von Andreas Ludwig

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13. November 2020

Kaum war die friedliche Revolution vom Rausch der offenen Grenzen verdrängt und der SED-Slogan „Ich leiste was – ich leiste mir was“ durch ein akutes „Wie leiste ich mir was“ abgelöst, tauchte die flip side der sich durchmischenden Kulturen auf: "SED – Schönes Einheits Design“, das großformatige Buch des Taschen Verlages von 1990[1] prägte wie sonst nur die Architektur des industriellen Wohnungsbaus das Bild der DDR bei einem breiten westlichen Publikum. Die blaue Nautik-Seife, einst die Antwort auf Fa, auf schrillem rosa Grund und vor einer Tüllgardine arrangiert, versprach in den Monaten des inneren Zerfalls der DDR einen Blick in den Alltag und insbesondere seine Warenwelt. – Noch heute, fast 30 Jahre später, gibt es dieses Buch, in verschiedenen Formaten und Übersetzungen, zahlreich auf elektronischen Marktplätzen.

Screenshot Buchcover SED – Schönes Einheits Design, Taschen Verlag, Quelle: booklocker.com, Lizenz: gemeinfrei.

Das Schöne Einheits Design war ein Bestseller, der Bildband befriedigte Neugier und löste Abwehr aus. Wenn ab Mitte der 1990er Jahre das Schlagwort von der Ostalgie ein visuelles Pendant hatte, dann dürfte das bundesdeutsche Bildgedächtnis noch vor dem Sandmännchen hier einen Anker gefunden haben. Je nach Perspektive vermittelten die den Band ausmachenden Objektfotografien funktionales Design oder Ärmlichkeit. Das Buch war ein Kind seiner Zeit: es betrat (für die Westdeutschen) Neuland und markierte ein Feld: der Osten war eben nicht mehr SED sondern Einheitsdesign.

Dabei beruhte der Bildband auf einem ernsthaften Projekt. Im Frühjahr 1988 unternahmen der Design-Student Matthias Dietz und das Ehepaar Margarte und Christian Habernoll, beide betrieben in Dreicheich bei Frankfurt am Main eine kleine Galerie, eine Reise in die DDR. Es war eine eher ethnographische Erkundung des Alltagsdesigns auf der Suche nach dem, was man als die gesellschaftsrelevante Seite der Produktgestaltung nennen könnte. Die Gruppe begab sich in Kaufhallen, Warenhäuser und Fachgeschichte und kaufte einfache Konsumartikel und „querbeet“, wie Matthias Dietz im Interview berichtete.[2] Allerdings handelte es sich, trotz aller Spontaneität, nicht um eine Spielerei. Dietz benennt die Neugier auf die Veränderungen in 40 Jahren getrennter Konsumkultur in den beiden deutschen Staaten und die Kritik am Immerneuen in der westdeutschen Konsumgesellschaft, den Zwang zum „in der Zeit stehen“, als Motivationslage. Die Produktkultur wurde also als Parallelkultur und als Gegenentwurf interpretiert. Auch lagen den Käufen Kriterien zugrunde, die sich an Gestaltungsfragen orientierten: man wählte nach Farbe, Material, Industriedesign und der Dauer der Produktion eines Entwurfs aus. Hinzu kam der Aspekt des Unbekannten und des nicht immer deutlichen Zwecks eines Objekts. Bei der Analyse der Schaufenster fiel die Serialität der Warenpräsentation auf, indem mit Konsumartikeln ganze Inszenierungen, ja Bilder geschaffen wurden. Die Ware, so Dietz, trat hinter das Bild zurück.

Im Jahr der Reise, 1988, stand die Neugier und das Erstaunen im Vordergrund, jedoch auch die Frage nach dem realen Vorkommen von gestalteten industriekulturellen Produkten. Ausgelöst war dieses Interesse durch eine Ausstellung des Amts für industrielle Formgestaltung der DDR (AIF) im Design Centrum Stuttgart, ein Projekt des offiziellen deutsch-deutschen Kulturaustauschs ab 1986. Dort waren, wie sich Dietz erinnert, nur Entwürfe und Prototypen zu sehen, eine Selbstdarstellung des Leistungsstandes des DDR-Design,[3] die nach Ansicht der Dingethnografen mit der Realität ganz offenbar wenig zu tun hatte.

Die Ergebnisse der Feldforschung und ihre Objektfunde wurden schließlich 1988 in einer Ausstellung in der Galerie Habernoll in Dreieich gezeigt und wanderte anschließend nach Barcelona, Lissabon, London und Rotterdam. Der Spiegel verwies in seiner Ausstellungkritik vor allem auf die funktionale Grundhaltung der Objekte.[4]

Die Ausstellung koinzidierte mit der Krise des Sommers 1989. Gefragt wurde nun nicht mehr nach des Besonderheiten DDR-sozialistischer Produktkultur, sondern warum der Trabi in der Ausstellung fehle. Schon hier deutete sich also ein Perspektivwechsel an, der dann in der Publikation des Taschen Verlages im Frühjahr 1990 Manifest wurde: die Lust am Exotismus im eigenen Land.

Das Buch selber hat mit der Ausstellung wenig zu tun. Zwar wurde der Titel (zunächst ungefragt) übernommen, aber weder Fragestellung noch Objektauswahl wurden aufgenommen. Ein Vorwort erklärt die Hintergründe nur teilweise und ist zudem schon durch die Implosion der DDR und damit durch einen historischen Blick charakterisiert. Zu gern hätte ich an dieser Stelle die Perspektive des Verlages dargestellt, auch um die dem Buch zugrunde liegenden verlegerischen Überlegungen nachzuzeichnen. Die Recherche endete in einer betriebswirtschaftlichen Sackgasse: das Buch sei zu alt, Unterlagen gäbe es nicht, der Verleger sei leider zu beschäftigt.

Was bleibt sind die Objekte. Von den 1988 in der DDR gekauften 1500 Objekten, die im Kofferraum eines 12-Zylinder-Jaguar, wie sich Matthias Dietz im Interview mit Vergnügen erinnert, durch den Zoll in die Bundesrepublik gebracht wurden, sind 326 musealisiert worden und befinden sich heute in der Sammlung des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig.

Was auch bleibt ist die Kenntnis einer wechselnd kontextualisierten Nachgeschichte dieses über ihre Warenwelt vermittelten frühen Interesses an der DDR. Aus der Vielfalt der Dinge innerhalb einer spezifischen Konsumkultur wurde der hellblaue Trabi, wahlweise als Kühlschrankmagnet oder auf dem Buchdeckel vor einer DDR-Flagge. Genau das hatten die Dingethnographen nicht gewollt.

 


[1] Georg C. Bertsch, Ernst Hedler (Hg.): SED – Schönes Einheits Design, Köln: Taschen 1990.

[2] Interview des Verfassers mit Matthias Dietz, 13.11.2019.

[3] Amt für industrielle Formgestaltung (Hg.): Design in der DDR. Prozesse, Projekte, Produkte. Materialien zu einer Ausstellung, Berlin (DDR) 1988.

[4] Der Spiegel 37/1989, S. 255.