von Moritz Hoffmann, Charlotte Jahnz

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1. Dezember 2014

Deutsche Historikerinnen und Historiker schielen, sobald sie die Fernbedienung ihres Fernsehers in die Hand nehmen, oft neiderfüllt über den Ärmelkanal nach Großbritannien. Dort findet Geschichte zwar genau so in der Prime Time statt, wie in der von Guido Knopp geschaffenen Verkettung von Eventmovies und Dokumentationen, aber doch völlig anders: die dort auftretenden Experten sitzen nicht vor einem halbdunkel ausgeleuchteten Bücherregal und liefern dem Sprecher passende O-Töne, sie prägen vielmehr als Moderatoren das Narrativ in der inneren wie auch äußeren Form. Mit Niall Ferguson, Ian Kershaw und Richard Evans haben sie streitbare Historiker, die aber einem weitaus größeren Publikum bekannt sind als es in Deutschland der Fall ist. Gehen wir davon aus, dass das Fernsehen derzeit die wichtigste Quelle der allgemeinen Geschichtsvermittlung ist, ist derzeit nur Arnulf Baring mit einer Bildschirmpräsenz ausgestattet, die ihm den Aufbau seiner Person als Marke gestattet.

Ganz verwunderlich ist es daher nicht, dass dieses Format, jetzt wo es in Deutschland erstmals zur besten Sendezeit ausprobiert wird, mit Christopher Clark einen in England lehrenden Australier als Moderator gefunden hat. Clark dürfte mit der Sendungsform vertraut sein, die ihre ganz eigenen Anforderungen an den Historiker vor der Kamera stellt. Gleichzeitig ist der Inhalt auch unauflöslich mit seiner Person verbunden, denn eine Reihe wie die "Deutschland-Saga" konnte nur von einem nichtdeutschen Historiker kommen, genau so wie Clarks Bucherfolg "Die Schlafwandler" in Deutschland nur deshalb ein solcher Verkaufserfolg werden konnte, weil Clark eben kein Deutscher ist. In der kollektiven Erinnerungskultur der Deutschen, insbesondere jener die nach einer "Normalisierung" des Verhältnisses zum eigenen Land streben, ist der Zweite Weltkrieg im besten Falle ein negativer Gründungsmythos, in jedem Falle aber ein nicht wegzudiskutierender Malus. Die Deutschen von der Alleinschuld des Ersten Weltkriegs freizusprechen ist hingegen erfolgversprechender, benötigt aber einen Außenstehenden, einen Fachmann, dem man schon durch seinen Geburtsort eine Objektivität zusprechen kann.

Nun ist das nicht Christopher Clarks Schuld, und eine wohltuende Reinwaschung lag sicher auch nicht in seinem Forschungsinteresse. Mit der "Deutschland-Saga" hingegen, an der er auch inhaltlich mitarbeitete, wagt er sich an den Spagat mit seinem wissenschaftlichen Renommee in einem großen Bogen eine "Geschichte der Deutschen" über die Jahrtausende zu erzählen und ihnen, ohne in den Revisionismus abzugleiten, einen positiven Nationalmythos zu schaffen, den die deutsche Erinnerungskultur aus eigener Kraft nicht hätte erschaffen können.

Die „Deutschland-Saga“ ist eine Art Abenteuerreise durch Deutschland. Im Wirtschaftswunder-Käfer-Cabrio kurvt Clark mit Känguru durch die Lande auf der Suche nach der deutschen Geschichte. Wo genau er Halt macht wird nicht immer verraten, aber die Landschaftsbilder sind schön anzusehen. Man sieht ihn auf Bergen, im Wald und - hier wird sein Aufenthaltsort dann mal deutlich - am Brandenburger Tor. Während seiner Tour erzählt er den Zuschauern von den Mythen und der Geschichte der Deutschen. Alle Folgen der Serie haben ein Oberthema. Die ersten drei, bereits gezeigten Folgen behandeln die Fragen "Woher wir kommen" und "Wovon wir schwärmen". Die vorläufig letzte Folge für 2014 lief am 7. Dezember und behandelte die Frage "Was uns eint". Die nächsten drei Teile der sechsteiligen Serie werden dann ab März 2015 ausgestrahlt. Im Gegensatz zu den "Deutschen", die nach einer Idee von Guido Knopp 2008 und 2010 ausgestrahlt wurden, versucht Clark bei der „Deutschland-Saga“ generelle Fragen anhand der deutschen Geschichte zu beantworten.

Wo Knopp sich darauf beschränkte einzelne Persönlichkeiten der "deutschen" Geschichte und ihr Wirken zu beschreiben, versucht Clark sich in 45 Minuten mit einer der genannten Fragestellungen auseinanderzusetzen. Die Frage woher wir kommen, lässt Clark zeitlich bei den Neandertalern und deren Intermezzo mit den Homo Sapiens beginnen. Die Frage danach, wovon "wir" schwärmen, beantwortet die entsprechende Folge überwiegend mit "Wald" und "Rhein" und es drängt sich der Verdacht auf, dass diese Antwort vor allem darauf zurückzuführen ist, dass für die Folgen bereits gedrehte Reenactment-Szenen aus dem ZDF-Archiv genutzt wurden. Clark, der sich auch mal singend mit Fragen der deutschen Geschichte beschäftigt, präsentiert zumeist einfache Antworten auf Fragen zu denen Bände an Forschungsliteratur existieren. Was wohl auch dem Format geschuldet ist, denn Clark rast in 45 Minuten durch knapp 1.000 Jahre Geschichte. Was dazu führt, dass den Folgen eine einordnende Tiefe fehlt und Clark sich oft mit Allgemeinplätzen weiterhelfen muss. Ein weiteres Problem des Rückgreifens auf bereits gedrehtes Material der oft kritisierten Produktionen Guido Knopps ist die Fokussierung der Reenactment-Szenen auf bestimmte Persönlichkeiten. Sie zwingen auch Clark dazu, sich mehr mit diesen Persönlichkeiten zu beschäftigen, was dazu führt, dass der Versuch eine Deutschlandsaga zu erzählen, sich wieder stark an der "Geschichte der großen Männer" orientiert. Dazu kommt die ironische Verwendung von Musik. Szenen, die im Mittelalter stattfinden, werden episch mit dem Soundtrack von „Game of Thrones“ aufgeladen, begleitet man Madame de Staël auf ihrer Deutschlandreise läuft der Soundtrack der „Fabelhaften Welt der Amélie“ und in der vorerst letzten Folge ertönte Preußens Gloria im Technogewand zu Bildern von Wilhelm II.

Der Versuch alles "Wichtige" in 45 Minuten unterzubringen und dabei möglichst viele Epochen einzubinden führt dazu, dass Clark zum Teil bereits revidierte Forschungsmeinungen widergibt oder sie nicht in den Kontext der Zeit stellen kann. Denn eine 45-minütige Vorlesung würde die Zuschauer vermutlich langweilen und man könnte die ironische Brechung mancher Szenen nicht vollziehen - wie z.B. einen Turnvater Jahn, der als vormoderner Drillinstructor inszeniert wird. Woher die beschriebenen Bewegungen der Romantik plötzlich auftauchen und ob es Gegenbewegungen gab, wird wenn überhaupt nur ganz am Rande behandelt. Dafür erfährt man, dass die Holzindustrie in Deutschland aktuell mehr Menschen beschäftigt als die Automobilindustrie. Um ein umspannendes Narrativ zu finden, werden den ersten Menschen auf der Schwäbischen Alb bereits Eigenschaften wie Fleiß oder Pünktlichkeit zugeschrieben, was Clark mit "Schaffe, schaffe, Häusle bauen" kommentiert.

Dazu kommen die bereits angesprochenen Allgemeinplätze wie etwa, dass bereits die "alten Germanen" den Wald liebten oder dass der Rhein für die Deutschen auch heute noch mehr als ein Fluss sei. Erst in Folge drei der „Deutschland-Saga“ fragt sich Christopher Clark, ab wann man eigentlich von einem "deutschen" Staat sprechen könne. Etwa bereits ab Karl dem Großen? Das steht im Widerspruch zu der These aus Folge 1, dass das romantische Intermezzo zwischen Neandertalern und Homo Sapiens bereits den Grundstein der Deutschen (oder des Deutschen) und sogar des "europäischen" Menschens legte.

Clark und seiner Redaktion ist das Bemühen hoch anzurechnen, das in festen Formen erstarrte deutsche Geschichtsfernsehen mit neuen Ansätzen aufzubrechen. Durch die Form der stets präsenten, fachkundigen Moderation, durch die Fokussierung auf größere Narrative "der Deutschen" als Nation oder Nationalimagination und die häufigen thematischen Sprünge durch die Jahrtausende ist der Wille erkennbar, neue Wege der Geschichtsvermittlung zu finden. Als Pionierleistung im deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist das anzuerkennen. Doch wie so oft machen die Pioniere in der Umsetzung ihrer ambitionierten Vorhaben Fehler von vielerlei Art. Der Humor, mit dem aus Neandertaler-Nahrung Kohlrouladen gemacht werden, soll fein wirken, ist aber oft arg banal geraten. Dass die Frage, ob und seit wann es "die Deutschen" überhaupt gibt erst in der letzten der drei Auftaktfolgen behandelt wird ist eine konzeptionelle Ungenauigkeit, die Clark in jeder Hausarbeit in Cambridge mit Rotstift bemängeln würde. Und oft wäre ein Satz weniger, der die Geschichte in die Gegenwart holen soll, die bessere Wahl gewesen. Zu den stärksten Momenten der ersten Staffel gehört Clarks Feststellung, dass ihm zum Holocaust als schlimmstem Menschheitskapitel die Worte fehlen würden - und dann lässt er die zu Ikonen der deutschen Zeitgeschichte gewordenen Bilder von Judenverfolgung und Vernichtungslagern einige Schnitte lang für sich selbst sprechen. Vielleicht ist es zu viel an Mut verlangt, die deutschen Fernsehzuschauer auch einmal mit den schon hundertfach versendeten Bildern ihrer Vergangenheit allein zu lassen, um eine individuelle Reflektion zu ermöglichen - aber wann, wenn nicht in einem der Neuartigkeit verpflichteten Format soll man es sonst einmal ausprobieren?

Eine weitere kritische Betrachtung der "Deutschland-Saga" finden sie hier auf zeitgeschichte-online in dem Beitrag von Stefanie Samida und Geog Koch:  Wir sind Schwaben!

 

Die "Deutschland-Saga", Terra X/ ZDF 2014

Folge 1: Deutschland-Saga. Woher wir kommen, Sonntag, 30. November 2014, 19.30 Uhr
Folge 2: Deutschland-Saga. Wovon wir schwärmen, Dienstag, 2. Dezember 2014, 20.15 Uhr
Folge 3: Deutschland-Saga. Was uns eint, Sonntag, 7. Dezember 2014, 19.30 Uhr
Folge 4: Deutschland-Saga. Wonach wir suchen, Sonntag, 8. März 2015, 19.30 Uhr
Folge 5: Deutschland-Saga. Was uns antreibt, Dienstag, 15. März 2015, 19.30 Uhr
Folge 6: Deutschland-Saga. Wer wir sind, Sonntag, 22. März 2015, 19.30 Uhr