Die Radikalisierung im Netz und die Verschiebung des politischen Diskurses nach rechts ist im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen, nicht zuletzt durch die kürzlich erschienene Netflix-Serie Adolescence.[1] Auch bei den Veranstalter:innen der re:publica – Europas größter Konferenz zur digitalen Gesellschaft und Netzkultur – hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: „Unsere demokratische Gesellschaft steht auf dem Prüfstand.” Unter dem diesjährigen Motto „Generation XYZ” sollen deswegen „intergenerative Allianzen” geschmiedet werden, damit „wir auch weiterhin in einer demokratischen Gesellschaft leben”.[2] Dafür begaben sich zwischen dem 26. und 28. Mai 2025 rund 1.200 Speaker:innen und um die 30.000 Gäste in Berlin auf die gemeinsame Suche nach Lösungsansätzen für die Herausforderungen einer sich zunehmend polarisierenden digitalen Welt.
In den zahlreichen Workshops, Keynotes und Podiumsdiskussionen kamen fünf zentrale Lösungsansätze immer wieder zur Sprache, deren genaue Ausgestaltung jedoch teils umstritten oder gar offen blieb.
In erster Linie sahen die Speaker:innen es als Aufgabe des Staats, die Plattformen stärker in die Verantwortung zu nehmen. Staatliches Handeln sollte regulierend eingreifen und die juristischen Rahmenbedingungen für einen demokratischen Diskurs schaffen sowie deren Einhaltung sicherstellen. Zu lange sei der Staat dem Mythos unterlegen, Medienunternehmen seien neutrale Plattformen und hätten keinen Einfluss auf die geteilten Inhalte.[3] Zumindest der Digital Service Act (DSA) der Europäischen Union, der seit Februar 2024 gilt, muss konsequent durchgesetzt werden.
Gleichzeitig gilt es, präventiv zu handeln und die Medienkompetenz, insbesondere junger Menschen, zu stärken. Dazu gehören nicht nur eine Anpassung und Weiterentwicklung der Lehrpläne sowie die Weiterbildung von Pädagog:innen, sondern auch die Vermittlung konkreter Bewältigungsstrategien zum Umgang mit der Flut an teils stark emotionalisierten Inhalten.[4]
Eine besondere Verantwortung tragen zudem Medienschaffende und Journalist:innen. Anstatt mit polarisierenden Überschriften das Clickbaiting voranzutreiben, gelte es, den „konstruktiven Journalismus” zu stärken.[5] Was allerdings genau unter „konstruktiven Journalismus” verstanden werden soll, blieb meist offen; genauso wie die Frage nach einem angemessenen Umgang mit der AfD. In den Diskussionen wurden zwar Begriffe wie „false balancing“ – also die Kritik an der gleichwertigen Darstellung von Minderheitenmeinungen – genannt, doch deutliche Positionierungen der Medienhäuser zu ihrer Haltung blieben weitestgehend aus.[6] Dabei existieren Empfehlungen im Umgang mit der AfD.[7]
Immer wieder wurde auch der zentrale Stellenwert von „Community-Management” auf Plattformen betont. Es bedarf eines konsequenten Eingriffs bei Falschbehauptungen und in Fällen digitaler Gewalt. Nur durch eine aktive Moderation kann eine demokratische Debattenkultur im Netz entstehen, in der sich alle sicher fühlen und partizipieren können.[8]
Opfer von digitaler Gewalt brauchen zudem Anlaufstellen. Das Content-Netzwerk Funk bietet als einer der wenigen Akteure in der Medienbranche ihren Creator:innen psychologische Beratung, zum Beispiel im Umgang mit Hassnachrichten, an. Unterstützungsangebote benötigen jedoch nicht nur Arbeitnehmer:innen, sondern auch Privatpersonen. Hier ist wieder der Staat gefordert, entsprechende psychologische und rechtliche Hilfsangebote zu schaffen.[9]
Doch welche Bedeutung haben die diskutierten Lösungsvorschläge für Zeithistoriker:innen?
Zunächst sollten Wissenschaftler:innen sich dafür einsetzen, dass an ihren Universitäten und Forschungseinrichtungen Angebote institutionalisiert werden, an die sich Forscher:innen und Studierende wenden können, wenn sie von digitaler Gewalt betroffen sind. Auf diesen Punkt machte auch die Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation HateAid, Anna-Lena von Hodenberg, aufmerksam. Die jeweilige Institution muss sich vor die Betroffenen stellen, damit Wissenschaftler:innen im Netz nicht mundtot gemacht werden oder sich selbst zensieren.[10]
Solidarisch sein und Haltung zu beziehen, ist allerdings nicht nur die Aufgabe von Institutionen. Wenn Kolleg:innen im Netz bedroht, gedemütigt oder eingeschüchtert werden, sollte uns das als gesamte Wissenschaftsgemeinschaft berühren. Denn letztendlich ist es ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Die Betroffenen selbst sollten sich hingegen möglichst wenig mit den Inhalten auseinandersetzen müssen.
Voraussetzung dafür bleibt, dass Wissenschaftler:innen ihre Bubble verlassen, sich aktiv in den öffentlichen Diskurs einmischen und Stellung beziehen. So wie Franziska Davies im Zuge des russischen Angriffskriegs bereits forderte.[11] Dazu gehört es auch, neue Wege in der Kommunikation einzuschlagen. Vorbilder in puncto Vermittlung können beispielsweise Mirko Drotschmann (@mrwisse2go) und Susanne Siegert (@keine.erinnerungskultur) sein. Es gilt, sich die „Spielregeln” der Plattformen anzueignen und ihre potenzielle Reichweite auszuschöpfen, denn ein Großteil der gesellschaftlichen Debatten findet mittlerweile in den sozialen Medien statt. Insgesamt hat die re:publica gezeigt, es besteht Bedarf und öffentliches Interesse an einer historischen Einordnung aktueller Ereignisse.
Zum Weiterlesen:
Annette Schuhmann, Marie Luise Wallroth: Who cares? Wen kümmert es wirklich? Ein Beitrag zur 17. re:publica 2024, 29. Juni 2024.
Annette Schuhmann: Kuscheln in der Trödelhalle: re:publica 2023. Die digitale Gesellschaft spricht, hört zu und diskutiert vom 5. bis zum 7. Juni in Berlin, 8. Juni 2023.
[1] Verfassungsschutzbericht: Rechtsextremismus im Internet. Gefahren digitaler Agitation und Radikalisierung, 09.2024; Saferinternet.at: Adolescence: Eine Serie über Cybermobbing, Online-Radikalisierung und digitale Kommunikation, 04.04.2025.
[2] re:publica: Generation XYZ. Das Motto der re:publica 25, 20.09.2024.
[3] Vortrag von Chan-jo Jun, Jessica Flint: Machtfaktor Social Media - gestern war der beste Tag mit Regulierung die Demokratie zu retten, 26.05.2025; Vortrag von Torben Klausa: Meta, MAGA, Musk: Wie wir unsere Demokratie auf Social Media verteidigen, 26.05.2025.
[4] Vortrag von Anton Hartmann, Adanna: Zwischen Doomscrolling und News-Avoidance: Wie gehen wir (nicht) mit schlechten Nachrichten um?, 26.05.2026.
[5] Ebd.
[6] Podiumsdiskussion mit Schiwa Schlei, Peter Schink, Patricia Holland-Moritz , Daniel Hantigk: Demokratie stirbt im Scheinwerferlicht - Hat die 4. Gewalt versagt?, 26.05.2025; Podiumsdiskussion mit Bettina Schausten, Nico Semsrott, Ulf Buermeyer, Philip Wortmann: Der Freiheits-Hack – Wer kapert unsere Meinung?, 27.05.2025.
[7] Siehe z. B. Cord Schmelzle: Wie die Medien jetzt mit der AfD umgehen sollten, in: Spiegel Online, 09.05.2025.
[8] Vortrag von Torben Klausa: Meta, MAGA, Musk: Wie wir unsere Demokratie auf Social Media verteidigen, 26.05.2025; Podiumsdiskussion mit Anna-Lena von Hodenberg, Carmen Wegge, Sophia Maier, Maria Popov: Angegriffen und alleingelassen: So beeinflusst digitale Gewalt unsere Demokratie, 27.05.2025.
[9] Podiumsdiskussion mit Anna-Lena von Hodenberg, Carmen Wegge, Sophia Maier, Maria Popov: Angegriffen und alleingelassen: So beeinflusst digitale Gewalt unsere Demokratie, 27.05.2025.
[10] Ebd.
[11] Franziska Davies, Svea Hammerle: „Es ist wichtig, dass sich Wissenschaftler*innen am öffentlichen Diskurs beteiligen”. Ein Gespräch mit Franziska Davies, in: Zeitgeschichte-online, 07.03.2023.
Zitation
Peter Bratenstein, Clara Busch, „Unsere demokratische Gesellschaft steht auf dem Prüfstand”. Die re:publica 25 debattiert Lösungen, die auch Zeithistoriker:innen interessieren sollten , in: Zeitgeschichte-online, , URL: https://zeitgeschichte-online.de/themen/unsere-demokratische-gesellschaft-steht-auf-dem-pruefstand