von Lisa Füchte

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28. April 2022

"Ob es dir gefällt oder nicht, da musst du durch, meine Schöne. Du musst dich fügen, anders geht es nicht", bemerkte Vladimir Putin am 7. Februar 2022 salopp in Richtung der Ukraine, als es auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Emanuel Macron um die Einhaltung der Minsker Abkommen ging. Vor dem Hintergrund des massiven russischen Truppenaufmarsches war der französische Präsident sichtlich um eine diplomatische Lösung bemüht und überging – ob aus Irritation oder aus mangelnder Verdolmetschung – die sexuelle Anspielung, mit der Putin der Ukraine unverhohlen eine Vergewaltigung androhte. Tatsächlich fiel Putin in der Vergangenheit bereits mit der Verharmlosung von sexualisierter Gewalt auf und ist berüchtigt für seine verbalen Ausfälle auch bei offiziellen Anlässen. Sein Rückgriff auf eine sexualisierte Rhetorik im Vorfeld und bisherigen Verlauf des brutalen Angriffskriegs, den die russischen Streitkräfte am 24. Februar 2022 auf seinen Befehl hin gegen die Ukraine entfesselten, ist kein Ausrutscher, sondern integraler Bestandteil seiner Vorstellungswelt und Selbstinszenierung.

In seiner im Fernsehen übertragenen Rede an die Nation wenige Tage vor Kriegsbeginn ereiferte sich Putin etwa darüber, wie "die Mitgift, die das Land nicht nur aus sowjetischer Zeit, sondern bereits vom Russischen Reich erhalten hatte, verschleudert wurde und in allerlei Taschen gelandet ist." Die Allegorie von Russland als der Vater, der Industrie und Infrastruktur als Aussteuer für die Tochter zur Verfügung stellt, spricht Bände. Deutlich wird Putins patriarchales Familienbild, das sich in den zwanzig Jahren seiner (Minister-)Präsidentschaft durch zunehmende Repressionen gegen LGBTQI und die juristische Bagatellisierung von häuslicher Gewalt äußert. Die Rede von der Ukraine als Tochter und "integrale(m) Bestandteil unserer eigenen Geschichte, unserer Kultur, unseres geistigen Raums" offenbart Putins männlich codierte, revanchistische Besitzansprüche auf das ukrainische Territorium, aber auch auf Traditionen und intellektuelles Erbe etwa der mittelalterlichen Kiewer Rus‘.

 

Machismus als Herrschaftsinstrument

Die allegorische Feminisierung von Staaten ist ein Stilmittel, das im Zuge der europäischen Nationenbildungen im 19. Jahrhundert an Popularität gewann und nationalistischen Kräften dazu diente und bis heute dient, an die Wehrhaftigkeit des männlichen, soldatisch imaginierten Volkes zu appellieren. Indem Putin in seiner Rede die ukrainische Staatsführung als korrupte, feige Nationalisten „entmännlicht“ – um nicht zu sagen entmenschlicht – liefert er dem russischen Fernsehpublikum unter Rückgriff auf die sakrosankte Erinnerung an den Großen Vaterländischen Krieg einen moralischen Imperativ für den völkerrechtswidrigen Angriff auf das gesamte ukrainische Staatsgebiet und die Hauptstadt Kyiv, "die Mutter der russischen Städte". Der Rückgriff auf eine solche Rhetorik zeugt von seinem neoimperialen Weltbild ebenso wie von seinem essentialistischen Geschlechterverständnis, das Männlichkeit in Abgrenzung zu minderwertiger Weiblichkeit definiert. Putins aggressive, abwertende Rhetorik leistet der Brutalität, mit der die russischen Streitkräfte in der Ukraine vorgehen, Vorschub. Sie dient dazu, die heimische Gesellschaft auf Terror gegen die Zivilbevölkerung und sexualisierte Gewalt einzuschwören, die von der russischen Führung offensichtlich als legitime Kriegsinstrumente angesehen werden, um den sozialen Zusammenhalt zu zerstören, Betroffene zu demütigen und "sie daran zu hindern, ukrainische Kinder zu gebären". Inzwischen gibt es unzählige Berichte von grausamen Vergewaltigungen.

Putin selbst inszeniert sich mit Vorliebe als viriles Staatsoberhaupt – gern oberkörperfrei – was in der Vergangenheit dazu diente, dem heimischen und internationalen Publikum gleichermaßen seine körperliche Gesundheit und damit symbolisch auch die Macht Russlands vorzuführen. Diese Hypermaskulinität fand viele Jahre lang Anklang und Nachahmung bei zahlreichen Politikern und der internationalen antifeministischen Rechten, die sich gern in männerbündischer Umarmung mit ihm ablichten ließen. Die Legitimierung von Putins Herrschaft über militärische Stärke erreichte im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim 2014 ihren Höhepunkt: Er ließ sich als Heerführer in Szene setzen und in den sozialen Medien als Wiedergänger von Feldmarschall Potёmkin feiern, der die Krim einst 1783 eroberte. Inzwischen gelingt es einem gealterten, aufgedunsenen Putin, der sich coronabedingt isoliert zwischen dem imperialen Pomp absurd langer Tische und sowjetisch-piefig anmutendem Büroambiente bewegt, immer weniger, von diesem Nimbus zu profitieren. Seine hasserfüllte Rhetorik bei öffentlichen Auftritten mag dazu zu dienen, seine schwindende körperliche Kraft zu kompensieren.

 

Der stärkere Mann

"Es gibt Dinge, über die braucht man mit dem Präsidenten Russlands nicht zu streiten", bemerkte Volodymyr Zelens‘kyj am 8. Februar während einer Pressekonferenz auf Russisch und mit einem schalen Seitenblick auf Emanuel Macron. Im Gegensatz zum französischen Präsidenten war ihm Putins sexuelle Anspielung am Vortag keineswegs entgangen: "Die Ukraine ist wirklich eine Schönheit. Was das ‚meine‘ angeht, so ist das jedoch eine kleine Übertreibung." Sicherlich auch an die russische Öffentlichkeit gerichtet, wies er Putins imperiale Besitzansprüche zurück, blieb jedoch bei dessen allegorischer Feminisierung der Ukraine. Zelens’kyj hatte nach einem Jurastudium beachtlichen Erfolg als Schauspieler nicht nur im ukrainischen, sondern auch im russischen Fernsehen, bevor er sich für eine Präsidentschaftskandidatur entschied und 2019 mit großer Mehrheit gewählt wurde. Er versteht es gut, sich als moderner Gegenspieler Putins zu präsentieren. In seiner Selbstdarstellung dienen nicht zuletzt egalitär(er)e Geschlechterbilder als Abgrenzung zu Russland und Ausweis europäischer Werte. Die medienaffine ukrainische Staatsführung, die auf militärische Unterstützung aus der EU und den USA sowie den Verteidigungswillen der eigenen Bevölkerung angewiesen ist, ist sich bewusst, dass die öffentliche Wahrnehmung der Ukraine im Ausland und die Moral im Inland einen entscheidenden Einfluss auf den Kriegsverlauf nehmen können.

Während Putin sich im Staatsfernsehen als despotischen Alleinherrscher inszeniert, nutzt Zelens‘kyj soziale Medien wie Twitter, um sich regelmäßig in kurzen, mitunter selbst gedrehten Handyvideos zu Wort zu melden. Er zeigt sich nahbar, im Kreise seiner Regierung, immer wieder betonend, dass er sich in Kyiv aufhält und "keine Mitfahrgelegenheit, sondern Waffen" benötige. Mit Kriegsbeginn hat er den staatsmännischen Anzug durch Tarnkleidung ersetzt und drückt so seine Verbundenheit mit den ukrainischen Streitkräften aus. Das enganliegende T-Shirt erlaubt es ihm, seine eigene körperliche Fitness in einer weitaus subtileren Weise zu zeigen, als es die Pressefotos Putins je vermochten. Der 44-jährige Zelens‘kyj lässt die aggressive Machoperformance Putins, der im Oktober siebzig wird, im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen. Wehrhaftigkeit wird in der Bildsprache des ukrainischen Präsidenten eingehegt in das Narrativ eines demokratischen Verteidigungs- und Freiheitswillens, der an nationale Mythen ebenso anschlussfähig ist wie an die sich als Wertegemeinschaft verstehenden Staaten des "Westens".

 

Helden – und Heldinnen

Diese Inszenierung beschert Zelens‘kyj nicht nur internationale – wenn auch oft von Tatenlosigkeit gefolgte – Bewunderung und breite Zustimmung im eigenen Land, sondern wird von seiner Regierung aktiv gefördert und entwickelte in den sozialen Medien eine rasante Eigendynamik. Kleine und große Heldengeschichten wurden massenhaft geteilt: Etwa die der Soldaten auf der Insel Zmiїnyj, die sich am 24. Februar einem russischen Kriegsschiff mit einem derben Fluch widersetzten und damit den Tenor des Widerstands vorgaben. Videos, die Traktoren beim Abschleppen verlassener russischer Panzer und Zivilisten mit Zigarette im Mund beim Räumen einer Mine zeigen, gingen um die Welt. Abgesehen von martialischen Selbstinszenierungen, die sich insbesondere bei ultranationalistischen Formationen wie dem Azov Regiment finden, legt die Regierungskommunikation Wert darauf, Mitglieder der Streitkräfte als zugewandte, lächelnde Beschützer von Frauen, Kindern, älteren Menschen und nicht zuletzt Tieren zu präsentieren. Da es im Gegensatz dazu kaum Bildmaterial von Gefechtssituationen gibt, verwischen die Grenzen zwischen Armee und Zivilbevölkerung zur Erzählung eines allumfassenden Volkswiderstands. Die Neuausrichtung der Territorialen Verteidigung, in der Reservisten und Freiwillige mit mehr oder weniger militärischer Ausbildung kämpfen, trägt zu diesem Narrativ bei, bringt aber die Militarisierung großer Teile der Gesellschaft mit sich. Sie liefert den russischen Truppen offenbar auch Vorwände, ukrainische Zivilisten unter Generalverdacht zu stellen und in den besetzten Gebieten ungeheure Kriegsverbrechen zu begehen, deren Ausmaß sich erst allmählich abzuzeichnen beginnt.

Die Dokumentation solcher Verbrechen, die logistische Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte, friedliche Demonstrationen und nicht zuletzt weiblich codierte Tätigkeiten wie gegenseitige Hilfe und Fürsorge werden in den sozialen Medien ebenfalls als heroische Akte der Hoffnung und des Widerstands gerahmt. Jenseits heteronormativer Rollenbilder haben Frauen verschiedene Handlungsmöglichkeiten: Sie übernehmen Verantwortung für Freunde und Familie und fliehen unter widrigsten Bedingungen. Andere treten der Territorialen Verteidigung bei, posieren mit Waffen und lassen sich dabei filmen, wie sie Molotowcocktails auf Panzer werfen. Viele Frauen leisten unbewaffneten Widerstand und riskieren dabei ihr Leben. Viral ging das Video einer Einwohnerin der okkupierten Kleinstadt Heničes‘k: "Hier, steckt euch ein paar Sonnenblumenkerne ein, damit wenigstens Sonnenblumen daraus wachsen, wenn ihr hier begraben liegt", warf sie einem russischen Soldaten an den Kopf. Sie drückt damit den Wunsch aus, sich trotz des unbändigen Hasses auf die "Feinde", der im weiteren Gespräch der beiden deutlich wird, die Menschlichkeit nicht nehmen zu lassen. Solche Geschichten von Heldinnen und Helden haben eine integrative Funktion für Frauen wie Männer in unterschiedlichen Positionen. Sie machen Mut und stärken den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Angesicht eines Vernichtungskriegs, in dessen Verlauf die russischen Streitkräfte immer massiver darauf abzielen, die Menschen durch Beschuss auf zivile Ziele, den Einsatz von international geächteter Streumunition und die grausame Belagerung ganzer Städte zu brechen.

 

Die Hölle von Mariupol

Eines der Bilder, die großes Entsetzen hervorriefen, zeigt eine schwer verletzte Hochschwangere auf einer Bahre nach der Bombardierung einer Entbindungsstation in der Hafenstadt Mariupol. Auf einem anderen ist Marianna Vyšemirskaja zusehen, die sich blutend aus dem zerstörten Gebäude rettet. Vyšemirskaja wurde in ein anderes Krankenhaus verlegt und gebar am nächsten Tag ihre Tochter. Die junge Mutter auf der Bahre und ihr ungeborenes Kind hingegen starben beide kurz darauf an den Folgen ihrer Verletzungen. Es ist bezeichnend, dass ihre Namen nicht bekannt sind. Während Vyšemirskaja – sie ist bis Kriegsausbruch Influencerin gewesen – möglicherweise verschleppt und inzwischen von (pro)russischer Propaganda vereinnahmt wird, gerät die Verstorbene zum anonymen Symbol für feminisiertes Leid. Das Schicksal der beiden verweist darauf, dass Sichtbarkeit nicht einher geht mit Handlungsmacht. Der Angriff auf die Entbindungsstation wurde zum Inbegriff der Grausamkeit dieses Krieges und wirft ein Schlaglicht auf die besondere Gefährdung von Frauen: Neben sexualisierter Gewalt, ungewollter Schwangerschaft und mangelnder medizinischer Versorgung mehren sich Berichte von Menschenhandel mit geflüchteten Ukrainerinnen.

Trauer, Verlust und Schmerz werden in diesem Krieg oft über eine weibliche viktimisierende Ikonografie und Fotos von Frauen und Kindern ausgedrückt, die Männern jenseits des Heldentums wenig Identifikationsangebote macht. Die gesetzliche Verordnung, keine ukrainischen Staatsbürger zwischen 18 und 60 Jahren außer Landes zu lassen, ist diskriminierend nicht nur für trans Personen, sondern zerreißt Beziehungsgeflechte und Familienkonstellationen. Sie zwingt Menschen in die Wehrhaftigkeit, die keinerlei Kampferfahrung haben und setzt das biologische Geschlecht gleich mit dem Zwang zur Vaterlandsverteidigung. Da in der überwiegenden Mehrzahl Frauen das Land verlassen, ist auch die Demografie der Ukraine aktuell massiven Veränderungen unterworfen. Eine militarisierte, traumatisierte Gesellschaft, in der es mehr Männer als Frauen gibt, bedroht gleichstellungspolitische Errungenschaften. Nicht auszudenken erst, was passiert, sollte es dem russischen Regime gelingen, langfristige Besatzungsstrukturen aufzubauen.