Hörstation der Ausstellung in Straussberg im September 20024. Foto: Konrad Behr (www.konrad-behr.de)
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Hörstation der Ausstellung in Straussberg im September 2024. Foto: Konrad Behr 

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“Ist die Wende zu Ende?“

Reflexionen über eine erinnerungspolitische Intervention

Die Erinnerungswerkstatt „Ist die Wende zu Ende?“ tourte von März bis September 2024 durch sechs Orte in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Dem vorangegangen war ein Forschungsprojekt zu Nachwendeerfahrungen, in dem narrative Interviews mit jüdischen Menschen, ehemaligen Vertragsarbeiter*innen, Arbeitskämpfenden und linken Aktivist*innen geführt wurden. Diese Gespräche waren der Ausgangspunkt für die Entwicklung der mobilen Erinnerungswerkstatt, die als Ausstellung und Gesprächsformat konzipiert war. Sie sammelte weitere Erinnerungen von Besuchenden vor Ort ein, um sie in einen eigens kuratierten Ausstellungsraum am Dresdener Hygienemuseum einzuspeisen, als Teil der Ausstellung „VEB Museum: Das Deutsche Hygiene-Museum in der DDR“, die vom 9. März bis 17. November gezeigt wurde.

Mit einigem Abstand reflektieren die Beteiligten aus Wissenschaft, Kunst und Kultur den gemeinsamen Prozess, beleuchten die transdisziplinären Herausforderungen und fragen nach Perspektiven partizipativer Formate von Geschichtsvermittlung on the road.

 

Performance-Kunst zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Felix Axster: Die Eröffnung unserer letzten Station im September 2024 war kurz nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, wo die AfD Erfolge verbuchen konnte. Da wart Ihr, Anna und Hans, sichtlich angefasst. Drei Wochen später fand die Finissage in Strausberg kurz vor den Landtagswahlen in Brandenburg statt, auch hier mit einem hohen Wahlergebnis für die AfD. Könnt Ihr sagen, wie Eure Stimmung während der letzten Station war?

Anna Stiede: Ich bin in Thüringen aufgewachsen. Auch wenn die Wahlergebnisse keine Überraschung waren, war und bin ich dennoch verzweifelt. Wir sind in das Projekt gegangen und wollten künstlerisch, erinnerungspolitisch wirken. Das Ziel war, nach Wendeerfahrungen zu fragen und ob Menschen beispielsweise ihre eigenen Erfahrungen in Verbindung setzen zu den Erfahrungen von ehemaligen Vertragsarbeiter*innen oder Streikenden. Über diesen erinnerungspolitischen Zugang wollten wir den Kontakt zu sogenannten populismusanfälligen Menschen suchen. Als Performanceteam diente uns zu Projektauftakt das Bild einer Wertstoffsammelstelle. Dort wurde zu DDR-Zeiten Müll gesammelt und entsorgt. Wir wollten Wendegeschichten sammeln, versorgen, entsorgen. Wir haben uns angeboten, Geschichten und Gefühle bei uns abzuladen. Tatsächlich waren wir daran interessiert, eine Form der Entladung zu ermöglichen. Vielleicht wollten wir uns sogar als jene anbieten, bei denen sich Menschen entlasten können, statt in rassistischem Denken und Tun Entlastung zu finden.

Hans Narva: Ja, das hat uns getroffen, sehr – vielleicht nicht überraschend, aber doch mit voller Wucht. Die Wahlergebnisse in Sachsen und Thüringen lagen wie eine große Dunkelheit über dem, was wir da eigentlich gemeinsam in Bewegung bringen wollten. Und drei Wochen später, bei der Finissage in Strausberg, war spürbar, wie sich auch Brandenburg auf eine politische Verschiebung zubewegt, trotz der „Vorlage“ in Sachsen und Thüringen. In dieser Atmosphäre war die Stimmung angespannt – in Strausberg war selbst die Geldablage beim Bäcker eine AfD-Schale –, es war ein Ringen zwischen Resignation und dem Bedürfnis, Haltung zu zeigen. Wir hatten nicht die Mittel einer großen Partei, aber wir hatten Kunst, Räume, Körper, Sprache.

Wir sind in das Projekt gestartet mit der Hoffnung, dass Kunst ein Raum sein kann für Gespräche, die woanders nicht mehr stattfinden. Wir wollten uns nicht einigeln, sondern uns etwas zumuten. Zivilcourage bedeutete in unserem Fall: präsent bleiben, ansprechbar sein, aushalten, zuhören – und dann auch etwas entgegnen, wenn es notwendig war. Nicht von einem moralischen Hochsitz aus, sondern mit der Bereitschaft, die eigene Position zu zeigen – und auch in Frage stellen zu lassen. Um irgendeiner diffusen Hoffnung Ausdruck verleihen zu können.

Für mich persönlich war es aber auch ein Versuch, mutig zu sein. Und ich wollte auch wirklich wissen, was da überall los ist. Und nicht immer nur über etwas reden, das aber gar nichts Konkretes ist. Und ja, ich wollte mich stellen. Ich wollte da sein. Und tatsächlich vor Ort sein! Auch wenn es manchmal sauschwer war auszuhalten, was einem da entgegenschlug – sei es Schweigen, Ablehnung, Drohungen, Vulgarität oder schlicht Desinteresse. Aber genau deshalb braucht es solche Projekte: Weil sie Räume schaffen, in denen wir das, was uns gesellschaftlich bedroht, nicht einfach geschehen lassen. Sondern etwas entgegensetzen – auch wenn es leise ist. Oder gerade deshalb.

Was war euer Antrieb für dieses Projekt, Mathias und Felix, und warum sollte daraus eine Ausstellung werden?

 

„Geschichte von unten“ und kuratorische Praxis

Mathias Berek: Unser Antrieb war eigentlich erstmal das gemeinsame Interesse an den 1990er Jahren und den Widersprüchen, die aus ihnen in das Heute rüberwehen. Also dieser Vielklang aus Nationalismus und Nazigewalt, neuen Freiräumen, Deindustrialisierung und Aufbruch, Demokratisierung und Enttäuschung über ihr Ausbleiben. Dieses Interesse hatte uns ja zu unserem Forschungsprojekt geführt, das nach biografischen Erfahrungen mit Zusammenhalt, Solidarität und Ressentiment in der Nachwendezeit fragt. Und daraus war ein ungeheuer spannender Fundus an Interviews entstanden, mit Menschen, deren Erfahrungen nicht zum Mainstream der deutschen Erinnerungskultur an die 1990er Jahre gehören. Ein Fundus, der eine Vielfalt der Erinnerungen abbildet, die ganz anders ist als die Monotonie des ‚Entweder war alles toll‘ oder ‚alles war nur Arbeitslosigkeit und Abwertung‘. Wir hatten von Anfang an geplant, mit diesen Interviews auch in der Öffentlichkeit zu arbeiten, sie ins Gespräch mit der Gegenwart und weiteren Geschichten vor Ort zu bringen. Zuerst hatten wir an eine einfache Ausstellung gedacht. Aber dann meinten unsere Kooperationspartner*innen vom Kulturbüro Sachsen, wir sollten mit einer solchen Ausstellung unbedingt durch den Osten touren. Damit kam die Sache ins Rollen. Mit unserem spärlichen Anfangsbudget starteten wir eine wunderbare Zusammenarbeit mit Anna und Hans, deren Erfahrung und Kreativität den Grundstein für das Projekt legten – eine Erinnerungswerkstatt, die eben viel mehr als eine Ausstellung sein sollte, nämlich ein Gesprächsangebot an alle, die ihre Erinnerungen einzubringen bereit waren. Und wir holten uns die beiden großartigen Kurator*innen Anujah und Niels ins Boot, die die vielen Stunden Interviews überhaupt erst zu der Ausstellung verdichteten, die dann touren konnte. Sie arbeiteten die zentralen Fragen und Themen heraus und entwickelten die interaktiven Formate, die am Ende so gut funktioniert haben.

Das ist eigentlich das Stichwort: Anujah und Niels, was hat Euch damals dazu gebracht, mitzumachen? Und wie seid Ihr beim Durcharbeiten des Materials auf die vier zentralen Fragen (nach Ohnmacht, Hoffnung, Umbrüchen und Selbstwirksamkeit) gekommen?

Niels Hölmer: Anujah und ich hatten schon länger geplant, uns einmal gemeinsam einem Thema zu widmen, bei dem wir unsere unterschiedlichen Perspektiven und Herangehensweisen als Kulturwissenschaftlerin und Filmemacherin auf der einen und als Historiker und Geschichtsvermittler auf der anderen Seite fruchtbar zusammenbringen können. Ich bin in West-Berlin aufgewachsen und habe viele Jahre in Leipzig gelebt. Mir ist irgendwann aufgefallen, dass selbst mein Leipziger Freund*innenkreis überwiegend westdeutsch geprägt ist. Das war schon interessant. Dabei habe ich mich immer sehr für „ostdeutsche Geschichte“, die Transformationszeit und Auswirkungen der Wende in Ost und West interessiert. Zuletzt habe ich am Deutschen Historischen Museum eine Ausstellung mit erarbeitet, die den Umbruch 1989 in Leipzig in einen multiperspektivischen Kontext setzt. Besucher*innen konnten sich dort in die Rolle unterschiedlicher Menschen versetzen, die 1989 dabei waren.

Der Ansatz, persönliche Perspektiven und Erfahrungen sichtbar zu machen, also Geschichte „von unten“ zu erzählen, um einen Bezug zur Lebensrealität der Besucher*innen herzustellen, hat mich auch in dem Interview-Projekt überzeugt. Und es war eine wirklich spannende und bereichernde Erfahrung, das Material durchzuarbeiten, 4.500 Minuten sehr vielfältiger, persönlicher und bewegender Erfahrungsberichte. Anujah und mir ist dabei aufgefallen, dass die Interviewten sich biografisch zwar unterschiedlich verorten, mit Blick auf die Wende- und Nachwendezeit aber doch immer wieder ähnliche Fragen adressieren, die sie dann wiederum sehr unterschiedlich beantworten. Daraus ist die Idee für die Struktur der Ausstellung entstanden. Wir haben die Interviews neu gruppiert, um Fragen nach persönlichen Umbrüchen, Ohnmachtserfahrungen, Hoffnungen und Momenten von Selbstwirksamkeit. Damit zugleich die zuvor in den Interviewsamples vorhandene Kategorisierung in Identität oder biografischen Hintergrund aufgelöst. Uns war es dabei wichtig, fragend vorzugehen, um die persönlichen Erfahrungen nicht als allgemein gültig zu setzen und entsprechend die Vielfalt der Perspektiven und Erfahrungen sichtbar zu machen.

Anujah Fernando: Als mich eure Anfrage im Sommer 2023 erreichte, war ich schon einigermaßen deprimiert von der damaligen politischen Entwicklung und dem einseitigen Reden über „den Osten“. Da kamt ihr mit eurem Forschungsprojekt für mich genau richtig. Ich hatte die Hoffnung, durch meine Mitarbeit das gemeinsame Zuhören trainieren und „anderen Geschichten“ mehr Raum geben zu können. Entsprechend bestand ein weiterer Aspekt in der Konzeption der Ausstellung darin, die weniger prominent erzählten Geschichten aus der DDR auch mit ausreichend historischem Hintergrundmaterial anzureichern. Wir merkten nämlich schnell in der Sichtung der Interviews, dass viele Zeitzeug*innen auf konkrete Lokalgeschichten Bezug nahmen und diese allerdings weniger Teil „unserer Kollektiverinnerung“ über die DDR oder die Nachwendezeit waren. Jüngeren Generationen würden die Arbeitskämpfe um den Erhalt des Kaliwerks in Bischofferode vermutlich weniger präsent sein, so unsere Annahme. Die Solidarisierung jüdischer Stimmen in der BRD und linker Aktivist*innen mit den ehemaligen Vertragsarbeiter*innen, die 1992 in Rostock-Lichtenhagen von rechter Gewalt betroffen waren, war ein weiterer historischer Moment, von dem wir vermuteten, dass er weniger bekannt sein würde. In der Bildrecherche achteten wir zudem darauf, Repräsentationen von politischer Mobilisierung und gemeinsamer Wirkmacht aufzunehmen und nicht jene Bilddiskurse zu bedienen, wo es um einzelne Heldenerzählungen ging.

Während diese historischen Mikro-Geschichten als Hintergrundinfos bereitstanden, waren es jedoch die sehr persönlichen und damit subjektiven Interviewauszüge, die im Fokus der Ausstellung stehen sollten. Ausstellungsbesucher*innen sollten sich eingeladen fühlen, mit Zeit den Berichten zuzuhören. Mit Julia Schnegg und dem Ausstellungsbüro MathiesWeberSchnegg konnten wir Expertise für das Projekt gewinnen. Wir waren sehr glücklich über die Zusammenarbeit und die Art und Weise, wie unsere konzeptuellen Überlegungen in die Gestaltung der mobilen Erinnerungswerkstatt übersetzt wurden.

Julia, kannst Du uns in Deine Überlegungen zur Ästhetik des Projekts und zum gestalterischen Übersetzungsprozess mitnehmen? Und was hat Dich damals eigentlich bewegt, in dieses Projektvorhaben einzusteigen?

 

Ästhetik: aneigbar und niedrigschwellig

Julia Schnegg: Eigentlich waren es nicht im engeren Sinne gestalterische Fragen, die mich interessiert haben. Es war vielmehr die Herangehensweise, die ich so bestechend fand und zu der ich etwas beitragen wollte. Mich hat das Reden über „den Osten“ schon immer geärgert. Ich bin in den 1990er Jahren politisiert worden, das war die Zeit, in der diese Narrative über „den Osten“ in den Köpfen festgesetzt wurden. Die Stärke der Nazis wurde mit sozialistischer Diktatur und Töpfchenzwang in Ostkrippen erklärt. Die Wende und die damit verbundenen sozialen Umbrüche, die Entwertungen und das Ausräubern des Ostens, verursacht u.a. durch die feindliche Übernahme seitens des Westens, wurden nicht thematisiert. Entsprechend wurde der Westen als politisches und ökonomisches System reingewaschen, und die sozialen Kämpfe, die da stattfanden, wurden unsichtbar gemacht. Auch die Antifa, bei der ich engagiert war, hat da nicht gegen argumentiert und sich sozial bekannt, wir haben das einfach nicht gesehen.

Ich fand es auch für mich und meine politische Biographie wichtig, das anders zu denken und nochmal einen neuen Anlauf zu nehmen. Ich wollte mit dem Projekt-Team zusammen ins Gespräch gehen. (Leider hatte ich viel zu wenig Zeit, um vor Ort mit dabei zu sein.) Und hier kommt vielleicht die Gestaltung ins Spiel: Wir wollten eine räumliche Umgebung schaffen, die die Leute einlädt und offen auf sie zugeht, um Gespräche möglich zu machen. Sowohl mit Anna und Hans, aber auch untereinander oder im Dialog mit dem Material, das die Ausstellung mitbringt. Wir wollten einen Raum, in dem sich ästhetisch möglichst viele wiederfinden und den sich jede*r leicht aneignen kann, weil er nicht slick ist oder die Bürgerlichkeit des Formats „Ausstellung“ atmet. Und wir wollten gestalterisch das Fragen und Zuhören als Methode in den Ausstellungsraum, aber auch in den öffentlichen Raum bringen.

Als Niels mich gefragt hat, war es um das Thema „Wende“ noch recht still. Nach dem Wahl-Schock war es dann überall. Da sieht man mal, wie kurzsichtig Kulturpolitik ist. Erst als es zu spät war, wurden für alle die Fördertöpfe geöffnet, die die Wende oder die Situation in Ostdeutschland thematisiert und einen Versuch unternommen haben, der AfD die Deutungshoheit zu entziehen. Viel zu spät leider. Das politische Klima richtet sich – anders als die Kulturpolitik – nämlich nicht nach Jahrestagen.

 

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Beteiligungsgebot in der Projektpräsentation im APril 2024 in Apolda. Foto: Konrad Behr. 

 

Felix Axster: Ich finde interessant, was Du über die Aneigenbarkeit von Räumen sagst und über die Bürgerlichkeit des Formats „Ausstellung“. Das hat in unseren konzeptionellen Überlegungen zur Erinnerungswerkstatt auch eine wichtige Rolle gespielt. Wir wollten, dass der Raum, den wir kreieren, niedrigschwellig zugänglich ist. Wir wollten, dass diesem Raum so wenig wie möglich eingeschrieben, dass er quasi ein unbeschriebenes Blatt ist. Also kein Museum, kein Theater, keine Bibliothek. Eine Zeit lang haben wir überlegt, in Rathäusern anzufragen. Rathäuser haben zwar ein starkes Profil, sind also nicht gerade unbeschrieben; aber wir fanden den Gedanken charmant, die Auseinandersetzungen und das Gespräch über die Wende- und Nachwendezeit genau dahin zu tragen, wo politische Entscheidungen gefällt und gesellschaftliche Entwicklungen zu steuern versucht werden. Letzten Endes haben wir uns für eine Zwischennutzung in leerstehenden Ladenlokalen entschieden.

Das war einigermaßen aufwändig – manche Ladenlokale haben wir von unseren lokalen Kooperationspartner*innen vermittelt bekommen, manche haben wir über die üblichen Mietportale gefunden. Und es ließ sich auch nicht für alle Orte durchhalten (in Apolda sind wir im alten Bahnhofsgebäude aufgetreten, wo ein Café betrieben wird; in Freital haben wir die Erinnerungswerkstatt in den Räumlichkeiten einer Quartiersmanagerin gezeigt). Aber die Zwischennutzungs-Idee hat auf jeden Fall viel positive Resonanz erfahren. Als wir zum Beispiel in Nordhausen Flyer und Plakate für die Erinnerungswerkstatt verteilt haben, war unser erster Kontakt ein Eiscafé in Bahnhofsnähe. Hier trafen wir auf Leute, die sich sehr darüber gefreut haben, dass in der Bahnhofstraße 35 „endlich mal wieder etwas los“ ist. Und in Bautzen passte unser Vorhaben perfekt zu dem Plan der lokalen Citymanagerin, leerstehende Ladenlokale für künstlerisch-kulturelle Zwischennutzungsformate zu öffnen.

Kurzum, der Auftritt in leerstehenden Ladenlokalen war in gewisser Weise ein Wagnis, weil wir uns – anders als bei Museen oder Theatern – nicht auf so etwas wie ein Stammpublikum oder bereits existierende Adressat*innen-Kreise verlassen konnten. Gleichzeitig würden wir die Entscheidung immer wieder so treffen: Zum einen war die Erinnerungswerkstatt zwar institutionell profiliert (gefördert u.a. von der Bundeszentrale für politische Bildung), aber das leerstehende Ladenlokal hat auf jeden Fall dafür gesorgt, dass wir als Format schwer einzuordnen waren und entsprechend Irritation ausgelöst haben – ist das Kunst, Aktivismus, Werbung, kommerziell etc.? Zum anderen war interessant zu sehen, dass und wie das Bespielen der Räume, die sich meist in Innenstadtlage oder sogar in Fußgängerzonen befanden, Aufmerksamkeit generiert hat. In den ersten Tagen und Wochen – noch vor dem Aufbau und der Eröffnung der Ausstellung – hingen ja immer einfach unsere Plakate im Fenster. Die Leute blieben stehen, realisierten, dass hier etwas passieren würde, schienen neugierig zu sein. Schließlich war die Erinnerungswerkstatt als partizipatives Format gedacht, in das sich die Besucher*innen mit ihren Fragen und ihren Geschichten involvieren sollten oder zumindest konnten. Unser Eindruck war, dass das leerstehende Ladenlokal die Dynamik der Involvierung durchaus verstärkt hat. Dies gilt auch und im Besonderen für unsere lokalen Kooperationspartner*innen, mit denen wir die Räume gemeinsam bespielt haben (an manchen Orten haben unsere Kooperationspartner*innen eigens organisierte Veranstaltungen wie Lesungen oder Filmvorführungen in den leerstehenden Ladenlokalen durchgeführt).

Noch mal eine Frage an Anna und Hans: Wie seid ihr in das Projekt gestartet? Wie habt ihr eure Rolle definiert? Was waren eure Erwartungen, Eure Erfahrungen? Hat sich das Scharnier der Erinnerungswerkstatt für euch eingelöst?

 

Zuhören und Zivilcourage in Zeiten des Misstrauens

Hans Narva: Wir sind mit der Erinnerungswerkstatt auf Marktplätzen gewesen, in leerstehenden Läden, oft auch mitten im öffentlichen Leben – und oftmals mitten im Desinteresse. Das klingt hart, aber es war eine Erfahrung, die sich durch die sechs Orte gezogen hat: Die Idee, durch Präsenz, durch offene Arme etwas auszulösen, ist nicht aufgegangen. Zumindest nicht so, wie wir es uns erhofft hatten. Aber was hatten wir erhofft? Haben wir wirklich geglaubt, wenn wir ein schönes Lied singen und Suppe verteilen, würde sich das gesellschaftliche Klima verbessern?

Natürlich gab es Begegnungen, Gespräche, einzelne eindrucksvolle Momente. Aber das Grundgefühl – vor allem auf den Marktplätzen – war eines der Skepsis. Oder besser: des tief verankerten Misstrauens. Die Menschen glauben uns nicht. Sie glauben nicht, dass wir einfach nur zuhören wollen. Sie glauben nicht, dass ihre Geschichten für uns wirklich zählen. Und sie glauben schon gar nicht, dass Kunst oder Erinnerung etwas an ihrer Realität ändern werden.

Dabei war Zuhören zentraler Teil unseres Konzepts. Aber im öffentlichen Raum war dafür oft kein Platz – zu laut die Vorurteile, zu tief das Gefühl, dass das alles irgendwie „von außen“ kommt. Und vielleicht stimmt das ja auch ein Stück weit: Wir kommen mit einer Erinnerungspolitik, mit performativen Formaten, mit Gesprächssalons. Wir wollen zumuten, ansprechbar sein, Haltung zeigen. Und gelobt werden? Dann stehen wir da – mit all unserer guten Absicht, mit der Hoffnung auf Teilhabe, und es verpufft. Nicht immer, aber oft. Die Postkarten mit den vier Fragen – sie wurden beantwortet, ja. Aber meist anonym, oft fragmentarisch. In den Salons kam manches wieder auf – aber auch da: Es blieb flüchtig.

Ich will das nicht kleinreden. Es gab Orte, an denen wir etwas in Bewegung setzen konnten – Spremberg zum Beispiel, oder Apolda. Aber was geblieben ist, ist die Frage: Wie kann man Vertrauen aufbauen in einem gesellschaftlichen Klima, das von Enttäuschung, Ressentiment und Misstrauen geprägt ist? Und auf was oder wen sollen die Menschen eigentlich vertrauen?

Wir wollten mit diesem Projekt ein Zeichen setzen – auch im Sinne von Zivilcourage. Aber das Zeichen ist irgendwie nicht angekommen. Vielleicht war es zu leise. Oder der Ort war zu laut. Vielleicht ist es auch einfach der falsche Moment. Oder wir müssen lernen, dass Nachhaltigkeit nicht da entsteht, wo wir sichtbar sind, sondern da, wo wir verlässlich werden – über Jahre vielleicht.

Für mich persönlich war es eine Erfahrung zwischen Mutversuch und Ohnmachtsgefühl. Ich wollte da sein, wirklich da – nicht als Symbol, sondern als Mensch. Ich wollte wissen, was los ist. Und ich habe viel gelernt. Aber ob das, was wir getan haben, bleibt? Keine Ahnung. Es ist ja wirklich eine große Frage: Was haben wir mit all unserer Kompetenz wirklich nachhaltig geschaffen, nicht nur in diesem Projekt?

Anujah Fernando: Ich finde wichtig, dass du das Zuhören betonst. Denn auch im Rahmen der kuratorischen Konzeption der Erinnerungswerkstatt war das Zuhören – neben der fragenden Haltung – ein zentraler Aspekt. Das tourende Projekt sollte das Publikum vor Ort einerseits durch Erzählungen aus den Interviews zum Zuhören animieren und andererseits eine Einladung sein, eigene Erinnerungen einzubringen. Hierzu gab es Postkarten, die die vier Kernfragen der Ausstellung ans Publikum richteten: Konnten Sie während der Wende etwas bewirken? Haben Sie während der Wende Ohnmacht erlebt? Welche Umbrüche haben Sie erlebt? Welche Hoffnung verbanden Sie mit der Wende? Ein zentrales Modul sammelte die Antworten und ermöglichte zum Ende des Ausstellungszeitraums vor Ort dem Performanceteam, einzelne Antworten im Format des öffentlichen Gesprächssalons zu teilen und erneut ins Gespräch zu bringen.

Anna, welche Eindrücke sind Dir noch von diesem Gesprächssalon in Erinnerung geblieben? Wenn Du auf diese partizipative Ebene des Projekts blickst: Was war für Dich der Mehrwert darin?

Anna Stiede: Wenn ich euch so zuhöre, denke ich, auch mit dem ganzen Nachklapp, dieses Projekt ist wichtig. Wenn Julia sagt, „die Wende“ war vorher nicht großartig im Gespräch, könnt ich natürlich einhaken und sagen: In meiner ostigen Künstler*innen-Blase ist sie natürlich irgendwie omnipräsent. Aber es ist gut, dass wir mit diesem Projekt Stimmen aus den sechs Städten verstärkt und vertont haben. Sie geben ein breiteres Abbild über die Lage in Ostdeutschland. Und diese Materialien, die Postkarten, unsere Erfahrungen liegen nun auf dem Tisch, um damit weiterzuarbeiten.

Ich würde Hans auch ein wenig widersprechen. Demokratie lässt sich schwerlich messen und ich glaube schon, dass wir einige Menschen zum Nachdenken angeregt haben, sie vielleicht am Abend mit Freund*innen oder Familie über die offensichtlich absurde Situation sprachen, dass sie kostenlos eine ziemlich leckere Suppe im Tausch gegen ein Gespräch über ihre Wendeerfahrungen bekamen. Der Mehrwert in diesem Projekt war für mich festzustellen, wie sonderbar ein (politisches) Gespräch unter fremden Menschen geworden ist. Traurig diese Erkenntnis, aber wichtig. Es ist unsere Aufgabe als Künstler*innen, Gewohnheiten zu irritieren. Ich werde den Glanz in den Augen eines alten Herren in Freital nicht vergessen, was für uns definitiv das schwerste Pflaster war. Er war so berührt von dieser Situation, dass wir uns unterhalten wollten und an seiner Geschichte und seinen Erfahrungen interessiert waren. Ich fand es wichtig, die Rohheit, das Isolierte im Alltag, das Abgekoppelt-sein von anderen Menschen für einen Moment zu unterbrechen und mich radikal meinem Gegenüber zuzuwenden. Mehrwert waren für mich sicherlich auch die Gespräche mit rechten Populist*innen: Wie ticken sie? Kann es gelingen sie zu einem Perspektivwechsel anzuregen?

Ich fand es außerdem wichtig, dass wir wiedergekommen sind! Und wir sollten es weiter tun. Da gebe ich Hans Recht – es kommt darauf an, irgendwo verlässlich zu sein. Hier stehen wir als Kulturakteur*innen vor immer wieder nur kurz angelegten Projektlaufzeiten. Die eigentlich so entscheidende Beziehungs- und Sorgearbeit zu dem Ort bleibt somit mal wieder unbezahlte Arbeit. Sie ist aber der Dreh- und Angelpunkt für nachhaltige politische Veränderungen.

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Zitation

Team Erinnerungswerkstatt , “Ist die Wende zu Ende?“ . Reflexionen über eine erinnerungspolitische Intervention, in: Zeitgeschichte-online, , URL: https://zeitgeschichte-online.de/themen/ist-die-wende-zu-ende