Porträt von Margarete Däumichen, die eine am 11. März 1952 zur Stalin-Note erschienene Sonderausgabe der Leipziger Volkszeitung liest.
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Porträt von Margarete Däumichen, die eine am 11. März 1952 zur Stalin-Note erschienene Sonderausgabe der Leipziger Volkszeitung liest. Foto: Roger und Renate Rössing; Eigentümer: Deutsche Fotothek; Wikimedia Commons;  CC BY-SA 3.0 DE.

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Geschichtsrevisionismus durch Gregor Gysi

Der Versuch einer Teilrehabilitierung der Deutschlandpolitik Stalins

In der Aussprache zur „Vereinbarten Debatte aus Anlass des Nationalen Gedenktages an den Volksaufstand in der DDR von 1953“ im Deutschen Bundestag am 4. Juni 2025 erklärte der Abgeordnete Gregor Gysi, seines Zeichens ehemaliger SED-PDS-/PDS-Vorsitzender, für die Fraktion „Die Linke“ nach Ausweis des stenografischen Berichtes:

„Im Jahre 1952 gab es die berühmte Stalin-Note, mit der dieser vorschlug, gesamtdeutsche, international kontrollierte geheime Wahlen abzuhalten, und zwar unter einer Bedingung, nämlich dass Deutschland so neutral würde, wie es Österreich geworden ist. Das lehnte Adenauer sofort ab, weil ihm die Westintegration der alten Bundesrepublik wichtiger war als die Einheit; das muss man einfach sagen. Die drei westlichen Regierungen – USA, Großbritannien und Frankreich – haben viel länger darüber nachgedacht, sich dann aber entschieden: lieber die Zuständigkeit für die alte Bundesrepublik durch drei zu sichern als eine Gesamtzuständigkeit durch vier. Das mag ja auch nachvollziehbar sein. Trotzdem spielte es eine Rolle. Vielleicht hätte es dann den 17. Juni gar nicht gegeben.“[1]

 

Autobiographie 2017/2019

Gysis Versuch einer Teilrehabilitierung der Deutschlandpolitik Stalins in der Bundestagsdebatte vom 4. Juni 2025 war nicht der erste dieser Art. In seiner 2017 erschienenen Autobiographie „Ein Leben ist zu wenig“ erzählt Gysi, wie ihm bei einer Moskaureise im Februar 1990 „mit Walentin Falin, dem Leiter der Abteilung Internationale Beziehungen im ZK der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) […] einer der gebildetsten Funktionäre im engen Zirkel der Moskauer Machtzentrale“ und zugleich „ein führender Kopf sowjetischer Deutschlandpolitik“ begegnet sei.[2] Später sei dieser Gast bei einer Matinee im Rahmen einer von Gysi geführten Gesprächsreihe im Deutschen Theater in Berlin gewesen, über die der damalige Gastgeber Folgendes zu berichten weiß:

„Falin erzählte im Deutschen Theater von den Mühen der Sowjetunion bis in die frühen fünfziger Jahre, die Einheit Deutschlands zu erreichen, ‚Stalin sagte: Keine sozialistischen Experimente in der sowjetischen Zone!‘ Adenauer blockierte damals das Einheitsstreben, Ulbricht war ‚auch nicht besonders glücklich‘. Etwa 1952 wurde entschieden, dass die DDR nun bliebe.“[3]

Bemerkenswerterweise ergänzte Gysi den letzten Satz des zitierten Abschnittes für die zwei Jahre später veröffentlichte, aktualisierte Taschenbuchausgabe seiner Autobiographie um einen Nebensatz:

„Etwa 1952 wurde entschieden, dass die DDR nun bliebe, nachdem Konrad Adenauer die von Stalin vorgeschlagenen gesamtdeutschen Wahlen abgelehnt hatte.“[4]

Damit rekurriert Gysi wie in seiner Bundestagsrede auf die sogenannte Stalin-Note.

 

Kontextualisierung der Stalin-Note

Zur Einordnung von Gysis Aussagen lohnt die Lektüre des 2007 erschienenen, vom Historiker Peter Ruggenthaler herausgegebenen und eingeleiteten Buches „Stalins großer Bluff. Die Geschichte der Stalin-Note in Dokumenten der sowjetischen Führung“. Darin legt Ruggenthaler dar, „dass es doch deutliche Beweise aus Moskauer Archiven gibt, die, im Kontext analysiert, endgültig klarstellen, dass das ‚Neutralisierungsangebot‘ Stalins nicht ernst gemeint war und anderen Zwecken diente.“[5]

Ein ähnliches Fazit zieht der Historiker Gerhard Wettig, Mitglied der „Gemeinsamen Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen“, auch „Deutsch-russische Historikerkommission“ genannt, in seinem vor einem Jahrzehnt veröffentlichten Buch „Die Stalin-Note. Historische Kontroverse im Spiegel der Quellen“:

„Die sowjetische Note vom 10. März 1952 war der letzte Versuch in einer langen Reihe von Bemühungen, bei der deutschen Bevölkerung den Eindruck zu erwecken, dass die UdSSR für ihre nationalen Interessen gegenüber dem Westen eintrete und daher ihr Verbündeter im Kampf um staatliche Unabhängigkeit und Einheit sei. Dem dienten öffentlich unterbreitete Verhandlungsangebote an die Westmächte, die für deutsche Ohren gut klangen, aber stets so präsentiert wurden, dass, nach außen hin verschleiert, die gestellten Bedingungen für sie nicht annehmbar waren und/oder die Umstände keine Verhandlungen darüber zuließen. Auf jeden Fall war von vornherein zu erwarten, dass kein Ergebnis erzielt werden würde. Damit suchte sich der Kreml als Verfechter der deutschen Interessen darzustellen, ohne sich für die Vorstellungen einzusetzen, welche die nicht-kommunistischen Deutschen – also die weitaus meisten – davon hatten. Die Schuld an der deutschen Spaltung sollte den Westmächten mit der Begründung zugewiesen werden, dass diese, wie im Kreml vorausberechnet, nicht auf die Angebote der UdSSR eingingen. Nicht zufällig kam die Initiative zu einem groß angelegten Vorschlag diesen Inhalts von der SED-Führung, als diese sich Stalins Absicht gegenübersah, in der DDR eine Massenarmee zum gemeinsamen Kampf gegen den Westen aufzustellen und damit eine die Spaltung Deutschlands außerordentlich verschärfende Maßnahme einzuleiten.“[6]

 

Geschichtsrevisionismus als Herausforderung

Dass Gysi nicht nur seine Autobiographie, sondern auch eine wenige Monate vor dem 35. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung stattfindende Bundestagsdebatte zum Gedenken an den Arbeiter*innenaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR nutzt, um das historisch längst widerlegte Narrativ von Stalins angeblichem Bemühen um gesamtdeutsche, demokratische Wahlen und die Einheit Deutschlands zu reproduzieren, ist nicht nur ein erinnerungspolitischer Offenbarungseid, sondern vor allem auch der Versuch eines entschieden zurückzuweisenden Geschichtsrevisionismus.

 


[1] Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 21/9, Berlin 2025, https://dserver.bundestag.de/btp/21/21009.pdf (letzter Zugriff am 09.06.2025).
[2] Gregor Gysi, Ein Leben ist zu wenig. Die Autobiographie. Aufbau, Berlin 2017, S. 331 f.
[3] Ebenda, S. 332.
[4] Gregor Gysi, Ein Leben ist zu wenig. Die Autobiographie. Vollständige, aktualisierte Taschenbuchausgabe. 6. Auflage. Aufbau, Berlin 2024, S. 333.
[5] Peter Ruggenthaler, Einleitung. In: Ders. (Hrsg.), Stalins großer Bluff. Die Geschichte der Stalin-Note in Dokumenten der sowjetischen Führung. Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Bd. 95. R. Oldenbourg, München 2007, S. 11–22, hier S. 21.
[6] Gerhard Wettig, Die Stalin-Note. Historische Kontroverse im Spiegel der Quellen. Diktatur und Demokratie im 20. Jahrhundert, Bd. 1. Bebra-Wissenschaft, Berlin 2015, S. 186.

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Zitation

Thomas Tews, Geschichtsrevisionismus durch Gregor Gysi . Der Versuch einer Teilrehabilitierung der Deutschlandpolitik Stalins, in: Zeitgeschichte-online, , URL: https://zeitgeschichte-online.de/themen/geschichtsrevisionismus-durch-gregor-gysi