Der Comedian Ingmar Stadelmann in der Dresdner „Herkuleskeule“
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Foto: Jutta Braun

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Frühling im Herbst

Der Comedian Ingmar Stadelmann feiert mit politischer Bildungsarbeit Erfolg. Über den Abend „Stadelmann liest Höcke" in der Dresdner „Herkuleskeule“

 

Ein historischer Ort

Schon lange vor Beginn der Vorstellung füllt sich der Saal. Die Anwesenden erwarten offenbar nicht nur gespannt die Show, sondern wissen auch den Ort ihrer Präsentation zu schätzen. Zu einem Drittel ist das Publikum in einem Alter, das erahnen lässt, dass sie die „Herkuleskeule“ noch aus DDR-Zeiten kennen. Damals gehörten Kabarett- und Theateraufführungen zur begehrten Gegenöffentlichkeit in einer parteigelenkten Diktatur. Karten waren nur schwer zu bekommen, man lauschte aufmerksam auf Zwischentöne, die eine Kritik an den herrschenden Verhältnissen offenbarten: eine Kritik an dem immer unerträglicher werdenden Widerspruch zwischen ideologischem Anspruch und trister Realität im Realsozialismus, der Differenz zwischen den limitierten Sagbarkeits-Regeln im SED-Staat und dem allzu Offensichtlichen, das doch unbedingt einmal öffentlich ausgesprochen gehörte.

Legendär sind bis heute die mutigen Aufführungen, die Ende der 1980er Jahre in Dresden stattfanden: Die Ritter der Tafelrunde von Christoph Hein im Staatsschauspiel im April 1989, als der Autor camoufliert im Gewand der Artus-Sage die Versteinerung des Politbüros inszenierte. Unvergessen ist auch die Fidelio-Premiere am 7. Oktober 1989 in der Semperoper, die in Kulisse und Ausstattung an das Grenzregime der DDR gemahnte. Bühnenhandlung und Tagesgeschehen fielen ineinander, als während der ersten Vorstellungen von Beethovens Befreiungsoper in Dresden wie im ganzen Land die Bürger und Bürgerinnen mit ihren Rufen nach Freiheit durch die Straßen zogen. Die letzte Produktion des Kabaretts „Herkuleskeule“ zu DDR-Zeiten hieß Überlebens-Zeit. Sie verdeutlichte, „als wie unerträglich verlogen die Medienpolitik und Medienpraxis der Parteipresse damals empfunden wurde“, die „völlig inkompatibel geworden war mit dem alltäglichen Erleben und Empfinden der Bevölkerung.“[1]

Die Ensembles in Dresden wie in der gesamten DDR konnten damals ihre Kritik allerdings nur verklausuliert vorbringen. Ingmar Stadelmann geht heute den umgekehrten Weg: Sein Anliegen ist es, aus sprachlichen und symbolischen Verbrämungen, die sich im politischen Raum der Gegenwart auftürmen, einen realpolitischen Gehalt zu destillieren. Und eine realpolitische Gefahr.

 

„Die Demokratie antwortet“

Weshalb das überhaupt nötig ist, erklärt er in einem seiner Reels in den Social Media sinngemäß so: Früher habe man gedacht, Dummheit und Irrglauben, auch Propaganda würden dadurch genährt, dass nicht allen Menschen alle Informationen zugänglich seien. Seit Internet und Corona wissen wir allerdings, dass Informationsströme sich ebenso fatal auswirken können wie ihr Nicht-Vorhandensein – wenn die Kriterien der Einordnung fehlen, die Methoden der kritischen Distanzierung, auch eine Fähigkeit zur De-Codierung von Verschwörungserzählungen.

Stadelmann liest Höcke ist deshalb zu einem guten Teil des Abends ernsthafte Text-Exegese. Auf dem Stundenplan der Analyse steht „Nie zweimal in denselben Fluss“ – ein Interviewband aus dem Jahr 2018 mit Björn Höcke, dem Sport- und Geschichtslehrer und seit 2014 Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag.
Normalerweise freuen Lehrer sich ja, wenn ihre Texte durchgenommen werden.

Stadelmanns Programm besteht aus drei Elementen: erstens eigenen satirischen Texten zu verschiedenen Ausprägungen autoritären Verhaltens, vom Völkerball-besessenen Sportlehrer bis zum militärischen Vorgesetzten, zweitens Passagen aus dem genannten Buch, die er mit Erläuterungen versieht, und drittens einer Rubrik „Die Demokratie antwortet“.

In Stadelmanns Lesung wird etwa der Gebrauch von biologischen Metaphern zur Beschreibung politischer Ziele verdeutlicht. Etwa dort, wo Björn Höcke erklärt, dass die „Re-Tribalisierung im Zuge des multikulturellen Umbaus“ zu einer „neuen Keimzelle des Volkes “ werde. Um dann in der Bildsprache des Medizinischen fortzufahren, so stünden uns „harte Zeiten bevor, denn umso länger ein Patient die drängende Operation verweigert, desto härter werden zwangsläufig die erforderlichen Schnitte werden, wenn sonst nichts mehr hilft.“ Der Interviewer des Bandes souffliert an dieser Stelle: „‘Brandige Glieder können nicht mit Lavendelwasser kuriert werden‘, wußte schon Hegel“. Da ist es dann nur noch ein sprachlicher Steinwurf zur „wohltemperierten Grausamkeit“, die ein „großangelegtes Remigrationsprojekt“ erfordere. Hier müsse die „neue politische Führung“ dann einige „Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen“.[2]

Stadelmann liest Höcke knüpft mit der Methode der Sprachkritik an die aufklärerische Tradition von politischem Kabarett und Theater an und ist zugleich anschlussfähig an Trends in der Zeitgeschichte: Denn hier wird mittlerweile intensiv sowohl die Geschichte der rechten Bewegungen erforscht,[3] als auch verstärkt Lüge und Hypokrisie in der politischen Kommunikation untersucht.[4]

In der Rubrik „Die Demokratie antwortet“ erläutert Stadelmann in Verruf geratene Grundsätze des Gemeinwesens: So kontert er Anwürfe Höckes gegen das Prinzip der Parteienfinanzierung mit Hinweisen zu deren Sinn und Historie, und erinnert an Spendenskandale der AfD. Andere Anmerkungen beziehen sich auf von Höcke zitierte, aber nicht eingeordnete Personen, wie etwa der nationalkonservative Politiker Edgar Jung.

Stadelmann ist überzeugt, dass der Diskurs sich schleichend verschiebt, bereits verschoben hat, und dabei radikalisiert. Er veranstalte die Tour nicht wegen Björn Höcke, sagt er, sondern wegen der 70 Prozent, die in Meinungsumfragen erklärt haben, sie hielten den Staat für überfordert. Er will ins Bewusstsein zurückrufen, was auf dem Spiel steht, und nicht weniger als Verständnis, Vertrauen und vor allem Engagement für die Demokratie zurückgewinnen.

 

Der Unerwartete

Ingmar Stadelmann ist auch der Unerwartete. Er blickt zwar auf eine lange Karriere als Comedian zurück. Dass jemand im Outfit eines Gangsta Rappers nun aber in bester bildungsbürgerlicher Manier daherkommt, ist zumindest ungewöhnlich. Doch setzt er sich, sieht man genauer hin, schon seit geraumer Zeit mit Fragen auseinander, die auch die Zeitgeschichte und Soziologie bewegen. Einem größeren Publikum wurde er neben seinen Bühnenshows dadurch bekannt, dass er den wöchentlichen Podcast Lanz und Precht, in dem der Moderator Markus Lanz und der Erfolgsautor Richard David Precht das Tagesgeschehen erörtern, zeitnah gemeinsam mit seinem Kollegen Andreas O. Loff zusammenfasst, und dabei meist pointiert und genüsslich auseinandernimmt.[5]

Dies geschieht nie gehässig, häufig aber durchaus kritisch: so beschwerte sich Stadelmann mehr als einmal über die rein westlich geprägte Sicht der aus Tirol und Solingen stammenden Showgrößen. Stadelmann, 1980 in Salzwedel (Sachsen-Anhalt) geboren, vermisst hier die ostdeutsche Perspektive: etwa die Erfahrung mit der sowjetischen Besatzungsmacht vor 1989, aber auch mit der Herausforderung, nach 1990 in den neuen Bundesländern „nicht über einen Springerstiefel zu stolpern“.

Stadelmanns zweites großes Thema ist die Transformationszeit, auch wenn er das nicht so nennt. Er erinnert an die Organisationskraft der Rechten in den 1990er Jahren, als er mit einem Programm über Land zog und „immer als erstes dem Dorf-Nazi vorgestellt wurde“, der auch versprach, ihm später nicht „auf die Fresse zu hauen“. Und er verweist nüchtern darauf, dass auch heute die AfD an einem sonnigen Samstag auf dem Markt einer brandenburgischen Kleinstadt als einzige Partei mit einem Stand vertreten ist – und zwar außerhalb des Wahlkampfs – und mit den Leuten vor Ort spricht. Doch ist Stadelmann zugleich niemand, der das modische Gegeneinander-Ausspielen der „Ossis“ gegen die „Wessis“ betreibt. Er hält die Rede von der Spaltung der Gesellschaft für massiv übertrieben, das betont er gleich zu Beginn des Dresdner Abends.

Plakative Zuschreibungen passen auch nicht zu jemandem, der mit der Radio-Sendung Blue Moon des Senders Fritz/rbb über Jahre zu nächtlicher Stunde mit Zufallsanrufern, vom Kind bis zum Hochbetagten, über deren Alltagsprobleme sprach. Mit großer Empathie widmete sich Stadelmann dort den an ihn herangetragenen persönlichen Geschichten – vom Abenteuer auf dem Spielplatz bis zu Lebensträumen und existenziellen Verlusten.
Vermutlich hat Stadelmann heute auch deshalb so viel zu sagen, weil er jahrelang gut zugehört hat.

In Dresden anno 1989 suchte der SED-Staat noch in letzter diktatorischer Minute, den aufklärerischen Funken auf der Bühne der Fidelio-Inszenierung nicht auf die Straße überspringen zu lassen: So konnte man in der Pause „nicht aus der Oper hinaus. Die mächtigen Portale waren verschlossen. Wer hinaus mußte, dem wurde aufgemacht mit dem Hinweis, daß er nachher nicht mehr hereinkönne.“ Aber: „Zu spät. Drinnen und draußen: Frühling im Herbst.“[6]

Ein gutes Vierteljahrhundert später gibt es keine auf politisches Geheiß verschlossenen Portale mehr. Nach Vorstellungsende stehen die Türen der „Herkuleskeule“ weit offen, das Licht geht an, doch will partout niemand nach Hause gehen. Das gesamte Publikum bleibt nach der Show länger als eine halbe Stunde sitzen und diskutiert mit Ingmar Stadelmann. Das Bedürfnis nach Aussprache ist groß – obgleich es doch heute so viele andere Foren gibt. Einer lobt, der Abend sei ja so etwas wie politische Bildung gewesen. „Frühling im Herbst“, mit diesem Gefühl verlässt man schließlich auch im Oktober 2025 das Theater. Nicht weil wie 1989 die Demokratie erkämpft werden muss, sondern weil Argumente für ihre Verteidigung und Attraktivität zu hören waren, die bei den Menschen sichtlich ankamen. Bereits zu Beginn des Abends hatte Stadelmann ermuntert, der Demokratie wieder mehr Sex-Appeal zu verleihen: Denn: „Sie ist wie die Person, die auf die Beziehungsfrage ‚Liebst Du mich?‘ antwortet: ‚Dazu gibt es verschiedene Perspektiven, die ich ungern in einem Satz verknappen würde.‘“ Auf diese Weise bleibe man natürlich allein. Deshalb rät Stadelmann der Demokratie: „Zieh dir wieder was Schönes an. Wir müssen arbeiten.“

Die Shows sind bis Jahresende ausverkauft, weshalb die Tour auch 2026 weitergehen wird.

 


[1] Die Premiere war im Dezember 1988. Vgl.: Sylvia Klötzer: „Über-Lebenszeit“. Kabarett in der Transformation. Die Dresdner „Herkuleskeule“ vor und nach 1989, in: APuZ B17, 2002, online unter: "Über-Lebenszeit": Kabarett in der Transformation | Alltagskultur Ostdeutschland | bpb.de (letzter Zugriff: 24.10.2025). Zum Theater der späten DDR vgl. Jutta Braun/Michael Schäbitz (Hg.): Von der Bühne auf die Straße. Theater und Friedliche Revolution in der DDR. Berlin 2016.
[2] Die Zitate finden sich in: Nie zweimal in denselben Fluß: Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig. Lüdinghausen/Berlin 2018, S. 223-225.
[3] So etwa das Verbundprojekt „Die radikale Rechte in Deutschland, 1945-2000“ am ZZF Potsdam.
[4] Heuchelmöder im Hohen Haus, in: Süddeutsche Zeitung, 25.9.2025. Vgl. auch Rüdiger Graf: Das Ende der Heuchelei und der politische Klimawandel, in: Geschichte der Gegenwart, 20.4.2025, online unter: Das Ende der Heuchelei und der politische Klimawandel – Geschichte der Gegenwart (letzter Zugriff: 27.10.2025).
[5] Gemeint ist der Podcast: „Richard, wo erreiche ich Dich?“.
[6] Martin Walser: „Kurz in Dresden. Einige Szenen aus dem deutschen Frühling im Herbst.“, in: DIE ZEIT, 20.10.1989.

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Zitation

Jutta Braun, Frühling im Herbst. Der Comedian Ingmar Stadelmann feiert mit politischer Bildungsarbeit Erfolg. Über den Abend „Stadelmann liest Höcke" in der Dresdner „Herkuleskeule“, in: Zeitgeschichte-online, , URL: https://zeitgeschichte-online.de/themen/fruehling-im-herbst