Ausstellungsmagazin 2014.
[1] Annette Vowinckel: Pressephotografie, in: Visual History, Online Nachschlagewerk für die historische Bildforschung, 7.April 2014.
[2] Martin Kohli, Die DDR als Arbeitsgesellschaft? Arbeit, Lebenslauf und soziale Differenzierung, in: Hartmut Kaelble u.a. (Hg.), Sozialgeschichte der DDR, Stuttgart 1994, S. 31-6.1
[3] Siehe hierzu das Dissertationsprojekt von Eszter Kiss: Institutionen der Bildpolitik und Bildzensur im Spätsozialismus, Das Beispiel Ungarn.