Temporärer Gedenkstein für die Opfer der deutschen Besatzung in Polen 1939-1945, aufgestellt am 16. April  2025 an der Stelle der Berliner Kroll-Oper.  Zukünftig ist ein dauerhaftes Mahnmal geplant in Verbindung mit einer Dokumentations- und Begegnungsstelle, dem bereits konzipierten Deutsch-Polnischen Haus (https://deutschpolnischeshaus.de/).
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Temporärer Gedenkstein für die Opfer der deutschen Besatzung in Polen 1939-1945, aufgestellt am 16. April  2025 an der Stelle der Berliner Kroll-Oper.  Zukünftig ist ein dauerhaftes Mahnmal geplant in Verbindung mit einer Dokumentations- und Begegnungsstelle, dem bereits konzipierten Deutsch-Polnischen Haus. Foto von © Felicitas Hengge (Bild bearbeitet).

Temporärer Gedenkstein für die Opfer der deutschen Besatzung in Polen 1939-1945, aufgestellt am 16. April  2025 an der Stelle der Berliner Kroll-Oper.  Zukünftig ist ein dauerhaftes Mahnmal geplant in Verbindung mit einer Dokumentations- und Begegnungsstelle, dem bereits konzipierten Deutsch-Polnischen Haus (https://deutschpolnischeshaus.de/).
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Temporärer Gedenkstein für die Opfer der deutschen Besatzung in Polen 1939-1945, aufgestellt am 16. April  2025 an der Stelle der Berliner Kroll-Oper.  Zukünftig ist ein dauerhaftes Mahnmal geplant in Verbindung mit einer Dokumentations- und Begegnungsstelle, dem bereits konzipierten Deutsch-Polnischen Haus. Foto von © Felicitas Hengge (Bild bearbeitet).

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Temporärer Gedenkstein für die Opfer der deutschen Besatzung in Polen 1939-1945, aufgestellt am 16. April  2025 an der Stelle der Berliner Kroll-Oper.  Zukünftig ist ein dauerhaftes Mahnmal geplant in Verbindung mit einer Dokumentations- und Begegnungsstelle, dem bereits konzipierten Deutsch-Polnischen Haus. Foto von © Felicitas Hengge (Bild bearbeitet).

Alles auf null?

Der Ausgang der Präsidentschaftswahl in Polen – für die Bundesrepublik eine geschichtspolitische Herausforderung und Chance

Achtzig Jahre nach Kriegsende wurde mit Karol Nawrocki ein promovierter Historiker zum polnischen Staatspräsidenten gewählt. Zuvor leitete er mehrere Jahre das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig und zuletzt das Institut für Nationales Gedenken (IPN). Diese staatliche Einrichtung ist für die wissenschaftliche Dokumentation und staatsanwaltliche Verfolgung nationalsozialistischer und kommunistischer Verbrechen sowie die historische Wissensvermittlung verantwortlich. Nawrockis Aufstieg gründet auf der Protektion durch die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), die ihn während ihrer Regierungszeit (2015–2023) als geschichtspolitischen Mann fürs Grobe in die genannten Positionen hievte.  

 

Jahrestage

Die politischen Folgen des Wahlausgangs werden die deutsch-polnischen Beziehungen in den kommenden Jahren prägen. Das gilt auch für den Bereich der bilateralen Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. Nach dem Regierungswechsel in Warschau von 2023 erwartete man in Berlin ganz selbstverständlich einen geschichtspolitischen Reset. Doch obwohl im deutsch-polnischen Gedenkjahr 2024/2025 zahlreicher runder oder halbrunder Jahrestage wie des Beginns und Endes des Zweiten Weltkriegs, der Befreiung der Konzentrationslager Majdanek und Auschwitz oder der Niederschlagung des Warschauer Aufstands gedacht wurde, sucht man neue Impulse vergebens. Beide Seiten waren vor allem mit sich selbst beschäftigt. Berlin vollzog faktisch eine Rückkehr zum Status quo ante von Versöhnungsrhetorik und Aufarbeitungszufriedenheit der Vor-PiS-Ära. Der geschichtspolitische Neubeginn in Warschau bestand im Wesentlichen im Austausch der wichtigsten Führungsposten in diesem Bereich. Dies kann kaum hoch genug eingeschätzt werden, doch blieb aufgrund der innenpolitischen Machtkonstellation und der emotionalisierten Diskurskultur eine sachliche innerpolnische Debatte über die zukünftige Ausgestaltung der Geschichtskultur aus.

 

Historisch-politischer Komplex auf Standby

Nawrockis Wahlsieg ist ein Triumph all jener, für die nationale Geschichte ein Instrument zur Austreibung des „Fremden“ und zur Heroisierung des „Eigenen“ ist. Der designierte Präsident ist Teil eines Konglomerats aus Historikern, Politikern, Medienvertretern, Aktivisten und Institutionen mit ähnlichen Ansichten und Absichten. In Anlehnung an die von Dwight D. Eisenhower popularisierte Bezeichnung für das Beziehungsgeflecht von Politik, Militär und Rüstungsindustrie in den USA könnte man von einem polnischen „historisch-politischen Komplex“ (HPK) sprechen. Gemeint sind damit die engen Verflechtungen staatlicher Geschichtspolitik mit politischen, privaten und kirchlichen Akteuren zu Zeiten der bis 2023 regierenden Rechtskoalition.  Auch wenn die jetzige Regierung Tusk diese Seilschaften nicht mehr finanziell unterstützt und teilweise zerschlug, blieben die zuvor hochdotierten Netzwerke informell bestehen – auch weil sie mit Nawrocki als Präses des IPN einen mächtigen Verbündeten hatten.

Ein Beispiel für die Funktionsweise des HPK ist der 2022 vorgelegte Parlamentsbericht, in dem die PiS-Regierung die Reparationsforderungen an Deutschland verschriftlichen ließ. Neben dem IPN unter Nawrockis Vorgänger Jarosław Szarek war das zu diesem Zweck gegründete Institut für Kriegsverluste federführend. An der Erstellung des Berichts beteiligten sich aber weitere Institutionen wie die Stiftung Lux Veritatis des antisemitischen Redemptoristenpaters und Betreibers von Radio Maryja, Tadeusz Rydzyk. Die Stiftung bündelt ihre geschichtspolitischen Aktivitäten im Johannes-Paul-II-Institut und einem gleichnamigen Museum. Zu diesem Imperium zählt auch die Akademie für Sozial- und Medienkultur, eine radikale katholische Kaderschmiede. Die Liste weiterer sich NGOs gerierender und bis vor kurzem staatlich finanzierten Strukturen könnte bis in neofaschistische Kreise weiter fortgesetzt werden. Hinzu kommen eine Reihe von PiS und ihren Blockparteien gegründeter öffentlicher Einrichtungen, deren inhaltliche Ausrichtung mit jedem Regierungswechsel leicht geändert werden kann. Prominentestes Beispiel ist das Witold-Pilecki-Institut für Solidarität und Tapferkeit mit seiner Dependance in Berlin.

Ein wesentlicher Teil des HPK verlor unter der aktuellen Koalition die staatlichen Zuwendungen. Mithilfe der beträchtlichen Summen, die das vorherige Regierungsbündnis in dieses System pumpte, versuchen die meisten der Akteure die jetzige Legislaturperiode zu überwintern. Mit dem Rückenwind der Präsidentschaftswahl wollen sie danach umso entschiedener zurückkommen – zumal PiS weiterhin die größte Parlamentsfraktion stellt und sich rechts von ihr noch radikalere Kräfte auf eine zukünftige Regierungsbeteiligung vorbereiten.

Angesichts dieses möglicherweise bald wieder maßgeblichen Netzwerks ist es für die Bundesregierung nicht leicht eine tragfähige geschichtspolitische Linie gegenüber Polen zu finden. Daher ist es notwendig, dass die politisch Handelnden in Berlin endlich das umsetzen, was sie seit Jahr und Tag proklamieren: Ihre polnischen Gegenüber tatsächlich ernst zu nehmen und partnerschaftlich mit ihnen zu kommunizieren. Das bedeutet zweierlei: Zum einen geht es um inhaltliche und strukturelle Veränderungen in Deutschland, zum anderen darum konstruktive Wege zu finden, auch polnischen Positionen mitunter offen kritisch zu begegnen.  

 

Fünfpunkteplan

Die verbleibenden rund zwei Jahre der Amtszeit der Tusk-Regierung sollten von den politischen Entscheidungsträgern in Berlin gezielt genutzt werden. Sie sollten sich auf fünf Handlungsfelder konzentrieren – nicht zuletzt, um auf die mit Sicherheit wiederkehrenden Reparationsforderungen vorbereitet zu sein und diese in einen konstruktiven Dialog zu überführen.

  1. Entschädigungszahlungen umsetzen

Die unter Bundeskanzler Scholz angekündigten Entschädigungen für noch lebende Betroffene der NS-Gewalt sollten rasch und unbürokratisch umgesetzt werden. Dies würde die Glaubwürdigkeit deutscher Bekenntnisse zur Verantwortung für die NS-Verbrechen deutlich erhöhen. Gleiches gilt für eine mögliche deutsche finanzielle Beteiligung am Erhalt von NS-Gedenkstätten in Polen.

  1. Wissenschaft stärken

Ein langfristig finanziertes Forschungsprogramm zur Untersuchung der Kriegsverluste wäre ein wahrnehmbares Signal in der Reparationsdebatte. Darüber hinaus sollte historische Polenkompetenz nicht nur in spezialisierten Institutionen, sondern auch in der Breite der universitären Landschaft systematisch gefördert werden. Die Deutsch-Polnische Wissenschaftsstiftung (DPWS) könnte dabei eine wichtige Rolle übernehmen – vorausgesetzt, sie wird deutlich besser ausgestattet.

  1. Zivilgesellschaftliches Engagement effektiv fördern

Der deutsch-polnische Dialog über die Geschichte lebt nicht nur von Flaggschiffprojekten wie dem immer noch nicht realisierten Polendenkmal und dem Deutsch-Polnischem Haus in Berlin. Nicht minder gestaltungsmächtig sind unzählige lokale und zivilgesellschaftliche Initiativen. Diese können die politischen Spannungen oft besser überbrücken als offizielle Stellen. Ihr Engagement braucht unkomplizierte Unterstützung. Ein unbürokratischer Förderfonds für niedrigschwellige Projekte in beiden Ländern – etwa zur Pflege von Gedenkorten und Friedhöfen, zur Organisation historischer Bildungsangebote oder zur lokalen Erinnerungsarbeit – könnte hier wichtige Impulse setzen.

  1. Neue thematische Perspektiven eröffnen

Die Verbrechen der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg bleiben ein zentrales Thema im deutsch-polnischen Geschichtsdialog. Unterschiede in den nationalen Erinnerungskulturen – etwa der deutsche Fokus auf den Holocaust und das polnische Gedenken an die nichtjüdischen Opfer – können dabei produktiv genutzt werden, um gegenseitiges Verständnis zu fördern und historische Komplexität sichtbar zu machen. Gleichzeitig sollte der Blick stärker auf die Vielfalt der gemeinsamen Geschichte gerichtet werden. Die Deutsch-Polnische Schulbuchkommission hat dafür bereits seit Jahrzehnten wichtige Grundlagen geschaffen. Aktuelle Versuche, die preußisch-deutsche Expansionspolitik auf Kosten Polens in die postkoloniale Debatte einzubetten, sind begrüßenswert. Sie bergen jedoch auch die Gefahr, durch die Überbetonung historischer Asymmetrien ein vereinfachendes, deterministisches Geschichtsbild zu verfestigen. Die Täter-Opfer-Dichotomie wird so unreflektiert bis in die Gegenwart fortgeschrieben. Möglicherweise ist es an der Zeit, eine graduelle „Entborussifizierung“ des deutsch-polnischen Diskurses anzustoßen, um neue Blickwinkel zu eröffnen – etwa durch die stärkere Einbindung außerpreußischer Regionen und Erfahrungen in die Debatte. Ein gemeinsames Nachdenken über das Erbe des Staatssozialismus und die Herausforderungen der Transformationsjahre nach 1989 wäre für beide Gesellschaften nicht nur erkenntnisreich, sondern auch verbindend. Dabei sollte auch der gesellschaftliche Wandel berücksichtigt werden: Polen und Deutschland sind durch vielfältige Migrationsgeschichten und soziale Herkunft geprägt – dieser Pluralität muss in der Geschichtserzählung Rechnung getragen werden.

  1. Kritischen Dialog stärken

Eine partnerschaftliche Beziehung zwischen Deutschland und Polen erfordert neben gegenseitiger Wertschätzung auch Kritikfähigkeit. Dies setzt auf beiden Seiten ein echtes Interesse an einem offenen Austausch voraus. Fundierte und konstruktive Kritik ist ein Zeichen für Sachkenntnis und Empathie. Es ist wichtig, nicht nur die Gesprächskanäle zu bewährten Partnern aufrechtzuerhalten. Neue, bislang  kaum vernehmbare Stimmen können besonders dann wichtig werden, wenn sich öffentliche und staatliche Institutionen auf Geschichtspropaganda verlegen. Die Grundlagen der Kooperationsbereitschaft müssen dabei klar sein: Revisionismus, Autoritarismus, Rassismus und Antisemitismus dürfen auf beiden Seiten der Oder keinen Platz im Austausch über die gemeinsame Geschichte finden.

So gesehen, könnte sich in längerer Perspektive Nawrockis Wahl noch als dornige Chance für die deutsch-polnischen Beziehungen erweisen.

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Zitation

Christhardt Henschel, Alles auf null? . Der Ausgang der Präsidentschaftswahl in Polen – für die Bundesrepublik eine geschichtspolitische Herausforderung und Chance , in: Zeitgeschichte-online, , URL: https://zeitgeschichte-online.de/themen/alles-auf-null