von Kerstin Brückweh

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18. März 2019

 

Nach dem Ende der DDR in Ostdeutschland und im gegenwärtigen Großbritannien zeigt sich ein ähnliches Phänomen: In nicht geringem Umfang wurde das Eigentum an Häusern und Wohnungen vom Grundeigentum getrennt. Anders formuliert: Jemand war zwar Haus- oder Wohnungseigentümer*in, aber besaß nicht den Boden, auf dem das Haus stand. Manchmal wussten die Haus- oder Wohnungseigentümer*innen nicht einmal, wem das dazugehörige Grundstück gehört. Daraus entstanden Abhängigkeiten, Ungleichheiten und Konflikte. Wie aber konnte die privateigentumsfördernde britische Politik, vor allem unter Margaret Thatcher, und die privateigentumsstörende DDR-Politik zu ähnlichen Effekten führen?[1] Und macht ein solcher, eher unkonventioneller Vergleich überhaupt Sinn?

 

Politik und Praktiken in der DDR

In der Forschung ist vor allem für die Regionen, die durch das Habsburgerreich und seine Tradition mit Kataster- und Grundbuchsystemen geprägt waren, eine zentrale staatssozialistische Eigentumsstrategie herausgearbeitet worden: Diese war geprägt durch das großzügige Verteilen von Eigentum bei gleichzeitigem systematischen Zurückdrängen des Grundbuchs und damit der Rechtssicherheit.[2] Diese Strategie lässt sich auch in der DDR erkennen. Das verdeutlicht das folgende Beispiel: Im Jahr 1969 bezog der 17-jährige Peter Busch eine verlassene Datsche auf einem Grundstück am Berliner Stadtrand. Einige Jahre später erhielt er offiziell von der Gemeinde einen Überlassungs­vertrag und eine Baugenehmigung. Den Eintrag ins Grundbuchblatt strebte er vergeblich an, dort blieb der alte, nun in Westdeutschland lebende Eigentümer stehen. Busch baute also ein Haus auf einem Grundstück, das ihm laut Grundbuch nicht gehörte. Er steht damit stellvertretend für eine ganze Reihe Ostdeutscher, denen in der DDR Eigenheime zur Selbstnutzung vom Staat überlassen oder verkauft wurden – das war eine seit den 1950er Jahren bekannte Form der Nutzung und des Erwerbs von Wohneigentum. Die DDR-Käufer*innen versuchten, das Wohneigentum in den Grundbuchblättern ver­zeich­nen zu lassen; falls ihnen der DDR-Staat die Eintragung verwehrte oder zu lange dafür brauchte, schrieben die Betroffenen Eingaben. Der Glaube an die Verbindlichkeit des Grundbuchs beziehungsweise der Grundbuchblätter war in der DDR – zumindest im Eigen­heim­bereich – weit verbreitet. Auch im praktischen Umgang mit Immobilien verhielten sich die Käufer*innen wie Eigentümer*innen. Sie hielten ihr Eigentum in Stand, renovierten, reparierten, bauten an und um. Für die Pflege des Eigentums und somit seine materielle Werterhaltung investierten DDR-Bewohner*innen Zeit und Ressourcen. Zugleich betrachteten sie die Häuser als ihr Zuhause, ihren Rückzugsort. Das Wohneigentum hatte also einen ideellen und einen materiellen Wert. Meine Forschungen lassen im Bereich der selbstgenutzten DDR-Eigenheime keine Anzeich­nen erkennen, dass die offizielle Eigentumspolitik bis in die Eigentums­ideen und -praktiken der Ostdeutschen durchgedrungen wäre.

 

Politik und Praktiken in Großbritannien

Während in der DDR ein sozialistisches Eigentumssystem propagiert und mit unterschiedlicher Intensität in verschiedenen Bereichen eingeführt wurde, sahen in Großbritannien Konservative schon in den 1920er Jahren Eigentum als eine Möglichkeit, sozialistische Ideen zurückzudrängen: Aus allen Menschen über das Wohneigentum Kapitalisten zu machen, wurde als „ideal ground on which to fight Socialism“ angesehen.[3] Die Idee der property-owning democracy als Gegenentwurf zur sozialistischen Eigentumsidee wurde in Großbritannien also schon früh im 20. Jahrhundert entwickelt und zunehmend umgesetzt. Nicht zuletzt Margaret Thatcher sorgte für eine weitere Verbreitung. Im Jahr 1986 fasste sie ihre Vision in einer Rede auf der Conservative Party Conference zusammen:

„We Conservatives believe in popular capitalism – believe in a property-owning democracy. And it works! […] The great political reform of the last century was to enable more and more people to have a vote. Now the great Tory reform of this century is to enable more and more people to own property. Popular capitalism is nothing less than a crusade to enfranchise the many in the economic life of the nation.”[4]

Thatchers Idee war es, über Eigentum an Wohnraum und Industrieaktien den vielen ein weiteres Wahlrecht zuzugestehen. Ihr Plan, der vor allem den Verkauf von Sozial­woh­nun­gen an die Mieter*innen – das sogenannte right to buy– forcierte, schien zunächst gut zu funk­tio­nieren. Erst neuerdings liest man u.a. in Zeitungsberichten, dass die property-owning-democracy tot sei. Diese Immobilienkrise hat wirtschaftliche und kulturelle Dimensionen: Es geht um die steigenden, immensen Immobilienpreise, die für viele den Einstieg in den und den Aufstieg auf dem Wohnungsmarkt unmöglich machen; zudem manifestiert sich darin eine Differenz der Eigentumskonzepte. Ein langfristiges Ergebnis der Thatcher‘schen Politik war das vornehmlich als sogenanntes leasehold erworbene Privateigentum, d.h. dass nur der Wohnraum für eine begrenzte Zeit gekauft wurde, während das dazugehörige Grundstück einem anderen Eigentümer gehörte. The many konnten aufgrund der hohen Immobilienpreise vielfach nur so Wohnungseigentum erwerben. Auch wenn Wohnungseigentümer*innen in Großbritannien ihren Wohnraum wesentlich stärker als Investitionsgut betrachten als ihre deutschen Nachbarn, geht diese Verwendung des Grundeigentums als reines Investitionsobjekt aus der Sicht der einfachen Wohnungseigentümer*innen, also derjenigen, die nur über ein Haus oder eine Wohnung verfügen, offenbar zu weit. Die Reduzierung des Eigentums auf seinen materiellen Wert hat eine Praxis etabliert, in der vermehrt Firmen als Grund­stücks­­eigentümer*innen auftreten, die ihren Sitz in Steueroasen haben und gerade nicht dem Eigentumskonzept folgen, das politische und gesellschaftliche Partizipation und wirtschaftliches Handeln miteinander verbindet. Das hat auch Konsequenzen für die Hausbesitzer*innen, die nicht mehr wissen, wem der Grund und Boden gehört, auf dem ihr Haus steht, die aber zugleich willkürlich festgesetzte Verwaltungsgebühren an diese durch Hausverwaltungen vertretenen Grundeigentümer*innen zahlen müssen.

Wenn auch aus einer anderen historischen Entwicklung entstanden, so ist auch hier wie in der DDR die Trennung von Haus und Grund das zentrale Problem. Welche Möglichkeiten hatten beziehungsweise haben die beiden Staaten, um dieses Problem zu lösen?

 

 

Neuordnung in Ostdeutschland

 

Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik wurden die Regelungen der sogenannten offenen Vermögensfragen zu einem der wichtigsten gesellschaftspolitischen und sozialen Konfliktfelder. Während auf der politischen Ebene zunächst – d.h. in großer Unkenntnis der Sachlage – davon ausgegangen worden war, dass das Prinzip „Rückgabe vor Entschädigung“ funktionieren würde, stellte sich das bald angesichts des Ausmaßes und der Verworrenheit der Eigentumsverhältnisse als Trugschluss heraus. Ostdeutsche wehrten sich vehement und oft erfolgreich gegen die praktische Umsetzung dieses Prinzips und drängten auf die Berücksichtigung ihrer in der DDR erworbenen Eigentumsrechte. Dafür verwiesen sie vor allem auf ihre Pflege des Eigentums; dagegen hätten die Alteigentümer*innen durch das Verlassen des Grundstücks moralisch das Recht daran verloren. Das Argument wurde in Teilen berücksichtigt – insbesondere Hausbauer wie Peter Busch mussten ihre Häuser nicht räumen. Zugleich blieb das im 19. Jahrhundert diskutierte und am 1.1.1900 mit dem BGB in Kraft getretene Grundbuch, das auch in der Bundesrepublik galt, nach 1990 im Grundsatz unangetastet. Wieso hätte es auch geändert werden sollen? Die damit verbundenen Eigentumskonzepte bestanden ebenso bei den Wohnungseigentümer*innen in der DDR. Die staatssozialistische Eigentumspolitik hatte lediglich den Eintrag ins Grundbuch vielfach verhindert beziehungsweise willkürlich (nicht) durchgeführt. Diese Praxis sorgte für die Zuordnungsprobleme nach 1990, nicht die Orientierung am Grundbuch. Die Ordnung wurde also mit dem und im Grundbuch nach 1990 wiederhergestellt.

 

Fehlendes Eigentumswissen in Großbritannien – Domesday from below

Ganz anders ist die Situation in Großbritannien. Hier war die sogenannte housing crisis langsam gewachsen und auf ein verlässliches System der Landregistrierung, das Wissen über Eigentum zur Verfügung stellen könnte, konnten sich die Briten aus vielfältigen Gründen bis heute nicht einigen. Während einige in den Diskussionen um die Einführung der Landregistrierung im 19. und frühen 20. Jahrhundert einen Missbrauch durch den Staat fürchteten, hat sich dies heute gewandelt: Nun geht die Initiative von the many, wie schon Thatcher sie nannte, also der „Mitte der Gesellschaft“ aus und wird von Initiativen geprägt, die ich als Domesday from below bezeichne Landregistrierung wird hier weniger als Unterdrückung verstanden als vielmehr als empowerment genutzt. Gerade in Zeiten des Brexit gilt das Motto: Nur wer weiß, wem das Land gehört, kann auch die Kontrolle über Großbritannien haben. Ein schönes Beispiel bietet der Blog Who owns England? 

 

Lohnt sich der Vergleich der britischen mit der (ost)deutschen Geschichte?

Ja! Dafür seien abschließend drei Aspekte hervorgehoben:

Erstens lenkt der Vergleich den Blick auf das Eigentum als zentrales politisches wie gesellschaftliches Steuerungselement – egal ob im Kommunismus oder im Kapitalismus. Das wird in der spät- und postsozialistischen Transformationszeit ebenso wie in der sich langsam anbahnenden housing crisis erkennbar.

Zweitens verdeutlicht er die lange Geschichte dieser Probleme und die Abhängigkeit der Lösung dieser Konflikte von Entscheidungen über Landregistrierungen, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert in verschiedenen Regionen und Nationen unterschiedlich getroffen wurden. Um die deutschen Konflikte nach 1990 zu verstehen, muss die lange Geschichte der „Wende“ gerade im Bereich des Wohnungseigentums mit der Geschichte der Enteignungen im Nationalsozialismus verbunden werden. Die lange Geschichte zeigt sich zudem in den zugrundeliegenden Ideen und Mentalitäten der Bewohner*innen, die im Einklang, aber auch im Missverhältnis zu den jeweiligen Regimen stehen können. Problematisch wird es in beiden Fällen, wenn etwa behördliche Willkür im Spiel ist. Diese Erkenntnis ist aber auch nicht spezifisch für die jüngste Zeitgeschichte. Schon in der Erklärung der Menschenrechte von 1948 heißt es in Artikel 17: „No one shall be arbitrarily deprived of his property“.

Drittens verweist die konkrete Analyse der Fälle auf die Frage, was eigentlich die Beweggründe hinter dem Haus sind. Anders formuliert: Was macht das Eigentum mit dem Menschen und der Gesellschaft? Wie verändern sich Menschen, wenn sie Eigentümer*innen sind? Gilt es dann nur noch, das Eigentum aus egoistischen Gründen zu bewahren, gerade dann, wenn man nur ein selbst genutztes Haus oder eine Wohnung hat? Das Ziel ist die Bewahrung eines Stückchens Sicherheit in unsicheren Zeiten. Dann kann vielleicht noch eine (Interessen-)Gemeinschaft mit den Nachbar*innen gegründet werden, wenn beispielsweise ein Flughafen in der Nähe gebaut werden soll, der Wohnqualität und die Immobilienpreise beeinträchtigen könnte. Für große gesellschaftliche Visionen fehlen vermutlich der Blick und die Zeit. Aber brauchen wir die überhaupt? Das wäre ja auch eine Lehre, die aus der Ost-West-Verknüpfung gezogen werden könnte. An dieser Stelle bin ich froh, dass ich Historikerin bin und die Zukunft nicht vorhersagen muss. Zugleich würde ich dafür plädieren, dass wir den engen zeitlichen Rahmen der spät- und postsozialistischen Transformationen erweitern müssen – und das auch mit Blick auf andere Räume in Ost und West.

 


[1] Für eine ausführliche Variante dieser Geschichte siehe Kerstin Brückweh, Home Sweet Home. Immobilien und die Kulturgeschichte des Vermögens im 19. und 20. Jahrhundert, erscheint in Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 2019.
[2] Vgl. Hannes Siegrist/Dietmar Müller: Introduction, Property in East Central Europe. Notions, Institutions, and Practices of Landownership in the Twentieth Century. New York/Oxford 2015, S. 1–26, hier S. 2.
[3]  Matthew Francis: ,A Crusade to Enfranchise the Many‘. Thatcherism and the ‚Property-Owning Democracy‘. In: Twentieth Century British History 23, 2012, H. 2, S. 275–297, hier S. 278. Francis bezieht sich auf Noel Skeltons Constructive Conservatism von 1924.
[4]  Margaret Thatcher: Speech to Conservative Party Conference, 10.10.1986, Bournemouth, Hampshire, Thatcher Archive: speaking text, [29.9.2018].