Die Transmediale feiert ihr dreißigstes Jubiläum. Was als kleiner Ableger der Berlinale 1988 begann, hat sich inzwischen als Festival für digitale Kultur fest in Europa etabliert. KünstlerInnen, WissenschaftlerInnen und Medienschaffende kamen vom 2. bis 5. Februar 2017 zum dreißigsten Mal im Haus der Kulturen der Welt in Berlin zusammen, diesmal um über die langfristigen Auswirkungen des Medienwandels im Digitalen Zeitalter zu reflektieren.
Die Entstehungsgeschichte der Transmediale ist eng verwoben mit der Geschichte West-Berlins. Bereits im Jahr 1951 regte Oscar Martay, Officer der amerikanischen Militärregierung, die Gründung eines Filmfestivals als „Schaufenster der freien Welt" an, woraufhin die Berlinale aus der Taufe gehoben wurde. Die frühe Medienkunst ab den 1970er-Jahren fand in diesem Format allerdings keinen Platz, richteten sich ihre Protagonisten doch gerade gegen den Ausverkauf der Kunst und die Manipulation durch die Mainstream-Medien. Die Formierung einer Gegenöffentlichkeit gewann an Fahrt, als 1971 Künstler an der TU Berlin mit dem Videorekorder als niedrigschwelligem Wiedergabegerät experimentierten und 1977 die MedienOperative Berlin als ein Zentrum für unabhängige Videoarbeit etablierten. Es dauerte aber noch weitere zehn Jahre, bevor jene MedienOperative unter der Federführung des Videokünstlers Micky Kwellas ein eigenes, kritisches Programm als "VideoFilmFest" im Rahmen der Berlinale einbringen konnte. Videorekorder und PC hielten Einzug in die Haushalte, und Künstler nutzten sie längst. In Berlin allerdings fiel der relativ späte Gründungsmoment des "VideoFilmFestes" eher zufällig mit einer historischen Doppelrevolution zusammen: dem Ende des Staatssozialismus und der "digitalen Revolution". Diese einmalige Mischung führte dazu, dass aus dem widerständigen Videofilmfest ein Festival für elektronische Medienkunst entstehen konnte, das in unterschiedlichen Formen als "Transmediale" bis heute Bestand hat.
Motto und Schwerpunkt des Festivals: "Ever elusive"
Das dreißigste Jubiläum in diesem Jahr nahm der Künstlerische Leiter der Transmediale, Kristoffer Gansing, nicht zum Anlass einer Retrospektive. Vielmehr stellte er die Grundsätzlichkeit der Informationstechnologien in den Mittelpunkt des Festivals. Es sollten daher Fragen gestellt und mögliche Antworten formuliert werden: Wie entwickelten sich Medien zu einer "natürlichen" Umwelt des Menschen? Welche Folgen hat die zunehmende und selbstverständlich gewordene Nutzung der Informationstechnologien? Wie groß ist inzwischen die Abhängigkeit der Menschen, der Unternehmen, ja ganzer Gesellschaften von diesen Technologien? Wie lassen sich diese flüchtigen Technologien begreifen, die unsere Infrastrukturen lenken? Wie gestaltet sich das Mensch-Maschine-Verhältnis neu, wenn Menschsein heute fundamental technologisch begründet ist? Diskutiert wurden diese Fragen nach den inzwischen "schwer fassbaren" Technologien, so die deutsche Übersetzung des Festivaltitels, nicht nur auf hochkarätig besetzten Panels, sondern ebenso in kleinen Workshops, informellen Gesprächsrunden, Kurzfilmen und in der Ausstellung im Herzen des HKW.
So war es nur konsequent, die Genese des Digitalen Zeitalters als dominante sozio-technologische Formation bereits im Vorfeld des eigentlichen Festivals künstlerisch zu bearbeiten. Im Rahmen des "Transmediale Vorspiels" spürte ihr der Züricher Professor für Digitale Kultur Felix Stalder gemeinsam mit dem Kollektiv Technopolitics in einer "Chronologie der Informationsgesellschaft" nach. Die zwölf Meter lange und eineinhalb Meter hohe Installation machte physisch erfahrbar, welche langen Zeiträume bereits hinter der Formierung des Digitalen Zeitalters liegen. Während derzeit ein technologischer Hype den anderen ablöst, legt Stalder den Schwerpunkt auf lange historische Linien. Angefangen bei technischen Entwicklungen wie bspw. der Erfindung des Computers, über gesellschaftshistorische Zäsuren wie dem Fall der Mauer bis hin zu wirtschaftlichen Adaptionen wie dem automatisierten Börsenhandel ließ die Installation dem Betrachter offen, die verschiedenen Ereignisse miteinander in Beziehung zu setzen. Die Umbruchsituation im Jahr 2008, als zahlreiche historische Entwicklungen des Digitalen Zeitalters kulminierten, war für Stalder der Anstoß, die Installation zu erstellen.
Technologie? Selbstverständlich! Die schwer zu fassenden Bedingungen menschlicher Existenz im Digitalen Zeitalter
Auf dem Festival selbst stellten verschiedene Künstler im Rahmen der Ausstellung "Alien Matter" die Frage nach der selbstverständlich gewordenen, aber doch fremd gebliebenen Informationstechnologie aus einer gegenwärtigen Perspektive. Ein Großteil der Informationsinfrastrukturen liegt vom menschlichen Auge verborgen im Hintergrund, dazu gehören etwa die Übertragungskabel, Serverfarmen oder Kommunikationssatelliten im Weltall. Diese verborgenen Strukturen sichtbar zu machen, gelang den Künstlerinnen Evan Roth und Addie Wagenknecht. Roth zerrte in der "Burial Ceremony" ganze zwei Kilometer eines Glasfaserkabels ans Licht, die normalerweise tief vergraben unter der Erde liegen, gleichsam "be-erdigt". Wie von Kabeltechnikern routinemäßig in Form einer Acht auf den Boden gelegt, scheinen an dem Kunstwerk die Leibhaftigkeit wie auch die geistige Unendlichkeit des natürlich gewordenen digitalen Raumes auf. Über solche Unterseekabel läuft weltweit ein Großteil des gesamten Datenverkehrs. Verarbeitet werden die Daten in Serverfarmen, eine Referenz darauf bildet die Arbeit der US-Künstlerin Addie Wagenknecht. Ihre Wandskulptur besteht aus fünf großflächigen Platinen, verbunden von Hunderten, ineinander verschlungenen schwarzen Kabeln. Auf den Platinen blinkt eine Vielzahl grüner Statusleuchten im hektischen Takt der Datenpakete. Die Lichter erinnern sie an die Silhouette einer Großstadt aus der Ferne, die von den Kabeln und Platinen mit Daten versorgt wird. Der Clou an der Installation: Sie zeichnet im Hintergrund heimlich den Datenverkehr des W-LAN-Netzwerkes des Hauses der Kulturen der Welt auf, in dem sich die Besucher mit ihren Geräten befinden. Aber statt sie zu speichern und auszuwerten, wie das Unternehmen wie Google oder Geheimdienste wie die NSA gemacht haben, erzeugen die Daten nur das sinnlose Blinken grüner LEDs: scheinbar autonom von menschlichem Handeln und doch mit diesem auf das engste verknüpft. Unlesbar für den Menschen erzeugen sie gleichzeitig ein Gefühl der Überwachung. Fünfzehn weitere Kunstwerke führen die Frage nach technologischer Agency an ganz verschiedenen Sujets aus und erzeugen so einen kohärenten Rahmen. Die Ausstellung "Alien Matter" ist auch über die Transmediale hinaus noch bis zum 5. März 2017 im Haus der Kulturen der Welt zu sehen.
Wer trifft hier eigentlich die Entscheidung? Der Computer in einer menschlich-technischen Umwelt
Doch nicht nur Künstler, auch MedienwissenschaftlerInnen trieb auf der Transmediale die Frage um, inwieweit der Mensch eigentlich noch die Entscheidungsgewalt innerhalb seiner Welt besitzt. Besonders deutlich wurde dies auf einem Panel am Samstagmorgen, auf dem der Medienwissenschaftler Florian Sprenger die Frage nach den Mikroentscheidungen stellte. Mikroentscheidungen sind all jene extrem kurzen und schnellen Prozesse, in denen Computer entscheiden, was mit Daten passieren soll. So zeigte Sprenger beispielsweise das Video eines selbstfahrenden Autos, das einen vor ihm passierenden Unfall bereits erkannte und abbremste, bevor es in einen Unfall involviert wurde. Demgegenüber stehen die Makroentscheidungen, also diejenigen Aushandlungsprozesse, in denen zuvor zwischen Herstellern, Regulatoren und der Zivilgesellschaft die algorithmische Grundlage festgelegt wurde, auf deren Basis der Computer die Entscheidung trifft. Dabei seien Mikroentscheidungen keineswegs neu, sondern beispielsweise bei der Entwicklung des Internet in den 1960er-Jahren implementiert worden, wie Sprenger im Interview betont.
Bremst das Auto, spürt der Mensch dies durch das physische Feedback. Aber was, wenn Mikroentscheidungen nicht fühlbar sind? Beispielsweise dann, wenn Inhalte im Web präsentiert oder Produkte zum Kauf angeboten werden? Diesen Faden griff der Journalist Brett Scott auf, der zu Finanztechnologien forscht. Er machte deutlich, wie der Akt eines Produktkaufes nur das Ende einer historischen Kette von Produktions- und Finanzierungsschritten ist, die zunehmend automatisiert abläuft. Kapitalistische Produktion erscheint so als eine Reihe computerisierter Mikroentscheidungen. Informationstechnologie als natürliche Organe des Kreditwesens. Mit diesen Assoziationen spielte schon Lillian Schwartz, deren Videokunst die Eröffnung der Transmediale am Donnerstagabend abrundete. Auf hektisch blinkenden Bildschirmen verschwammen menschliche Organe und aus Silizium gewaferte Mikrochips im Sound der 1970er-Jahre miteinander.
Fazit: Die Transmediale als wichtiger gesellschaftlicher Debattenplatz
Was bleibt von der diesjährigen Transmediale? Das Festival hat sich inzwischen zu einem wichtigen gesellschaftlichen Debattenplatz entwickelt, fest verankert im Berliner Kulturbetrieb. Kristoffer Gansing beschrieb es treffend als das größte Nischenfestival Europas. Hier werden die kritischen Fragen gestellt, die sonst unbeachtet bleiben. Für neue Besucher auf den ersten Blick vielleicht schwer zu erfassen, gibt ein kuratorischer Rahmen seit 2001 der euphorischen Technologiekritik die notwendige Struktur. Flüchtig ist die Transmediale damit keineswegs mehr, denn im Gegensatz zu manch anderem Videofestival aus den 1980er-Jahren hat sie in unterschiedlichem Gewand bis heute Bestand. Ihr Ablauf ist merklich professionalisiert. Der Reichweite und dem Verständnis tut dies sicherlich gut, auch wenn dabei manch offener Raum des Experimentierens verloren geht. Der überraschende Wandel im Format war diesmal, dass die Transmediale nach ihrem Ende dennoch nicht vorbei ist. In den kommenden Wochen durchstreifen Festivalbesucher auf drei Exkursionen die Stadt Berlin und verfolgen an den unterschiedlichen Orten die aufgeworfenen Fragen weiter.