von Stefanie Eisenhuth

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16. April 2019

In der Silvesterausgabe 1946 der Berliner Zeitung Der Abend beschrieb Günter Neumann, der spätere Begründer des Kabaretts Die Insulaner, die „Dame von heute“:

Der Abend der Dame vom Kürfürstendäm – ?
Es lockt Onkel Sam mit ham und jam!
Sie singt im Klub der Besatzungsmacht,
denn in ihr wühlt der „Wille zur Nacht!“
Es klappern die Wimpern, es strahlt das make-up.
klipp klapp!
[1]

Das Gedicht kommentierte süffisant ein Verhalten, das kurz zuvor noch unter Strafe gestanden hatte: die sogenannte „Fraternisierung“. General Dwight D. Eisenhower hatte im September 1944 jeglichen Kontakt zwischen den US-Streitkräften und Deutschen verboten, der über das nötige Maß an Absprachen in den besetzten Gebieten hinausging. Der Begriff „Fraternisierung“ wurde geschlechtsneutral verwendet: Jegliche Kontakte waren untersagt. Binnen kürzester Zeit wurde der Terminus jedoch zum Synonym für sexuelle Kontakte zwischen US-Soldaten und deutschen Frauen.

 

Reaktionen in Deutschland und den USA

Die amerikanische Öffentlichkeit zeigte sich empört über das als zügellos empfundene Verhalten der eigenen Soldaten. Manche US-Medien beschuldigten die eigenen Politiker: Mit ihrer Forderung nach einem „räuberischen Frieden“ hätten sie dafür gesorgt, dass deutsche Frauen nun aus Hunger und Elend ihre Tugendhaftigkeit gegen Waren tauschen würden; die Soldaten seien umgehend aus Europa abzuziehen.

Viele Veteranen sahen das ganz anders. Ein Artikel des Armee-Reporters Victor Dallaire in der New York Times löste im Frühjahr 1946 eine hitzige Debatte aus. Er lobte die europäischen Frauen, denn sie seien – im Gegensatz zu amerikanischen Frauen – aufrichtig und rechtschaffen, würden hart arbeiten und nur danach streben, eine Familie zu gründen und ein schönes Heim zu schaffen.[2] Andere Veteranen pflichteten ihm in Leserbriefen bei. Das „European Girl“ und das „German Fräulein“ dienten ihnen als argumentative Waffe in der nach Kriegsende intensiv geführten Debatte über Geschlechterrollen.

Viele Berlinerinnen hätten derartige Zuschreibungen wohl abgelehnt. Sie waren auf sich selbst gestellt und zum Teil durchaus stolz darauf.[3] Am wohl eindrücklichsten schildert Marta Hillers in ihrem unter dem Pseudonym Anonyma veröffentlichten Tagebuch die Mischung aus Enttäuschung und neuem Selbstbewusstsein: „Immer wieder bemerkte ich in diesen Tagen, daß sich mein Gefühl, das Gefühl aller Frauen gegenüber den Männern ändert. Sie tun uns leid, erscheinen uns so kümmerlich und kraftlos. Das schwächliche Geschlecht.“[4] Besonders die US-Soldaten galten vor diesem Hintergrund als attraktive Partner, die aufgrund ihrer äußeren Erscheinung Hoffnungen auf ein besseres Leben weckten: In vielen zeitgenössischen wie rückblickenden Berichten beschreiben Frauen sie begeistert als lässig, unbekümmert und vor allem „wohlgenährt“.[5][6]

Weite Teile der Bevölkerung im Süden und Westen Deutschlands beobachteten diese Entwicklung mit Ablehnung. Ihr Unmut über die amerikanische Militärpräsenz war oft auch darin begründet, dass kleine Ortschaften plötzlich durch mobile Snackbars, Casinos und Nightclubs zur Unterhaltung der Soldaten „a touch of the city“ erhielten.[7] Mancherorts bildeten sich Männergruppen, die mit Gewalt gegen als „Ami-Flittchen“ diffamierte Frauen vorgingen.[8] Die scharfe öffentliche Anprangerung der „Fraternisierung“ diente dazu, „politisch unkontrollierbare Vorgänge – wie Kapitulation und Besatzung – in scheinbar kontrollierbarere Parameter der Geschlechterbeziehungen zu übersetzen“.[9] Da Kritik an den Siegermächten nicht gestattet war, konnte sich die deutsche (männliche) Bevölkerung auf diese Weise ihrem Ärger über den Verlust des Kriegs Luft machen.[10] Doch zeigte sich in einer Großstadt wie Berlin ein anderer Umgang mit der „Fraternisierung“?

 

Berliner Bekanntschaften

In den Monaten zwischen der Eroberung der ersten deutschen Stadt im Herbst 1944 und der Ankunft in Berlin im Juli 1945 war den US-Militärs deutlich geworden, dass eine rigorose Trennung von Militärpersonal und Zivilbevölkerung nicht realisierbar war. Schnell wurden die Regeln gelockert; am 1. Oktober 1945 wurde das Fraternisierungsverbot aufgehoben. Trotzdem versuchte man weiterhin, vor allem sexuelle Kontakte zwischen deutschen Frauen und US-Soldaten zu verhindern. Immer wieder wurden Razzien durchgeführt, bei denen primär Frauen aufgegriffen und – wenn sie sich nicht ausweisen konnten – auf Geschlechtskrankheiten überprüft wurden. Für das Jahr 1947 zählt Matthias Willing insgesamt 65.313 Hausbesuche, 11.329 „fürsorgerische Ermittlungen“, 1.164 „fürsorgerische Lokalstreifen“ und 240 Razzien, in deren Rahmen „4.622 Männer und 14.601 Frauen den Gesundheits- und Fürsorgebehörden zur Überprüfung zugeführt“ wurden.[11]

Parallel hoffte die US-Armee, die Anwesenheit amerikanischer Ehefrauen werde für Disziplin sorgen und unterstützte deren Nachzug. Allerdings holten nicht einmal 13 Prozent der US-Soldaten ihre Familien nach Berlin – wohl auch aufgrund der instabilen politischen Lage.

Schließlich versuchte die US-Armee verstärkt, über Gebote die Kontakte zu regulieren. Einzelne Clubs öffneten 1947 ihre Pforten für Frauen, die über einen „Gesellschaftspass“ verfügten. In Berlin gingen binnen drei Monaten 783 Anträge ein.[12] Indem die Armee die Pässe ausgab, sanktionierte sie mögliche Bekanntschaften und gewann zugleich die Möglichkeit, Kontrolle auszuüben.

Trotz der Hemmnisse lebten nicht wenige deutsch-amerikanische Paare in einer Beziehung. Sie verletzten allerdings jedes Mal amerikanische Regularien, wenn er ihr Geld zum Einkaufen gab, Reste seines Lunchs am Abend mit ihr teilte oder bei ihr übernachtete. Viele Paare erachteten deshalb eine schnelle Hochzeit als einzigen Ausweg. Doch erst der 1946 verabschiedete Fiancée Act gestattete deutschen Frauen die Einreise in die USA zwecks Heirat. Allerdings waren zu jenem Zeitpunkt zahllose Ehen längst heimlich geschlossen worden – in deutschen Kirchen, denn für die Anerkennung in den USA war eine standesamtliche Trauung nicht vonnöten.

Doch wie reagierte die Berliner Öffentlichkeit auf dieses Phänomen? In den lokalen Zeitungen zeigt sich zwar eine ähnliche Deutung wie in den westlichen Besatzungszonen – die Frauen würden die GIs vor allem aus materiellen Gründen bevorzugen –, dennoch verurteilten sie die unterstellten Motive nur selten. Vor allem der lange Verzicht und das gegenwärtige Elend wurden zur Rechtfertigung angeführt. Die jungen Frauen seien „Opfer der Zeit- und Familienumstände“, die sich nun endlich der „Genußsucht“ hingeben wollen oder auch durch ein „ehrliches Gefühl“ motiviert das Elternhaus verlassen würden.[13]

Warum begleiteten die Berliner Medien die Beziehungen verständnisvoll bis amüsiert oder ließen sie gänzlich unkommentiert? Ein wichtiger Grund mag die geopolitische Lage der schon bald administrativ geteilten Stadt gewesen sein. Da viele Menschen in den Berliner Westsektoren aus Angst vor einem sowjetischen Angriff die amerikanische Präsenz begrüßten, tendierten die lokalen Medien dazu, das deutsch-amerikanische Zusammenleben zu idealisieren. Sie knüpften dabei gern an das Berlin-Bild der Weimarer Zeit an und beschrieben die Stadt als tolerante und weltoffene Metropole, die immer schon anders und sehr amerikanisch gewesen sei.[14] Dieses Narrativ schuf eine Brücke über die dunklen Jahre der NS-Zeit hinweg und war anknüpfungsfähig für die sich infolge von Blockade und Luftbrücke etablierende Meistererzählung vom „Vorposten der Freiheit“ und „Schaufenster des Westens“. Schon bald diente auch die Beschreibung der West-Berlinerin als lebensfroh, konsumfreudig und individuell dem Ziel, sich als westlich zu inszenieren und von Ost-Berlin und der DDR abzugrenzen. Auch die privaten deutsch-amerikanischen Kontakte erfuhren vor dem Hintergrund des Kalten Krieges eine Umdeutung: Die „Fraternisierung“ wurde nicht als Bedrohung und Problem gedeutet, sondern als Symbol der transatlantischen Freundschaft.

 


[1] Günter Neumann, Die Dame von heute, in: Der Abend, 31. Dezember 1946.
[2] Hier und im Folgenden: Mary Gallagher/Jennie Smith/Margaret J. Nebiker, The Women Hotly Reply, in: New York Times, 24. März 1946, S. 95.
[3] Hier und im Folgenden: Frauen schütten ihr Herz aus, in: Sie, Nr. 1, Dezember 1945, S. 3.
[4] Tagebucheintrag vom 26. April 1945, in: Anonyma, Eine Frau in Berlin, Frankfurt/Main 2003 [Erstaufl. 1959], S. 51f.
[5] Sibylle Meyer/Eva Schulze, Wie wir das alles geschafft haben. Alleinstehende Frauen berichten über das Leben nach 1945, München 1984, S. 66.
[6] Detlef R. Mittag/Detlef Schade, Die amerikanische Kalt-Welle. Geschichten vom Überleben in der Nachkriegszeit, Berlin 1983, S. 101.
[7] Maria Höhn, GIs and Fräuleins. The German-American Encounter in 1950s West Germany, Chapel Hill 2002, S. 111.
[8] Vgl. Perry Biddiscombe, Dangerous liaisons: The anti-fraternization movement in the U.S. occupation zones of Germany and Austria, 1945-1948, in: Journal of Social History, 34 (2001) 2, S. 611-647.
[9] Annette Brauerhoch, Fräuleins und GIs. Geschichte und Filmgeschichte, Frankfurt a. M./Basel 2006, S. 9.
[10] Maria Höhn, Amis, Cadillacs und „Negerliebchen“: GIs im Nachkriegsdeutschland, Berlin 2008, S. 207.
[11] Matthias Willing, Sozialistische Wohlfahrt: die staatliche Sozialfürsorge in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR (1945-1990), Tübingen 2008, S. 105.
[12] Vgl. Gesellschaftspässe auch in Berlin, in: Der Abend, 3. Januar 1947; Gesellschaftspässe gefragt, in: Der Abend, 10. April 1947.
[13] Kalorien und Moral, in: Der Abend, 10. Dezember 1946.
[14] Vgl. Stefanie Eisenhuth, Die Schutzmacht. Die Amerikaner in Berlin 1945-1994, Göttingen 2018, S. 67-72.